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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Urteil verkündet am 20.12.2001
Aktenzeichen: 4 U 131/00
Rechtsgebiete: GmbHG, BGB, AGBG


Vorschriften:

GmbHG § 30
GmbHG § 31
GmbHG § 32 a Abs. 2
GmbHG § 32 a Abs. 3 Satz 2
GmbHG § 32 b Abs. 1
GmbHG § 32 b Abs. 2
BGB § 765
AGBG a.F. § 3
AGBG a.F. § 9
1. Zur den Voraussetzungen einer Haftung des bürgenden Gesellschafters nach den Regeln über Eigenkapital ersetzende Gesellschaftersicherheiten.

2. Der Bürge, der bei Abgabe seines Bürgschaftsversprechens für eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung noch kein Gesellschafter und auch nicht Geschäftsführer der Hauptschuldnerin war, kann sich nicht auf die Regeln der sog. Anlassrechtsprechung berufen, sondern muss eine für "alle bestehenden und künftigen - auch bedingten oder befristeten - Ansprüche" übernommene Formularbürgschaft in vollem Umfang gegen sich gelten lassen, wenn er auch zu Zeiten, zu denen ihm die Gesellschafter- oder Geschäftsführerstellung fehlte, Art und Umfang der von ihm verbürgten Kredite kannte und auf Grund seiner faktischen Stellung im Stande war, den Umfang der Kreditaufnahme zu bestimmen.


Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken IM NAMEN DES VOLKES Urteil

Aktenzeichen: 4 U 131/00

Verkündet am: 20. Dezember 2001

In dem Rechtsstreit

wegen Eigenkapitalersatzes

hat der 4. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Staab sowie die Richter am Oberlandesgericht Reichling und Friemel

auf die mündliche Verhandlung vom 29. November 2001

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der Einzelrichterin der 7. Zivilkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 8. September 2000 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagten haben die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Den Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 225 000,-- DM abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Sicherheit kann auch durch selbstschuldnerische, unbedingte und unbefristete Bürgschaft eines in der Bundesrepublik Deutschland als Zoll- und Steuerbürgen zugelassenen Kreditinstituts erbracht werden.

IV. Der Wert der Beschwer wird für die Beklagten auf jeweils 184 892,83 DM festgesetzt.

Tatbestand:

Der Kläger nimmt die Beklagten nach den Regeln über eigenkapitalersetzende Finanzierungshilfen auf Zahlung in Anspruch.

Die Beklagten waren Gesellschafter einer Firma P... T... GmbH mit Sitz in B... (fortan: Gemeinschuldnerin oder Gesellschaft). Wegen der Höhe und der Entwicklung ihrer Beteiligungen am Stammkapital der Gesellschaft wird auf die zu den Akten gereichte Aufstellung (Bl. 126 d.A.) verwiesen. Geschäftsführerin der Gesellschaft war die Beklagte zu 1).

Mit Urkunde vom 9. November 1987 (Bl. 29 d.A.) übernahm die Beklagte zu 1) gegenüber der Bank M... die unbeschränkte selbstschuldnerische Bürgschaft für alle bestehenden und künftigen, auch bedingten oder befristeten Ansprüche gegen die Gemeinschuldnerin. Eine gleichlautende Bürgschaftserklärung (Bl. 31 d.A.) unterzeichnete der Beklagte zu 2) am 27. Oktober 1988.

Nachdem ihr die Bank alle Kredite gekündigt hatte, wechselte die Gemeinschuldnerin im Frühjahr 1997 zu der ... Sparkasse B... als Geschäftsbank. Ihre Kredite bei der Bank zahlte sie bis auf einen Betrag von 200.000,- DM zurück. In dieser Höhe führte die Bank die Kredite unter Rücknahme der Kündigung weiter.

Auf Gläubigerantrag vom 11. November 1997 und Eigenantrag vom 18. Dezember 1997 ordnete das Amtsgericht Neustadt an der Weinstraße über das Vermögen der Gemeinschuldnerin mit Beschluss vom 6. Januar 1998 - N 89/97 - zunächst Sequestration an.

Am 9. Februar 1998 bestanden Forderungen der Bank gegen die Gemeinschuldnerin in Höhe von 192.293,59 DM aus der Finanzierung von zwei Omnibussen. Die Busse waren an die Bank sicherungsübereignet. Am 9. März 1998 verwertete die Bank ihr Sicherungseigentum und erlöste daraus 184.892,83 DM. Die Bürgschaften vom 9. November 1987 und vom 27. Oktober 1988 gab sie jeweils mit Schreiben vom 12. März 1998 gegenüber den Beklagten frei.

