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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 31.01.2002
Aktenzeichen: 3 W 299/01
Rechtsgebiete: GG, WEG


Vorschriften:

GG Art. 5
GG Art. 14
WEG § 44
WEG § 45
Bleibt in einem Wohnungseigentumsverfahren streitiger Sachverhalt unaufgeklärt (hier: Art der Installation einer Parabolantenne und damit einhergehende optische Beeinträchtigung), kann von einer mündlichen Verhandlung im Beschwerdeverfahren nicht abgesehen werden.

Die Wohnungseigentümer sind berechtigt, durch Mehrheitsbeschluss zur Hausordnung zu regeln, dass Außenantennen gleich welcher Art, nicht angebracht werden dürfen (im Anschluss an BGH NJW 2000, 3500 ff).

Durch die grundrechtlich geschützte Informationsfreiheit in Deutschland lebender Ausländer kann die Bestandskraft eines Wohnungseigentümerbeschlusses zum Verbot des Anbringens von Außenantennen jedenfalls für den Ausländer eingeschränkt sein, der erst nach Ablauf der Frist zur Anfechtung des Beschlusses Wohnungseigentümer geworden ist.


Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss

Aktenzeichen: 3 W 299/01

In dem Verfahren

wegen Beseitigung einer Satellitenantenne,

hat der 3. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Dury sowie die Richter am Oberlandesgericht Hengesbach und Jenet auf die sofortige weitere Beschwerde des Beteiligten zu 1) vom 10. Dezember 2001 gegen den seinem Verfahrensbevollmächtigten am 26. November 2001 zugestellten Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 7. November 2001

ohne mündliche Verhandlung

am 31. Januar 2002

beschlossen:

Tenor:

1. Der angefochtene Beschluss des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 7. November 2001 wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Frankenthal (Pfalz) zurückverwiesen, das auch über die Kosten des Verfahrens der weiteren Beschwerde zu entscheiden haben wird.

2. Der Wert des Beschwerdegegenstandes der sofortigen weiteren Beschwerde wird auf 2 000,-- DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten sind Miteigentümer einer Wohnungseigentumsanlage. Der Beteiligte zu 1) ist türkischer Herkunft. Er hat seine Wohnung am 26. Juni 2000 erworben und in der Folgezeit eine Satellitenantenne auf dem Balkon installiert, um Heimatprogramme aus der Türkei zu empfangen. Die übrigen Eigentümer, vertreten durch den Verwalter, verlangen unter Hinweis auf eine am 30. April. 1998 beschlossene Hausordnung die Beseitigung der Anlage. § 16 der Hausordnung enthält folgende Regelung:

"Außenantennen, gleich welcher Art, dürfen nicht angebracht werden. Durch das installierte Fernsehkabelnetz ist es in der Wohnanlage für jeden Bewohner möglich, eine Vielzahl an Programmen zu empfangen. Auch ausländische Bewohner haben die Möglichkeit über das Kabelnetz ausländische Programme zu empfangen. Für den Anschluss einer Wohnung an das Kabelnetz sind von den Bewohnern Einzelverträge mit der Kabelbetreibergesellschaft abzuschließen."

Das Amtsgericht hat den Beteiligten zu 1) verpflichtet, die Parabolantennenanlage zu entfernen. Mit seiner Beschwerde hat dieser geltend gemacht, die Antennenanlage sei nicht angebracht, sondern lediglich auf dem Balkon aufgestellt. Sie überrage die Balkonbrüstung nur um wenige Zentimeter und sei praktisch nicht sichtbar. Mit dem vorhandenen Breitbandkabel seien allenfalls drei bis vier türkische Programme, über die Parabolantenne hingegen 30-50 zu empfangen.

Das Landgericht hat die Beschwerde ohne mündliche Verhandlung zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, das Beseitigungsverlangen sei aufgrund des bestandskräftigen Beschlusses zur Hausordnung begründet. Die Nichtanfechtung durch den Beteiligten zu 1) habe den Verlust sämtlicher Einwendungen zur Folge. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 1), mit der er weiterhin die Aufhebung der Beseitigungsanordnung erstrebt. Dem sind die Beteiligten zu 2) entgegengetreten. Sie machen geltend, die Anlage sei an der Balkonbrüstung befestigt; die Satellitenschüssel sei in voller Größe sichtbar.

