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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 11.08.2009
Aktenzeichen: 4 W 54/09
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 114
Im Prozesskostenhilfeverfahren darf bei der Prüfung der Erfolgsaussichten einer Rechtsverteidigung der Inhalt eines Strafurteils berücksichtigt werden.
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss

Aktenzeichen: 4 W 54/09

In dem Rechtsstreit

wegen Schadensersatzes aus unerlaubter Handlung,

hier: Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug,

hat der 4. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Petry, den Richter am Oberlandesgericht Friemel und die Richterin am Oberlandesgericht Simon-Bach auf die sofortige Beschwerde des Beklagten vom 17./22. Mai 2009 gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 23. April 2009

ohne mündliche Verhandlung am 11. August 2009

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Mit der Behauptung, der Beklagte habe sie im Jahr 2004 mehrfach vergewaltigt und außerdem genötigt, für ihn der Prostitution nachzugehen, beansprucht die Klägerin die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes von wenigstens 20.000,00 €.

Durch Urteil der 1. Großen Strafkammer des Landgerichts Landau in der Pfalz vom 5. Oktober 2006 in dem Verfahren 7125 Js 20029/04.KLs ist der Beklagte wegen Vergewaltigung in zwei Fällen und schweren Menschenhandels jeweils zum Nachteil der Klägerin (geahndet mit Einzelfreiheitsstrafen von zweimal 4 Jahren und 6 Monaten und von 3 Jahren) und wegen weiterer Straftaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 9 Jahren und 10 Monaten verurteilt worden; zudem hat die Strafkammer seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Dieses Urteil ist rechtskräftig.

Der Beklagte verteidigt sich gegen die Schmerzensgeldklage mit dem Vorbringen, er sei im Strafprozess wegen der hier interessierenden Taten zu Unrecht auf Grund von Falschangaben der Klägerin als Zeugin verurteilt worden. Zum Geschlechtsverkehr zwischen den Parteien sei es ohne Gewaltanwendung gekommen. Prostituiert habe sich die Klägerin aus eigenem Antrieb und ohne sein Zutun zwecks Finanzierung ihrer Drogensucht; er habe daraus auch keinen finanziellen Vorteil gezogen.

Das Landgericht hat nach Beiziehung der Strafakten das Prozesskostenhilfegesuch des Beklagten wegen fehlender Erfolgsaussicht zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Beklagte mit der sofortigen Beschwerde.

II.

Das Rechtsmittel ist nach § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO statthaft, wahrt die gesetzliche Frist und Form (§§ 569 Abs. 1 und Abs. 2, 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO) und ist auch im Übrigen verfahrensrechtlich bedenkenfrei. In der Sache bleibt die sofortige Beschwerde ohne Erfolg.

Der Senat stimmt mit der Zivilkammer darin überein, dass die von dem Beklagten beabsichtigte Rechtsverteidigung nach derzeitiger Aktenlage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und es damit für die Bewilligung der nachgesuchten Prozesskostenhilfe an den sachlichen Voraussetzungen des § 114 ZPO fehlt.

Im Einzelnen gilt dazu folgendes:

1. Der Beklagte widerspricht der Verwertung der Strafakten im Wege des Urkundsbeweises und verteidigt sich gegen die Klage mit der Behauptung, die Klägerin bezichtige ihn, wie schon im Strafprozess, bewusst der Wahrheit zuwider, um den geltend gemachten Schadensersatz zu erlangen. Er benennt Zeugen zum angeblich schlechten Leumund der Klägerin und insbesondere dafür, dass diese sich im tatkritischen Zeitraum in seinem Beisein nicht wie das Opfer einer gerade stattgefundenen Vergewaltigung verhalten habe. Weil für die ihm vorgeworfenen Taten außer den belastenden Angaben der Klägerin keine sonstigen Beweismittel vorhanden seien, stehe letztlich Aussage gegen Aussage. Deshalb müsse Prozesskostenhilfe für die Abwehr der Klage bewilligt werden.

Dieser Auffassung ist, wie bereits die Zivilkammer zutreffend ausgeführt hat, nicht zu folgen.

