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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Urteil verkündet am 25.05.2005
Aktenzeichen: 4 U 73/04
Rechtsgebiete: BGB, GG


Vorschriften:

BGB § 138 Abs. 1
GG Art. 12
1. Eine gesellschaftsvertragliche Regelung, die dem freiwillig aus einer Gemeinschaftspraxis ausscheidenden Vertragsarzt die Pflicht auferlegt, einen Antrag auf Ausschreibung dieses Sitzes zugunsten der Gemeinschaftspraxis zu stellen, verstößt jedenfalls dann nicht gegen § 138 Abs. 1 BGB iVm Art. 12 GG, wenn die Verpflichtung für alle Gesellschafter gleichermaßen gilt.

2. Die gesellschaftsvertraglich übernommene Verpflichtung, die Ausschreibung des Kassenarztsitzes im Falle des freiwilligen Ausscheidens aus der Gemeinschaftspraxis zu beantragen, enthält zugleich die Verpflichtung, gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung einen Verzicht auf die Zulassung zu erklären.

3. Der aufgrund einer gesellschaftsvertraglichen Regelung zur Erklärung des Verzichtes auf seine Kassenarztzulassung verpflichtete Arzt, hat diesen Verzicht unbedingt zu erklären; eines Schutzes durch eine teilweise für zulässig erachtete bedingte Verzichtserklärung bedarf er regelmäßig nicht.


Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken IM NAMEN DES VOLKES Urteil

Aktenzeichen: 4 U 73/04

Verkündet am: 25. Mai 2005

In dem Rechtsstreit

wegen Abgabe einer Willenserklärung u.a.,

hat der 4. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Staab, den Richter am Oberlandesgericht Friemel und den Richter am Landgericht Dr. Steitz auf die mündliche Verhandlung vom 21. April 2005

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 20. Februar 2004 (Az.: 6 U 368/03) abgeändert.

II. Der Beklagte wird über die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 22. Juni 2002 (Az.: II ZR 265/00) hinaus verurteilt, gegenüber der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung R...-P... in M... (Regionalzentrum P.../N...) einen Verzicht auf seinen augenärztlichen Kassenarztsitz gemäß § 103 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 103 Abs. 6 Satz 1 SGB V zugunsten der augenärztlichen Gemeinschaftspraxis des Klägers, ..., ..., zu erklären.

III. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Beklagten bleibt vorbehalten, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zur Vollstreckung kommenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung seinerseits entsprechende Sicherheit leistet.

V. Der Streitwert wird für die Zeit bis zum 20. Dezember 2004 auf 20.000,-- €, für die Zeit danach auf 132.683,62 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Kläger und sein Vater betrieben in F... eine augenärztliche Gemeinschaftspraxis. Nach dem Ausscheiden des Vaters zum 31. Dezember 1997 erhielt der Beklagte den freigewordenen Sitz als Vertragsarzt und setzte die Gemeinschaftspraxis mit dem Kläger fort. Die Vergabe Kassenärztlicher Zulassungen für Augenärzte ist im Planungsbereich F... gem. §§ 101, 103 SGB V beschränkt.

In dem im Dezember 1997 unterzeichneten Gesellschaftsvertrag über die Errichtung der gemeinsamen Praxis vereinbarten die Parteien für den Fall des Ausscheidens eines Partners nach ordentlicher Kündigung die Übernahme seiner Praxisanteile durch den Kläger gegen Zahlung einer Abfindung sowie die Verpflichtung des ausscheidenden Partners, unverzüglich bei der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung einen Antrag auf Ausschreibung seines vakant werdenden Kassenarztsitzes zu stellen, um so die weitere Existenz der Gemeinschaftspraxis zu ermöglichen.

