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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Urteil verkündet am 02.10.2003
Aktenzeichen: 4 U 180/02
Rechtsgebiete: HGB, BGB


Vorschriften:

HGB § 425
HGB § 428
HGB § 435
HGB § 439
HGB § 461
BGB § 209 a.F.
Allein der Umstand, dass ein zum Transport übergebenes Paket über Nacht auf der Rücksitzbank des in öffentlichem Parkraum abgestellten Transportfahrzeugs belassen wird, rechtfertigt ohne Hinzutreten weiterer Umstände noch nicht die Annahme, der Frachtführer habe in dem Bewusstsein gehandelt, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde.
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken IM NAMEN DES VOLKES Urteil

Aktenzeichen: 4 U 180/02

Verkündet am: 2. Oktober 2003

In dem Rechtsstreit

wegen Schadensersatzes

hat der 4. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Staab sowie die Richter am Oberlandesgericht Reichling und Friemel

auf die mündliche Verhandlung vom 4. September 2003

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) geführt beim Amtsgericht Ludwigshafen am Rhein vom 24. Oktober 2002 geändert:

Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin ist die Transportversicherung der Fa. I... M... Sch... KG in H.... Sie nimmt die Beklagte aus übergegangenem Recht in Anspruch, weil sie ihrer Versicherungsnehmerin Schadensersatz leisten musste. Dem lag zugrunde, dass in der Nacht vom 6. auf den 7. Juli 1999 ein der Beklagten zum Transport übergebenes Paket aus dem Pkw eines Subunternehmers der Beklagten gestohlen wurde. Die Beklagte hat sich auf Verjährung berufen.

Die 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) beim Amtsgericht Ludwigshafen am Rhein hat die Beklagte durch das angefochtene Urteil, auf das zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen wird, verurteilt, an die Klägerin 14 807,00 € nebst Zinsen zu bezahlen und ausgeführt, für den Anspruch der Klägerin gelte eine dreijährige Verjährungsfrist (§ 439 Abs. 1 HGB), weil der Fahrer der Subunternehmerin leichtfertig zu dem Diebstahl beigetragen habe.

Mit ihrer Berufung rügt die Beklagte die Auffassung des Landgerichts. Sie wiederholt hierzu im Wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Sie beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil, wobei sie im Wesentlichen ihr dortiges Vorbringen wiederholt. Auf die gewechselten Schriftsätze und vorgelegten Urkunden wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung führt zum Erfolg.

Der Anspruch der Klägerin ist verjährt. Er unterliegt der einjährigen Verjährungsfrist des § 439 Abs. 1 Satz 1 HGB. Die Voraussetzungen eines qualifizierten Verschuldens des Transportfahrers, das nach § 439 Abs. 2 HGB i.V.m. § 435 HGB zu einer dreijährigen Verjährungsfrist führen würde, liegen nicht vor.

Dahinstehen kann, ob - wie das Landgericht meint - ein Schadensersatzanspruch der Klägerin aus §§ 425, 428 HGB oder aus § 461 HGB herzuleiten wäre. Auch im Falle einer Haftung der Beklagten als Frachtführer würde gemäß § 463 HGB die Verjährungsbestimmung des § 439 Abs. 1 Satz 1 HGB gelten.

Nach dieser Vorschrift verjähren die Ansprüche aus einem Beförderungsvertrag in einem Jahr. Nach § 439 Abs. 2 HGB beginnt die Verjährung mit dem Ablauf des Tages, an dem das Gut hätte abgeliefert werden müssen. Da das Paket der Beklagten bzw. dem von ihr beauftragten Transportdienst am 6. Juni 1999 übergeben worden war, ist davon auszugehen, dass es bei üblicher Postlaufzeit wenige Tage danach, jedenfalls noch im Juni 1999 abzuliefern gewesen wäre. Die einjährige Verjährungsfrist des § 439 Abs. 1 Satz 1 HGB war deshalb spätestens Ende Juni 2000 abgelaufen. Die erst am 5. Juli 2002 beim Landgericht eingereichte Klage hat deshalb den Ablauf der Verjährungsfrist nicht mehr unterbrochen (§ 209 Abs. 1 BGB a.F. i.V.m. Art. 229, § 16 Abs. 1 EGBGB).

Die Voraussetzungen der dreijährigen Verjährungsfrist des § 439 Abs. 1 Satz 2 HGB liegen nicht vor. Diese hätten auf Seiten des Beförderers bzw. der von ihm eingesetzten Erfüllungsgehilfen Vorsatz oder ein qualifiziertes Verschulden im Sinne von § 435 HGB erfordert.

