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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 29.01.2002
Aktenzeichen: 3 W 11/02
Rechtsgebiete: BGB, ZPO, FGG


Vorschriften:

BGB § 836
BGB § 838
ZPO § 286
FGG § 12
FGG § 25
Eine Haftung der (übrigen) Wohnungseigentümer bzw. des Verwalters für Schäden durch herabfallende Dachziegel setzt voraus, dass der geschädigte Wohnungseigentümer den Nachweis für die Fehlerhaftigkeit des Daches und deren Ursächlichkeit für den Schaden erbringt. Insoweit kommen dem Geschädigten grundsätzlich selbst bei starken Sturmböen die Regeln des Anscheinsbeweises zugute.

Aus Rechtsgründen ist jedoch nicht zu beanstanden, wenn der Tatrichter bei extrem seltenen (allenfalls einmal in 50 bis 100 Jahren) Spitzenwerten für die betroffene Gegend (hier: bis zu 153 km/h) den Anscheinbeweis als erschüttert wertet.


Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss

Aktenzeichen: 3 W 11/02

In dem Verfahren

wegen Schadensersatzes,

hat der 3. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Dury sowie die Richter am Oberlandesgericht Hengesbach und Jenet auf die sofortige weitere Beschwerde des Beteiligten zu 1) vom 2. Januar 2002 gegen den seinen Verfahrensbevollmächtigten am 18. Dezember 2001 zugestellten Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Landau in der Pfalz vom 5. Dezember 2001

ohne mündliche Verhandlung

am 29. Januar 2002

beschlossen:

Tenor:

1. Die sofortige weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.

2. Der Beteiligte zu 1) hat die Gerichtskosten des Verfahrens der sofortigen weiteren Beschwerde zu tragen.

3. Der Gegenstandswert der sofortigen weiteren Beschwerde wird auf 1.600,34 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten zu 1) und 2) sind Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft, die Beteiligte zu 3) ist deren Verwalter. Der Beteiligte zu 1) beansprucht von den übrigen Wohnungseigentümern und dem Verwalter die Zahlung von Schadensersatz. Er macht geltend, sein auf einem Pkw-Stellplatz vor der Wohnungseigentumsanlage abgestelltes Kraftfahrzeug sei am 26. Dezember 1999 anlässlich des Sturmes "Lothar" durch vom Dach der Wohnungseigentumsanlage herabfallende Ziegel beschädigt worden.

Das Amtsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Die Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben. Auf Grundlage des vom Beteiligten zu 1) vorgelegten Gutachtens des Deutschen Wetterdienstes ist die Kammer zur Überzeugung gelangt, dass es sich bei dem Sturm "Lothar" um ein - dem Anscheinsbeweis für eine Haftung erschütterndes - außergewöhnliches Naturereignis gehandelt habe. Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgt der Beteiligte zu 1) den geltend gemachten Anspruch weiter. Er weist darauf hin, dass es während des Sturmtiefs "Wiebke" am 1. März 1990 einen vergleichbaren Vorfall gegeben habe.

II.

Das Rechtsmittel ist in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden (§§ 43 Abs. 1 Nrn. 1 und 2, 45 Abs. 1, 29 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und 4, 20, 22 Abs. 1 FGG). In der Sache führt es jedoch nicht zum Erfolg. Denn die angefochtene Entscheidung beruht nicht auf einer Verletzung des Gesetzes (§§ 43 Abs. 1 WEG, 27 Abs. 1 FGG).

