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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Urteil verkündet am 03.04.2003
Aktenzeichen: 6 U 7/02
Rechtsgebiete: StrEG


Vorschriften:

StrEG § 7

Entscheidung wurde am 24.03.2004 korrigiert: Vorschriften geändert, amtlicher Leitsatz und eine Anmerkung hinzugefügt
Wer (z.B. in seiner Freizeit) unentgeltliche gemeinnützige Arbeit zur Abwendung der Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe aufgrund eines Strafbefehls ableistet, hat nicht schon allein deswegen einen Entschädigungsanspruch wegen Vermögensschadens oder Freiheitsentziehung, wenn sich die Strafverfolgung als rechhtswidrig darstellt.
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken IM NAMEN DES VOLKES Urteil

Aktenzeichen: 6 U 7/02

Verkündet am: 3. April 2003

In dem Rechtsstreit

wegen Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen

hat der 6. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Morgenroth, die Richterin am Oberlandesgericht Euskirchen und den Richter am Oberlandesgericht Prof. Dr. Spannowsky

auf die mündliche Verhandlung vom 13. März 2003

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Einzelrichters der 1. Zivilkammer des Landgerichts Zweibrücken vom 29. April 2002 geändert:

Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger wird gestattet, die Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 400,-- € abzuwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von dem beklagten Land Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 639,63 € (= 1.251,-- DM) für zu Unrecht erlittene Strafvollstreckungsmaßnahmen.

In der Zeit vom 30. Oktober 2000 bis 8. Dezember 2000 leistete der Kläger 180 Stunden unentgeltliche gemeinnützige Arbeit zur Abwendung der Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe aufgrund eines Strafbefehls. Der Kläger war vor, während und nach diesem Zeitraum arbeitslos und bezog Arbeitslosenhilfe.

Der Strafbefehl ist im Wege eines Wiederaufnahmeverfahrens nach Vollstreckung der Strafe aufgehoben und die Entschädigungspflicht der Staatskasse gemäß den §§ 1 f StrEG dem Grunde nach rechtskräftig festgestellt worden.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird Bezug genommen auf die Feststellungen im Tatbestand des angefochtenen Urteils.

Der Einzelrichter der 1. Zivilkammer des LG Zweibrücken hat der Klage stattgegeben. Mit seiner Berufung verfolgt das beklagte Land seinen Antrag auf Abweisung der Klage weiter.

Entscheidungsgründe:

Das zulässige Rechtsmittel des beklagten Landes führt in der Sache zum Erfolg. Die Klage ist unbegründet.

Gemäß § 7 StrEG wird im Falle rechtswidriger Strafverfolgungs- oder Strafvollstreckungsmaßnahmen der hierdurch verursachte Vermögensschaden sowie - im Falle der Freiheitsentziehung aufgrund gerichtlicher Entscheidung - auch der Schaden entschädigt, welcher nicht Vermögensschaden ist. Dem Kläger ist durch die zu Unrecht erfolgte Vollstreckung weder ein Vermögensschaden entstanden noch hat er eine Freiheitsentziehung erlitten.

1. Der Begriff des Vermögensschadens im Sinne des § 7 StrEG ist nach bürgerlichem Recht zu bestimmen (Meyer, Strafrechtsentschädigung und Auslagenerstattung, 4. Aufl. 1997, § 7 Rdn. 10 m.w.N.). Vermögensschaden ist danach jede in Geld bewertbare Einbuße, die der Berechtigte an seinem Vermögen oder an seinen sonstigen rechtlich geschützten materiellen Gütern erleidet. Hierzu gehören z. B. Verdienstausfall, Mindereinkommen oder Nutzungsausfall.

Der Kläger hat die ihm auferlegte Geldstrafe nicht bezahlt. Er hat weder einen Verdienstausfall erlitten noch geringeres Einkommen erzielt, denn er stand nicht in einem Arbeitsverhältnis, auf das sich seine Abwesenheit während der gemeinnützigen Tätigkeit hätte auswirken können, die Arbeitslosenhilfe hat er weiter ungekürzt bezogen. Auch auf die Nutzung eines Gegenstandes musste der Kläger nicht verzichten.

