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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 11.09.2006
Aktenzeichen: 3 W 173/06
Rechtsgebiete: EMRK, FGG


Vorschriften:

EMRK Art. 6 Abs. 2
FGG § 12
FGG § 68 b Abs. 3
FGG § 68 b Abs. 4
FGG § 70
1. Lehnt der Betroffene im öffentlich-rechtlichen Unterbringungsverfahren die Begutachtung durch einen Sachverständigen ab, so hat das Gericht, um dem Amtsermittlungsgrundsatz zu genügen, Zwangsmaßnahmen nach § 68 b Abs. 3 und 4 FGG zu ergreifen.

2. Die durch Art. 6 Abs. 2 EMRK garantierte Unschuldsvermutung erstreckt sich nicht auf Verfahren, die die Unterbringung einer Person wegen psychischer Erkrankung mit dem Ziel der präventiven Gefahrenabwehr zum Gegenstand haben.


Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss

Aktenzeichen: 3 W 173/06

In dem Verfahren

betreffend die Unterbringung des am ...... geborenen

hat der 3. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Richter am Oberlandesgericht Petry und die Richterinnen am Oberlandesgericht Simon-Bach und Stutz auf die sofortige weitere Beschwerde der antragstellenden Behörde vom 30./31. August 2006 gegen den ihr am 22. August 2006 zugestellten Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 16. August 2006

ohne mündliche Verhandlung

am 11. September 2006

beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Das Verfahren wird zur erneuten Sachbehandlung und Entscheidung, auch über die etwaige Auferlegung von Auslagen des Betroffenen im Verfahren der weiteren Beschwerde, an das Landgericht Koblenz zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Der Betroffene wurde von der 3. Großen Strafkammer des Landgerichts Koblenz mit Urteil vom 1. Dezember 2003 vom Vorwurf des Mordes freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Kammer sah es als erwiesen an, dass der Betroffene im Januar 2002 im Zustand nicht auszuschließender Schuldunfähigkeit seine Cousine tötete und in der Folge die Leiche in aufwändiger Weise zerlegte und erhebliche Teile der Leiche im Backofen in seiner Wohnung erhitzte. Diese Entscheidung hat der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 12. November 2004 (veröffentlicht in JR 2005, 213) auf die (alleinige) Revision des Betroffenen aufgehoben und das Verfahren an eine andere Große Strafkammer des Landgerichts Koblenz zurückverwiesen. Die sodann befasste 2. Große Strafkammer hat den Betroffenen mit Urteil vom 10. April 2006 aus prozessualen Gründen (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) erneut freigesprochen und wiederum dessen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Kammer sah es als erwiesen an, dass der Betroffene im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit seine Cousine aus niedrigen Beweggründen getötet hat; darüber hinaus erachtete sie auch das Mordmerkmal der Absicht der Ermöglichung einer anderen Straftat, nämlich der Störung der Totenruhe (§ 168 StGB), als nachgewiesen.

Über die gegen dieses Urteil eingelegte Revision des Betroffenen ist noch nicht entschieden.

Nachdem das Amtsgericht Andernach auf Antrag der zuständigen Verwaltungsbehörde (weitere Beteiligte) am 3. Mai 2006 die öffentlich-rechtliche Unterbringung des Betroffenen in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 11 PsychKG Rheinland-Pfalz angeordnet hatte, hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz mit Beschluss vom 8. Mai 2006 die seit August 2002 auf der Grundlage des § 126 a StPO angeordnet gewesene einstweilige Unterbringung des Betroffenen in einem psychiatrischen Krankenhaus wegen Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot aufgehoben.

Auf die Beschwerde des Betroffenen gegen den Unterbringungsbeschluss vom 3. Mai 2006 hat die Beschwerdekammer des Landgerichts Koblenz die Anordnung aufgehoben und zur Begründung ausgeführt, die öffentlich-rechtliche Unterbringung des Betroffenen könne nicht auf der Grundlage des ohne seine Mitwirkung erstatteten Gutachtens des Sachverständigen Dr. E....... erfolgen.

