Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Urteil verkündet am 09.12.2003
Aktenzeichen: 5 UF 110/03
Rechtsgebiete: EGBGB, ZPO, FamGB


Vorschriften:

EGBGB Art. 18 Abs. 1 Satz 1
EGBGB Art. 19 Abs. 1
ZPO § 415
ZPO § 417
ZPO § 418
ZPO § 437 Abs. 1
ZPO § 438 Abs. 1
FamGB § 48 Abs. 3
FamGB § 81 Abs. 1
FamGB § 83 Abs. 1
1. Zur Anerkennung der Vaterschaft eines in Russland lebenden Kindes.

2. Zur Berechnung des Unterhalts für ein in Russland lebendes minderjähriges Kind, wenn der Verpflichtete in Deutschland lebt und auch hier arbeitet.


Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken IM NAMEN DES VOLKES Urteil

Aktenzeichen: 5 UF 110/03

Verkündet am: 9. Dezember 2003

In der Familiensache

wegen Kindesunterhalts,

hat der 5. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken als Familiensenat durch den Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht Hoffmann und die Richter am Oberlandesgericht Geisert und Kratz

auf die mündliche Verhandlung vom 18. November 2003

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Pirmasens vom 26. Juni 2003 wird zurückgewiesen.

II. Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die am ... 1999 in ... nichtehelich geborene Klägerin, die - ausschließlich - die russische Staatsangehörigkeit besitzt und bei ihrer Mutter in ... lebt, macht gegen den Beklagten einen Unterhaltsrückstand für die Zeit ab Januar 2002 sowie einen laufenden Unterhaltsanspruch ab April 2003 in Höhe von 128 % des Regelbetrages (= Einkommensgruppe 5 der DüTab) geltend.

Der Beklagte ist verheiratet und Vater eines ehelichen Kindes. Er ist erwerbstätig und verfügt über ein um berufsbedingte Aufwendungen von 5 % bereinigtes

Nettoeinkommen von durchschnittlich 2 085 €.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes verweist der Senat auf den Tatbestand des angegriffenen Urteils.

Das Familiengericht hat den Beklagten verurteilt, ab 1. April 2003 monatlich 100 % des Regelbetrages zu zahlen. Auf dieser Grundlage hat es auch den Unterhaltsrückstand ab Januar 2002 ausgeurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, es finde russisches Unterhaltsrecht Anwendung. Aufgrund der vorgelegten Urkunden stehe fest, dass der Beklagte die Vaterschaft anerkannt habe. Angesichts der Lebensverhältnisse in Russland sei es angemessen, den Unterhaltsanspruch auf 100 % des Regelbetrages anstelle der sich nach den Einkommensverhältnissen des Beklagten ergebenden 128 % des Regelbetrages zu reduzieren. Für eine Verwirkung des Unterhaltsrückstandes sei schon das Zeitmoment nicht erfüllt.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten, mit der er weiterhin vollständige Klageabweisung begehrt. Zur Begründung trägt er vor, die von der Klägerin vorgelegten Urkunden seien nicht geeignet, seine Vaterschaft zu beweisen. Hinsichtlich der Lebensverhältnisse in Russland sei im Übrigen ein Abschlag von 2/3 des nach der DüTab geschuldeten Betrages angemessen. Schließlich greift er die Rechtsansicht des Amtsgerichts zur Frage der Verwirkung an.

Dagegen verteidigt die Klägerin das angegriffene Urteil. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat sie die Originale der in russischer Sprache abgefassten und mit einer Apostille versehenen Urkunden (Geburtsurkunde und Anerkennungsurkunde) zur Akte gereicht. Beide Parteien haben unstreitig gestellt, dass die von der Klägerin zur Akte gereichten Übersetzungen dieser Urkunden deren Inhalt zutreffend wiedergeben.

II.