Entgegen seiner Ansicht ist der Kläger nicht so zu stellen, als hätte er die Geldstrafe bezahlt. Er hat schon nicht die Geldstrafe selbst ersatzweise abgearbeitet, wie er meint; die Ableistung der gemeinnützigen Tätigkeit diente vielmehr der Abwendung der Vollstreckung der selbständig verhängten Ersatzfreiheitsstrafe. Dem Argument des Klägers, er könne bei Beachtung des Grundrechts auf Gleichberechtigung und Gleichbehandlung nicht schlechter gestellt werden als ein zu Unrecht Verurteilter, welcher die Geldstrafe bezahlt habe, vermag sich der Senat deshalb nicht anzuschließen. Der Kläger hat gerade die Geldstrafe nicht bezahlt, also auch keine Vermögenseinbuße erlitten. Sein Fall liegt anders und kann deshalb auch anders behandelt werden.

Was der Kläger erlitten hat, waren Einbußen an Arbeitskraft und Zeit; beides sind keine vermögenswerten Güter (Palandt/Heinrichs, BGB, 61. Aufl., Vorb. zu § 249 Rdn. 37 und 38) und nicht in Geld bewertbar. Erbringt der Geschädigte etwa zur Schadensbeseitigung eigene Arbeitsleistungen, ist deren Wert nur dann zu ersetzen, soweit sie nach der Verkehrsanschauung einen Marktwert haben (a.a.O. m.w.N.). Ein solcher ist für unentgeltliche gemeinnützige Tätigkeiten aber zu verneinen, weil eine Vergütung dem Zweck der Tätigkeit gerade zuwider laufen würde. Würde man dem Kläger die beantragte Entschädigung zusprechen, erhielte er eine Gegenleistung für eine Tätigkeit, die er ohne die Verurteilung überhaupt nicht erbracht hätte und würde materiell sogar besser gestellt werden als ohne die Verurteilung. Dies ist nicht Zweck des StrEG.

2. Der Kläger ist auch nicht wegen Freiheitsentziehung zu entschädigen, denn er hat die Ersatzfreiheitsstrafe nicht verbüßt, sondern sie durch die Arbeitsleistung getilgt (vgl. Meyer, a.a.O., Rdn. 35).

Ohnehin würde sich die Entschädigung für den Schaden, der nicht Vermögensschaden ist, also im Falle einer Freiheitsentziehung, gemäß § 7 Abs. 3 StrEG lediglich auf 11,-- € für jeden angefangenen Tag der Freiheitsentziehung, somit für 30 Tage Ersatzfreiheitsstrafe auf 330,-- € maximal belaufen. Dies zeigt, dass der Kläger gerade nicht auf eine Entschädigung wegen Freiheitsentziehung abzielt, sondern gleichsam eine Vergütung für seine unentgeltliche Tätigkeit begehrt. Hierfür ist eine Anspruchsgrundlage nicht ersichtlich.

Die Arbeitskraft und die Freiheit der individuellen zeitlichen Gestaltung der eigenen Lebensumstände sind Eigenschaften der Person bzw. Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (vgl. Palandt/Heinrichs, a.a.O.), wie z. B. auch das Recht auf Ehre oder das Recht am eigenen Bild. All dies sind immaterielle Rechtsgüter, die zwar verletzt werden können, für deren Verletzung aber im StrEG eine Ersatzpflicht nicht vorgesehen ist. Ersatz für immateriellen Schaden gibt es vielmehr nur im Falle zu Unrecht vollzogener Freiheitsentziehung.

Angesichts dieser eindeutigen und klaren Entscheidung des Gesetzgebers verbietet sich - auch unter Berücksichtigung des Gleichheitsgrundsatzes des Art. 3 Abs. 1 GG - entgegen der Ansicht des Erstgerichts die analoge Anwendung des § 7 Abs. 2 StrEG auf den vorliegenden Fall. Der Verlust an immateriellen Gütern wie Arbeitskraft oder Freizeit stellt einen viel geringeren Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen dar als die Freiheitsentziehung. Es ist deshalb gerechtfertigt, eine Entschädigung auf die Freiheitsentziehung zu beschränken. Diese Lösung entspricht im Übrigen auch dem im Zivilrecht geltenden allgemeinen Schadensersatzrecht, das ebenfalls bei Einbußen an Arbeitskraft und Freizeit grundsätzlich keinen Schmerzensgeldanspruch gemäß § 847 BGB gewährt. Ausnahmen wie etwa im Reiserecht sind besonders gesetzlich geregelt.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

4. Die Zulassung der Revision ist nicht geboten, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist (§ 543 ZPO).

Anmerkung: Gegen die Entscheidung ist Verfassungsbeschwerde eingelegt. Das Aktenzeichen lautet 1 BvR 1010/03.

Ende der Entscheidung

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