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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Urteil verkündet am 02.12.2003
Aktenzeichen: 5 U 23/02
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823 Abs. 1
BGB § 847 BGB a.F.
1. "NICO" (Neuralgia Inducing Cavitational Osteonecrosis) als Krankheitsbild.

2. Zur Beurteilung der Pflichtwidrigkeit zahnärztlichen Vorgehens bei einer "ganzheitlich", d.h. naturheilkundlich ausgerichteten Behandlungsmethode.

3. Zur notwenigen Befunderhebung vor einer zahnchirurgischen Intervention.


Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken IM NAMEN DES VOLKES Urteil

Aktenzeichen: 5 U 23/02

Verkündet am: 2. Dezember 2003

In dem Rechtsstreit

wegen Arzthaftung

hat der 5. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Hoffmann sowie die Richter am Oberlandesgericht Geisert und Kratz

auf die mündliche Verhandlung vom 11. November 2003

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung des Beklagten sowie die Anschlussberufung des Klägers gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 1. August 2002 werden zurückgewiesen.

II. Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger 1/8 und der Beklagte 7/8 zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Den Parteien wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn und soweit nicht zuvor die andere Partei Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger macht gegen den Beklagten Ansprüche auf Rückzahlung ärztlichen Honorars, Schadenersatz, Schmerzensgeld sowie einen Feststellungsantrag aus ihm von seiner Ehefrau (im Folgenden: die Patientin) abgetretenem Recht geltend. Dem liegt Folgendes zugrunde:

Die Patientin befand sich seit längerem, u.a. wegen anhaltender Schmerzen im Gesichts- und Kieferbereich, in zahnärztlicher Behandlung, so von 1994 an bei einem Dr. Sch..., von 1997 an bei einem Dr. B..., der sie zum Zwecke der Diagnostik an die Kieferchirurgie der Universität Heidelberg und an einen Radiologen (Dr. R...) überwies und außerdem in homöopathischer Behandlung in einer Praxis H.... Im Juni 1998 begab sie sich schließlich zur "ganzheitlichen Zahnbehandlung" zu dem Beklagten in Behandlung. Hintergrund dieser Wahl einer alternativen, schon von Dr. B... angewandten Behandlungsform war eine von der Patientin angenommene und vom Kläger zu Beginn des vorliegenden Rechtsstreits auch behauptete Metallallergie. Dem Beklagten schilderte sie, sie leide an Kiefer-, Gesichts und Gelenkschmerzen, rheumatischen Gelenkschmerzen, Mundtrockenheit, Brennen und einem Metallgeschmack im Mund. Sie übergab dem Beklagten diverse Untersuchungsbefunde, aus denen sich eine Unverträglichkeit hinsichtlich verschiedener Metalle ergab.

Der Beklagte führte bei der Patientin verschiedene "bioenergetische Testungen", u.a. eine "kinesiologische Testung" durch und ließ durch ein Labor einen sog. LTT - Test durchführen, der eine allergische Reaktion auf Chrom und Titan ergab. Er diagnostizierte daraufhin eine Metallallergie und eine Nekrose ("Herd") im Bereich des hinteren, rechten Kieferknochens mit einer Schädigung des Unterkiefernervs, ein Krankheitsbild, welches - außerhalb der Schulmedizin - mit "NICO" (Neuralgia Inducing Cavitational Osteonecrosis) bezeichnet wird.

Am 27. August 1998 bohrte der Beklagte den Zahn 43 auf und stellte fest, dass dieser avital war. Am 29. September 1998 entfernte er der Patientin sämtliche noch im Unterkiefer vorhandenen Zähne 31, 32, 41, 43 und 44 nebst Abtragung der bukkalen Kieferknochenkompakta und nahm eine "Herdsanierung" vor, d.h. im Leerkieferbereich wurde die Kieferspongiosa (innerer Teil des Knochengewebes) unter dem entfernten Kompaktdeckel ausgelöffelt und ausgefräst bis unterhalb des nervus alveolaris inferior, im Bereich der (früheren) Zähne 47/48 bis an den distalen, knöchernen Unterrand des Zahnes 47. Am 5. November 1998 führte er außerdem eine Revisionsoperation durch, nachdem die Patientin über Schmerzen im Operationsbereich geklagt hatte.