Vorsatz scheidet ersichtlich aus.

Nach § 435 HGB reicht aber auch ein leichtfertiges Verhalten des Frachtführers oder anderer Personen, deren er sich zur Ausführung der Beförderung bedient (§ 428 Satz 2 HGB), aus.

Das Landgericht hat ein leichtfertiges Verhalten des Fahrers des von der Beklagten beauftragten Transportdienstes, des Zeugen D... angenommen und ausgeführt, dass die mit einem weiteren Paket auf der Rücksitzbank des im öffentlichen Parkraum abgestellten Fahrzeugs (VW Golf) lagernde Postsendung auf potentielle Diebe eine Anziehungskraft ausgeübt habe; da Diebstähle aus Kraftfahrzeugen seit Jahren zunähmen, hätte der Zeuge D... das Paket über Nacht mit in seine Wohnung nehmen oder zumindest im Kofferraum des Pkw's deponieren müssen.

Dieses Verhalten des Fahrers begründet zwar den Vorwurf einer (groben) Fahrlässigkeit, aber noch nicht eines qualifizierten Verschuldens im Sinne von § 435 HGB.

Die an die Bestimmung des Art. 25 des Warschauer Abkommens von 1955 (WA) angelehnte Vorschrift (vgl. Koller/Roth/Morg, HGB, 2. Aufl., § 435 Rdnr. 1) erfordert, dass der Frachtführer bzw. seine Hilfspersonen "leichtfertig und in dem Bewusstsein, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde", gehandelt hat.

Welche Sicherheitsvorkehrungen ein Transportunternehmer treffen muss, um das ihm anvertraute Transportgut während der Beförderung vor Diebstahl oder Raub zu bewahren, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Die getroffenen Sicherheitsvorkehrungen müssen zuverlässig sein; je größer die mit der Güterbeförderung verbundenen Risiken sind, desto höhere Anforderungen sind an die zu treffenden Sicherheitsmaßnahmen zu stellen (vgl. BGH VersR 1998, 1264). Ein Transportunternehmer handelt grob fahrlässig, wenn er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt und das nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten müsste (BGH VersR 1998, aaO; BGHZ 74, 162; Kronke in MüKo HGB Art. 25 WA Rdnr. 20). Von erheblicher Bedeutung ist dabei u.a. auch, ob das Transportgut besonders diebstahlsgefährdet ist, welchen Wert es hat, ob dem Frachtführer die besondere Gefahrenlage bekannt sein musste und welche konkreten Möglichkeiten einer Sicherung es gegeben hat (vgl. BGH VersR 1998, aaO).

Selbst wenn man es als grob fahrlässiges bzw. leichtfertiges Verhalten ansehen wollte, dass der Zeuge D... die beiden Pakete über Nacht offen auf dem Rücksitz seines Fahrzeugs liegen ließ, genügte das nicht. Denn nach § 435 HGB wäre darüber hinaus erforderlich, dass der Zeuge in dem Bewusstsein gehandelt hätte, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde. Dieses Bewusstsein liegt zwischen bewusster Fahrlässigkeit und bedingtem Vorsatz (OLG Frankfurt VersR 1981, 164). Es darf noch nicht allein aus der Erfüllung des Tatbestandsmerkmals "leichtfertig" gefolgert werden. Vielmehr sind sämtliche Umstände des äußeren Verhaltens darauf zu prüfen, ob sie für eine solches Bewusstsein sprechen, wofür die Klägerin darlegungs- und beweispflichtig ist (BGHZ 74, 162). Es kann z. B. angenommen werden, wenn Schutzvorschriften missachtet werden (BGHZ 74, aa0; Kronke Rdnr. 33), oder sich ein Frachtführer in besonders krasser Weise über Sorgfaltsanforderungen hinwegsetzt (HansOLG Hamburg Urteil vom 17. Januar 2001 - 6 U 42/00 - bei Juris; Konka aa0 Rdnr. 28).

Besondere Umstände, die dem Zeugen D... die Wahrscheinlichkeit eines PKW-Aufbruchs hätten nahe legen müssen, hat die Klägerin trotz Hinweises des Senats nicht vorgetragen, sodass ein qualifiziertes Verschulden des Zeugen im Sinne von § 435 HGB nicht festgestellt werden kann.

III.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 ZPO, die über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, Nr. 713 ZPO.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§§ 143 Abs. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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