1. Amts- und Landgericht haben den Antrag auf Zahlung von Schadensersatz ohne Rechtsfehler zurückgewiesen.

a) Dabei kann dahinstehen, ob und ggf. aufgrund welcher rechtlichen Grundlage der Beteiligte zu 1) die übrigen Wohnungseigentümer überhaupt in Anspruch nehmen kann (vgl. dazu etwa BGH NJW 1989, 394, 395), insbesondere ob neben einem deliktischen Schadensersatzanspruch auch solche aus Vertrag gegeben sind und ob sich insoweit die übrigen Wohnungseigentümer das Verhalten des Verwalters als Erfüllungsgehilfe zurechnen lassen müssen (vgl. OLG Düsseldorf NJW-RR 1995, 587, 588 und FGPrax 1999, 96, 97 m.w.N.). Denn Voraussetzung für eine Haftung der Beteiligten zu 2) und 3) wegen Verletzung vertraglicher Pflichten und aus unerlaubter Handlung (§§ 836, 838 BGB) wäre, dass der Beteiligte zu 1) als Geschädigter den Nachweis für eine objektive Fehlerhaftigkeit des Daches und deren Ursächlichkeit für den Schadenseintritt erbringt (vgl. BGH NJW 1999, 2593, 2594; Geigel/Haag, Der Haftpflichtprozess 23. Aufl. Kap. 19 Rdnr. 12; Palandt/Thomas, BGB 61. Aufl. § 836 Rdnr. 8). Hier fehlt es bereits an einer entsprechenden Darlegung. Insoweit kommen dem Beteiligten zu 1) auch nicht die Grundsätze des Anscheinsbeweises zugute.

aa) Grundsätzlich sind die Regeln des Anscheinsbeweises im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit anwendbar (vgl. Niedenfuhr/Schulze, WEG 4. Aufl. vor §§ 43 ff. Rdnr. 107; Baumbach/Hartmann, ZPO 60. Aufl. Anh. § 286 Rdnr. 23). Sie greifen auch bei Schäden infolge solcher Witterungseinflüsse ein, mit denen naturgemäß zu rechnen ist. Hält etwa ein Gebäude oder Gebäudeteil einem sehr starken Sturm nicht stand, so rechtfertigt dies nach der Lebenserfahrung, auf die sich der Anscheinsbeweis gründet, den Schluss, dass das Gebäude oder der Gebäudeteil nicht ordnungsgemäß, d. h. nicht den für den Widerstand gegenüber Witterungseinflüssen gebotenen Anforderungen entsprechend errichtet und/oder unterhalten worden ist (vgl. BGH NJW 1999, 2593, 2594; NJW 1993, 1782, 1783; OLG Zweibrücken OLGZ 1969, 341, 342 f.; OLG Düsseldorf NJW-RR 1992, 1244, 1245 und MDR 1998, 1350; Staudinger/Beling/Eberle-Borges (§ 1997) § 836 Rdnr. 75; Geigel/Haag aaO Kap. 19 Rdnr. 12). Der Anscheinsbeweis kann jedoch in Fällen außerordentlicher Naturereignisse, mit denen erfahrungsgemäß nicht zu rechnen ist, erschüttert werden. Im allgemeinen reichen dazu jedoch selbst ungewöhnlich starke Sturmböen der Windstärke 12 bis 13 Beaufort nicht aus (vgl. BGH NJW 1993, 1782, 1783 und VersR 1976, 66; OLG Düsseldorf NJW-RR 1992, 1292, 1244; Staudinger/Beling/Eberle-Borges aaO § 836 Rdnr. 75; Geigel/Haag aaO Kap. 19 Rdnr. 12).

bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Würdigung des Landgerichts, bei dem Sturm "Lothar" habe es sich für die hier gegebene Örtlichkeit um ein solches außergewöhnliches Naturereignis gehandelt, rechtlich nicht zu beanstanden. Der Senat als Rechtsbeschwerdegericht kann nur überprüfen, ob der Tatrichter den maßgeblichen Sachverhalt ausreichend erforscht (§ 12 FGG) und bei der Erörterung des Beweisstoffes alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat (§ 25 FGG), ob seine Beweiswürdigung in sich widerspruchsfrei ist und nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt, ferner ob die Beweisanforderungen vernachlässigt oder überspannt worden sind (vgl. nur Bärmann/Pick/Merle, WEG 8. Auf. § 45 Rdnr. 85 m. w. N.). Das ist nicht der Fall.