In der nachoperativen Behandlung, die der Beklagte bis Dezember 1998 durchführte, ließ er eine provisorische Unterkieferprothese anfertigen, die er der Patientin einsetzte.

Während der Behandlung zahlte die Patientin an den Beklagten insgesamt 7.000.- DM in bar in der Praxis. Rechnungen hat der Beklagte der Patientin bislang in Höhe von 5.290,78.- DM gestellt.

Der Kläger hat behauptet, der Beklagte habe der Patientin unzutreffend erklärt, es sei notwendig, alle Zähne im Unterkiefer zu entfernen, da andernfalls der Patientin eine Metallvergiftung drohe, was die Entstehung einer Alzheimer - Krankheit nach sich ziehe. Ihre Einwilligung in die Operation sei bereits deshalb wegen einer Täuschung unwirksam. Eine Belehrung über die Folgen und Risiken dieser Operation sei nicht erfolgt. Insbesondere sei die Patientin nicht darauf hingewiesen worden, dass durch die Extraktion scharfe Knochengrate entstehen könnten und dass auch eine Neuanfertigung der Oberkieferprothese notwendig werde. Auf alternative Behandlungsmöglichkeiten sei sie nicht hingewiesen worden. Tatsächlich sei auch die Entfernung der Zähne ein nicht vertretbarer Behandlungsfehler gewesen. Die Zähne seien vital gewesen. Ebenso sei die Kieferöffnung unnötig gewesen. Der Beklagte habe es insoweit unterlassen, eine weitergehende Diagnostik zu betreiben. Durch die Operation sei es zu einer Reizung des Trigeminusnervs im rechten Unterkiefer gekommen. Außerdem seien scharfe Knochengrate entstanden, die im Zusammenwirken mit der Unterkieferprothese zu starken Schmerzen geführt hätten. In die Nachoperation am 5.11.1998 habe sie nicht eingewilligt. Die Unterkieferprothese habe nicht gepasst und außerdem Metalle enthalten, die sie nicht vertrage. Aus all diesen Gründen sei eine Nachoperation am 28.7.1999 bei Prof. S... erforderlich gewesen und es seien noch weitere Operationen und die Anfertigung neuer Prothesen nötig, was ausweislich verschiedener Kostenvoranschläge Kosten in Höhe von mindestens 11.671,50.- DM verursache. Infolge der Operationen durch den Beklagten habe die Patientin schwere Einbußen in ihrem Wohlbefinden erlitten. Bereits die Operation selbst sei sehr schmerzhaft gewesen. Sie habe sich 10 Monate lang nicht in der Öffentlichkeit zeigen können und bis heute Schmerzen beim Kauen etwas festerer Nahrung. Die Unterkieferprothese habe keinen sicheren Halt. Nach der Operation habe sie sich monatelang nur von halbflüssigen Milchprodukten ernähren können.

Der Kläger hat beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn 6.837,89 EURO (= 1709,22, DM + 11.671,50.- DM) nebst 4 % Zinsen hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

2. den Beklagten weiter zu verurteilen, an ihn wegen fehlerhafter zahnärztlicher Behandlung ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 10.225,84 EURO (20.000.- DM) zu zahlen,

3. festzustellen, dass der Beklagte zum Ersatz aller Zukunftsschäden verpflichtet ist.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat behauptet, infolge der klinischen und der bioenergetischen Untersuchungen habe er zutreffend das Krankheitsbild "NICO" diagnostiziert. Er habe der Patientin daraufhin geraten, eine Herdsanierung vorzunehmen. Bei der Operation habe sich seine Diagnose bestätigt. Die Schleimhaut im Bereich des Zahnes 47 sei blau-schwarz verfärbt gewesen, die äußere Knochenschicht (Kortikalis) durchbrochen (reg. 46-48), stark vascularisiert (reg. 46 - 48) und grau-grün verfärbt (reg. 47), die innere Knochenschicht (Spongiosa) habe osteolytische Veränderungen aufgewiesen, es habe sich erweichte, mit fettig degeneriertem Bindegewebe durchsetzte Spongiosa gefunden (reg. 47-49), in reg. 47-48 puddingweich und lockere Spongiosaanteile. Der Unterkiefernerv sei bereits vor der Operation geschädigt gewesen. Über die Risiken der Herdsanierung habe er die Patientin ausführlich aufgeklärt, und zwar u.a. durch Übergabe der Informationsschrift "Behandlungsablauf Herdsanierung" sowie durch mündliche Erläuterungen.

