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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 30.05.2001
Aktenzeichen: 3 W 119/01
Rechtsgebiete: GG, AuslG, FEVG


Vorschriften:

GG Art. 19 Abs. 4
GG Art. 104 Abs. 1
AuslG § 57
FEVG § 5
FEVG § 11
Mündliche Anhörung und Anfechtbarkeit bei (erledigter) Verlängerung der Abschiebungshaft im Wege einstweiliger Anordnung Erledigt sich die im Wege einstweiliger Anordnung verlängerte Abschiebungshaft bleibt - anders als in sonstigen Abschiebungshaftsachen - ein zuvor eingelegten Rechtsmittel mit dem Ziel der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Haftanordnung zulässig (Ergänzung zu BGH NVwZ-Beilage 1998, 87 = FG-Prax 1998, 198)

"Gefahr in Verzug" i. S. d. § 11 Abs. 2 Satz 2 FEVG liegt nicht vor, wenn eine mündliche Anhörung des Betroffenen ohne weiteres möglich ist. Sofern die Durchführbarkeit von den Tatsachengerichten verneint wird, bedarf es konkreter Feststellungen zu den Hinderungsgründen.


Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken

Beschluss

Aktenzeichen: 3 W 119/01

4 T 76/01 Landgericht Zweibrücken

XIV 1267-B Amtsgericht Zweibrücken

In dem Verfahren

die Verlängerung von Abschiebungshaft,

hat der 3. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken

durch die Richter am Oberlandesgericht Hengesbach und Cierniak sowie den Richter am Landgericht Edinger auf die sofortige weitere Beschwerde des Beteiligten zu 1) vom 14./16. Mai 2001 gegen den seinem Verfahrensbevollmächtigten am 14. Mai 2001 zugestellten Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Zweibrücken vom 8. Mai 2001

ohne mündliche Verhandlung

am 30. Mai 2001

beschlossen:

Tenor:

Soweit das Landgericht die (Erst-) Beschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Zweibrücken vom 11. April 2001 zurückgewiesen hat, wird der angefochtene Beschluss aufgehoben.

Das Verfahren wird insoweit zur erneuten Sachbehandlung und Entscheidung über die (Erst-) Beschwerde der Betroffenen vom 12./14. April 2001 an das Landgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Nach Anordnung von Abschiebungshaft bis zum 14. April 2001 (Samstag vor Ostern) hat das nigerianische Konsulat für die Betroffene Passersatzpapiere ausgestellt. Eine für den 4. April 2001 vorgesehene Abschiebung scheiterte sodann am Widerstand der Betroffenen, die sich weigerte, aus dem Dienstfahrzeug auszusteigen. Ein Antrag auf Verlängerung der Abschiebungshaft ging bei dem nach Abgabe des Verfahrens zuständigen Amtsgericht Zweibrücken spätestens am 6. April 2001 ein. Ohne die Betroffene anzuhören hat das Amtsgericht daraufhin mit Beschluss vom 11. April 2001 im Wege der einstweiligen Anordnung die Abschiebungshaft um weitere 3 Tage bis einschließlich 17. April 2001 verlängert und zugleich Anhörungstermin auf diesen Tag bestimmt; die sofortige Wirksamkeit der Eilentscheidung wurde nicht angeordnet. Nach Anhörung der Betroffenen ordnete das Amtsgericht am 17. April 2001 die Verlängerung der Abschiebungshaft um weitere 3 Monate an. Das Landgericht hat die Beschwerden der Betroffenen gegen die vorgenannten Beschlüsse zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, dass die Haftgründe gemäß § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 5 AuslG vorlägen und die Betroffene die eingetretene Verzögerung selbst zu vertreten habe. Auch die unterbliebene Anhörung vor dem Erlass der einstweiligen Anordnung sei nicht zu beanstanden, da dies terminlich wegen der bevorstehenden Osterfeiertage (und auch Vertretung des Referatrichters) nicht möglich gewesen und nach unverzüglicher Terminsbestimmung die Anhörung sodann nachgeholt worden sei.

Mit ihrer weiteren Beschwerde macht die Betroffene geltend, dass zumindest die Freiheitseinziehung vom 14. bis 17. April 2001 ohne jede Rechtsgrundlage erfolgt sei. Nach zwischenzeitlich durchgeführter Abschiebung begehrt sie insoweit, die Rechtswidrigkeit der ohne Anhörung verhängten Freiheitsentziehung festzustellen.

