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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 06.06.2003
Aktenzeichen: 2 UF 38/03
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 85 Abs. 2
ZPO § 233
ZPO § 234
1. Die über einen Monat hinausgehende Verlängerung der Berufungs- bzw. Beschwerdefrist ist nach dem seit 01. Januar 2002 geltenden Zivilprozessrecht nur bei Einwilligung des Gegners möglich; ein Ermessensspielraum des Gerichtes besteht nicht (mehr).

2. Zur - hier bejahten - Frage, ob ein Rechtsanwalt auf die Erteilung der Einwilligung in die erbetene (wiederholte) Fristverlängerung durch den gegnerischen Kollegen vertrauen darf.


Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss

Aktenzeichen: 2 UF 38/03

In der Familiensache

betreffend das Aufenthaltbestimmungsrecht für das Kind

hat der 2. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken als Familiensenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Giersch, den Richter am Oberlandesgericht Hengesbach und die Richterin am Oberlandesgericht Geib-Doll

ohne mündliche Verhandlung am 6. Juni 2003

beschlossen:

Tenor:

1. Der Antragsgegnerin wird Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Begründung der befristeten Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht Neustadt a. d. Weinstraße vom 20. Januar 2003 gewährt.

2. Der Antrag der Antragsgegnerin, ihr zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wird abgewiesen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten zu 1 und 2, getrennt lebende Eltern des Kindes P... Sch..., begehren jeweils die Übertragung des alleinigen Aufenthaltsbestimmungsrechts für P... auf sich allein.

Mit der angefochtenen Entscheidung übertrug das Amtsgericht - Familiengericht - Neustadt a. d. Weinstraße das Aufenthaltsbestimmungsrecht für P... auf den Vater.

Gegen diesen ihren Verfahrensbevollmächtigten am 31. Januar 2003 zugestellte Beschluss legte die Antragsgegnerin mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 27. Februar 2003, beim Pfälzischen Oberlandesgericht Zweibrücken eingegangen am gleichen Tag, befristete Beschwerde ein. Auf ihren am 26. März 2003 eingegangenen Antrag verlängerte der Vorsitzende des erkennenden Senats die Frist zur Beschwerdebegründung bis einschließlich 30. April 2003. Dem am 30. April 2003 durch Einlage in den Nachtbriefkasten gestellten Antrag auf nochmalige Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist konnte nicht entsprochen werden, nachdem der Antragsteller seine Einwilligung hierzu verweigert hatte. Auf das Erfordernis der Einwilligung des Gegners zur nochmaligen Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist war der Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin durch Verfügung des Vorsitzenden vom 5. Mai 2003 hingewiesen worden.

Die Beschwerdebegründung vom 5. Mai 2003 ging am gleichen Tag beim Beschwerdegericht ein. Mit Schriftsatz vom 19. Mai 2003, eingegangen am gleichen Tag, beantragte die Antragsgegnerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist. Zur Begründung wird geltend gemacht, die Beschwerdebegründungsschrift sei vor Ablauf der verlängerten Begründungsfrist am 30. April 2003 diktiert und teilweise bereits geschrieben gewesen. Die Aushilfskraft, die - in Vertretung für eine andere, erkrankte Aushilfskraft - den Schriftsatz am 30. April 2003 habe fertig stellen sollen, sei zum Dienstantritt um 17.30 Uhr unentschuldigt nicht erschienen; Versuche des Prozessbevollmächtigten, sie telefonisch zu erreichen, seien gescheitert. Der Prozessbevollmächtigte selbst sei nicht in der Lage gewesen, die Beschwerdeschrift fertig zu stellen. Die Einholung der Zustimmung der Gegenseite zur nochmaligen Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist sei wegen der fortgeschrittenen Stunde nicht mehr möglich gewesen. Die - später erfolgte - Verweigerung der Zustimmung zur Fristverlängerung durch den Bevollmächtigten des Antragstellers sei unter Anwaltskollegen unüblich und ungewöhnlich. Angesichts der als liberal zu bezeichnenden Praxis der Senate des Pfälzischen Oberlandesgerichts bei zweiten Fristverlängerungen aus erheblichen Gründen habe auch hier auf eine Fristverlängerung vertraut werden können, zumal auch die Akteneinsicht erst sehr spät gewährt worden sei.

II.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdebegründungsfrist ist verfahrensrechtlich bedenkenfrei, insbesondere innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 234 ZPO gestellt, und begründet.

Gemäß § 233 ZPO ist einer Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden daran gehindert war, eine Notfrist oder eine andere der dort genannten Fristen einzuhalten. Das Verschulden eines Prozessbevollmächtigten muss sich die Partei gemäß § 85 Abs. 2 ZPO wie eigenes Verschulden zurechnen lassen. Fehlleistungen von Angestellten des Prozessbevollmächtigten hat die Partei dagegen nicht zu vertreten, soweit sich darin nicht ein Organisations-, Aufsichts- oder Informationsverschulden des betreffenden Rechtsanwalts selbst auswirkt (vgl. hierzu etwa: Zöller/Greger, ZPO, 23. Aufl., § 233 Rdnr. 19 ff).

1. Die vom Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages geschilderte eigene Büroorganisation ist nicht geeignet, ihn vom Vorwurf der schuldhaften Fristversäumung zu entlasten.