Hiergegen wendet sich die antragstellende Behörde mit ihrer sofortigen weiteren Beschwerde. Sie hält den Betroffenen für psychisch krank und deshalb für die Allgemeinheit gefährlich.

Das Rechtsmittel der Antragstellerin ist verfahrensrechtlich bedenkenfrei (§§ 70 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, 70 m Abs. 1, 70 g Abs. 3, 27 Abs. 1, 29 Abs. 1 Sätze 1 und 3, Abs. 2 und 4 FGG) und führt auch in der Sache zu einem vorläufigen Erfolg.

Der angefochtene Beschluss des Landgerichts hält der Rechtskontrolle (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO) nicht stand. Er ist in verfahrensfehlerhafter Weise ergangen. Die Kammer hat unter Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 12 FGG) nicht hinreichend ermittelt, ob die - vom Amtsgericht bejahten - Voraussetzungen einer öffentlich-rechtlichen Unterbringung des Betroffenen zum Zwecke der Gefahrenabwehr vorliegen.

1. Nach § 11 Abs. 1 PsychKG Rheinland-Pfalz können psychisch kranke Personen gegen ihren Willen in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht werden, wenn sie durch ihr krankheitsbedingtes Verhalten besonders bedeutende Rechtsgüter anderer gegenwärtig in erheblichem Maße gefährden und diese Gefahr nicht anders abgewendet werden kann; das hierbei einzuhaltende Verfahren regeln die Vorschriften der §§ 70 bis 70 n FGG. Eine gegenwärtige Gefährdung im Sinne von § 11 Abs. 1 PsychKG besteht dann, wenn infolge der psychischen Erkrankung ein Schaden stiftendes Ereignis unmittelbar bevorsteht oder sein Eintritt zwar unvorhersehbar, wegen besonderer Umstände jedoch jederzeit zu erwarten ist. Zwar sind - wie das Landgericht ausgeführt hat - Inhalt und Reichweite dieser Bestimmungen so auszulegen, dass sie der Bedeutung der Freiheitsrechte des Betroffenen (Art. 2 Abs. 2 GG; Art. 5 Abs. 1 EMRK) gerecht werden; namentlich muss die Einschränkung der persönlichen Freiheit auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und im Übrigen einer strengen Prüfung auf der Grundlage des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit standhalten (vgl. etwa Senat OLGR Zweibrücken 2003, 230 mit Hinweis auf BVerfG FamRZ 1998, 895, 896; Senat OLGR Zweibrücken 2005, 219, 221 und Beschluss vom 1. April 2005 - 3 W 72/05 -; zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus am Maßstab von Art. 5 EMRK vgl. weiter: EGMR NJW 2004, 2209 und NJW-RR 2006, 308).

2. Die von ihr selbst hervorgehobene Pflicht zur umfassenden Tatsachenermittlung hat die Zivilkammer rechtsfehlerhaft verletzt. Sie hätte die Entscheidung des Amtsgerichts nicht aufheben dürfen, ohne ihrerseits als zweite Tatsacheninstanz ausreichende Ermittlungen zum Vorliegen der sachlichen Unterbringungsvoraussetzungen anzustellen. Nach § 12 FGG hat das Gericht von Amts wegen die zur Feststellung der Tatsachen erforderlichen Ermittlungen zu veranstalten und die geeignet erscheinenden Beweise aufzunehmen. Diese Vorschrift gilt sowohl im Verfahren erster Instanz als auch im Beschwerdeverfahren; das Beschwerdegericht tritt vollständig an die Stelle des erstinstanzlichen Gerichts (vgl. hierzu etwa: BayObLGZ 1966, 435, 440).