Der Beklagte schied zum 30. September 1999 auf Grund einer von ihm im März 1999 erklärten Kündigung aus der Gemeinschaftspraxis aus, ohne allerdings einen Antrag auf Ausschreibung seines Kassenarztsitzes zu stellen. Vielmehr behielt er seine Kassenärztliche Zulassung und eröffnete in der Nähe der klägerischen Praxis zum 1. Oktober 1999 eine Einzelpraxis.

Unter Berufung auf die im Vertrag übernommene Verpflichtung begehrte der Kläger vom Beklagten, die Ausschreibung seines Kassenarztsitzes zu beantragen. Hierzu wurde der Beklagte durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 22. Juli 2002 (Az.: II ZR 265/00, NJW 2002, 3538) rechtskräftig verurteilt. Die Kassenärztliche Vereinigung P... lehnte die Durchführung eines Ausschreibungsverfahrens mit Bescheid vom 17. Januar 2003 (Bl. 73 ff. d.A.) auch nach Vorlage der genannten Entscheidung jedoch ab, weil der Beklagte keinen Verzicht auf seine Zulassung im Sinne von § 103 Abs. 4 SGB V erklärt habe und der Antrag auf Ausschreibung nicht zu Gunsten der augenärztlichen Gemeinschaftspraxis, ..., ... gestellt worden sei. Das vom Kläger zur Erzwingung der demnach erforderlichen Erklärungen des Beklagten eingeleitete Zwangsvollstreckungsverfahren blieb ebenso erfolglos (vgl. Beschluss des Pfälz. OLG Zweibrücken vom 3. Juli 2003; Bl. 20 ff. d.A.), wie die vor dem Sozialgericht Mainz nach Zurückweisung des Widerspruchs gegen den Ausgangsbescheid der Kassenärztlichen Vereinigung durchgeführte Anfechtungsklage (vgl. Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 16. Februar 2005; Bl. 208 ff. d.A.).

Im hier zu entscheidenden Verfahren begehrt der Kläger nun vom Beklagten die Erklärung des über den Antrag auf Ausschreibung des Kassenarztsitzes hinaus erforderlichen Verzichts auf seinen - des Beklagten - Kassenarztsitz zu Gunsten der augenärztlichen Gemeinschaftspraxis des Klägers. Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten.

Mit Urteil vom 20. Februar 2004, auf das zur Darstellung der näheren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes Bezug genommen wird, hat der Einzelrichter der 6. Zivilkammer des Landgerichts Pfalz die Klage als unzulässig verworfen, weil ihr im Hinblick auf das vor dem Sozialgericht anhängige Verfahren der Einwand der anderweitigen Rechtshängigkeit entgegenstehe und es im Übrigen an einem Rechtsschutzbedürfnis fehle.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, die er jeweils innerhalb der gesetzlichen Frist eingelegt und begründet hat.

Der Kläger beantragt,

1. das Urteil des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 20.02.2004, Az.: 6 O 68/03 aufzuheben.

2. den Beklagten zu verurteilen, über die Entscheidung des BGH vom 22.07.2002, Az.: II ZR 265/00 hinaus gegenüber der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung P... in N... einen unbedingten Verzicht auf seinen augenärztlichen Kassenarztsitz zu Gunsten der augenärztlichen Gemeinschaftspraxis des Klägers, ..., ..., zu erklären,

hilfsweise,

den Beklagten über die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 22. Juli 2002, Az.: II ZR 265/00 hinaus zu verurteilen, gegenüber der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung R...-P... in M... einen Verzicht auf seinen augenärztlichen Kassenarztsitz gemäß § 103 Abs. 4 Satz 1 in Verbindung mit § 103 Abs. 6 Satz 1 SGB V zu Gunsten der augenärztlichen Gemeinschaftspraxis des Klägers, ..., ..., zu erklären,