Die Kammer hat ihre Überzeugungsbildung auf das vom Beteiligten zu 1) vorgelegte Gutachten des Deutschen Wetterdienstes gestützt. Bedenken gegen die Richtigkeit dieses Gutachtens bestehen nicht; solche werden auch von keiner Seite erhoben. Danach durfte die Kammer davon ausgehen, dass während des Durchzugs des Orkans "Lothar" im Bereich des schädigenden Ereignisses zeitweise extrem hohe Windgeschwindigkeiten geherrscht haben, mit denen allenfalls einmal in 50 bis 100 Jahren zu rechnen ist. Der festgestellte Spitzenwert lag bei 42,5 m/s, was einer Windgeschwindigkeit von 153 km/h entspricht. Dieser Wert liegt bereits im mittleren Bereich von 14 Beaufort der über 12 Beaufort hinaus auf 17 Stufen erweiterten Windstärkeskala (vgl. dazu Meyers Enzyklopädisches Lexikon S. 402). Damit ist die ernsthafte Möglichkeit extrem hoher Windgeschwindigkeiten für das betroffene Gebiet nachgewiesen. Geschwindigkeiten von mehr als 150 km/h stellen dort nach der gutachterlichen Stellungnahme eine äußerst seltene Ausnahme dar. Ihr Auftreten ist somit durchaus geeignet, den Anscheinsbeweis zu erschüttern (vgl. etwa OLG Hamm, OLGR 1993, 65, 67).

b) Konnte die Kammer demnach ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gelangen, dass die Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs nachgewiesen ist, gelten die bereits aufgezeigten Grundsätze zur Darlegungs- und Beweislast (vgl. Baumbach/Hartmann aaO Anh. § 286 Rdnr. 21). Insoweit hat die Kammer zu Recht darauf hingewiesen, dass auch in WEG-Verfahren als echten Streitsachen die Beteiligten eine Darlegungslast trifft. Das Gericht hat zwar die Beweise von Amts wegen zu erheben, auch wenn ein Beteiligter sich nicht auf das Beweismittel berufen hat. Wenn aber bestimmte Tatsachen nicht festgestellt werden können, finden die Regeln über die so genannte objektive und materielle Beweislast Anwendung {vgl. Niedenführ/Schulze aaO vor §§ 43 ff. Rdnr. 108; Bärmann/Merle aaO §§ 44 Rdnr. 12, 27 Rdnr. 194 a). Sache des Beteiligten zu 1) wäre es danach gewesen, durch Vorbringen konkreter Umstände den Sachverhalt vorzutragen, der dem Gericht Anlass bietet, von Amts wegen die erforderlichen Beweise zu erheben (vgl. Niedenführ/Schulze, aaO vor §§ 43 ff. Rdnr. 86; Bärmann/Merle, aaO § 44 Rdnr. 7). Daran fehlt es. Zu Recht weist die Kammer in diesem Zusammenhang darauf hin, dass dem Beteiligten zu 1) als L Miteigentümer eine nähere Darlegung zur Fehlerhaftigkeit des Daches bzw. mangelhaften Unterhaltung ohne weiteres möglich gewesen wäre. Das gilt hier erst recht mit Blick auf seine frühere Tätigkeit als Hausmeister der Wohnungseigentumsanlage, zumal das zuletzt mit seiner Ehefrau begründete Vertragsverhältnis erst kurz vor dem Schadensfall geendet hatte.

2. Soweit der Beteiligte zu 1) nunmehr erstmals mit der Rechtsbeschwerde vorträgt, die Fehlerhaftigkeit des Daches bzw. dessen mangelhafte Unterhaltung ergebe sich aufgrund eines vergleichbaren Vorfalls während des Sturmtiefs "Wiebke" am 1. März 1990, muss dies unberücksichtigt bleiben. Da im dritten Rechtszug gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 FGG nur noch die Rechtsanwendung durch den Tatrichter überprüft wird, ist neuer Sachvortrag, sofern er nicht das Verfahren betrifft, unzulässig (vgl. Bärmann/Merle, aaO § 45 Rdnr. 83 m. w. N.).

III.

Da der Beteiligte zu 1) demzufolge mit seinem Rechtsmittel unterliegt, entspricht es billigem Ermessen, ihm die Gerichtskosten des Verfahrens der sofortigen weiteren Beschwerde aufzuerlegen (§ 47 Satz 1 WEG). Zur Anordnung einer Erstattung außergerichtlicher Kosten (§ 47 Satz 2 WEG) besteht kein Anlass, weil der Senat die übrigen Beteiligten nicht förmlich zu dem Verfahren über die sofortige weitere Beschwerde hinzugezogen hat.

Den Gegenstandswert des Verfahrens der sofortigen weiteren Beschwerde hat der Senat - ebenso wie die Vorinstanzen - gemäß § 48 Abs. 3 WEG in Höhe des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs festgesetzt, dabei jedoch die mit Wirkung vom 1. Januar 2002 erfolgte Währungsumstellung berücksichtigt.

Ende der Entscheidung

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