Bei vorausschauender Würdigung des wahrscheinlichen Ausgangs einer im Fortgang des Rechtsstreits möglicherweise durchzuführenden Beweisaufnahme liegen nämlich konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass eine Beweiserhebung mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Beklagten ausgehen würde. Denn das dem Beklagten angelastete Tatgeschehen war bereits Gegenstand eines Strafverfahrens, welches nach in der Hauptverhandlung vor der 1. Großen Strafkammer des Landgerichts Landau in der Pfalz durchgeführter Beweisaufnahme - insbesondere durch die Vernehmung der Klägerin als Opferzeugin - mit der rechtskräftig gewordenen Verurteilung des Beklagten wegen Verbrechen der zweimaligen Vergewaltigung und des schweren Menschenhandels zum Nachteil der Klägerin geendet hat. Der streitige Sachverhalt ist mithin bereits schon einmal im vollen Strengbeweisverfahren (§ 244 Abs. 2 StPO) aufgearbeitet worden, so dass der Ausgang des vorangegangenen Strafverfahrens eine erhöhte Richtigkeitsgewähr bietet (zur Zulässigkeit der Berücksichtigung des Ergebnisses eines rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahrens bei der Prüfung des Prozesskostenhilfegesuchs eines deliktisch in Anspruch genommenen Beklagten (vgl. insbesondere OLG Bamberg, VersR 2008, 986 = ZfS 2008, 84 mit Anmerkung von Diehl, ZfS 2008, 86; ebenso: Senat, Beschluss vom 7. August 2008 - 4 W 71/08).

Dem steht vorliegend auch nicht der Umstand entgegen, dass sich - wie zuvor schon im Strafprozess - die Beweislage in Bezug auf das eigentliche Tatgeschehen voraussichtlich auf die Konstellation "Aussage gegen Aussage" zuspitzen wird. Denn insoweit ist von ausschlaggebender Bedeutung, dass das Strafurteil vom 5. Oktober 2006 eine eingehende und sorgfältige Würdigung der belastenden Aussage der Klägerin beinhaltet, worin auf sämtliche in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten strengen Beweis(würdigungs-)kautelen für diese Beweissituation (Aussagegenese und -entwicklung, Aussagekonstanz und Überprüfung der belastenden Angaben der Geschädigten nach objektiven Glaubhaftigkeitskriterien) erschöpfend eingegangen wird (Seiten 48 - 64 des Strafurteils) und die deshalb den strafrichterlichen Feststellungen zum Schuldspruch bezüglich der Taten zum Nachteil der Klägerin ein hohes Maß an Zuverlässigkeit sichert (so zutreffend OLG Bamberg aaO).

2. Im Verfahren zur Prüfung der Erfolgsaussicht eines Prozesskostenhilfeantrages ist es statthaft, Erkenntnisse und Beweisergebnisse aus anderen Verfahren zu verwerten (OLG München, Beschluss vom 11. Mai 2009 - 1 W 612/09, in juris; vgl auch OLG Koblenz OLGR 2008, 530). Das von der Klägerin zur Stützung ihres Sachvortrages in den Zivilprozess eingebrachte Strafurteil darf und muss deshalb im Wege des Urkundsbeweises gemäß §§ 415, 417 ZPO verwertet und in die freie Beweiswürdigung der Zivilgerichte (§ 286 Abs. 1 ZPO) einbezogen werden, ohne dass dem Beklagten hiergegen ein Widerspruchsrecht zusteht (BGH WM 1973, 560, 561; OLG Koblenz NJW-RR 1995, 727, 728 und AnwBl. 1990, 215, 216; Diehl ZfS 2008, 86 m.w.N.).