weiter hilfsweise,

den Beklagten zu verurteilen, über die Entscheidung des BGH vom 22. Juli 2002, Az.: II ZR 265/00 hinaus gegenüber der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung P... in N... unter der aufschiebenden Bedingung der rechtskräftigen Zulassung eines Nachfolgers des Beklagten in der Gemeinschaftspraxis einen Verzicht im Sinne des § 103 Abs. 2 SGB V auf seine augenärztliche Gemeinschaftspraxis des Klägers, ..., ..., zu erklären.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen und die Klage abzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil und ist weiter der Ansicht, dass allenfalls ein bedingter Verzicht geschuldet sei, der allerdings gegenüber der nicht mehr existierenden Gemeinschaftsarztpraxis des Klägers nicht erklärt werden könne. Zudem beruft er sich auf ein Zurückbehaltungsrecht wegen eines ihm zustehenden, noch offenen Auseinandersetzungsanspruchs aus der zwischen den Parteien bestehenden GbR. Dieser Anspruch belaufe sich auf 112.683,62 €.

Der Beklagte beantragt ferner widerklagend,

1. den Widerbeklagten zu verurteilen, an ihn 112.683,62 € nebst 5% Zinsen hieraus über dem BZS der DBB hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

hilfsweise

2. a) den Widerbeklagten zu verurteilen, an der Erstellung der Abschichtungsbilanz der gemeinsamen Gesellschaft "Gemeinschaftliche Kassenarztpraxis" per 30.09.1999 gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines von der Ärztekammer zu bestimmenden Schätzungsexperten mitzuwirken und diese zu ermöglichen,

b) den Widerbeklagten weiterhin zu verurteilen, nach Erstellung der Bilanz den sich daraus ergebenden Abschichtungsbetrag an ihn entsprechend den vertraglichen Bestimmungen aus dem Vertrag über die Gemeinschaftspraxis vom 17.12.1997 nebst 5% Zinsen über dem BZS der DBB seit dem 18.02.04 zu zahlen.

Der Kläger hält die Widerklage für unzulässig und beantragt hilfsweise,

die Widerklage abzuweisen.

Der Abfindungsanspruch sei unzutreffend berechnet und darüber hinaus nicht fällig. Überdies stehe ihm gegenüber dem behaupteten Abfindungsanspruch des Beklagten eine Schadensersatzforderung in einer Größenordnung von über 200.000,-- € zu.

Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes zweiter Instanz wird auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist gemäß §§ 511 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1, 517, 519, 520 ZPO zulässig und führt auch in der Sache zum Erfolg.

1. Die Klage ist entgegen der Auffassung des Landgerichts zulässig.

a) Durch das vor dem Sozialgericht zwischen dem Kläger und der Kassenärztlichen Vereinigung anhängige Verfahren ist keine anderweitige Rechtshängigkeit im Sinne von § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO eingetreten. Hierfür fehlt es schon an der erforderlichen Identität der Parteien in beiden Verfahren. Der Beklagte ist an dem sozialgerichtlichen Verfahren nur mittelbar als Beigeladener nach § 75 SGG beteiligt. Vor allem aber fehlt es an der notwendigen Identität der Streitgegenstände. Während der Kläger auf dem Rechtsweg vor den Sozialgerichten die Ausschreibung des Vertragsarztsitzes des Beklagten auf Basis der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 22. Juli 2002 durch die Kassenärztliche Vereinigung zu erreichen versucht, erstrebt er mit seiner Klage im hier zu entscheidenden Verfahren die Abgabe einer darüber hinausgehenden Verzichtserklärung durch den Beklagten. Wenngleich zwischen den verfolgten Zielen ein inhaltlicher Zusammenhang besteht, handelt es sich doch um völlig verschiedene Rechtsfolgebegehren vor einem unterschiedlichen Hintergrund. Der öffentlich-rechtliche Anspruch gegen die kassenärztliche Vereinigung, den der Beklagte im Wege der Vollstreckung des bereits vorhandenen zivilrechtlichen Titels geltend macht, kann dabei nicht mit dem ergänzend gegenüber dem Beklagten verfolgten zivilrechtlichen Anspruch gleichgesetzt werden.