Die zulässige Berufung führt aus den im Wesentlichen zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung nicht zum Erfolg. Ergänzend gilt Folgendes:

1. Das Amtsgericht hat seine internationale Zuständigkeit (stillschweigend) zu Recht bejaht. Die internationale Zuständigkeit besteht immer dann, wenn nach den Gerichtsstandsbestimmungen ein deutsches Gericht örtlich zuständig ist (vgl. BGH, NJW 1991, 2212). So gilt § 13 ZPO nicht nur für die örtliche, sondern auch für die internationale Zuständigkeit (BGH NJW 1998, 1321). Da der Beklagte seinen allgemeinen Gerichtsstand (§ 13 ZPO) in Deutschland hat, war deshalb auch die internationale Zuständigkeit des Amtsgerichts begründet.

2. Zutreffend hat das Familiengericht ausgeführt, dass die Frage der Abstammung der Klägerin gem. Art. 19 Abs. 1 EGBGB nach russischem Recht zu beurteilen ist, weil die Klägerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Russland hat.

Nach Vorlage der mit Apostille versehenen Originalurkunde über die Anerkennung der Vaterschaft steht die Abstammung der Klägerin vom Beklagten fest:

Nach Art. 48 Abs. 3 des Familiengesetzbuches (FamGB) der Russischen Föderation wird die Vaterschaft der Person, die nicht in einer Ehe mit der Kindesmutter verbunden ist, im Wege der Einreichung eines gemeinsamen Antrages des Vaters und der Mutter des Kindes beim Personenstandesamt festgestellt. Dass eine solche Feststellung vorliegend erfolgt ist, hat die Klägerin durch die Vorlage der Anerkennungsurkunde bewiesen.

Die Beweiskraft öffentlicher Urkunden nach §§ 415, 417, 418 ZPO gilt auch für ausländische Urkunden, sofern deren Echtheit feststeht. Ob eine ausländische Urkunde echt ist, hat das Gericht nach § 438 Abs. 1 ZPO nach den Umständen des Falles zu ermessen; in jedem Falle genügt nach Abs. 2 der Vorschrift die Legalisation bzw. nach Art. 3 und Art. 4 des Haager Übereinkommens vom 5.10.1961, welchem sowohl Deutschland als auch Russland beigetreten sind, die Apostille. Eine mit der Apostille versehene, ausländische Urkunde hat zumindest die Vermutung der Echtheit nach § 437 Abs. 1 ZPO für sich.

Vorliegend bestehen demnach keine Zweifel an der Echtheit der mit der Apostille versehenen Anerkennungsurkunde. Diese erbringt nach § 417 ZPO vollen Beweis für die Richtigkeit ihres Inhaltes. Inhalt der Urkunde ist wiederum die Bescheinigung der Anerkennung der Vaterschaft durch den Beklagten durch den hierfür zuständigen Standesbeamten des Standesamtes in .... Es steht deshalb fest, dass der Beklagte der Vater der Klägerin ist.

3. Der Unterhaltsanspruch der Klägerin ist materiell-rechtlich nach russischem Recht zu beurteilen, weil die Klägerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Russland hat (Art. 18 I 1 EGBGB; vgl. OLG Hamm, OLGR 2003, 171). Grund und Höhe dieses Unterhaltsanspruchs hat das Amtsgericht in zutreffender Weise ermittelt:

Nach § 81 Abs. 1 FamGB steht der Klägerin grundsätzlich 1/6 des Einkommens des Klägers, der insgesamt zwei Kinder hat und für diese insgesamt 1/3 seines Einkommens aufzuwenden hat, als Unterhalt zu.

Da der Beklagte unstreitig über ein bereinigtes Einkommen in Höhe von 2.085 € verfügt, bestünde deshalb nach § 81 Abs. 1 FamGB ein Anspruch der Klägerin in Höhe von 347,50 €. Mit diesem Betrag hat es vorliegend indes nicht sein Bewenden.

