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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Urteil verkündet am 17.12.2002
Aktenzeichen: 5 U 5/02
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823
BGB § 847
Eine aufklärungspflichtige Behandlungsalternative ist dann nicht gegeben, wenn weder präoperativ noch während der Operation durch eine histologische Schnellschnittuntersuchung festgestellt werden kann, ob es sich bei dem Befund um ein neues Mammakarzinom - Zweitkarzinom - oder aber um Metastasen eines früheren (bereits operierten) Karzinoms mit negativer Zukunftsprognose handelt und deshalb die Operation möglicherweise weder zur Heilung noch zu einer Verbesserung des Gesundheitszustandes führt. Der operative Eingriff erweist sich bei dieser Konstellation weder als vermeidbar noch als sinnlos, entspricht vielmehr medizinischem Standart.
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken IM NAMEN DES VOLKES Urteil

Aktenzeichen: 5 U 5/02

Verkündet am: 17. Dezember 2002

In dem Rechtsstreit

wegen Schmerzensgeldes aus Arzthaftung

hat der 5. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken als Familiensenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Hoffmann, den Richter am Oberlandesgericht Geisert und die Richterin am Amtsgericht Hense auf die mündliche Verhandlung vom 3. Dezember 2002 für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Einzelrichters der 3. Zivilkammer des Landgerichts Kaiserslautern vom 28. September 2001 wird zurückgewiesen.

II. Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision gegen das Urteil wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger zu 1) ist der Witwer, die Kläger zu 2) und 3) sind die 1983 und 1987 geborenen Kinder der am 23. März 1995 verstorbenen U... N... (künftig: Patientin).

Der Beklagte ist Gynäkologe und war leitender Arzt der Klinik K...-H... in K... .

Nachdem bei der Patientin 1988 wegen eines Brustkrebses in der rechten Brust eine vollständige Brustdrüsenentfernung mit gleichzeitiger Lymphknotenentfernung in der rechten Achselhöhle durchgeführt werden musste, war sie in der Folgezeit in regelmäßiger ärztlicher Behandlung. Am 5. April 1993 wurde ein Knoten in der linken Brust festgestellt, für den erst nach mehreren Untersuchungen am 2. September 1993 ein dringender Verdacht auf ein Mammakarzinom mit Lymphknotenbeteiligung diagnostiziert wurde. Eine Klage auf Zahlung von Schmerzensgeld wegen verspäteter Diagnosestellung gegen die Ärzte Dres. B... und N... wurde rechtskräftig abgewiesen (Verfahren 2 O 105/95 LG Kaiserslautern).

Am 2. September 1993 unterzeichnete die Patientin nach einem Aufklärungsgespräch eine Einwilligungserklärung für eine operative Entfernung des Knotens in der linken Brust mit evtl. Operationserweiterung bei Bestätigung des Krebsverdachtes nach einer Schnellschnittuntersuchung.

Bei der vom Beklagten am 7. September 1993 durchgeführten Operation wurde der Patientin die linke Brust vollständig entfernt, nachdem an vielen Stellen isolierte Karzinomanteile histologisch nachgewiesen waren.

Die Kläger haben vorgetragen, der operative Eingriff sei nicht angezeigt gewesen. Der Beklagte habe trotz entsprechender Kenntnis vor der Operation vom 7. September 1993 die Patientin nicht darüber aufgeklärt, dass angesichts der weit fortgeschrittenen Erkrankung weder eine Verlängerung der Lebensdauer noch eine Verbesserung der Lebensqualität bewirkt werden konnte. Bei entsprechender Aufklärung hätte die Patientin in die Operation und die Entfernung der linken Brust nicht eingewilligt.

Die Kläger haben beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des erkennenden Gerichts gestellt wird, nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 29.05.1997 zu zahlen.

Der Beklagte ist dem entgegengetreten.