b) Der Klage steht auch nicht die Rechtskraft des in dem früheren Rechtsstreit zwischen den Parteien ergangenen Urteils des Bundesgerichtshofs entgegen. Rechtskräftig entschieden ist nur über die Verpflichtung zur Abgabe der Willenserklärung, die der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 22. Juli 2002 tenoriert hat. Demnach hat der Beklagte "Antrag auf Ausschreibung seines Kassenarztsitzes als Augenarzt bei der Kassenärztlichen Vereinigung der P... ... zu stellen". Ein Anspruch auf den mit der hier erhobenen Klage geforderten Verzicht auf den eigenen augenärztlichen Kassenarztsitz zu Gunsten der Gemeinschaftspraxis wird damit nicht verneint (sondern in den Entscheidungsgründen des BGH-Urteils sogar ausdrücklich bejaht). Der Umstand, dass im Vorprozess ein ähnlich lautender Hilfsantrag gestellt gewesen sein mag, rechtfertigt entgegen der Ansicht des Beklagten keine andere Beurteilung. Über diesen Hilfsantrag ist gerade nicht entschieden worden.

c) Dem Kläger fehlt für die hier erhobene Klage entgegen der im angefochtenen Urteil vertretenen Ansicht auch nicht das erforderliche Rechtschutzbedürfnis. Ein schnellerer und einfacherer Weg zu dem mit der Klage erstrebten Ziel zu gelangen, steht dem Kläger nicht zur Verfügung.

aa) Der vom Kläger bereits erstrittene Titel reicht nicht aus, um daraus die Abgabe der hier begehrten Verzichtserklärung zu vollstrecken. Der Kläger konnte mit seiner Ansicht, dass der Tenor der BGH-Entscheidung vom 22. Juli 2002 in Verbindung mit den Entscheidungsgründen so auszulegen sei, dass der Beklagte auch die nunmehr begehrte Verzichtserklärung schulde bzw. diese als abgegeben anzusehen sei, im zivilrechtlichen Zwangsvollstreckungsverfahren nicht durchdringen (vgl. Beschlüsse des LG Frankenthal (Pfalz) vom 06.05.2003, Az.: 6 O 723/99 und des Pfälz. OLG Zweibrücken vom 03.07.2003, Az.: 3 W 20/03). Es ist ihm daher nicht zuzumuten, Klage mit dem Ziel zu erheben, die Auslegung des vorhandenen Leistungstitels in diesem Sinne feststellen zu lassen (vgl. dazu Zöller/Greger, ZPO 25. Aufl. § 256 Rdnr. 8 BGB m.w.N.), zumal nicht ersichtlich ist, inwiefern ein solcher Rechtsstreit verglichen mit dem hiesigen Verfahren schneller und einfacher zu dem vom Kläger gewünschten Resultat führen könnte.

bb) Auch der Versuch des Klägers, dass von ihm gewünschte Ergebnis mit Hilfe des bereits erwirkten Titels gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung durchzusetzen, hat nicht zum Erfolg geführt. Die Kassenärztliche Vereinigung hat sich unter Hinweis auf einen nach den einschlägigen Vorschriften des SGB notwendigen Verzicht geweigert, die begehrte Ausschreibung des Kassenarztsitzes vorzunehmen. Diesen Standpunkt hat das Sozialgericht Mainz in seinem Urteil vom 16. Februar 2005 (Az.: S 6 KA 771/03; Bl. 208 d.A.) geteilt und die gegen den ablehnenden Bescheid der Kassenärztliche Vereinigung gerichtete Klage des Klägers abgewiesen. Das von ihm erstrebte Ziel kann der Kläger daher auch auf dem Sozialrechtsweg zumindest nicht schneller und einfacher erreichen als im hier zu entscheidenden Verfahren.