Mit Beschluss des Amtsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 25. März 1998 - N 89/97 - wurde das Konkursverfahren über das Vermögen der Gemeinschuldnerin eröffnet. Zum Konkursverwalter wurde der Kläger bestellt.

Der Kläger hat geltend gemacht, die Bürgschaften der Beklagten seien nach den Regeln über Eigenkapitalersatz zu behandeln. Der Betrag, in dessen Höhe die Beklagten durch die Verwertung der Busse von ihren Bürgschaftsverpflichtungen frei geworden seien, hätten sie an die Gemeinschuldnerin zu erstatten.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 184.892,93 DM zuzüglich 4 % Zinsen hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie haben die Ansicht vertreten, ihre Bürgschaften seien insoweit, als sie den Betrag von 90.000,-- DM überstiegen, unwirksam, weil bei Abgabe der Bürgschaftserklärungen nur in dieser Höhe Gesellschaftsverbindlichkeiten bestanden hätten. Ohnehin komme eine Haftung aus den Bürgschaften nur in Höhe der nach Verwertung des Sicherungsgutes verbleibenden Verbindlichkeiten in Betracht. Die Eigenkapitalersatzregeln seien deshalb nicht anwendbar, weil die Finanzierung der Omnibusse für eine Firma K... erfolgt sei. Eine Entziehung von Sicherheiten zu Lasten der Gemeinschuldnerin liege auch deshalb nicht vor, weil mit der Bank eine vorrangige Verwertung der Busse vereinbart gewesen sei. Im Übrigen habe die Gesellschaft nur ihre Geschäftsbank gewechselt und sei zum Zweck der Rückführung der Kredite der Bank neue Verbindlichkeiten bei der ... Sparkasse B... eingegangen.

Mit Urteil vom 8. September 2000 (Bl. 238 d.A.) hat die Einzelrichterin der 7. Zivilkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) der Klage nach Beweisaufnahme in vollem Umfang stattgegeben. Sie hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dem Kläger stünden die geltend gemachten Ansprüche gemäß §§ 32 a, 32 b GmbHG i.V.m. §§ 32 a KO bzw. 135 InsO zu. Die Gemeinschuldnerin sei spätestens zum 11. November 1997 in einer Krise gewesen. Im Gewähren und Stehenlassen des Kredits der Bank liege die Darlehensgewährung eines Dritten i.S.v. § 32 a Abs. 2 GmbHG. Das Stehenlassen der Bürgschaften der Beklagten in der Krise führe zur Anwendung der Regeln über den Eigenkapitalersatz. Die Verwertung des Sicherungsgutes durch die Bank stelle eine Rückzahlung i.S.v. § 32 b GmbHG dar.

Gegen dieses Urteil, auf dessen Entscheidungsgrunde zur weiteren Darstellung Bezug genommen wird, wenden sich die Beklagten mit ihrer fristgerecht eingelegten Berufung. Sie haben ihr Rechtsmittel innerhalb mehrfach bewilligter Fristverlängerung begründet, die auf jeweils rechtzeitigen Antrag gewährt worden ist.

Die Beklagten sind der Ansicht, der Beklagte zu 2) hafte von vornherein allenfalls auf einen Betrag von 90.000,-- DM, weil die von ihm übernommene Bürgschaft insoweit, als sie über die seinerzeit bestehenden Verbindlichkeiten der Gemeinschuldnerin hinausgehe, mangels Bestimmtheit unwirksam sei. Maßgebenden Einfluss auf die Geschäftsentwicklung der Gesellschaft habe der Beklagte zu 2) zu dem allein maßgebenden Zeitpunkt der Bürgschaftsübernahme nicht nehmen können.

Im Übrigen stehe einer Haftung beider Beklagten entgegen, dass für die verschiedenen Sicherheiten eine bestimmte Verwertungsreihenfolge vorgegeben gewesen und das Vermögen der Gemeinschuldnerin nicht gemindert worden sei. Denn der bei der Verwertung der Busse erzielte Erlös habe zur Tilgung des restlichen Kredits ausgereicht. Der Sache nach sei nur die Geschäftsbank gewechselt worden. Dadurch seien der Gemeinschuldnerin aber keine Sicherheiten entzogen worden.

Die Beklagten beantragen,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe seiner Berufungserwiderung vom 11. Januar 2001, auf die zur näheren Darstellung Bezug genommen wird.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen J.... Wegen des Beweisthemas wird auf den Beweisbeschluss vom 9. August 2001 (Bl. 318 d.A.) und wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme auf die Sitzungsniederschrift vom 29. November 2001 (Bl. 330 d.A.) Bezug genommen.

Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils und die zwischen den Parteien im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, §§ 511, 511 a Abs. 1, 516, 518, 519 ZPO.

In der Sache bleibt das Rechtsmittel ohne Erfolg.

1. Der geltend gemachte Zahlungsanspruch ergibt sich aus §§ 32 b Satz 1, 2 i.V.m. 32 a Abs. 2 GmbHG. Darüber hinaus ist er auch nach den sog. Rechtsprechungsregeln begründet, die bereits vor Inkrafttreten der §§ 32 a, b GmbHG zu §§ 30, 31 GmbHG herausgebildet worden sind und nach wie vor daneben fortgelten (vgl. dazu etwa Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG 17. Aufl. § 32 a Rdn. 8 m.w.N.).

a. Die Gemeinschuldnerin hatte von der Bank, d.h. von einer Dritten i.S.v. § 32 a Abs. 2 GmbHG ein Darlehen erhalten. Dieses Darlehen war zum einen durch die Sicherungsübereignungen der beiden Omnibusse und zum anderen durch die Bürgschaften beider Beklagter gesichert. Darlehen und Sicherung durch die Bürgschaften bestanden im Zeitpunkt der Krise, die auch nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten (Bl. 275 d.A.) jedenfalls auf den 11. November 1997, d.h. auf den Zeitpunkt des ersten, von Gläubigerseite gestellten Konkursantrags, zu veranschlagen ist. Zu diesem Zeitpunkt war die Gesellschaft endgültig konkursreif. Dies ergibt sich daraus, dass auf den Gläubigerantrag und den kurz danach gestellten Eigenantrag das Konkursverfahren letztlich eröffnet worden ist. Mit der endgültigen Überschuldung war der Zeitpunkt eingetreten, zu dem der Kredit bzw. die dafür gegebenen Gesellschaftersicherheiten zum Ersatz für haftendes Eigenkapital wurden (vgl. dazu BGHZ 109, 55, 59 f.; BGH WM 1996, 1983, 1984, jew. m.w.N.). Der Sache nach handelt es sich dabei um einen Fall der Anwendbarkeit der Eigenkapitalersatzregeln infolge "Stehenlassens" von Gesellschaftermitteln. Dabei ist dem Gesellschafter grundsätzlich eine angemessene Überlegungszeit für die Entscheidung zuzubilligen, ob er die Gesellschaft liquidieren oder weiterführen will (vgl. dazu etwa BGH WM 1994, 2280, 2283; BGH WM 1996, 259, 260, jew. m.w.N.). Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, war diese Zeit hier aber abgelaufen. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagten die Krise nicht hatten erkennen können, sind weder dargetan noch sonst ersichtlich. Dies geht zu Lasten der Beklagten, die dafür die Darlegungs- und Beweislast tragen (vgl. BGH WM 1994 aaO S. 2285; BGH NJW 1998, 3200, 3201, jew. m.w.N.).

b. Die Bank hat ihr Sicherungseigentum an den beiden Bussen verwertet und dadurch Befriedigung für die Darlehensforderung erlangt. Zu diesem Vorgehen war sie im Verhältnis zur Gemeinschuldnerin berechtigt. Mit der dadurch bewirkten Rückzahlung des Darlehens sind die Beklagten aber aus ihren Bürgschaftsverpflichtungen frei geworden. Die Rückführung des Darlehens erfolgte nach Konkursantragstellung. Mithin haben die Beklagten gemäß § 32 b GmbHG der Gesellschaft den zurückgezahlten Betrag zu erstatten. Zudem ist der Gesellschaft mit der Verwertung des Sicherungseigentums zum Zwecke der Darlehensrückführung aber auch Vermögen entzogen worden, das zur Erhaltung ihres Stammkapitals erforderlich war. Das Stammkapital hatte sich zuletzt auf 350.000,-- DM belaufen und lag damit weit über dem bei der Verwertung des Sicherungseigentums liegenden Verwertungserlös. Im Hinblick darauf ist die Rückzahlungspflicht auch aus §§ 30, 31 Abs. 1 GmbHG begründet (vgl. zu alledem etwa BGH NJW 1992, 1166; BGH WM 1997, 116, 117, jew. m.w.N.).