Hinsichtlich der Zähne habe er der Patientin empfohlen, nur die toten Zähne zu entfernen und im Übrigen die Metalle und den Zahnersatz zu entfernen. Er habe festgestellt, dass die Zähne teils devital, teils vitalitätsgestört gewesen seien. Die Patientin habe indes mehrfach auf einer Entfernung aller Zähne bestanden. Sie habe erklärt, sie habe es jetzt satt mit den Zähnen/Eine Wurzelbehandlung habe sie abgelehnt. Er habe die Patientin am 1. September 1998 über alle nachteiligen Folgen des Ziehens aller Zähne aufgeklärt, so auch über die Schwierigkeiten beim Halt einer Prothese und das Erfordernis, auch die Oberkieferprothese neu anzufertigen.

Scharfe Knochengrate seien durch die Operation nicht entstanden; diese könnten viele Ursachen, z.B. das Alter der Patientin, haben. So lägen Knochengrate auch an Stellen vor, an denen er überhaupt nicht operiert habe.

Die Operation sei nicht außergewöhnlich schmerzhaft gewesen. Die Nachoperation sei indiziert gewesen, weil die Patientin über Schmerzen im Wundbereich geklagt habe und an eine - tatsächlich nicht vorliegende - Vereiterung der Wunde zu denken war. Die Prothese sei sachgerecht hergestellt worden/Insgesamt sei sein Vorgehen lege artis gewesen und nicht ursächlich für die bereits durchgeführte und eventuell noch durchzuführenden weiteren Nachoperationen. Das "Herdgeschehen" sei eine überwiegend funktionelle Störung, bei der das Ausmaß der Knochenzerstörung nicht die ausschlaggebende Rolle spielte, sondern die Wiederherstellung gestörter Regelkreise durch Schaffung eines vitalen Knochenbettes. Deshalb komme es auch nicht entscheidend auf eine vorhergehende Diagnostik mittels bildgebender Verfahren an.

Schließlich sei die Abtretung der Ansprüche unwirksam, weil damit nur die Zeugenstellung der Patientin erschlichen werden solle.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Einholung zweier schriftlicher Sachverständigengutachten, zum einen von Prof. Dr. Sp... von der Uniklinik .... der sein Gutachten später auch mündlich erläutert hat, und von dem Zahnarzt Dr. S... von der Zahnarztpraxis Dr. M... und Partner aus ....

Das Landgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben, lediglich das zugesprochene Schmerzensgeld in Höhe von 15.000.- DM bleibt um 5000.- DM hinter den Vorstellungen des Klägers zurück. Zur Begründung hat es ausgeführt, die beiden Operationen seinen nicht indiziert gewesen. Das ergebe sich aus den beiden eingeholten Gutachten. Deshalb sei auch die Einwilligung der Patientin, so sie überhaupt erfolgt sei, was offen bleiben könne, unwirksam. Der Beklagte habe sie nämlich zunächst über die weiteren, zwingend erforderlichen Diagnosemöglichkeiten aufklären müssen. Sodann wäre eine endodontische Behandlung der Zähne erforderlich gewesen. Die vorhandenen Aufnahmen zeigten keine pathologischen Befunde der Zähne oder des Knochens.

Hiergegen richten sich die Berufung des Beklagten und die Anschlussberufung des Klägers, mit der der Beklagte weiterhin Klageabweisung und der Kläger ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 5.000.- DM begehren.

Der Beklagte meint nach wie vor, die Abtretung sei unwirksam. Im Übrigen greift er die Tatsachenfeststellung durch das Landgericht an und trägt vor, die beiden erstinstanzlich eingeholten Gutachten seien nicht ausreichend, um einen Behandlungsfehler durch ihn zu belegen. Weiter rügt er, dass das Landgericht ihm die Einsicht in Kernspinaufnahmen vom Kiefer der Patientin nicht ermöglicht habe, welche der Gutachter Dr. S... seiner Begutachtung zugrunde gelegt hat. Außerdem verweist er auf seine Beweisangebote hinsichtlich der umfassenden Aufklärung der Patientin.

