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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 22.05.2000
Aktenzeichen: 5 UF 28/00
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1579
BGB § 1570
Leitsatz:

Zum Unterhaltsanspruch eines in nichtehelicher Lebensgemeinschaft lebenden geschiedenen Ehegatten, der ein fünfzehn Jahre altes, aber behindertes ehegemeinsames Kind betreut.


PFÄLZISCHES OBERLANDESGERICHT ZWEIBRÜCKEN Beschluss

5 UF 28/00 F 156/99 AmtsG -FamG- Kusel

In der Familiensache

wegen Abänderung von nachehelichem Unterhalt,

hier: Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Berufung,

hat der 5. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken als Familiensenat durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Mörsch sowie die Richter am Oberlandesgericht Hoffmann und Weisbrodt ohne mündliche Verhandlung am 22. Mai 2000

beschlossen:

Tenor:

Der Beklagten wird die Prozesskostenhilfe für die Durchführung einer Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts -Familiengericht- Kusel vom 19. Januar 2000 versagt.

Gründe:

Die beabsichtigte Berufung bietet keine Erfolgsaussicht im Sinne von § 114 ZPO.

Im Ergebnis erweist sich die Auffassung des Familiengerichts als zutreffend, dass eine weitere Unterhaltspflicht des Klägers auch unter Wahrung der Kindesbelange grob unbillig wäre.

1. Allerdings lässt sich hier wegen des Alters des ehegemeinsamen Kindes - dieses ist inzwischen 15 Jahre alt - eine Betreuungsbedürftigkeit im Sinne des § 1570 BGB nicht verneinen. Das Kind ist geistig schwer behindert (Down-Syndrom) und betreuungsbedürftig. Die Betreuung wird nur zum Teil von einer Behinderteneinrichtung übernommen. Im Übrigen leistet dies die Beklagte.

a) In welchem Umfang die Betreuungsbedürftigkeit eines Kindes die Erwerbstätigkeit hindert, bestimmt sich bei einem sogenannten "Problemkind" unter anderem auch nach den besonderen Umständen in der Person des Kindes. Die Betreuungsbedürftigkeit ist nach objektiven Kriterien zu ermitteln, wobei von Bedeutung sein können insbesondere das Alter, der Gesundheitszustand und der Entwicklungszustand. Sie wird nicht durch eine bestimmte Altersgrenze begrenzt (vgl. BGH NJW 1984, 2355; OLG Celle FamRZ 1987, 1038; Senat, Urteil vom 10. November 1998, 5 UF 92/97; Lohmann, Neue Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Familienrecht, 8. Auflage, Rdn. 16).

b) Der Behinderungsgrad des Kindes steht nicht im Streit, auch nicht, dass es umfassend und lückenlos betreut werden muss.

c) In der familiengerichtlichen Praxis ist anerkannt, daß ein Elternteil, der ein Kind unter sechzehn Jahren betreut, eine teilschichtige Erwerbsobliegenheit hat, die aber nicht den Umfang einer Halbtagsarbeit erreichen muß (vgl. Lohmann aaO, Rdn. 17). Daran muss sich nichts ändern, wenn das Kind arbeits- oder schultäglich bis in den Nachmittag in einer Behinderteneinrichtung betreut wird. Der betreuende Elternteil muß sich nicht darauf verweisen lassen, diesen ganzen Zeitraum, in dem das Kind abwesend ist, mit einer eigenen Erwerbstätigkeit auszufüllen. Ihm ist der erforderliche Freiraum zur eigenen Entwicklung zuzubilligen, in der sich das Kind außer Haus befindet. Er darf nicht in dieser Zeit auf eine Erwerbstätigkeit verwiesen werden, um für sich selbst dann überhaupt keine Zeit mehr zu haben (vgl. OLG Frankfurt FamRZ 1987, 175; Senat aaO).