c. § 32 a Abs. 3 Satz 2 GmbHG steht einer Inanspruchnahme der beiden Beklagten nicht entgegen. Dabei kann offen bleiben, ob diese erst am 1. Mai 1998 in Kraft getretene Neuregelung überhaupt rückwirkend anwendbar ist (bejahend etwa Baumbach/Hueck/Fastrich aaO Rdn. 17 m.w.N. auch zur Gegenmeinung). Maßgebender Zeitpunkt des Eingreifens der Kapitalersatzvorschriften ist derjenige, zu dem die Eigenkapital ersetzende Funktion eingetreten ist (vgl. Baumbach/Hueck/Fastrich aaO Rdn. 50 m.w.N.). Wie oben zu lit. a ausgeführt ist dies der 11. November 1997. Zu diesem Zeitpunkt war die Beklagte zu 1) Geschäftsführerin der Gemeinschuldnerin. Der Beklagte zu 2) war Mehrheitsgesellschafter. Beide Fälle sind vom Haftungsprivileg des § 32 a Abs. 3 Satz 2 GmbHG ausgenommen.

d. Die Beklagten können sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass für die bestehenden Sicherheiten eine bestimmte Verwertungsreihenfolge vorgegeben gewesen sei. Nach Sinn und Zweck von § 32 a Abs. 2 GmbHG soll der sichernde Gesellschafter mit den Mitteln der von ihm gegebenen Sicherheit für einen Verbleib des Kredits im Gesellschaftsvermögen sorgen und das Ausfallrisiko tragen - er soll regresslos haften (vgl. dazu Scholz/Karsten Schmidt, GmbHG 9. Aufl. §§ 32 a, 32 b Rdn. 143, 161 m.w.N.). Diese Zielsetzung würde unterlaufen, wollte man es dem Gesellschafter gestatten, durch Vereinbarungen mit dem Gesellschaftsgläubiger seine Inanspruchnahme auch mit Wirkung gegenüber der Gesellschaft auszuschließen oder zu begrenzen.

e. Eine Haftung der Beklagten entfallt auch nicht deshalb, weil das Darlehen der Bank nur noch der Finanzierung der Omnibusse gedient haben soll und im Übrigen die Geschäftsbank gewechselt wurde. Ob eine Finanzhilfe eines Gesellschafters als Eigenkapital ersetzend zu bewerten ist, richtet sich nach den objektiven Gegebenheiten; auf die Beweggrunde des Gesellschafters kommt es insoweit nicht an. Deshalb kann der Gesellschafter die in der Krise erbrachte oder stehengelassene Finanzierungsleistung der Rechtsfolge des § 32 a GmbHG nicht dadurch entziehen, dass er nur die Unterstützung eines bestimmten Geschäfts bezweckt. Auch in diesen Fällen behält seine Finanzierungshilfe ihren kapitalersetzenden Charakter (vgl. BGH WM 1996, 1983, 1985 m.w.N.).

f. Auch die Wirksamkeit der von den Beklagten abgegebenen Bürgschaftserklärungen unterliegt im Ergebnis keinen Einwendungen.

aa. Beide Beklagten hatten ihre (Formular-)Bürgschaften jeweils ohne Einschränkung für "alle bestehenden und künftigen - auch bedingten oder befristeten - Ansprüche" der Bank gegen die Gemeinschuldnerin übernommen. Nach der neueren sog. Anlassrechtsprechung des Bundesgerichtshofs verstößt eine solche Formularklausel gegen § 9 AGBG. Sie kann sich zudem als überraschend i.S.v. § 3 AGBG darstellen. Die Zweckerklärung wird dadurch allerdings nicht vollständig unwirksam. Sie ist vielmehr in der Form aufrechtzuerhalten, dass die Bürgschaft alle bestehenden und künftigen, auch bedingten und befristeten Forderungen des Gläubigers gegen den Hauptschuldner aus dem Kreditverhältnis sichert, wie es bei Abgabe der Bürgschaftserklärungen bestand (vgl. zu alledem etwa BGH NJW 1995, 2553; BGH NJW 1998, 3708; BGH WM 1999, 1761, jew. m.w.N.). Soweit darin eine Änderung der bis dahin geltenden Rechtsprechung zu entsprechenden Formularklauseln liegt, ergibt sich daraus kein Rückwirkungsverbot (vgl. BGH NJW 1998 aaO m.w.N.). Auch die hier in Rede stehenden Bürgschaftserklärungen sind somit im Ausgangspunkt nach den angeführten Grundsätzen zu beurteilen.

bb. Diese Grundsätze gelten allerdings nicht ohne Einschränkung. Sie kommen dann nicht zur Anwendung, wenn der Bürge aufgrund seiner Stellung als Allein- oder Mehrheitsgesellschafter oder als Geschäftsführer der Hauptschuldnerin den Umfang der Kreditaufnahme bestimmen kann. Dann wird er in seinen schutzwürdigen Belangen nicht unbillig beeinträchtigt (BGH NJW 1995 aaO S. 2555 und BGH WM 1999 aaO, jew. m.w.N.). Im Hinblick darauf haben im Ergebnis beide Beklagten aufgrund ihrer Bürgschaftserklärungen für die Klageforderung einzustehen.