Dagegen verteidigt der Kläger das Urteil nach Maßgabe seiner Berufungserwiderung, meint aber, der Schmerzensgeldbetrag müsse angesichts der getroffenen Feststellungen höher ausfallen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines weiteren, zusätzlich schriftlich ergänzten Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. H... von der Sektion für plastische und rekonstruktive Kiefer- und Gesichtschirurgie des Universitätsklinikums .... Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten vom 22. Juli 2003 (Bl. 465 ff d.A.) und die schriftliche Ergänzung vom 16. September 2003 (Bl. 499 f d.A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die beiden zulässigen Rechtsmittel bleiben in der Sache ohne Erfolg. Das Landgericht hat im Ergebnis zutreffend entschieden. Im Einzelnen gilt folgendes:

1. Der Kläger hat gegen den Beklagten Anspruch auf Schadenersatz sowie auf Zahlung eines Schmerzensgeldes aus abgetretenem Recht aus §§ 823 Abs. 1, 847 BGB a.F. wegen fahrlässiger Körperverletzung sowie Schadenersatzansprüche aus positiver Verletzung eines zwischen der Patientin und dem Beklagten geschlossenen Behandlungsvertrages. Anhaltspunkte für eine Unwirksamkeit der durch Vorlage einer privatschriftlichen Urkunde belegten Abtretungserklärung bestehen entgegen der Rechtsansicht des Beklagten nicht.

a) Der von dem Beklagten an der Patientin am 29. September 1998 durchgeführte, kieferchirurgische Eingriff war behandlungsfehlerhaft, weil der Beklagte gegen seine Verpflichtung zur ausreichenden Befunderhebung verstoßen hat.

Eine solche unterlassene Befunderhebung haben bereits die beiden in erster Instanz vom Landgericht beauftragen Sachverständigen bejaht:

Der Sachverständige Prof. Dr. Sp... hat in seinem schriftlichen Gutachten ausgeführt, dass entsprechend den ihm vorliegenden Unterlagen (Szintigraphie vom 25. April 1997; Kernspintomographie vom 23. Juli 1997 und Panoramaschichtaufnahmen vom 17. März 1997 und 11. November 1997) keine Indikation für eine chirurgische Intervention im Leerkieferbereich bestand (Bl. 217 d.A.). Im weiteren führt der Sachverständige aus, dass es, wenn denn der Beklagte 1998 eine solche Indikation gesehen hatte, einer erneuten Röntgendokumentation mit Einbeziehung der modernen, bildgebenden Verfahren bedurft hätte. Die im OP-Bericht beschriebenen Veränderungen des Knochens bezeichneten auch nicht eindeutig eine ausgedehnte Osteonekrose, sondern könnten typische Veränderungen des Knochens im Laufe des Lebens sein. Zur Abklärung hätte es deshalb der pathohistologischen Untersuchung bedurft.

Bei der mündlichen Erläuterung seines Gutachtens hat der Sachverständige angegeben, mit einer Computertomographie seien Knochenauflösungen im Millimeterbereich nachzuweisen. Veränderungen, wie im OP-Bericht beschrieben, seien deshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit in einem Computertomogramm zu erkennen gewesen.

Der Sachverständige Dr. S... hat ausgeführt, aus den ihm vorliegenden Röntgenaufnahmen ergäben sich keine Hinweise auf pathologische Veränderungen wie große, osteolytische Prozesse. Er müsse daher feststellen, dass aus seiner schulmedizinischen Sicht keine Indikation zur Knochenausfräsung scheinbar infizierter Knochenareale bestand. Dagegen seien mit Schichtaufnahmen die im OP-Bericht beschriebenen "puddingweichen Knochenareale" sicher dargestellt worden. Die vom Beklagten durchgeführten Diagnosemethoden seien höchst umstritten und in der Schulmedizin nicht anerkannt.

Der Senat hat keine Zweifel an der Richtigkeit dieser sachverständigen Feststellungen, soweit es um die Frage geht, welche Diagnostik in der Schulmedizin ärztlichem Standard entspricht und dass die Vorgehensweise des Beklagten diesem Standard deutlich nicht entsprochen hat.

