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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 31.05.2005
Aktenzeichen: 4 U 109/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 85 Abs. 2
ZPO § 233
Ein Rechtsanwalt versäumt schuldhaft die Berufungsfrist, wenn er in seiner Kanzlei nicht sichergestellt hat, dass die Rechtsmittelfrist notiert wird.
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss

Aktenzeichen: 4 U 109/05

In dem Rechtsstreit

wegen Mietzinsforderung für Kraftfahrzeuge

hat der 4. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Staab, den Richter am Oberlandesgericht Friemel und die Richterin am Oberlandesgericht Bastian-Holler ohne mündliche Verhandlung am 31.05.2006

beschlossen:

Tenor:

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des Landgerichts Kaiserslautern vom 06.05.2005 wird als unzulässig verworfen.

II. Die Anschlussberufung des Beklagten vom 15.09.2005 ist wirkungslos (§ 524 Abs. 4 ZPO).

III. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

IV. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 11.148,55 Euro (Berufung: 8.228,92 Euro; Anschlussberufung 2.919,63 Euro) festgesetzt.

Gründe:

I. Die Berufung der Klägerin ist gemäß § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen, weil sie entgegen § 517 ZPO nicht innerhalb der gesetzlichen Frist von einem Monat ab Zustellung des angefochtenen Urteils, d.h. bis zum 20.06.2005, sondern erst am 26.07.2005 (vgl. Bl. 146 d.A.) eingelegt worden ist.

Ausweislich des Empfangsbekenntnisses, Bl. 141 d.A., wurde das Urteil vom 06.05.2005 den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 20.05.2005 zugestellt.

II. Das Versäumnis der Frist zur Einlegung der Berufung wird nicht durch den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 26.07.2005 geheilt (§ 233 ZPO). Diesem Antrag kann nicht stattgegeben werden, weil nach dem Vortrag der Klägerin davon auszugehen ist, dass sie die Frist zur Einlegung der Berufung wegen eines ihr zuzurechnenden Verschuldens ihres Prozessbevollmächtigten versäumt hat (§ 85 Abs. 2 ZPO).

1. Der Rechtsanwalt darf zwar gewisse einfache Verrichtungen, die keine besondere Geistesarbeit oder juristische Schulung verlangen, zur selbständigen Erledigung auf sein geschultes und zuverlässiges Büropersonal übertragen.

Ein zurechenbares Eigenverschulden des Rechtsanwalts kann sich jedoch aus mangelhafter Büroorganisation ergeben (vgl. OLG Zweibrücken MDR 2004, 419-420), z.B. müssen für die Bearbeitung von Fristensachen geeignete, ausreichend informierte und kontrollierte Mitarbeiter eingesetzt werden (vgl. Zöller-Greger, ZPO, 25. Auflage, § 233 Rn 23 Stichwort "Büropersonal und -organisation"; Kummer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, 2003, Rn 331).

Der Bürobetrieb muss so organisiert werden, dass Fristversäumnisse ausgeschlossen sind (vgl. BGH VersR 1993, 1380).

Der Rechtsanwalt selbst muss zudem bei Rücksendung eines unterschriebenen Empfangsbekenntnisses neben dem Ablauf der Frist auch den Zustellungszeitpunkt auf dem Schriftstück oder in der Handakte notieren oder notieren lassen. Das Empfangsbekenntnis darf er grundsätzlich erst unterzeichnen und zurückgeben, wenn in den Handakten die Rechtsmittelfrist festgehalten und die Notierung im Fristenkalender vermerkt ist; zumindest muss er sofort durch besondere Einzelanweisung die betreffende Eintragung veranlassen (so ausdrücklich BGH NJW 2003, 1528-1529; BGH NJW 1996, 1900-1901; vgl. auch Zöller-Greger-, a.a.O., § 233 Rn 23 Stichwort "Fristenbehandlung"; Kummer, a.a.O., Rn 478).

2. Vorliegend hat Rechtsanwalt Sch... am 20.05.2005 das Empfangsbekenntnis bezüglich der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils vom 06.05.2005 unterzeichnet und zurückgegeben, ohne zuvor die Notierung der Rechtsmittelfrist sichergestellt zu haben. Dabei lag ihm bei Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses entweder überhaupt keine Akte vor, oder er hat die Notierung der Rechtsmittelfrist in der Handakte nicht kontrolliert oder durch besondere Einzelanweisung deren Eintragung nicht veranlasst.