(1) Was die Beklagte zu 1) angeht, so war sie durchgehend und damit auch im Zeitpunkt ihrer Bürgschaftserklärung Geschäftsführerin der Gemeinschuldnerin. Darüber hinaus war sie bis zum Jahre 1995 zeitweise Alleingesellschafterin und im Übrigen Mehrheitsgesellschafterin. Sie muss deshalb ihre Bürgschaftserklärung ohne Einschränkung gegen sich gelten lassen. Davon geht sie im Übrigen auch selbst aus (vgl. Bl. 277 d.A.).

(2) Das gleiche gilt im Ergebnis auch für den Beklagten zu 2). Allerdings war er bei Abgabe seiner Bürgschaftserklärung vom 27. Oktober 1988 weder Gesellschafter noch Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin. Seine Bürgschaftserklärung hatte er seinerzeit für ein Darlehen von 90.000,-- DM abgegeben, bei dem es sich um einen Einzelkredit mit fester Laufzeit handelte. Dies folgt aus dem Schreiben der Bank vom 27. Oktober 1988 (Bl. 52 d.A.). Nach den Regeln der Anlassrechtsprechung wäre der Beklagte zu 2) somit dann von seiner Bürgschaftsverpflichtung freigeworden, wenn der Kredit später getilgt, erhöht oder in seiner Laufzeit verändert worden ist (vgl. BGH WM 1996, 766, 769; BGH WM 1999, 1761, 1762 f.).

Die Regeln der Anlassrechtsprechung finden auf ihn aber deshalb keine Anwendung, weil er auch zu den Zeiten, zu denen er nicht Gesellschafter der Gemeinschuldnerin war, Art und Umfang der von ihm verbürgten künftigen Kredite kannte und zudem in tatsächlicher Hinsicht im Stande war, den Umfang der Kreditaufnahme zu bestimmen (vgl. dazu BGH NJW 2000, 1179, 1182 m.w.N.). Dies ergibt sich aus der Aussage des im Senatstermin vom 29. November 2001 vernommenen Zeugen v... N..., der als Firmenkundenbetreuer der Bank mit den Unternehmungen der Gemeinschuldnerin befasst war.

Der Zeuge hat im Einzelnen geschildert, dass es immer der Beklagte zu 2) war, der die Verhandlungen mit der Bank führte und den er sogar heute noch nach seinem Aussehen beschreiben könne. Die Beklagte zu 1) als Geschäftsführerin sei ihm dagegen überhaupt nicht konkret erinnerlich. Sein alleiniger Ansprechpartner sei immer der Beklagte zu 1) gewesen. Mit ihm habe er die Vertrage immer in den Einzelheiten durchgesprochen und durchgearbeitet. Er habe zwar gewusst, dass der Beklagte zu 1) nicht der Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin sei und habe deshalb immer darauf geachtet, dass die formale Seite in Ordnung gehe. Gleichwohl habe er aber den Eindruck gewonnen, dass der Beklagte zu 1) gestaltend in das Firmengeschäft eingreife. Das neue, bei den jeweiligen Besprechungen im Einzelnen erörterte und von der Bank finanzierte Geschäftsfeld scheine dasjenige des Beklagten zu 1) gewesen zu sein.

Der Senat halt die Aussage des Zeugen v.. N..., an dessen persönlicher Glaubwürdigkeit keinerlei Zweifel bestehen, in jeder Hinsicht für glaubhaft. Die Aussage verdeutlicht, dass dem Beklagten zu 1) die von ihm verbürgten Verbindlichkeiten nach Art und Umfang in jeder Hinsicht bekannt waren und dass er im Stande war, konkreten Einfluss auf die Höhe dieser Verbindlichkeiten zu nehmen. Unter diesen Umständen wird er durch die umfassende Zweckerklärung der von ihm abgegebenen Formularbürgschaftserklärung nicht unangemessen benachteiligt (vgl. BGH NJW 2000 aaO). Ob darüber hinaus, wie der Kläger meint, von vornherein bereits ein Anscheinsbeweis dafür spräche, dass der Beklagte zu 2) als Ehegatte der Mehrheitsgesellschafterin Einfluss auf die Darlehensentwicklung der Gesellschaft zu nehmen vermochte, kann nach alledem dahinstehen.

2. Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Den Wert der Beschwer der Beklagten hat der Senat gemäß § 546 Abs. 2 ZPO festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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