Der somit ihm obliegenden Pflicht zur umfassenden Sachverhaltsaufklärung hat das Landgericht im hier vorliegenden Fall nicht Genüge getan:

a) Zunächst erfordert der Untersuchungsgrundsatz in der Regel die Mitteilung des Beschwerdevorbringens an die übrigen Verfahrensbeteiligten, weil diese durch etwaige Gegenäußerungen den Anstoß zur weiteren Klärung des Sachverhalts geben können. Der Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs, auf dessen Einhaltung auch die antragstellende Verwaltungsbehörde als Verfahrensbeteiligte einen Anspruch hat, erfordert eine solche Mitteilung zumindest dann, wenn die angefochtene Entscheidung - wie hier - auf die Beschwerde geändert werden soll (vgl. Keidel/Kuntze/Winkler/Schmidt, FG 15. Aufl. § 12 Rn. 68). Im vorliegenden Fall hat es das Landgericht jedoch versäumt, die weitere Beteiligte von dem Eingang der Beschwerdeschrift und deren Inhalt zu unterrichten und ihr dadurch die Möglichkeit genommen, sich hierzu zu äußern. Das belegt der Akteninhalt. Es ist nicht auszuschließen, dass die Gewährung rechtlichen Gehörs zu einer anderen, für die antragstellende Behörde günstigeren Entscheidung der Kammer geführt hätte.

b) Darüber hinaus hätte die Kammer die Entscheidung des Amtsgerichts nicht mit der Begründung aufheben dürfen, dass "ein Gutachten, das ohne jegliche Mitwirkung und Untersuchung des Betroffenen erstellt wurde", den Anforderungen nicht standhält und damit nicht Grundlage einer öffentlich-rechtlichen Unterbringung sein kann. Sie wäre auf der Grundlage des Amtsermittlungsgrundsatzes vielmehr verpflichtet gewesen, sich eigene Erkenntnisquellen zu verschaffen, wenn sie das vorliegende Gutachten des Sachverständigen Dr. E..... - zu Recht - nicht als ausreichend erachtete. So hätte sie etwa auf der Grundlage des § 68 b FGG, der im Unterbringungsverfahren über die Verweisung des § 70 e Abs. 2 FGG entsprechende Anwendung findet, die erneute Begutachtung des Betroffenen anordnen können und müssen. Entgegen der Auffassung der Kammer steht dem auch nicht etwa entgegen, dass der Betroffene ausdrücklich nicht bereit ist, sich psychiatrisch untersuchen zu lassen. Denn dessen fehlende Kooperationsbereitschaft kann nicht dazu führen, sich mit einer unvollständigen Exploration zu begnügen. Vielmehr gibt das Gesetz dem Tatrichter mit § 68 b Abs. 3 und 4 FGG auch für diesen Fall Möglichkeiten zur Gewährleistung einer ordnungsgemäßen und vor allem auf eine hinreichend sichere Tatsachenbasis gestützte Begutachtung an die Hand (vgl. OLG Köln FamRZ 1999, 873 und 2001, 310). So eröffnet die Vorschrift des § 68 b Abs. 3 Satz 1 FGG dem Gericht die Möglichkeit anzuordnen, dass der Betroffene zur Vorbereitung eines Gutachtens untersucht und durch die zuständige Behörde zu einer Untersuchung vorgeführt wird. Diese Vorschrift soll sicherstellen, dass ein erforderliches Gutachten tatsächlich erstattet werden kann (BT-Drucks. 11/4528 S. 175; Keidel/Kayser aaO § 68 b Rn. 13; OLG Köln aaO). Entsprechend dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz darf von dieser Zwangsmaßnahme nur dann Gebrauch gemacht werden, wenn - wie im vorliegenden Fall - eine Begutachtung sonst nicht möglich wäre. Wenn auch bei der Begutachtung körperliche Eingriffe gegen den Willen des Betroffenen nicht zulässig sind und seine aktive Mitwirkung, wie z. B. die Beantwortung von Fragen oder die Teilnahme an Tests nicht erzwungen werden kann (Keidel/Kayser aaO m. w. N.), so ist dennoch nicht von vorneherein auszuschließen, dass der mit der Gutachtenserstellung beauftragte Gutachter aus dem Verhalten des Betroffenen insgesamt Rückschlüsse ziehen kann. Darüber hinaus kann das Gericht gemäß § 68 b Abs. 4 FGG nach Anhörung eines Sachverständigen anordnen, dass der Betroffene auf bestimmte Dauer untergebracht und beobachtet wird, soweit dies zur Vorbereitung des Gutachtens erforderlich ist. Eine solche Unterbringung darf die Dauer von sechs Wochen nicht überschreiten, kann aber, wenn dieser Zeitraum nicht ausreicht, um die erforderlichen Erkenntnisse zu erlangen, auf eine Gesamtdauer von drei Monaten verlängert werden. Diese ihr vom Gesetz an die Hand gegebenen Erkenntnismöglichkeiten hätte die Kammer - wie bereits ausgeführt - nicht ungenutzt lassen dürfen. Denn es ist gerade nicht auszuschließen, dass der Betroffene, wenn er etwa unter den Voraussetzungen des § 68 b Abs. 4 FGG in einer anderen Klinik untergebracht wird, durchaus begutachtet werden kann.

