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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Urteil verkündet am 14.04.2005
Aktenzeichen: 4 U 132/04
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 305 c Abs. 1
BGB § 306 Abs. 2
BGB § 306 Abs. 3
BGB § 307 Abs. 1 S. 1
BGB § 765
Eine formularmäßig erklärte Arbeitnehmerbürgschaft " auf erstes Anfordern" ist nicht gänzlich unwirksam, sondern nach § 306 Abs. 2 BGB als einfache Bürgschaft zu behandeln. Sie ist nach § 307 Abs. 3 BGB insgesamt unwirksam, wenn sie den Arbeitnehmer unzumutbar belastet.
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken IM NAMEN DES VOLKES Urteil

Aktenzeichen: 4 U 132/04

Verkündet am: 14. April 2005

In dem Rechtsstreit

wegen Duldung der Zwangsvollstreckung,

hat der 4. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Staab sowie die Richter am Oberlandesgericht Reichling und Friemel auf die mündliche Verhandlung vom 3. März 2005

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 8. April 2004 geändert:

Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Klägerin darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 7 500,00 € abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin beauftragte im Jahre 2002 die Arbeitgeberin des Beklagten, die Firma R..., F..., damit, für das Bauvorhaben der Klägerin "B... " in E..., I...straße, elektrotechnische Arbeiten zu erbringen. Damit sich die Firma R... die dafür erforderlichen Materialien verschaffen konnte, vereinbarte die Klägerin mit der Firma, dass diese Vorauszahlungen erhalten sollte. Im Gegenzug sollte die Firma R... eine Bankbürgschaft in Höhe von 150 000,00 € zuzüglich Mehrwertsteuer erbringen. Die Klägerin erklärte sich schließlich damit einverstanden, dass sich der Beklagte für die Forderung der Klägerin gegen die Firma R... verbürgte. Am 23. April 2002 unterzeichnete der Beklagte eine als "Vorauszahlungsbürgschaft" überschriebene Urkunde. Im November 2002 stellte die Firma R... ihre Arbeiten an dem Bauvorhaben ein. Anschließend wurde über ihr Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet.

Die Klägerin nimmt den Beklagten aus der von ihm in der Urkunde vom 23. April 2005 als "Bürgschaftssicherheit" bestellten Grundschuld an seinem Anwesen S... Straße ..., ... B... auf Duldung der Zwangsvollstreckung in Anspruch. Der Beklagte hat widerklagend die Rückgabe der Bürgschaftsurkunde an ihn und Erteilung einer Löschungsbewilligung hinsichtlich der im Grundbuch eingetragenen Grundschuld begehrt.

Durch das angefochtene Urteil, auf das zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen wird, hat der Einzelrichter der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) den Beklagten verurteilt, die Zwangsvollstreckung in das Grundstück bis zu einem Betrag von 109 475,19 € zu dulden und im Übrigen die Klage und Widerklage abgewiesen.

Mit seiner Berufung bekämpft der Beklagte das Urteil, soweit er zur Duldung der Zwangsvollstreckung verurteilt worden ist.

Er wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen.

Er beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die Entscheidung des Landgerichts, wozu sie im Wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen wiederholt.

Auf die gewechselten Schriftsätze und vorgelegten Urkunden wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung führt zum Erfolg. Die Klägerin hat gegen den Beklagten aus der zu ihren Gunsten bestellten Grundschuld keinen Anspruch auf Duldung der Zwangsvollstreckung, weil die mit der Grundschuld besicherte Bürgschaftserklärung des Beklagten vom 23. April 2002 unwirksam ist.

1. Bei der in der Bürgschaftsurkunde vom 23. April 2002 bestellten Grundschuld handelt es sich um eine Sicherungsgrundschuld. Sie wurde ausdrücklich als "Bürgschaftssicherheit" bestellt. Ihrer Wirksamkeit steht nicht entgegen, dass der Sicherungszweck nicht im Grundbuch eingetragen worden ist (vgl. BGH NJW 1986, 53).

2. Zutreffend ist der Einzelrichter davon ausgegangen, dass die Bürgschaft formell wirksam abgegeben wurde.

Entgegen der Auffassung des Beklagten bedurfte es keiner Unterschrift der Klägerin auf der Bürgschaftsurkunde. Die Bürgschaft ist zwar nach dem Wortlaut des § 765 BGB ein Vertrag. Formbedürftig ist aber nur die Erklärung des Bürgen. Der Gläubiger kann das schriftliche Bürgschaftsangebot des Bürgen auch gemäß § 151 Satz 1 BGB annehmen. Das Angebot des Bürgen bedarf nach der Verkehrssitte regelmäßig keiner Annahmeerklärung durch den Gläubiger. Die auch nach § 151 Satz 1 BGB erforderliche, nach außen hervortretende Bestätigung des Annahmewillens ist regelmäßig schon darin zu sehen, dass der Gläubiger, der - wie hier - zuvor eine Bürgschaftserklärung verlangt hatte, die Urkunde erhält (BGH NJW 2000, 1563 m.w.N.).