Indes ist vorliegend zu berücksichtigen, dass die vom Beklagten angewandte Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Einverständnis mit der Patientin -jedenfalls dies ist unstreitig - nicht nach den Regeln der Schulmedizin erfolgte, sondern nach einer "ganzheitlichen", d.h. naturheilkundlich ausgerichteten (Außenseiter-)Methode. Eine solche Methode kann schon den "pathologischen Zustand" anders definieren als die Schulmedizin, im Weiteren aber auch andere Maßstäbe an die Diagnostik und an die Erforderlichkeit einer Operation anlegen. Die Pflichtwidrigkeit des ärztlichen Vorgehens bestimmt sich jedenfalls dann nach den Kriterien, die für diese nicht schulmedizinische Außenseitermethode Geltung beanspruchen, wenn Grundlage der ärztlichen Behandlung - wie hier - ein Vertrag ist, in dem sich der Patient mit der (ausschließlich) naturheilkundlichen Behandlung einverstanden erklärt hat. Jeder Patient kann nämlich innerhalb der durch §§ 138 BGB, 226 a StGB gezogenen Grenzen eigenverantwortlich entscheiden, welchen Behandlungen er sich unterziehen will (BGH, AHRS-3150, S. 7). Diese Grenzen sind erst da überschritten, wo der ärztliche Eingriff unter keinen Umständen mehr als eine Heilbehandlung begriffen werden kann (BGH, NJW 1978, 1206) oder eine "völlige Außenseitermethode" angewandt wird (BGH, AHRS a.a.O. S. 6).

Der Senat hat deshalb ein weiteres Sachverständigengutachten des Leiters der Sektion für plastische und rekonstruktive Kiefer- und Gesichtschirurgie des Universitätsklinikums ..., Prof. Dr. Dr. H..., der sich auch mit Methoden außerhalb der Zahnschulmedizin befasst und mit diesen vertraut ist, zur Frage eines Behandlungsfehlers aus naturheilkundlicher Sicht eingeholt. Infolge der überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen ist der Senat davon überzeugt, dass auch unter Zugrundelegung dieser naturheilkundlichen Standards das Unterlassen einer weiterführenden Diagnostik durch den Beklagten - zudem grob - fehlerhaft war:

Der Sachverständige hat hierzu - unter der entsprechenden Vorgabe einer Beurteilung aus naturheilkundlicher Sicht - ausgeführt, dass eine Kieferknochennekrose mit Hilfe konventioneller Aufnahmen nur schwer, indes mit Hilfe moderner, bildgebender Verfahren wie einem dentalen Computertomogramm oder einer Szintigraphie mit Sicherheit diagnostizierbar sei. Eine solche Diagnostik sei deshalb unabdingbar; im vorliegend zu beurteilenden Fall insbesondere auch deshalb, weil alle bis dahin angefertigten Röntgenaufnahmen eine Kiefernekrose gerade nicht erkennen ließen (vgl. Bl. 500 d.A.). Diesen überzeugenden, in dem Gutachten durch entsprechende Abbildungen anschaulich belegten Ausführungen folgt der Senat. Dass die Anwendung solcher bildgebender Verfahren nach den Standards der Naturheilkunde nicht in Betracht komme, hat der Beklagte zudem nicht behauptet. Seine Ansicht, es komme nicht entscheidend auf eine vorhergehende Diagnostik mittels bildgebender Verfahren an, ist angesichts der vom Sachverständigen dargelegten Genauigkeit dieser Verfahren bei der Diagnoseerstellung widerlegt.

3. Der Verstoß des Beklagten gegen die Verpflichtung zur Erhebung eines medizinisch zweifelsfrei gebotenen Befundes ist ursächlich für - allerdings nur - einen Teil der bei der Patientin eingetretenen Körperschäden.