c) Im Übrigen hätte sich die Kammer auch die in dem gesamten Strafverfahren gewonnenen Erkenntnisse zum Vorliegen eines psychischen Defektzustandes bei dem Betroffenen und zu seiner möglichen Gefährlichkeit als Entscheidungshilfe zunutze machen können. Sie hätte etwa die dort erstatteten Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. G..... und Dr. W....... im Rahmen ihrer eigenen Wertung heranziehen oder aber jedenfalls einem zu beauftragenden Gutachter die von den Sachverständigen im Laufe des Strafverfahrens gewonnenen Erkenntnisse, die Angaben des Betroffenen und auch dessen Verhalten als Grundlage einer erneuten Begutachtung zur Verfügung stellen können. Darüber hinaus hätte sie auch erwägen müssen, einem zum Vorliegen der medizinischen Unterbringungsvoraussetzungen (§ 1 Abs. 2 PschychKG) und zur Gefahrenprognose zu beauftragenden weiteren Gutachter die aufgrund der Explorationsgespräche mit dem Betroffenen gewonnenen Erkenntnisse des Sachverständigen Dr. B..... etwa dadurch zugänglich zu machen, dass sie diesen im Rahmen eines Anhörungstermines als sachverständigen Zeugen in Anwesenheit des neuen Gutachters vernommen hätte (vgl. in diesem Zusammenhang auch BGH NJW 1998, 2458, 2460 f und NStZ 1993, 397).

3. Das Erfordernis weiterer Sachaufklärung führt zur Aufhebung und Zurückverweisung an das Landgericht, damit dort mit der in Freiheitsentziehungsverfahren gebotenen Beschleunigung entsprechende Maßnahmen in dem dargelegten Sinne zur Prüfung des Vorliegens der sachlichen Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 PsychKG getroffen werden.

a) Bei der Erteilung des Auftrages zur weiteren Begutachtung sind dem Sachverständigen die Anknüpfungstatsachen zu vermitteln, von denen er in seinem Gutachten ausgehen soll. Insoweit wird die Zivilkammer nach pflichtgemäßem Ermessen und in eigener freier Würdigung des Tatsachenstoffes zu entscheiden haben, ob sie nach Auswertung der Strafakten den strafrichterlichen Feststellungen zum Werdegang des Betroffenen, zu seiner (von ihm bestrittenen) Täterschaft und zum Nachtatverhalten folgen will oder ob zu diesen Punkten (gegebenenfalls ergänzend) weiter Beweis zu erheben ist.