II.

1. Die sofortige weitere Beschwerde der Betroffenen ist in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden (§§ 103 Abs. 1 AuslG, 3 Satz 2, 7 FEVG, 29 Abs. 1 und 2, 22 Abs. 1 FGG). Ihre Beschwerdeberechtigung folgt bereits aus dem Umstand, dass die Erstbeschwerde ohne Erfolg geblieben ist. Das Verfahren hat sich allerdings teilweise durch die zwischenzeitlich vollzogene Abschiebung der Betroffenen erledigt. Hinsichtlich der zuletzt erfolgten Verlängerung um weitere 3 Monate bedarf es deshalb keiner Entscheidung des Senats. Denn eine Fortsetzung des in der Hauptsache erledigten Verfahrens zum Zwecke der Feststellung der Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung kommt nicht in Betracht, sofern - wie hier - die Anordnung auf die Gründe der Sicherungshaft nach § 57 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 5 gestützt ist (vgl. dazu grundlegend BGH NVwZ - Beilage 1998, 87 = FG-Prax 1998, 198). Ein dahingehender Antrag ist auch nicht gestellt. Ebenso fehlt es diesbezüglich - was an sich zulässig wäre - an einer Beschränkung auf den Kostenpunkt.

2. Etwas anderes gilt indes für die mit Beschluss vom 11. April 2001 vorgenommene Verlängerung im Wege der einstweiligen Anordnung. Insoweit führt das Rechtsmittel in der Sache vorläufig zum Erfolg; denn die Entscheidung des Landgerichts beruht auf einer Verletzung des Gesetzes (§§ 27 Abs. 1 FGG, 550 ZPO).

a) Zutreffend ist das Landgericht zunächst davon ausgegangen, dass hinsichtlich der einstweiligen Anordnung gemäß § 11 FEVG die sofortige Beschwerde zulässig ist (vgl. Keidel/Kuntze/Winkler/Kahl, FG 14. Aufl. § 19 Rdnr. 34 a). Hieran hat sich durch den Ablauf der Frist bzw. die endgültige Verlängerung durch das Amtsgericht (vgl. Keidel/ Kahl aaO § 19 Rdnr. 31) nichts geändert. Die Betroffene hat bereits mit ihrer vor Ablauf der Verlängerungsfrist eingegangenen Erstbeschwerde geltend gemacht, für die Inhaftierung nach dem 14. April, 24.00 Uhr, bis zum 17. April fehle ein gesetzlicher Grund. Ihr Ziel war hiernach - was nach Mitteilung des Verfahrensbevollmächtigten vom 25. Mai 2001 auch für das Rechtsbeschwerdeverfahren gilt - die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Inhaftierung während des vorgenannten Zeitraums. Wie bereits eingangs unter Ziff. 1 ausgeführt kommt zwar nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (aaO) in Abschiebungshaftsachen eine Fortsetzung des in der Hauptsache erledigten Verfahrens zum Zwecke der Feststellung der Rechtswidrigkeit nicht in Betracht. Dies entspricht auch ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. etwa Beschlüsse vom 22. Juli 1998 - 3 W 150/98 und 24. Februar 1999 - 3 W 43/99). Grund dafür ist, dass die Gerichte der Freiwilligen Gerichtsbarkeit bei typischem Verlauf in Abschiebungshaftsachen in der Lage sind, regelmäßig eine Entscheidung zur Rechtsmäßigkeit der Maßnahme innerhalb der Haftdauer herbeizuführen. Etwas anderes gilt indes für den hier zu beurteilenden Fall einer einstweiligen Anordnung der Haftdauer für wenige Tage. Nach § 11 Abs. 1 Satz 2 FVEG darf die einstweilige Freiheitseinziehung eine Dauer von 6 Wochen nicht überschreiten. Auch wenn dies der Dauer von Vorbereitungshaft gemäß § 57 Abs. 1 AuslG entspricht, werden einstweilige Anordnungen in der Regel für nur kurze Zeiträume bis zur endgültigen Entscheidung erlassen. Entsprechend den Grundsätzen der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes durch Art. 19 Abs. 4 GG (vgl. BVerfG NJW 1997, 2163, 2164 und 1998, 2131, 2132), insbesondere auch in den Fällen des Rechtsmittels gegen eine beendete vorläufige Unterbringung (etwa BVerfG NJWE-FER 1998, 168; NJW 1998, 2432 f.), der sich der Senat angeschlossen hat (Beschluss vom 23. September 1999 - 3 W 201/99 - veröffentlicht FamRZ 2000, 303), erscheint es daher geboten, auch für Haftanordnungen im Wege einstweiliger Anordnungen die Zulässigkeit des Rechtsmittels mit dem Ziel der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme zu bejahen.