Nach § 83 Abs. 1 FamGB ist das Gericht dann berechtigt, den Unterhaltsbetrag in einem festen Geldbetrag, also nicht in Anwendung der Quote des § 81 FamGB, festzusetzen, wenn der Unterhaltsschuldner - wie hier - sein Einkommen in ausländischer Währung bezieht oder wenn die Quotenbildung im Verhältnis zu dem Verdienst "unmöglich oder schwierig" ist. Nach Abs. 2 der Vorschrift wird der Geldbetrag in diesem Fall, ausgehend von der höchstmöglichen Wahrung des früheren Versorgungsniveaus des Kindes unter Berücksichtigung der materiellen und familiären Lage der Parteien und anderer, berücksichtigenswerter Umstände festgesetzt. Die russischen Gerichte machen von dieser Bestimmung regelmäßig dann Gebrauch, wenn das Einkommen des Unterhaltsschuldners den Durchschnittsverdienst eines Arbeiters deutlich übersteigt, weil der Quotenunterhalt nach § 81 FamGB an die wirtschaftlichen Verhältnisse aufgrund des geringen Durchschnittsverdienstes in Russland anknüpft (OLG Hamm, OLGR 2003, 171). Zu dem gleichen Ergebnis führte im Übrigen auch Art. 18 Abs. 7 EGBGB, wonach bei der Bemessung des Unterhaltsbetrages die Bedürfnisse des Berechtigten und die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unterhaltsverpflichteten zu berücksichtigen sind, und zwar auch dann, wenn das ausländische Recht - wie hier nicht - etwas anderes bestimmt.

In der Rechtsprechung wird in vergleichbaren Fällen der angemessene Bedarf eines im Ausland lebenden Kindes überwiegend in der Weise ermittelt, dass das Einkommen des in Deutschland lebenden Unterhaltsschuldners zugrunde gelegt wird, hiernach der Unterhalt für ein in Deutschland lebendes gleichaltriges Kind aus der Unterhaltstabelle festgestellt und hiervon ein prozentualer Abschlag vorgenommen wird, dessen Höhe sich z.B. nach der Verbrauchergeldparität, der Ländergruppeneinteilung des Bundesfinanzministeriums oder nach dem Devisenkurs richtet (Senat, FamRZ 1999, 33 (zur Türkei); OLG Nürnberg; NJWE-PER 1997, 102 (zu Polen); OLG Koblenz; FamRZ 2002, 56 (zu Russland). Der Senat schließt sich dieser Methode im Ausgangspunkt, soweit nämlich zunächst einmal die in Deutschland gebräuchlichen Unterhaltstabellen herangezogen werden, an. Durch diese Orientierung an der Unterhaltstabelle mit einer anschließenden Anpassung zur Angleichung der Verhältnisse sowohl wegen der geringeren Lebenshaltungskosten als auch wegen der Kaufkraftvorteile im Ausland nimmt das Kind einerseits an den Lebensverhältnissen des in Deutschland lebenden Unterhaltsschuldners teil, andererseits werden die besonderen, bedarfsprägenden Umstände seines Aufenthaltsortes in die Unterhaltsbestimmung einbezogen.

Bei der Frage, in welcher Weise der Abschlag von dem sich aus der Unterhaltstabelle ergebenden Betrag zu ermitteln ist, hält es der Senat indes nicht für angebracht, alleine oder entscheidend auf die Ländergruppeneinteilung des Bundesministeriums der Finanzen abzustellen, die eine Bewertung der Russischen Föderation mit einer Quote von 1/3 annimmt (a.A. OLG Koblenz, FamRZ 2002, 56). Die Ländergruppeneinteilung des Bundesfinanzministeriums - zuletzt vom 26. Oktober 2000 mit Wirkung vom 1. Januar 2001 an - erfolgt mit Blick auf die - hier ohnehin sachfremde - steuerrechtliche Behandlung von Auslandsaufwendungen. So können nach § 33 a Abs. 1 EStG die Aufwendungen für Unterhaltsleistungen nur abgezogen werden, soweit sie nach den Verhältnissen des Wohnsitzstaates der unterhaltenen Person notwendig und angemessen sind. Stellt aber das Steuerrecht alleine auf die Verhältnisse des Wohnsitzstaates ab und finden die im Unterhaltsrecht zu berücksichtigenden, wirtschaftlichen Verhältnisse des in Deutschland lebenden Unterhaltsschuldners keine Berücksichtigung, so ist die Ländergruppeneinteilung als alleiniger Faktor kein geeigneter Maßstab zur Bemessung des Unterhaltsanspruches.