3. Die Bürgschaftserklärung des Beklagten ist aber unwirksam, weil sie gegen § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB n.F. verstößt. Damit war die durch die Grundschuld zu sichernde Forderung der Klägerin nicht entstanden, so dass kein Sicherungszweck besteht. Die Klägerin muss deshalb die Geltendmachung der Grundschuld unterlassen, was ihr der Beklagte entsprechend § 1157 BGB entgegenhalten kann (BGH NJW 1986, 1487; WM 1985, 953; Eickmann in MünchKomm, 4. Aufl., § 1191 Rdnr. 86 m.w.N.).

Da die Bürgschaft am 23. April 2002 unterzeichnet wurde, ist das Bürgerliche Gesetzbuch in Form des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes vom 26. November 2001 anzuwenden (Art. 229 § 5 EGBGB). Bei ihr handelt es sich um eine Formularerklärung, die den Maßstäben der §§ 305 ff BGB n.F. unterliegt. Wie der bevollmächtigte Vertreter der Klägerin H... bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausgeführt hat, handelt es sich bei dem Text der "Vorauszahlungsbürgschaft" um einen Vordruck der Klägerin, welchen sie immer wieder benutzt. Der Text der Erklärung macht deutlich, dass sie für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert ist (§ 305 Abs. 1 Satz 1 BGB n.F.). In ihr ist abstrakt von "Auftragnehmer" und "Auftraggeber" die Rede; die Bürgschaftsverpflichtung erfolgt in der "Wir-Form"; ferner ist die Rede von "unserer Haftung als Bürge". Der Formularcharakter der Bürgschaft entfällt nicht dadurch, dass an ihrem Ende als Individualvereinbarung die Erklärung des Beklagten über die Bestellung einer Grundschuld als Bürgschaftssicherheit eingefügt wurde (vgl. hierzu Basedow in MünchKomm, aaO, § 305 Rdnr. 42). Ebenso ist unschädlich, dass es sich bei der Bürgschaftserklärung nicht um einen formularmäßigen Zusatz zu einem Vertrag, sondern eine gesonderte, in sich geschlossene Urkunde handelt. Auch solche Formularerklärungen unterliegen dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (Habersack in MünchKomm aaO, vor § 765 Rdnr. 6; § 765 Rdn. 33).

Die von dem Beklagten in der Urkunde übernommene Verpflichtung, den Bürgschaftsbetrag "auf erste schriftliche Anforderung ... ohne weitere Prüfung der Berechtigung der durch diese Bürgschaft gesicherten Ansprüche" zu bezahlen, ist nach § 305 c Abs. 1 BGB n.F. jedenfalls gegenüber einer Privatperson wie dem Beklagten unwirksam, weil sie für ihn überraschend ist und er mit einer solch einschneidenden Verpflichtung nicht zu rechnen brauchte (BGH NJW 2002, 3627; OLG Hamm BauR 1998, 135; Habersack aaO, § 765 Rdnr. 100 m.w.N.).

Die Bürgschaft auf erstes Anfordern dehnt die Sicherungsrechte des Gläubigers weit aus. Sie räumt ihm die Möglichkeit ein, sich liquide Mittel zu beschaffen. Eine schlüssige Darlegung des Sicherungsfalles ist nicht erforderlich. Der Bürge kann seiner Inanspruchnahme Einwendungen aus dem Verhältnis des Gläubigers zum Hauptschuldner nur entgegensetzen, wenn der Gläubiger seine formelle Rechtsstellung offensichtlich missbraucht. Die Sicherungsrechte des Gläubigers werden dadurch unangemessen ausgedehnt (BGH NJW 2002, 2388; OLG Rostock BauR 2003, 928; vgl. auch OLG Koblenz BauR 2003, 1239).

Die Bürgschaftserklärung ist dadurch jedoch noch nicht gänzlich unwirksam. Nach § 306 Abs. 2 BGB n.F. richtet sich ihr Inhalt nach den gesetzlichen Vorschriften (vgl. BGH NJW 2000, 1110; BGHZ 137, 153; 130, 19). Die in Frage kommende dispositive Regelung ist hier die einfache Bürgschaft nach § 765 BGB. Der Bundesgerichtshof hat deshalb unwirksame, formularmäßige Ausdehnungen von Höchstbetragsbürgschaften als Bürgschaften in Höhe der Hauptschuld bei Abgabe der Bürgschaftserklärung behandelt (BGHZ 137 aaO; 130, aaO). Für eine individualvertraglich vereinbarte, aber aus anderen Gründen unwirksame Bürgschaft auf erstes Anfordern ist entschieden, dass der Bürge dann aus einer einfachen Bürgschaft haftet (BGHZ 151, 236 m.w.N.). Die vorliegende Bürgschaft auf erstes Anfordern ist deshalb ebenfalls als einfache Bürgschaft zu behandeln.