b) Sollte die Zivilkammer danach die sichere Überzeugung gewinnen, dass der Betroffene das ihm angelastete Tötungsdelikt begangen hat, verstieße sie damit - unbeschadet der fehlenden Rechtskraft des Strafurteiles vom 10. April 2006 - nicht gegen die durch Art. 6 Abs. 2 EMRK garantierte Unschuldsvermutung. Danach wird bis zum gesetzlichen Nachweis seiner Schuld vermutet, dass der wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte unschuldig ist. Indes erstreckt sich die Unschuldsvermutung nach vorherrschender und vom Senat für zutreffend gehaltener Auffassung (vgl. Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, StPO 25. Aufl., Art. 6 MRK Rdrnrn. 150, 157 m.w.N.) nicht auf Verfahren, die nach ihrer Zielsetzung nicht auf die Feststellung und Ahndung strafrechtlicher Schuld gerichtet sind, sondern außerhalb der Strafrechtspflege im weiten Sinn der EMRK eine Entscheidung über andere Rechtsfolgen eines strafrechtlich relevanten Sachverhaltes zum Gegenstand haben. Dies gilt insbesondere auch für Verfahren, die die Unterbringung einer Person wegen psychischer Erkrankung mit dem Ziel der präventiven Gefahrenabwehr zum Gegenstand haben (Löwe/Rosenberg aaO m.w.N.; Frowein/Peukert, EMRK 2. Aufl. Art. 6 Rdnr. 162, 163).

Allerdings verbietet es die Unschuldsvermutung, ebenso wie im Zivilprozess, auch in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit bei Beweisüberlegungen zum Nachteil eines Beteiligten die bloße Tatsache ausschlagen zu lassen, dass gegen ihn ein Strafverfahren ohne rechtskräftigen Schuldnachweis geführt worden ist (Senat, Beschluss vom 12. September 2003 - 3 W 177/03 - OLGR 2004, 87 = FamRZ 2004, 892); das betrifft indes namentlich Fälle, in denen ein Strafverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO oder aus Opportunitätsgründen (§§ 153 ff StPO) vor "Schuldspruchreife" eingestellt worden ist. So liegen die Dinge im vorliegenden Fall jedoch gerade nicht. Vielmehr haben die zuständigen Strafgerichte nach Durchführung von zwei Hauptverhandlungen den Betroffenen jeweils als Täter überführt angesehen, wobei die im (ersten) Urteil der 3. Strafkammer des Landgerichts Koblenz vom 1. Dezember 2003 dazu getroffenen Feststellungen, ungeachtet ihrer aus anderen Gründen erfolgten Aufhebung in der Revisionsinstanz, vom Bundesgerichtshof als "rechtsfehlerfrei" beurteilt worden sind (vgl. BGH JR 2005, 213, 216).

Art. 6 Abs. 2 EMRK zwingt gerade nicht zu der generellen Unterstellung, dass der Sachverhalt einer strafbaren Handlung sich nicht zugetragen habe, bevor er rechtskräftig festgestellt ist. Die Annahme eines bis dahin bestehenden umfassenden Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbotes wäre vielmehr eine Überdehnung des Anwendungsbereiches der Vorschrift (BGH NJW 1987, 660 = JR 1988, 340, 341 mit Anm. Gollwitzer; Löwe/Rosenberg/Gollwitzer aaO Rdnr. 157).

4. Schließlich wird die Kammer unabhängig hiervon auch Gelegenheit haben zu erwägen, ob nicht bereits das ausweislich der schriftlichen Gründe des Strafurteiles vom 10. April 2006 von dem Betroffenen im Ermittlungsverfahren selbst geschilderte Verhalten nach dem von ihm behaupteten Leichenfund und seine Handlungen an der Leiche einem Gutachter Rückschlüsse auf das Vorliegen einer psychischen Krankheit und einer daraus resultierenden Gefährlichkeit ermöglichen könnten.

5. Das Erfordernis weiterer Sachaufklärung führt zur Aufhebung und Zurückverweisung an das Landgericht. Je nach Ausgang der weiteren Ermittlungen hat die Zivilkammer auch eine Entscheidung über die etwaige Erstattung der Auslagen des Betroffenen im Rechtsbeschwerdeverfahren zu treffen (§ 13 a Abs. 2 FGG).

Ende der Entscheidung

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