d) Der Beklagten kann wenigstens eine Aushilfstätigkeit zugemutet werden. Zu dieser sah sie sich auch früher, als das Kind noch kleiner war, in der Lage. Aufgegeben hat sie diese lediglich, weil sie zu ihrem jetzigen Partner zog und der Aufwand zur Erreichung der innegehabten Arbeitsstelle nicht mehr im Verhältnis zum Verdienst stand. Der für eine begrenzte Erwerbstätigkeit zur Verfügung stehende zeitliche Rahmen ist aufgrund der Ganztagsbetreuung des Kindes ausreichend groß, dass daneben die persönlichen Belange nicht zu kurz kommen. Die geltend gemachten gesundheitlichen Bedenken schließen eine solche Aushilfstätigkeit nicht aus. Mit einem hieraus erzielbaren Einkommen kann die Beklagten, die mietfrei wohnt, ihren notwendigen Bedarf sichern, bei dessen Bemessung auch die Vorteile der kostengünstigeren Haushaltsführung durch das Zusammenleben mit einem Partner berücksichtigt werden muss.

2. Der Kläger muss nicht den angemessenen oder den den ehelichen Lebensverhältnissen entsprechenden Bedarf der Beklagten sichern. Es liegt ein Verwirkungstatbestand im Sinne von § 1579 Nr. 7 BGB vor, der die Gewährung von Unterhalt gemäß § 1570 BGB ausschließt.

a) Es kann dahinstehen, ob ein Verwirkungsgrund hier auch darin bestehen könnte, weil die Beklagte keine neue Ehe mit dem nichtehelichen Partner eingeht. Ob dies geschieht, um die Wirkung des § 1586 BGB zu vermeiden und den Unterhaltsanspruch nicht zu verlieren (vgl. dazu BGH, FamRZ 1989, 487, 490; OLG Köln, NJW-RR 1994, 1030), muss nicht weiter hinterfragt werden. Jedenfalls lebt die Beklagte in einer "eheersetzenden" Gemeinschaft, die die Inanspruchnahme des Verpflichteten aus objektiven Gegebenheiten und Veränderungen der Lebensverhältnisse der früheren Ehegatten grob unbillig erscheinen lässt, unabhängig von der Vorwerfbarkeit bestimmter Verhaltensweisen und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des nichtehelichen Partners (BGH, BGHR BGB § 1579 Nr. 7, Unzumutbarkeit 1).

Wenn der Unterhaltsberechtigte zu einem neuen Partner ein auf Dauer angelegtes Verhältnis aufnimmt, kann das Erscheinungsbild dieser Verbindung in der Öffentlichkeit unter Umständen dazu führen, dass die Fortdauer der Unterhaltsbelastung und des damit verbundenen Eingriffs in seine Handlungsfreiheit und Lebensgestaltung für den Unterhaltspflichtigen unzumutbar wird (BGH, FamRZ 1983, 569). Die wirtschaftliche Lage des neuen Partners des Berechtigten spielt hierbei - anders als im Fall der Verweisung auf eine Unterhaltsgemeinschaft - keine Rolle. Zur Annahme eines Härtegrundes im Sinne von § 1579 Nr. 7 BGB mit der Folge der Unzumutbarkeit einer weiteren (uneingeschränkten) Unterhaltsbelastung für den Verpflichteten - kann das Zusammenleben des Berechtigten mit einem neuen Partner dann führen, wenn sich diese Beziehung in einem solchen Maße verfestigt, daß damit gleichsam »ein nichteheliches Zusammenleben an die Stelle einer Ehe getreten ist«. Nach welchem Zeitablauf - und unter welchen weiteren Umständen - dies angenommen werden kann, wird sich allerdings nicht allgemein verbindlich festlegen lassen. Eine gewisse Mindestdauer, die im Einzelfall kaum unter zwei bis drei Jahren liegen dürfte, wird in der Regel nicht unterschritten werden dürfen. In diesem Fall kann der Unterhaltsanspruch des Berechtigten herabgesetzt oder versagt, gegebenenfalls auch für eine bestimmte weitere Dauer zeitlich begrenzt werden, soweit die Inanspruchnahme des Verpflichteten - unter Wahrung der Belange gemeinschaftlicher Kinder - grob unbillig wäre (BGH, BGHR BGB § 1579 Nr. 7, Härtegrund 5 = FamRZ 1988, 487; kritisch Schwab, FamRZ 1997, 521).