b) In der Sache hält die vom Landgericht getroffene Entscheidung indes nicht in allen Punkten einer rechtlichen Überprüfung stand.

aa) Allerdings war die Freiheitsentziehung im Zeitraum der einstweiligen Anordnung nicht schon deswegen rechtswidrig, weil das Amtsgericht die sofortige Wirksamkeit der Eilmaßnahme nicht ausdrücklich angeordnet hat. Zwar ist dies in aller Regel erforderlich (vgl. OLG Düsseldorf NVwZ-Beilage 1996, 31); hier jedoch ergibt sich - wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat - bereits aus der besonderen Dringlichkeit der Maßnahme hinreichend deutlich, dass der Amtsrichter zugleich ihre sofortige Wirksamkeit anordnen wollte und angeordnet hat.

bb) Die angefochtene Entscheidung unterliegt jedoch der Aufhebung, weil die getroffenen Feststellungen nicht erkennen lassen, aus welchen Gründen eine Anhörung der Betroffenen ausnahmsweise unterbleiben konnte.

Bei der gesetzlich vorgeschriebenen mündlichen Anhörung vor Erlass einer Haftanordnung handelt es sich um eine der grundlegenden Verfahrensgarantien, deren Beachtung Art. 104 Abs. 1 GG fordert und mit grundrechtlichem Schutz versieht. Dabei ist eine nachträgliche Anhörung nicht geeignet, den Verfahrensverstoss mit Wirkung für die Vergangenheit zu heilen (vgl. BVerfG NJW 1982, 691 ff.; NJW 1990, 2309, 2310; NVwZ Beilage 1996, 49 f.). Die Voraussetzung, unter denen eine Anhörung nach § 11 Abs. 2 Satz 1, 5 Abs. 2, 11 Abs. 2 Satz 2 FEVG ausnahmsweise hätte unterbleiben können, lagen nach den bisher getroffenen Feststellungen nicht vor. Entgegen der Ansicht des Landgerichts kann insbesondere nicht davon ausgegangen werden, dass die Voraussetzungen einer "Gefahr in Verzug" gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 FEVG gegeben waren. Denn es ist nicht erkennbar, dass eine Anhörung aufgrund des am 6. April 2001 eingegangenen Verlängerungsantrags vor Ablauf der mit Beschluss vom 15. Januar 2001 gesetzten Frist (14. April 2001) nicht mehr möglich war (vgl. dazu OLG Düsseldorf NVwZ-Beilage 1996, 31). Soweit das Landgericht in diesem Zusammenhang anführt, wegen den bevorstehenden Osterfeiertagen sei eine frühere Anhörung nicht möglich gewesen, sind dazu keine konkreten Umstände mitgeteilt. Nach Aktenlage ist das Verfahren dem zuständigen Richter bzw. seinem Vertreter spätestens am 9. April 2001 vorgelegt worden. Hinreichende Gründe, warum nicht bereits an diesem Tag bzw. an den drei folgenden Tagen bis Karfreitag eine Anhörung der am Ort des Amtsgerichts in Gewahrsam befindliche Betroffenen stattfinden konnte, sind weder festgestellt noch sonst ersichtlich. Die näheren Umstände in diesem Zusammenhang wird das Landgericht als Tatsachengericht aufzuklären haben (§ 12 FGG). Dies nötigt zur Aufhebung und zur Zurückverweisung der Sache.

3. Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass im Hinblick auf die Eilbedürftigkeit der freiheitsentziehenden Maßnahme andere weniger vordringliche Dienstgeschäfte notfalls zurückzustellen sind (BVerfG NJW 1990, 2309, 2310).

III.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, weshalb sich auch die Festsetzung des Wertes des Beschwerdegegenstandes erübrigt.

Ende der Entscheidung

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