2. Die Klage ist überdies begründet.

a) Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Erklärung eines (unbedingten) Verzichts auf dessen Kassenarztsitz zu Gunsten der augenärztlichen (Gemeinschafts-)Praxis des Klägers.

Dabei sieht der Senat den ersten im Termin zur mündlichen Verhandlung am 24. Februar 2005 "hilfsweise" formulierten Antrag nicht als echten Hilfsantrag, sondern vielmehr als bloße Präzisierung des von Anfang an gestellten (Haupt-)Antrags an. Dies folgt daraus, dass der umformulierte Antrag lediglich dem Umstand Rechnung trägt, dass die Kassenärztliche Vereinigung auf Grund organisatorischer Änderungen inzwischen unter einem geänderten Namen am Rechtsverkehr teilnimmt (vgl. Schreiben der Kassenärztlichen Vereinigung vom 01.03.2005, Bl. 235 d.A.) und sich darüber hinaus in der Nennung der sozialrechtlichen Normen erschöpft, nach denen der Beklagte den gewünschten Verzicht nach Ansicht des Klägers zu erklären hat.

aa) Die gesellschaftsvertraglich übernommene Verpflichtung des Beklagten, die Ausschreibung des Kassenarztsitzes zu beantragen, enthält zugleich - wie der BGH in seiner Entscheidung vom 22. Juli 2002 explizit festgestellt hat - die Verpflichtung, auf seine Zulassung gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung zu verzichten (BGH NJW 2002, 3538). Nach §§ 95 Abs. 7, 103 Abs. 4 SGB V kann - abgesehen vom Tod des Arztes, der Entziehung der Zulassung oder dem Wegfall derselben aus Altersgründen - nur durch einen solchen Verzicht ein Ausschreibungsverfahren in einem gesperrten Bezirk eingeleitet werden (BGH aaO). Daher muss der zur Stellung eines Ausschreibungsantrags Verpflichtete zwingend auch die für eine solche Ausschreibung nach Maßgabe der sozialrechtlichen Vorschriften im Vorfeld notwendigen Erklärungen abgeben, weil seine Verpflichtung ansonsten - wie dies hier seit dem Ausscheiden des Beklagten aus der Gemeinschaftspraxis im Jahr 1999 der Fall ist - völlig leer laufen würde.

bb) Der Verzicht ist zu Gunsten einer vom Kläger zu betreibenden Gemeinschaftspraxis zu erklären. Dem grundrechtlich geschützten Interesse des Klägers am Betrieb seiner Praxis als Gemeinschaftspraxis ist gegenüber den Interessen des Beklagten der Vorrang einzuräumen (BGH aaO). Dieser Schutz lässt sich nur verwirklichen, wenn der Verzicht zu Gunsten einer Ausschreibung als gemeinschaftliche Praxis erklärt wird. Etwas anderes ergibt sich nicht etwa aus dem Umstand, dass die Praxis des Klägers derzeit nicht gemeinschaftlich betrieben wird. Die gegenteilige Auffassung des Beklagten übersieht, dass gerade sein Ausscheiden aus der gemeinsamen Gesellschaft der Parteien und sein vertragsbrüchiges Verhalten zu diesem Zustand geführt haben. Hinzu kommt, dass es zu einer Neubesetzung der Stelle und damit einer Fortführung der Gemeinschaftspraxis nach wie vor in der Weise kommen kann, dass ein Bewerber zum Zuge kommt, der zum Eintritt in die Praxis des Klägers bereit ist (BGH NJW 2002, 3538, 3539; vgl. hierzu auch Wertenbruch NJW 2003, 1904, 1907). Unmöglich ist dem Beklagten die Abgabe einer solchen Erklärung jedenfalls selbst dann nicht, wenn auf Grund der anstehenden Vergabeentscheidung des Zulassungsausschusses der Kassenärztlichen Vereinigung der Kläger seine Praxis dauerhaft allein betreiben müsste, was wiederum einen weitergehenden Schadensersatzanspruch des Klägers gegen den Beklagten auszulösen geeignet wäre (vgl. BGH aaO).