Weiterhin hat Rechtsanwalt Sch... nicht ausreichend dargetan, wie er die Überwachung seiner Angestellten H... bezüglich der selbständigen Fristennotierung sichergestellt hat und welche organisatorischen Maßnahmen er zur Vermeidung und Aufdeckung von Fehlern beim Vergessen der Eintragung einer Notfrist getroffen hat.

Dass ein solches Versehen in Form der Nichtnotierung der Berufungsfrist aufgetreten ist und dass es bis zum Ablauf der Berufungsfrist unbemerkt geblieben ist, ist vielmehr auf ein Organisationsverschulden im Büro des Prozessbevollmächtigten der Klägerin zurückzuführen.

Im Wiedereinsetzungsgesuch wurde vorgetragen, dass die Rechtsanwaltsfachangestellte H... angewiesen worden war, bei ca. 3.500 laufenden Akten (!) in der Abteilung Inkasso den Posteingang auf gesetzte Fristen (?) hin zu überprüfen und diese, ohne zuvor die Akten herauszusuchen, in der EDV und im zentralen Fristenbuch der Kanzlei einzutragen. Eine nochmalige Kontrolle der einzuhaltenden Fristen zur Aufdeckung von Fehlern bei der Fristkontrolle fand offensichtlich nicht statt. Fehlerquellen bei der Eintragung der Fristen im Fristenkalender, dem EDV-System oder in der Handakte wurden nicht im Rahmen des Möglichen ausgeschlossen, sondern bei einem einmaligen Versehen durch Nichtnotierung der Berufungsfrist beim Posteingang war die Fristversäumnis geradezu vorprogrammiert.

Warum die Akte mit dem zugestellten Urteil auf einem Wagen voller Vollstreckungsakten erst am 19.07.2005 wieder aufgefunden wurde und warum trotz des bestimmten Verkündungstermins vom 08.05.2005 in der EDV eine Wiedervorlage erst auf den 08.08.2005 notiert war, bleibt ebenso im Dunkeln wie die Frage, wer eigentlich für die Führung des zentralen Fristenbuchs der Kanzlei verantwortlich ist.

Im Übrigen war die Rechtsanwaltsfachangestellte H... zur selbständigen Eintragung von Fristen noch nicht geeignet und wurde nicht hinreichend kontrolliert. Frau H... war vom 01.07.2004 bis 03.02.2005 offensichtlich nicht als Rechtsanwaltsfachangestellte tätig und war zum Zeitpunkt der Zustellung am 20.05.2005 gerade einmal vier Monate in der Kanzlei Sch... und Kollegen tätig. Aus dem Ausbildungszeugnis der Kanzlei Prof. Sch... vom 25.07.2004 ergibt sich nicht, dass sie während ihrer Ausbildung jemals selbständig mit der Führung des Fristenkalenders betraut war. Vielmehr fand während ihrer Ausbildung nur eine Einführung in die elektronische Führung des Fristenkalenders mit Fristenkontrolle statt.

Der recht unerfahrenen Rechtsanwaltsfachangestellten H... durfte daher bei 3.500 laufenden Akten in der Abteilung Inkasso nicht die selbständige Kontrolle aller eingehenden Schriftstücke auf Fristen und deren Eintragung in die EDV und das Fristenbuch übertragen werden; dies stellt vielmehr ein Organisationsverschulden von Rechtsanwalt Sch... dar.

III. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Eine Kostenquotelung im Hinblick auf die nach § 524 Abs. 4 ZPO wirkungslos gewordene Anschlussberufung kommt nach Auffassung des Senates nicht in Betracht, da die Klägerin durch das Einlegen ihrer Berufung das Anschlussrechtsmittel herausgefordert hat und durch die Zurückweisung der Berufung dem Beklagten das Recht zur Weiterverfolgung der Berufung genommen wird ( vgl. zum streitigen Meinungsstand: Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 07.02.2006, Az.: XI ZB 9/05 <veröffentlicht in FamRZ 2006, 619-620>, der die Rechtsfrage offen gelassen hat; Zöller-Gummer/Heßler, ZPO, 25. Auflage, § 524 Rn 44; BLAH-Albers, ZPO, 64. Auflage, § 524 Rn 22).

Im Übrigen war für den Beklagten auch nicht von vornherein erkennbar, dass der Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin zurückgewiesen wird und er sich somit einer unzulässigen Berufung anschließt (vgl. Schumann/Kramer, Die Berufung in Zivilsachen, 6. Auflage, Rn 383).

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 2 GKG.

Ende der Entscheidung

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