3. Die nach dem vorstehend Ausgeführten negative Prognose hinsichtlich des Prozessausgangs für den Beklagten ist unter den Umständen des vorliegenden Falles nicht unzulässig, weil das Verbot einer Beweisantizipation im Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren nur begrenzt gilt (BVerfG NJW-RR 2004, 61, 62; NJW 2003, 2976, 2977; NJW 1997, 2745, 2746; NVwZ 1987, 786; BGH NJW 1960, 98,99; NJW 1988, 266, 267 m.w.N. = MDR 1988, 209; MünchKomm/Wax ZPO 3. Aufl. § 114 Rn. 64; Zöller/Philippi ZPO 27. Aufl. § 114 Rn. 26, 26a; Musielak/Fischer ZPO 6. Aufl. § 114 Rn. 21). Das folgt aus dem Wortlaut des § 114 ZPO, wonach Prozesskostenhilfe nur bei hinreichender Aussicht auf Erfolg bewilligt werden darf. Die Erfolgsprognose ist dabei nicht nur zur Schlüssigkeit bzw. Erheblichkeit des Vorbringens anzustellen, sondern auch zu dessen Beweisbarkeit. Zwar sind die Gerichte verpflichtet, einen von einer Partei beantragten Beweis grundsätzlich selbst dann zu erheben, wenn sie die Richtigkeit bzw. Erweislichkeit der Beweisbehauptung für sehr unwahrscheinlich halten. Weil die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht mit denen für eine Beweiserhebung identisch sind, begründet dies aber nicht zugleich das Gebot, die Vorschrift des § 114 ZPO dahin auszulegen, dass ein Gericht, das eine Beweiserhebung beschließt, dann auch stets dem Prozesskostenhilfegesuch des Beweisführers stattgeben müsse. Denn anderenfalls hätte es die bedürftige Partei in der Hand, die Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit jedem fadenscheinigen, aber formell korrekten und damit prozessual nicht übergehbaren Beweisantritt zu erzwingen (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 67. Aufl. § 114 Rn. 87, 88).

4. Die Rechtsverteidigung erscheint bei der derzeit möglichen summarischen Prüfung auch mit Blick auf die Höhe des Schmerzensgeldverlangens nicht erfolgversprechend. Die Begehrensvorstellung der Klägerin ist angesichts des Umstands, dass mehrere rechtlich selbständige Straftaten des Beklagten gegen ihre sexuelle Selbstbestimmung im Raum stehen und unter weiterer Berücksichtigung der im Strafurteil getroffenen Feststellungen zu Art und Weise der Tatbegehung sowie zu den Begleitumständen nicht von vornherein übersetzt.

5. Prozesskostenhilfe muss dem Beklagten schließlich auch nicht deshalb bewilligt werden, weil die Klägerin den Rechtsstreit ohne Offenbarung ihrer ladungsfähigen Anschrift führen will. Zwar bestehen in einem solchen Fall grundsätzlich Zweifel an der Zulässigkeitsvoraussetzung einer Ordnungsmäßigkeit der Klageerhebung i.S. des § 253 Abs. 2 Nr.1 , Abs.4 ZPO i.V.m. § 130 Nr. 1 ZPO (BGH NJW-RR 2004, 1503 m.w.N.; Zöller/Greger a.a.O. § 253 Rn. 8). Anders liegen die Dinge jedoch, wenn die klagende Partei im Einzelfall triftige Gründe für die Vorenthaltung ihrer Adresse anführen kann (BGH NJW-RR 2004 a.a.O.). So verhält es sich hier, weil die Klägerin aufgrund ihrer Angaben als Belastungszeugin im Strafprozess Repressalien aus dem Umfeld des Beklagten befürchten muss und sie deshalb von den zuständigen Behörden in das Zeugenschutzprogramm aufgenommen worden ist. Das begründet ihr schutzwürdiges Interesse an der Führung des Prozesses aus dem Verborgenen.

6. Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, weil eine Kostenerstattung nicht erfolgt (§ 127 Abs. 4 ZPO) und sich die Pflicht zur Tragung der Gerichtskosten aus dem Gesetz ergibt (§ 22 GKG).

Auch eine Wertfestsetzung des Beschwerdeverfahrens ist nicht veranlasst, weil für den Fall der Zurückweisung der Beschwerde gegen eine Entscheidung im Verfahren über die Prozesskostenhilfe eine Festgebühr bestimmt ist (KV 1812 Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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