cc) Der Beklagte hat den verlangten Verzicht ohne Bedingungen zu erklären. Der Verzicht ist als rechtsgestaltende Willenserklärung bedingungsfeindlich; auch die maßgeblichen sozialrechtlichen Vorschriften (§§ 95, 103 SGB V) kennen einen bedingten Zulassungsverzicht nicht. In der Zulassungspraxis der Kassenärztlichen Vereinigungen und der medizinrechtlichen Literatur wird ein bedingter Verzicht zwar dennoch teilweise für zulässig gehalten (vgl. Karst, MedR 1996, 554, 555/556 m.w.N. auch zur Gegenansicht). Der Grund hierfür liegt aber allein darin, dass der verzichtende, die Praxisübergabe an einen noch nicht feststehenden Nachfolger beabsichtigende Arzt vor dem Wertverlust geschützt werden soll, der eintritt, wenn die Praxis auf Grund der nach § 28 Abs. 1 Ärzte-ZV alsbald eintretenden Verzichtswirkung und des sich möglicherweise über Jahre hinziehenden Nachbesetzungsverfahrens über einen langen Zeitraum nicht betrieben wird. Eines solchen Schutzes bedarf der auf Grund einer gesellschaftsvertraglichen Regelung bei Ausscheiden aus der Gemeinschaftspraxis zum Verzicht auf seine Zulassung verpflichtete Arzt nicht. Der Beklagte ist demnach, ungeachtet dessen, dass er sich inzwischen unter vertragswidriger Mitnahme der Zulassung anderweitig in F... niedergelassen hat und dort eine eigene Augenarztpraxis betreibt, nicht schützenswert. Einen Anspruch darauf, den vertraglich geschuldeten Verzicht lediglich bedingt erklären zu müssen, um dadurch die rechtswidrig behaltene Zulassung noch länger nutzen zu können, hat der Beklagte somit nicht, zumal ihm durch die höchstrichterliche Entscheidung des Bundesgerichtshofs seit knapp drei Jahren bekannt ist, dass er zur Abgabe der Verzichtserklärung in jedem Fall verpflichtet ist.

b) Dem Beklagten steht gegenüber der geschuldeten Verzichtserklärung kein Zurückbehaltungsrecht im Hinblick auf den von ihm geltend gemachten gesellschaftsrechtlichen Abfindungsanspruch zu. Dabei kann das Bestehen eines solchen Anspruchs ebenso offen bleiben, wie die Frage, ob der Beklagte die behauptete Gegenforderung hinreichend substantiiert dargelegt hat.