Die bereits sechs Jahre dauernde Lebensgemeinschaft in der die Beklagte lebt, entspricht dem.

b) Die Weiterzahlung des Unterhalts ist auch unter unter Wahrung der Belange des dem Berechtigten zur Pflege und Erziehung anvertrauten gemeinschaftlichen Kindes grob unbillig:

aa) Die Wahrung der Belange des Kindes verlangen nicht, dass dem betreuenden Elternteil ein angemessener oder den ehelichen Lebensverhältnissen entsprechender Unterhalt zur Verfügung steht. Eine Sanktion nach § 1579 BGB kommt daher schon in Betracht, wenn der Unterhalt das Maß dessen übersteigt, was der betroffene Ehegatte zur Deckung seines Mindestbedarfs benötigt (BGH, FamRZ 1989, 1279, OLG Hamm FamRZ 1990, 1001; 1993, 1450; OLG Köln, FamRZ 1998, 1236; OLG Nürnberg, FamRZ 1995, 674). Dieser Mindestbedarf muss nicht durch die Unterhaltsleistung des geschiedenen Ehegatten gesichert werden. Es genügt, wenn die dazu erforderlichen Mittel von anderer Seite erlangt werden können, etwa von dem leistungsfähigen nichtehelichen Partner (vgl. BGH FamRZ 1997, 621; OLG Hamm aaO; AmtsG Menden, FamRZ 1991, 712), auch in Form von Sachleistungen oder konkreten bedarfsdeckenden Einkünfte oder sonstigen Vorteilen aus dem Zusammenleben (vgl. AmtsG Bochum, FamRZ 1998, 753).

bb) Nach diesen Grundsätzen gilt:

Es ist unstreitig geworden, dass für das Kind Pflegegeld nicht gewährt wird.

Es ist unstreitig, dass der Lebenspartner der Beklagten wenigstens deren Wohnbedarf decken kann. Aufgrund des angebotenen Zeugenbeweises ist im Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren jedoch zu unterstellen, dass dieser aus einer vollschichtigen Tätigkeit selbst nur Einkünfte im Bereich des Existenzminimums zieht und zu weiteren Leistungen nicht fähig ist. Die Auffassung des Familiengerichts, dass nach den konkreten Umständen des Sachverhalts der nichteheliche Partner der Beklagten diese bei der Betreuung des Kindes entlasten könne, ist im Hinblick auf den vom Familiengericht nicht nachgelassenen Schriftsatz nicht unbedenklich.

Da wie dargelegt, die Beklagte durch eine begrenzte eigene Erwerbstätigkeit ihren notwendigen Bedarf sichern kann, kann dahinstehen, ob aus verwirkungsrechtlicher Sicht sie sich auf eine strenger zu beurteilende Erwerbsobliegenheit verweisen lassen muss. Dass die Erwerbsobliegenheit wegen der nichtehelichen Lebensgemeinschaft strenger zu beurteilen ist, ist allerdings nicht selbstverständlich. Wie sich aus § 1615 l BGB ergibt, ist die nichteheliche Mutter frei in der Gestaltung ihrer Lebensverhältnisse und kann sogar heiraten - mitunter ist sie schon verheiratet - ohne dass der Unterhaltsanspruch gegen den nichtehelichen Vater tangiert werden müsste (vgl. Schwab aaO). Das kann es rechtfertigen, die Erwerbsobliegenheit lediglich aus dem Blickwinkel der Betreuungsbedürftigkeit des Kindes zu beurteilen. Diese Problematik kann aber auf sich beruhen.

Im Ergebnis erweist sich infolgedessen das Urteil des Familiengerichts gemäß den Rechtsprechungsgrundsätzen zur Verwirkung als zutreffend und bietet die beabsichtigte Berufung keine Erfolgsaussicht.

Ende der Entscheidung

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