Der Einzelrichter der 3. Zivilkammer des Landgerichts Kaiserslautern hat nach Einholung eines Sachverständigengutachten des Priv. Doz. Dr. S... die Klage mit der Begründung abgewiesen, dem Beklagten könne weder ein Behandlungs- noch Aufklärungsfehler angelastet werden. Im vorliegenden Fall würden die Grenzen der ärztlichen Pflicht zur Aufklärung eines schwerkranken Menschen erreicht, die letztlich eigenverantwortlich vom behandelnden Arzt, nicht vom Gericht, zu ziehen seien.

Die Kläger haben gegen das Urteil Berufung eingelegt. Hinsichtlich des Vorwurfs eines Behandlungsfehlers verweisen sie auf ihren Vortrag erster Instanz.

Das Landgericht sei bereits irrtümlicherweise davon ausgegangen, dass Kenntnis des Beklagten über den Krankheitszustand der Patientin nicht nachgewiesen sei. Sowohl das Schreiben des Beklagten vom 13. Mai 1997 als auch sein Sachvortrag im vorliegenden Verfahren ergäben das Gegenteil hiervon. Auch der Sachverständige habe in seinem Gutachten festgestellt, dass dem Beklagten alle Merkmale des Krankheitsbildes bekannt gewesen seien. Gleichwohl habe der Beklagte die notwendige Aufklärung über den lebensbedrohlichen Zustand und die zweifelhaften Erfolgsaussichten des operativen Eingriffs nicht erteilt. Vorliegend sei von einer gesteigerten Aufklärungspflicht wegen der zweifelhaften Heilungsaussichten auszugehen.

Der Umfang der Aufklärungspflicht sei eine Rechtsfrage und könne entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht dem Arzt überlassen bleiben. Der Beklagte habe der Patientin verschwiegen, dass bei der bestehenden Diagnose ein Heilungserfolg oder eine Lebensverlängerung zumindest zweifelhaft bzw. überhaupt nicht möglich sei, so dass ein evidenter Aufklärungsfehler vorliege.

Die Kläger beantragen,

das angefochtene Urteil abzuändern und den Beklagten nach Maßgabe des erstinstanzlichen Klageantrags zu verurteilen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Kläger ist ohne Erfolg in der Sache.

Eine deliktische Haftung des Beklagten auf ein Schmerzensgeld nach § 847 BGB gegenüber den Klägern als den gesetzlichen Erben der Patientin scheidet aus.

Das sachverständig beratene Landgericht hat sowohl einen Behandlungsfehler als auch einen Mangel in der ärztlichen Aufklärung der Patientin zu Recht verneint.

Das schriftliche Sachverständigengutachten des Priv. Doz. Dr. S... ist in der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gelangt, dass die Operation bei der Patientin aus medizinischer Sicht nach Art und Umfang korrekt durchgeführt wurde und auch indiziert war. Eine negative Zukunftsprognose war präoperativ nicht gegeben. Die Erfolgsaussichten des Eingriffs hingen danach entscheidend davon ab, ob es sich um eine Metastase des in der rechten Brust 1988 operierten Mammakarzinoms oder um ein Zweitkarzinom - also eine neue, von der ersten unabhängige Erkrankung - bei der Patientin handelte. Die entsprechende Diagnose konnte auch die histologische Schnellschnittuntersuchung während der Operation nicht ergeben sondern war erst durch eine histologische Untersuchung des gesamten operativ entfernten Gewebes nach der Operation möglich.

In der mündlichen Erläuterung des Gutachtens im Senatstermin vom 3. Dezember 2002 hat der Sachverständige darüber hinaus überzeugend dargelegt, mit Hilfe einer Punktion sei bei einem Geschwulst in der Brust keine verlässliche Diagnose zu erlangen. Ein operativer Eingriff sei deshalb nicht vermeidbar gewesen. Nach Auffassung des Sacherständigen hätte sich das medizinisch gebotene Vorgehen selbst dann nicht zu ändern gehabt, wenn vor der Operation bereits festgestanden hätte, dass es sich um Metastasen des früheren Karzinoms handelte. Auch dann wäre es aus ärztlicher Sicht sinnvoll gewesen, vorhandene Metastasen möglichst umfassend zu entfernen, um die Lebensqualität der Patientin für die verbleibende Lebenszeit in dem Sinne zu verbessern, dass die Chance auf ein langsames Fortschreiten der Erkrankung gewahrt, eine darauf gerichtete Hoffnung des Patienten ermöglicht und die Gefahr aufbrechender Metastasen jedenfalls vorübergehend gemindert werde.