Ihre Unwirksamkeit beruht auf § 306 Abs. 3 BGB n.F. Es handelt sich um eine Arbeitnehmerbürgschaft, die den Beklagten unzumutbar belastet.

Entscheidend für die Beurteilung, ob die Bürgschaft für den Beklagten eine unzumutbare Härte darstellt, ist in erster Linie der Zeitpunkt ihrer Geltendmachung durch die Klägerin (vgl. BGHZ 130, aaO). Zu berücksichtigen ist hier aber auch, dass die Klägerin in verwerflicher Weise die schwierige Situation des Beklagten zu ihren Gunsten ausgenutzt hat, als sie seine Bürgschaft akzeptiert hat.

Der Klägerin waren die finanziellen Probleme der Firma R... bekannt. Die Firma R... hatte Vorauszahlungen verlangt, um die für die Arbeiten erforderlichen Materialien beschaffen und die notwendigen Vorarbeiten erbringen zu können. Eine von der Klägerin verlangte Bankbürgschaft konnte die Firma R... nicht beibringen, weshalb sie der Klägerin die Bürgschaft eines ihrer Arbeiter, des Beklagten, anbot. Der Vertreter H... der Klägerin hat diesen Vorgang vor dem Senat selbst als außergewöhnlich bezeichnet und erklärt, die Klägerin habe sich nur deshalb auf die Bürgschaft des Beklagten eingelassen, weil er als Bürgschaftssicherheit eine Grundschuld stellen konnte. Auf die Bonität des Beklagten sei es deshalb nicht angekommen. Damit lag für die Klägerin auf der Hand, dass der Bürge vor der problematischen Alternative stand, entweder dem Sicherungsbegehren seiner in finanziellen Schwierigkeiten befindlichen Arbeitergeberin (der Firma R...) nachzugeben oder den Verlust des Arbeitsplatzes in Kauf zu nehmen, falls die Firma den Auftrag nicht erhalten würde. Diese Umstände hat die Klägerin in verwerflicher Weise ausgenutzt (vgl. hierzu BGH ZIP 2003, 2193; KG MDR 1998, 234).

Die Bürgschaft bot dem Beklagten keinen unmittelbaren Vorteil. Er war an der Firma R... nicht beteiligt und hatte deshalb kein unmittelbares eigenes wirtschaftliches Interesse an dem mit der Bürgschaft gesicherten Grundgeschäft. Dass der damals schon 61-jährige Beklagte, der nur ein Gehalt von 1 600,00 € (netto) monatlich bezog, mit der Bürgschaft mittelbar für maximal rd. vier Jahre (bis zu seiner Verrentung) seinen Arbeitsplatz sicherte, stand in keinem Verhältnis zu seinem wirtschaftlichen Risiko. Tatsächlich realisierte sich noch nicht einmal die Hoffnung des Beklagten auf den Erhalt seiner Arbeitsstelle, weil die Firma R... schon im November 2002 ihre Arbeiten einstellte und anschließend in Insolvenz ging, so dass der Beklagte arbeitslos wurde. Seit Anfang des Jahres 2005 ist er Rentner und bezieht eine monatliche Rente von 1 100,00 € monatlich. Die vom Beklagten formularmäßig gestellte Arbeitnehmerbürgschaft stellt deshalb eine unzumutbare Härte dar, sodass sie unwirksam ist, § 306 Abs. 3 BGB n.F. (vgl. auch KG aaO).

Die Ausführungen der Klägerin im Schriftsatz vom 15. März 2005 über die näheren Umstände der Unterzeichnung der Vorauszahlungsbürgschaft hat der Senat nicht mehr berücksichtigt, weil der Vortrag nach Schluss der mündlichen Verhandlung erfolgt und von der der Klägerin bewilligten Schriftsatzfrist (§ 283 ZPO) nicht gedeckt ist (§ 296 a ZPO). Der Senat sieht auch keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (§ 156 Abs. 1 ZPO). Der Vertreter H... der Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung in der Vorauszahlungsbürgschaft des Beklagten - mit Ausnahme der angefügten Grundschuldbestellung - zweifelsfrei das von der Klägerin für solche Zwecke verwendete Formular wieder erkannt, welches sie der Fa. R... zur Beischaffung der Bürgschaftserklärung des Beklagten zur Verfügung gestellt hatte. Es besteht deshalb weder Anlass zu der von der Klägerin gewünschten Protokollberichtigung, dass ihr Vertreter seine Angaben nur vermutet habe, noch zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, weil die Klägerin ihren Vortrag dazu nunmehr geändert hat.

4. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 ZPO, die über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, 709 Satz 2, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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