Die sofortige Beschwerde ist in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden (§§ 43 Abs. 1 Nr. 1, 45 Abs. 1 WEG, 29 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 und 4, 22 Abs. 1, 20 FGG). Die Befugnis des Beteiligten zu 1) zur Einlegung der Rechtsbeschwerde folgt bereits daraus, dass das Landgericht seine Erstbeschwerde zurückgewiesen hat. Des Weiteren unterliegt es mit Blick auf den Preis der angeschafften Satellitenanlage und die behaupteten jährlichen Kosten für einen Anschluss an das Breitbandkabelnetz keinen Bedenken, dass der in § 45 Abs. 1 WEG vorausgesetzte Wert des Beschwerdegegenstandes überschritten ist.

II.

In der Sache führt das Rechtsmittel zu einem vorläufigen Erfolg. Denn die angefochtene Entscheidung beruht auf einem Verfahrensmangel, weil das Landgericht nicht mündlich verhandelt hat (§ 44 Abs. 1 WEG, 27 Abs. 1 FGG, 550 ZPO a.F.). Dies nötigt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung, da weitere Ermittlungen erforderlich sind (§ 12 FGG).

1. Gemäß § 44 Abs. 1 WEG soll in Wohnungseigentumssachen der Richter mit den Beteiligten in der Regel mündlich verhandeln und dabei darauf hinwirken, dass sie sich gütlich einigen. § 44 WEG gilt auch für das Beschwerdeverfahren, wobei die mündliche Verhandlung vor der vollbesetzten Zivilkammer stattzufinden hat. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung kann nur in besonderen Ausnahmefällen abgesehen werden. Wird ein solcher Ausnahmefall angenommen, bedarf dies einer entsprechenden Begründung (vgl. dazu BayObLG ZMR 1999, 349, 350; OLG Frankfurt NJW-RR 2001, 804 sowie auch BGH NJW 1998, 3713 f jew.m.w.N.z.Rechtspr. u. z. Schrifttum). Diesen Grundsätzen wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht.

a) Die Kammer hat von einer mündlichen Verhandlung abgesehen, weil sie den Sachverhalt für hinreichend aufgeklärt hält und nach ihrer Ansicht eine gütliche Einigung der Parteien erkennbar nicht möglich sei. Davon kann jedoch nach der hier zu beurteilenden Sachlage nicht ausgegangen werden. Es erscheint bereits fraglich, ob von vornherein eine gütliche Einigung ausgeschlossen werden konnte. Liegt dies nicht auf der Hand, ist zumindest ein vorheriger Hinweis angebracht, ohne mündliche Verhandlung entscheiden zu wollen, sofern die Beteiligten eine solche nicht wünschen (vgl. BGH NJW 1998, 3713, 3714).

b) Ungeachtet dessen war hier der Sachverhalt keineswegs ausreichend aufgeklärt. Das Landgericht ist zwar - anders als das Amtsgericht - davon ausgegangen, dass die Parabolantenne auf dem Balkon lediglich aufgestellt ist, also eine feste Verbindung zum Gemeinschafts- bzw. Sondereigentum fehlt. Mit dem weiteren - von der Gegenseite bestrittenen - Beschwerdevorbringen, wonach nämlich im Unterschied zu den Feststellungen des Amtsgerichts (und den Lichtbildern) die Parabolantenne die Balkonbrüstung nur um wenige Zentimeter überrage und praktisch nicht sichtbar sei, hat sich das Landgericht hingegen nicht auseinandergesetzt. Ist jedoch die Parabolantenne auf dem Balkon nicht fest installiert und zudem kaum sichtbar, was der Beteiligte zu 1) durch Augenscheinseinnahme unter Beweis gestellt hat, können auch von daher die Aussichten auf eine gütliche Einigung der Parteien nicht ohne weiteres verneint werden. Denn nach der gebotenen weiteren Aufklärung wäre die vom Betrieb der Parabolantenne ausgehende Beeinträchtigung für die übrigen Mitglieder der Wohnungseigentumsgemeinschaft möglicherweise ganz erheblich reduziert.