Der Senat hält es demgegenüber für angebracht, jedenfalls im Ausgangspunkt auf einen Vergleich der Lebenshaltungskosten abzustellen, weil dieser Wert am ehesten geeignet ist, den Unterhaltsbedarf des im Ausland lebenden Kindes zu bestimmen.

Ausweislich eines Preisvergleiches des Statistischen Bundesamtes vom November 2002 entspricht die Kaufkraft von 100 € in Berlin etwa 109 € in Moskau, also 9 % mehr.

Bei ergänzender Berücksichtigung der Ländergruppeneinteilung des Bundesfinanzministeriums und auch unter Beachtung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Beklagten hält der Senat die vom Amtsgericht vorgenommene Herabstufung des Unterhaltsanspruchs aus der Einkommensgruppe 5 der Düsseldorfer Tabelle (128 % des Regelbetrages) in die Einkommensgruppe 1 (100 % des Regelbetrages), das entspricht einer Herabsetzung des Unterhaltsbetrages um rund 22 %, für angemessen.

4. Die rückständigen Unterhaltsansprüche sind nicht verwirkt. Der Beklagte hat zuletzt mit Schreiben vom 29. April 2002 auf ein Schreiben der Gegenseite reagiert und die monatliche Zahlung von 81 € Kindesunterhalt angeboten. Der den vorliegenden Prozess einleitende Prozesskostenhilfe - Antrag der Klägerin ist dem Beklagten um den 10.4.2003 und damit knapp weniger als ein Jahr nach seinem Angebot vom 29.4.2002 zugegangen. Danach ist schon das erforderliche Zeitmoment der Verwirkung nicht erfüllt:

Eine Verwirkung kommt nach allgemeinen Grundsätzen in Betracht, wenn der Berechtigte ein Recht längere Zeit nicht geltend macht, obwohl er dazu in der Lage wäre, und der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, dass dieser sein Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde. Insofern gilt für Unterhaltsrückstände nichts anderes als für andere in der Vergangenheit fällig gewordene Ansprüche (BGHZ 84, 280, 281). Vielmehr spricht gerade bei derartigen Ansprüchen vieles dafür, an das Zeitmoment der Verwirkung keine strengen Anforderungen zu stellen. Nach § 1613 Abs. 1 BGB kann Unterhalt für die Vergangenheit ohnehin nur ausnahmsweise gefordert werden. Von einem Unterhaltsgläubiger, der lebensnotwendig auf Unterhaltsleistungen angewiesen ist, muss eher als von einem Gläubiger anderer Forderungen erwartet werden, dass er sich zeitnah um die Durchsetzung des Anspruchs bemüht. Andernfalls können Unterhaltsrückstände zu einer erdrückenden Schuldenlast anwachsen. Abgesehen davon sind im Unterhaltsrechtsstreit die für die Bemessung des Unterhalts maßgeblichen Einkommensverhältnisse der Parteien nach längerer Zeit oft nur schwer aufklärbar. Diese Gründe, die eine möglichst zeitnahe Geltendmachung von Unterhalt nahe legen, sind so gewichtig, dass das Zeitmoment der Verwirkung auch dann erfüllt sein kann, wenn die Rückstände Zeitabschnitte betreffen, die etwas mehr als ein Jahr zurückliegen (BGHZ 152, 217). Vorliegend ist indes nicht einmal diese aus den vorgenannten Gründen schon knapp bemessene Jahresfrist verstrichen. Die Ansprüche auf rückständigen Kindesunterhalt sind deshalb nicht verwirkt.

5. Insgesamt erweist sich damit die Entscheidung des Amtsgerichts in jeder Hinsicht als zutreffend, weshalb die Berufung des Beklagten mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen war.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) bestanden nicht.

Beschluss

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 17Abs. 1 und 4 GKG auf 5.374 € festgesetzt, (Rückstand 16 * 188 = 3008 €; laufend 2 * 188 € + 10 * 199 € = 2366 €).

Ende der Entscheidung

Zurück