Ein Rechtsanwalt muss für eine einwandfreie Büroorganisation sorgen (BGH MDR 1988, 1048); er muss seine Bürokräfte sorgfältig auswählen und auf ihre Eignung und Zuverlässigkeit hin laufend überwachen (BGH VersR 1972, 557). Bei Vorliegen besonderer Umstände, die eine erhöhte Gefahr für den reibungslosen Ablauf des Kanzleibetriebes darstellen, erhöht sich die Sorgfaltspflicht des Anwalts (BGH MDR 1999, 1411; NJW-RR 1999, 1664).

Das Arbeiten mit Aushilfskräften beinhaltet zweifelsfrei eine erhöhte Gefahr für den reibungslosen Ablauf des Kanzleibetriebes. Da der Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin nach seiner Darlegung nicht in der Lage ist, Schriftwerk selbst zu fertigen, war er verpflichtet, durch organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass bei Bedarf eine Schreibkraft zur Verfügung stand, damit fristgebundene Schriftsätze rechtzeitig fertiggestellt werden können. Das gilt insbesondere dann, wenn - wie hier - Fristen voll ausgeschöpft werden, mithin unerwartet auftretende kanzleiinterne Schwierigkeiten ein besonderes Gewicht haben können.

Ob dies hier geschehen ist, lässt sich der Darlegung im Wiedereinsetzungsgesuch nicht entnehmen. Es fehlt insbesondere jeglicher Vortrag dazu, ob Frau K..., die an diesem Abend für eine erkrankte andere Aushilfskraft "einspringen" sollte, auf die Dringlichkeit der Arbeitsaufnahme noch an diesem Abend hingewiesen wurde. Auch zur Zuverlässigkeit der ausgewählten Aushilfskraft fehlt jegliche Darlegung. Der Umstand, dass Frau K... zum vereinbarten Arbeitsbeginn nicht nur nicht erschienen ist, sondern sich auch nicht (rechtzeitig) entschuldigt hat, spricht eher dafür, dass ihr entweder die Erforderlichkeit der Arbeitsaufnahme noch an diesem Abend nicht bewusst war oder dass es sich bei ihr nicht um eine zuverlässige Schreibkraft handelt.

2. Soweit der Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin darauf hinweist, dass die Senate des Pfälzischen Oberlandesgerichts in der Vergangenheit auch zweite Fristverlängerungen bei Vorliegen erheblicher Gründe - die der Senat hier als gegeben erachtet - regelmäßig gewährt hätten, kann ihn auch dies nicht entlasten. Diese in der Vergangenheit geübte Praxis hat mit der Gesetzesänderung zum 1. Januar 2002 ihre Beendigung finden müssen. Nach dem nunmehr geltenden Prozessrecht kann diie Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bzw. der Frist zur Begründung der befristeten Beschwerde, soweit sie über einen Monat hinausgeht, nur bei Einwilligung des Gegners erfolgen (§ 520 Abs. 2 Satz 2 und 3 ZPO, hier i. V. m. § 621 e Abs. 3 Satz 2 ZPO); ein Ermessensspielraum ist nicht (mehr) gegeben. Der Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin konnte nicht darauf vertrauen, dass sich der Senat über diese eindeutige gesetzliche Vorgabe, deren Kenntnis bei einem Rechtsanwalt zwingend erwartet werden muss, hinwegsetzen würde.

3. Nicht vorwerfbar ist dem Verfahrenbevollmächtigten der Antragsgegnerin dagegen, dass er darauf vertraut hat, der gegnerische Verfahrensbevollmächtigte werde seine Einwilligung zur erbetenen Fristverlängerung erteilen.

Unter Rechtsanwälten (jedenfalls des hiesigen Gerichtsbezirkes) war und ist es - wie auch die Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers für ihren Bereich ausdrücklich bestätigt haben - allgemein üblich, von Kollegen der Gegenpartei erbetenen (wiederholten) Fristverlängerungen zuzustimmen beziehungsweise sich diesen nicht zu widersetzen. Diese Übung wird durch die nunmehrige gesetzliche Festschreibung des Einwilligungserfordernisses im Grundsatz nicht tangiert; ob auf ihre Fortgeltung allerdings auch zukünftig vertraut werden kann, erscheint zweifelhaft.

Dass die gegnerischen Verfahrensbevollmächtigten hier ihre Einwilligung in die nur für wenige Tage erbetenen Fristverlängerung verweigern würden, war für den Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin aufgrund der bestehenden Übung nicht vorhersehbar. Er durfte von einem Kollegen Verständnis für die eingetretenen kanzleiinternen Probleme erwarten, zumal eine - offensichtlich auch nicht beabsichtigte - Verzögerung des Verfahrens wegen der Kürze der erbetenen Fristverlängerung nicht zu besorgen war.

4. Das Gesuch der Antragsgegnerin, ihr zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens Prozesskostenhilfe zu bewilligen, war abzulehnen, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Erfolgsaussicht bietet. Nach Aktenlage und summarischer Prüfung ist die vom Familiengericht vorgenommene Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes für P... auf den Antragsteller nicht zu beanstanden.

Ende der Entscheidung

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