2) Das fehlerhafte Absehen von einer mündlichen Verhandlung führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache, weil eine abschließende Entscheidung durch den Senat nicht möglich ist.

a) Nicht geklärt ist zunächst, aufgrund welcher Ermächtigung (vgl. dazu Bub in Bub (u.a.) § 27 WEG Rdnr. 266 ff) hier der Verwalter berechtigt ist, für die übrigen Eigentümer der Wohnungseigentumsanlage den Beseitigungsanspruch gerichtlich geltend zu machen. Gemäß § 27 Abs. 2 Nr. 5 WEG setzt dies einen Beschluss der Wohnungseigentümer voraus. Daneben kann sich eine entsprechende Ermächtigung aus der Gemeinschaftsordnung oder dem Verwaltervertrag ergeben (vgl. Bub aaO § 27 WEG Rdnr. 276 f). Entsprechende Unterlagen sind bislang nicht vorgelegt.

b) Liegt eine Ermächtigung vor, wird weiter zu klären sein, ob nach § 16 der Hausordnung die Beseitigung der Parabolantenne verlangt werden kann. Dabei steht - wie die Vorinstanzen nicht verkannt haben - das grundrechtlich geschützte Eigentum der übrigen Wohnungseigentümer (Art. 14 GG) mit dem ebenfalls grundrechtlich geschützten Recht auf Informationsfreiheit des betroffenen Wohnungseigentümers (Art. 5 GG) in Widerstreit. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die zunächst im Bereich des Mietrechts ergangen (BVerfG NJW 1994, 1147), aber auch auf das Wohnungseigentumsrecht anzuwenden ist (BVerfG NJW 1995, 1665), muss eine fallbezogene Abwägung der widerstreitenden Interessen, also einerseits des Interesses der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer am Schutz des Miteigentums und andererseits des Informationsinteresses des einzelnen Wohnungseigentümers, vorgenommen werden. Diese ist insbesondere bei Beteiligung eines Ausländers auch dann vorzunehmen, wenn - wie hier - ein Anschluss an das Breitbandkabel vorhanden ist. Bei einem Kabelanschluss tritt zwar das Informationsinteresse des einzelnen Wohnungseigentümers in der Regel hinter dem Interesse der übrigen Eigentümer zurück. Im Einzelfall kann aber etwas anderes gelten, wenn eine nennenswerte Beeinträchtigung des Eigentums mit der Aufstellung einer Parabolantenne nicht verbunden ist, insbesondere eine im Vordergrund stehende optische Beeinträchtigung der Wohnungseigentumsanlage ausscheidet (vgl. zusammenfassend BayObLG NJW-RR 1998, 1704, 1705 m.N.z.Rechtspr.). Fehlt es an einer Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes (vgl. BayObLG NJW-RR 1999, 956), muss nämlich dem durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützten Recht, des Beteiligten zu 1) auf umfassende Information durch Rundfunk ein stärkeres Gewicht beigemessen werden.

c) Die danach gebotene Interessenabwägung scheitert hier bereits daran, dass Feststellungen zur konkreten Art der Installation sowie zur Frage, ob und ggf. in welchem Umfang die von dem Beteiligten zu 1) genutzte Parabolantenne überhaupt sichtbar ist, nicht getroffen wurden.

d) Im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung wird weiter das Interesse des Beteiligten zu 1) an einer Auswahl zwischen mehreren - nach seinem Vortrag 30-50 - Heimatprogrammen zu berücksichtigen sein. Denn die Möglichkeit einer solchen Auswahl wirkt der Gefahr einseitiger Informationen entgegen; erst eine breite Angebotspalette eröffnet dem Nutzer unabhängig von etwaigen speziellen, durch das Kabelprogramm überhaupt nicht abgedeckten Informationsbedürfnissen Auswahlalternativen, die seinen Neigungen und Bedürfnissen entgegenkommen (vgl. BVerfG ZMR 1996, 12, 13). Unter diesem Aspekt bedarf es weiterer Feststellungen zum Umfang und zur Art der über das Breitbandkabel bzw. die Parabolantenne zu empfangenden Programme.

3. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen steht der unangefochtene Mehrheitsbeschluss vom 30. April 1998 einer Berücksichtigung der grundgesetzlich geschützten Interessen des Beteiligten zu 1) nicht entgegen.

a) Insoweit begegnet es allerdings keinen Bedenken, dass das Landgericht von der Wirksamkeit des unangefochten gebliebenen Beschlusses ausgegangen ist. Das gilt auch unter Berücksichtigung der neuen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Wirksamkeit von Mehrheitsbeschlüssen (NJW 2000, 3500 ff). Denn § 16 der Hausordnung, wonach Außenantennen, gleich welcher Art, nicht angebracht werden dürfen, beinhaltet eine Gebrauchsregelung im Sinne des § 15 Abs. 2 WEG. Sofern durch das Verbot der Rahmen des "ordnungsgemäßen Gebrauchs" überschritten und deshalb eine Vereinbarung erforderlich gewesen sein sollte, hatte selbst dies nicht die Nichtigkeit des Beschlusses zur Folge. Vielmehr läge ein so genannter vereinbarungsersetzender Beschluss vor, bei dem bestandskräftige Mehrheitsbeschlüsse Gültigkeit behalten, auch wenn der Regelungsgegenstand eine Vereinbarung oder Einstimmigkeit erfordert hätte (vgl. zum Verbot der Hundehaltung BGH NJW 1995, 2036 f sowie grundlegend NJW 2000, 3500, 3501, 3502 f).

b) Unerheblich ist auch, dass der Beteiligte zu 1) zum Zeitpunkt der Beschlussfassung noch nicht Wohnungseigentümer war, mithin den die Hausordnung betreffenden Beschluss der Wohnungseigentumsgemeinschaft nicht anfechten konnte. Denn ein bestandskräftiger Beschluss entfaltet seine Bindungswirkung nicht nur für und gegen alle Wohnungseigentümer, sondern nach § 10 Abs. 3 WEG auch gegenüber deren Sondernachfolger, ohne dass es einer Grundbucheintragung bedarf (vgl. Bub aaO § 23 WEG Rdnr. 317; Bärmann/Pick/Merle, WEG 8. Aufl. § 23 Rdnr. 185; Weitnauer/Lüke, WEG 8. Aufl. § 23 Rdnr. 31).

c) Die Bestandskraft unangefochtener Beschlüsse gilt jedoch nicht ohne Ausnahme. Das Landgericht hat insoweit unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben lediglich geprüft, ob nachträglich aufgetretene Umstände die beschlossene Regelung als grob unbillig erscheinen lassen und hat dies verneint, weil solche Umstände weder vorgetragen noch ersichtlich seien. Hierbei ist unberücksichtigt geblieben, dass Mehrheitsbeschlüsse - ebenso wie Vereinbarungen - nicht in den Kerngehalt von Grundrechten eingreifen dürfen (vgl. Bub aaO § 21 Rdnr. 31 und 11). Dazu zählt auch das durch das Grundrecht auf Informationsfreiheit geschützte Interesse an einer umfassenden Information eines in Deutschland lebenden Ausländers durch den Empfang von in seinem Heimatland ausgestrahlten Fernsehprogrammen (vgl. OLG Düsseldorf ZMR 2001, 648, 649; Bub aaO § 21 Rdnr. 11; Depenheuer WE 1994, 124, 129 ff). Ob dies im Hinblick auf die Dispositionsfreiheit des Einzelnen über seine Rechte uneingeschränkt gilt, ob er also auch dann nicht gebunden wäre, wenn er der Vereinbarung oder dem Beschluss zugestimmt oder eine Anfechtungsmöglichkeit nicht genutzt hätte, kann hier dahinstehen. Denn der Beteiligte zu 1) ist im vorliegenden Fall erst nach Ablauf der Anfechtungsfrist Wohnungseigentümer geworden. Vor diesem Hintergrund wird somit nach weiterer Aufklärung aller Umstände (auch zur Staatsangehörigkeit des Beteiligten zu 1) vgl. BayObLG NJW 1995, 337, 338) abzuwägen sein, ob es mit Blick auf das Grundrecht der Informationsfreiheit nicht ausnahmsweise gerechtfertigt erscheint, trotz Bestandskraft einen Beseitigungsanspruch zu verneinen.

III.

Da das Rechtsmittel nur einen vorläufigen Erfolg hat, ist dem Landgericht die Entscheidung über die Kosten der weiteren Beschwerde zu übertragen.

Den Wert des Beschwerdegegenstandes der weiteren Beschwerde hat der Senat in Anlehnung an die jeweils unbeanstandete Festsetzung durch die Vorinstanzen bestimmt, § 48 Abs. 3 WEG.

Ende der Entscheidung

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