Soweit die Durchführung der Operation und des Revisionseingriffes durch den Beklagten sowie die damit in Zusammenhang stehenden Beeinträchtigungen in Form der Entstehung scharfer Knochengrate, der Erforderlichkeit einer Nachoperation und der Schwierigkeiten bei der Befestigung einer Zahnprothese in Rede stehen, kehrt sich die Beweislast für die Ursächlichkeit der unterlassenen Befunderhebung hierfür zugunsten des Klägers um:

Eine weitere Befunderhebung durch CT oder Szintigraphie hätte mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein reaktionspflichtiges, positives Ergebnis, nämlich entweder das sichere Vorliegen oder den sicheren Ausschluss einer Kiefernekrose erbracht, es sei denn, der Beklagte hätte einen solchermaßen erhobenen Befund fundamental verkannt oder grob fehlerhaft nicht darauf reagiert. Bereits dies führt zu einer Erleichterung für den Nachweis der Kausalität des Behandlungsfehlers für den eingetretenen Schaden (vgl. BGH, NJW 1999, 860 und 3408). Im Weiteren war die unterlassene Befunderhebung aber ihrerseits ein grober Behandlungsfehler mit der Folge einer Beweislastumkehr zu Lasten des Beklagten. Der auch insoweit durch den medizinischen Sachverständigen Prof. Dr. Dr. H... beratene Senat schließt sich dessen Wertung an, in dem Unterlassen einer weiteren Befunderhebung liege ein grober Fehler. Insbesondere im Hinblick darauf, dass die bis zu dem Eingriff durch den Beklagten betriebene bzw. verwendete, zwar nicht gänzlich ungeeignete, aber nur mit einer beschränkten Aussagekraft versehene Diagnostik auf der Grundlage eines Röntgenbildes einen pathologischen Befund gerade nicht verifizieren konnte, stellt das Unterlassen einer weitergehenden, zu sicheren Ergebnissen führenden Diagnostik einen groben Fehler dar. Der Beklagte hat auf der Grundlage einer völlig ungesicherten Diagnostik, die keinerlei eindeutig positive Ergebnisse erbracht hat, einen massiven kieferchirurgischen Eingriff bei der Patientin vorgenommen, obwohl es ohne weiteres möglich gewesen wäre, die Erforderlichkeit dieses Eingriffes durch eine weiterführende Diagnostik festzustellen. Das stellt nach Wertung des Senats einen unverständlichen Fehler dar, der einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf.

Nicht unberücksichtigt bleiben kann in diesem Zusammenhang allerdings, dass sich die Patientin schon wegen seit langer Zeit anhaltender, erheblicher Schmerzen im Kiefer- und Gesichtsbereich zu dem Beklagten in Behandlung begeben hat. Sowohl der in erster Instanz beauftragte Sachverständige Prof. Sp... als auch der vom Senat beauftragte Sachverständige Prof. Dr. Dr. H... haben deshalb darauf hingewiesen, dass wegen der vorhandenen Vorschädigungen keine Aussagen zur Kausalität des Eingriffes für die heute vorhandenen Beschwerden der Patientin in Form solcher Schmerzen gemacht werden können. Besteht aber die nahe liegende Möglichkeit, dass die von der Patientin heute geklagten Schmerzen dieselbe Ursache haben, wie sie bereits vor der Behandlung durch den Beklagten bestand, so steht dies insoweit einer Beweislastumkehr auch bei Feststellung eines groben Behandlungsfehlers entgegen.

4. Unter Berücksichtigung all dieser Umstände hält der Senat das vom Landgericht zugesprochene Schmerzensgeld in Höhe von 15.000.- DM für der Billigkeit entsprechend.

5. Soweit das Landgericht den Beklagten zur Rückzahlung eines überzahlten Betrages in Höhe von 873,91 € (1709,22, DM) aus § 812 Abs. 1 BGB sowie zum Ersatz weiteren, materiellen Schadens in Höhe von 6.837,89 € verurteilt hat und schließlich auch dem Feststellungsantrag des Klägers entsprochen hat, verweist der Senat auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Gründe, die Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen, bestehen nicht.

Beschluss:

Der Berufungsstreitwert wird auf 19563,73,- EURO festgesetzt.

Berufung: Ziff. 1 des Tenors: 6.837,89 €; Ziff. 2 des Tenors: 7.669,38.- €; Ziff. 3 des Tenors: 2.500 €; insgesamt 17007,27.- €:

Anschlussberufung: 2556.46 € (5.000.- DM)

Ende der Entscheidung

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