Das operative Vorgehen des Beklagten kann auf dieser Grundlage nicht als vermeidbarer oder medizinisch sinnloser Eingriff angesehen werden, sondern entsprach medizinischem Standard.

Der operative Eingriff war auch rechtmäßig, da von einer wirksamen Einwilligungserklärung der Patientin gedeckt.

Die Aufklärung eines Patienten ist Grundlage für dessen Einwilligung in die ärztliche Heilmaßnahme und damit Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit eines operativen Eingriffs (Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 4. Auflage, Teil C Rdnr. 1 ff m.w.N.; Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl., § 63 Rdnrn. 1 ff).

Der Umfang der Aufklärungspflichten hängt von den Umständen des Einzelfalles ab, insbesondere von der Dringlichkeit, den Heilungsaussichten und der zur Verfügung stehenden Zeit (Geiß/Greiner, aaO, Teil C Rdnrn. 8 ff m.w.N.).

Im allgemeinen ist der Patient über Art, Umfang und Durchführung des Eingriffs im Großen und Ganzen aufzuklären (Geiß/Greiner, aaO, Teil C Rdnr. 84), bei sinnvollen Alternativen, insbesondere der Wahl zwischen einer konservativen oder operativen Behandlungsmethode ist der Patient im Einzelnen über Risiken und Erfolgschancen detailliert zu informieren (vgl. nur BGH VersR 1980, 1145). Auf die Gefahr eines Misserfolges ist er unter eingehender Darlegung des Für und Wider besonders hinzuweisen, wenn der Eingriff vital nicht indiziert ist und der Misserfolg in einer Gesundheitsverschlechterung besteht (BGH NJW 1981, 1319, 1320).

Vorliegend war die Patientin unstreitig darüber aufgeklärt worden, dass intraoperativ aufgrund der vorzunehmenden Schnellschnittuntersuchung die Entscheidung getroffen werde, bei Vorliegen eines Brustkrebses in gleicher Operation die Brustdrüse und befallene Achsellymphknoten operativ zu entfernen. Entgegen der Auffassung der Kläger war es nach dem Ergebnis der in beiden Instanzen durchgeführten Beweisaufnahme nicht geboten, die Patientin ausdrücklich auf die Möglichkeit hinzuweisen, dass die Chancen auf eine Heilung praktisch ausgeschlossen wären, wenn sich später ergeben sollte, dass Metastasen des ursprünglichen Karzinoms vorlagen. Über hypothetische Verläufe ist jedenfalls dann keine Aufklärung erforderlich, wenn sich daraus für das ärztliche Handeln keine sinnvolle Alternative ergeben kann. Vor Durchführung der Operation war nicht sicher festzustellen, ob es sich um ein gutartiges Geschwulst, eine erneute Krebserkrankung oder eine Metastase des früheren Karzinoms handelte. Das ärztliche Vorgehen musste darauf gerichtet sein, bestehende Heilungschancen bestmöglichst zu nutzen. Dass die ärztlichen Maßnahmen unter Umständen nicht zur Heilung, nicht einmal sicher zu einer Verbesserung des Gesundheitszustandes führen, ist nur dann aufklärungspflichtig, wenn eine echte Behandlungsalternative besteht, wie sie vorliegend nicht gegeben war.

Die Berufung der Kläger ist somit mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Gründe nach § 543 Abs. 2 ZPO, die Revision für die Kläger zuzulassen, sind nicht gegeben.

Beschluss

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 51 129.19 Euro (= 100 000,-- DM) festgesetzt, §§ 12 Abs. 1 GKG, 3 ZPO.

Ende der Entscheidung

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