Die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts scheidet hier nach § 273 Abs. 1 BGB aus, weil sich aus dem zwischen den Parteien bestehenden Schuldverhältnis ein anderes ergibt. Der Ausschluss des Zurückbehaltungsrechtes kann sich dabei nicht nur aus einer ausdrücklichen vertraglichen Abrede, sondern auch durch konkludente Vereinbarung, aus der Natur der Sache oder nach Treu und Glauben ergeben; eine eindeutige Abgrenzung ist hierbei in der Regel weder möglich, noch erforderlich (vgl. MünchKomm/BGB-Krüger, 4. Aufl. § 273 Rdnr. 46). Zu berücksichtigen sind in diesem Zusammenhang unter anderem die Natur der wechselseitigen Pflichten, ihre Bedeutung für die beiden Vertragsparteien und der zur Feststellung des Bestehens der Forderungen erforderliche Aufwand. Danach kommt die Ausübung eines Zurückbehaltungsrechtes hier nicht in Betracht. Nach der Regelung in § 19 des Gesellschaftsvertrages hat der Beklagte im Falle des Ausscheidens der Praxis "unverzüglich... einen Antrag auf Ausschreibung ... zu stellen, um die weitere Existenz der Gemeinschaftspraxis zu ermöglichen". Zur Ermittlung des Abfindungsanspruchs des ausscheidenden Partners nach § 20 des Gesellschaftsvertrages bedarf es dagegen zunächst der Erstellung einer Auseinandersetzungsbilanz, bevor drei Monate nach dem Ausscheiden mit der Auszahlung eines etwaigen Auseinandersetzungsguthabens begonnen werden kann. Schon hieraus folgt, dass die Parteien dem Anspruch auf Abgabe der für eine Neuausschreibung des Kassenarztsitzes erforderlichen Erklärungen eine höherer Priorität beigemessen haben, als dem gerade nicht zeitgleich damit entstehenden Anspruch auf Auszahlung eines Auseinandersetzungsguthabens. Weiter ist zu beachten, dass die rasche Neuvergabe des zweiten Kassenarztsitzes für das Fortbestehen der Gemeinschaftspraxis erhebliche Bedeutung hat und damit für den verbleibenden Gesellschafter eine existenzielle Rolle spielt. Damit wäre es nicht zu vereinbaren, dass sich der ausscheidende Gesellschafter auf ein Zurückbehaltungsrecht wegen eines höchst streitigen Zahlungsanspruchs berufen könnte, dessen Ermittlung nicht unerhebliche Zeit in Anspruch nehmen und die Durchsetzung des Anspruchs des verbleibenden Arztes auf nicht absehbare Zeit vereiteln würde. Hinzu kommt, dass der Beklagte den behaupteten Anspruch auf Auszahlung eines Auseinandersetzungsgutachtens erstmals etwa vier Jahre nach seinem Ausscheiden aus der Praxis im hiesigen Verfahren geltend gemacht und in der Berufungsinstanz näher dargelegt hat. Zudem hat der Kläger mit Schriftsatz vom 26. Januar 2005 seinerseits erhebliche Gegenansprüche gegenüber dem behaupteten Abfindungsanspruch des Beklagten geltend gemacht, was die Klärung der Frage nach dem Bestehen und der Höhe eines Abfindungsanspruchs weiter hinauszögern würde.

3. Die mit Schriftsatz vom 17. Dezember 2004 in zweiter Instanz erhobene Widerklage bzw. Hilfswiderklage ist gemäß § 533 ZPO unzulässig.

Der Kläger hat sich ausdrücklich auf diese Unzulässigkeit berufen, so dass eine Einwilligung nicht vorliegt (§ 533 Nr. 1 1. Alternative ZPO). Die Widerklage ist auch nicht wegen Sachdienlichkeit zuzulassen (§ 533 Nr. 1 2. Alternative ZPO), weil sie zur Beurteilung eines völlig neuen Streitstoffs nötigen würde. Eine inhaltliche Beschäftigung mit dem mit der Widerklage verfolgten Auseinandersetzungsanspruch ist ansonsten nämlich nicht erforderlich (vgl. oben unter 2.b). Aus dem gleichen Grund fehlt es auch an der Voraussetzung des § 533 Nr. 2 ZPO. Die Widerklage kann gerade nicht auf solche Tatsachen gestützt werden, die der Senat seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin zugrunde zu legen hat.

III.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Der Streitwert für die Klage war auf 20.000,-- € festzusetzen (vgl. Beschluss des Senats vom 30. Juni 2004, Az.: 4 W 65/04; Bl. 149 f. d.A.), wobei dem vom Kläger gestellten "Hilfsantrag" zu 1) eine streitwerterhöhende Bedeutung nicht zukommt, weil es sich um eine bloße Konkretisierung des mit dem Hauptantrag verfolgten Begehrens handelt (vgl. o. unter 2.a)). Ab dem Zeitpunkt der Anhängigkeit der Widerklage war der Streitwert auf insgesamt 132.683,63 € festzusetzen.

Ende der Entscheidung

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