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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 11.06.2004
Aktenzeichen: 6 WF 75/04
Rechtsgebiete: BGB, FGG


Vorschriften:

BGB § 1632
BGB § 1696
FGG § 19
FGG § 33 Abs. 2
1. Verpflichtung zur Herausgabe eines Kindes an den alleinsorgeberechtigten Elternteil im Wege einstweiliger Anordnung, wenn gleichzeitig auf Antrag des anderen Elternteils ein Parallelverfahren zur Änderung der elterlichen Sorge geführt wird;

2. Vollstreckungsanordnungen gemäß § 33 Abs. 2 FGG.


Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken

Beschluss vom 11. Juni 2004

Aktenzeichen: 6 WF 75/04

Verkündet am: 11. Juni 2004

In der Familiensache

betreffend die Herausgabe des Kindes

hier: Erlass einer einstweiligen Anordnung,

hat der 6. Zivilsenat - Familiensenat - des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Morgenroth und die Richterinnen am Oberlandesgericht Euskirchen und Schlachter auf die Beschwerde des Antragstellers vom 12. Mai 2004 gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Grünstadt vom 11. Mai 2004 nach Anhörung sämtlicher Beteiligten auf die mündliche Verhandlung vom 3. Juni 2004 beschlossen:

Tenor:

I. Der angefochtene Beschluss wird geändert:

1. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, das Kind M........ S......., geboren am ... November 1993, an den Antragsteller herauszugeben.

2. Der Antragsgegnerin wird untersagt, das Kind M........ S........... außerhalb der Grenzen der Bundesrepublik Deutschland zu verbringen.

3. Der zuständige Gerichtsvollzieher wird ermächtigt und beauftragt, zum Zwecke der Vollstreckung der Herausgabeanordnung das Kind der Antragsgegnerin wegzunehmen und zur Durchsetzung dieser Anordnung auch Gewalt zu gebrauchen, um den Widerstand der Antragsgegnerin zu überwinden und ihre Wohnung zu durchsuchen, sowie polizeiliche Vollzugsorgane zu seiner Unterstützung hinzuzuziehen

4. Das beteiligte Jugendamt des Landkreises C.... soll zu der Vollstreckung der Herausgabeanordnung zugezogen werden und die Vollstreckung durch geeignete Maßnahmen, die auch vom Jugendamt des Landkreises B........ im Wege der Amtshilfe erbracht werden können, unterstützen.

II. Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei. Die Antragsgegnerin hat die dem Antragsteller im Beschwerdeverfahren erwachsenen notwendigen Auslagen zu erstatten.

III. Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 3 000,00 € festgesetzt.

Gründe:

Das Rechtsmittel des Antragstellers ist gemäß den §§ 621 g Satz 2, 620 c Satz 1 ZPO, 19, 20 FGG zulässig. Es führt auch in der Sache zum erstrebten Erfolg.

I. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats sind in selbständigen Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit einstweilige Anordnungen - wie früher vorläufige Anordnungen - nur zulässig, wenn ein dringendes Bedürfnis für ein unverzügliches Einschreiten besteht, das ein Abwarten bis zur endgültigen Entscheidung nicht gestattet, weil diese zu spät kommen und die Kindesinteressen nicht mehr genügend wahren würde (Kahl in Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 14. Aufl., § 19 Rdnr. 30). Erforderlich ist, dass ohne eine solche Eilentscheidung des Gerichts eine nachhaltige Beeinträchtigung des Kindeswohls ernsthaft zu befürchten ist (vgl. Senat, Beschluss vom 16. August 2001, Az. 6 WF 95/01).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.

1. Das Kind M......... befindet sich seit Mitte April gegen den Willen des allein sorgeberechtigten Vaters bei der Mutter in G........ Die Eltern sind aufgrund tief greifender Zerrüttung ihrer persönlichen Beziehung nicht in der Lage, miteinander zu reden, geschweige denn eine gemeinsame Basis zur Regelung grundsätzlicher Fragen im Hinblick auf Verbleib und Erziehung des Kindes M....... zu finden. Dies hat sogar dazu geführt, dass M.......... nach Ende der Osterferien zunächst für eine gewisse Zeit die Schule nicht besucht hat. Ein Zuwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache kann deshalb nicht hingenommen werden.

2. Zur Abwendung der für das Wohl des Kindes M............ durch die derzeitige Situation bestehenden Gefahr hält der Senat die vom Vater beantragte Maßnahme, nämlich die sofortige Herausgabe des Kindes an den Vater, d.h. die Verbringung des Kindes an den gewöhnlichen Aufenthaltsort und Wohnsitz des Vaters in L......., für geboten.

a) Zwar darf in aller Regel durch eine einstweilige Anordnung vor der Entscheidung in der Hauptsache die Hauptsache nicht vorweggenommen werden (Kahl aaO, Rdnr. 31). Davon ist jedoch bei besonderer Dringlichkeit eine Ausnahme zu machen. Diese besondere Dringlichkeit sieht der Senat vorliegend in dem Umstand, dass der Schulbesuch des Kindes M......... der kontinuierlichen Fortführung bedarf. Gerade weil die Hauptsache nicht vorweggenommen werden darf, besteht ein dringendes Interesse daran, dass M......... zumindest bis zur endgültigen Entscheidung über das Herausgabeverlangen des Vaters die Schule an seinem bisherigen Wohnort weiter besucht, damit nicht durch einen verfrühten Schulwechsel Fakten geschaffen werden, welche die spätere Hauptsacheentscheidung beeinflussen könnten.

b) Die angeordnete Maßnahme erscheint auch im Lichte einer allenfalls summarisch gebotenen Prüfung der Erfolgsaussichten des Hauptsacheantrages auf Herausgabe des Kindes an den Vater nicht unangemessen. Darüberhinaus steht nach Ansicht des Senats einer Entscheidung in der Hauptsache nichts mehr entgegen, so dass sich die zeitliche Wirkung der zu treffenden einstweiligen Maßnahme in engen Grenzen halten dürfte.

Der Vater ist Alleininhaber der elterlichen Sorge für M.......... Als solche steht ihm gemäß § 1632 Abs. 1 BGB ein Anspruch auf Herausgabe des Kindes gegen jeden zu, der ihm das Kind widerrechtlich vorenthält. Beide Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Insbesondere teilt der Senat nicht die Ansicht des Familiengerichts, der Kindeswille stehe der Herausgabe des Kindes an den Vater entgegen.

Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat durchgeführten Anhörung des Kindes durch die Berichterstatterin vermag sich der Senat schon nicht davon zu überzeugen, dass der wirkliche Wille des Kindes M.............. ausschließlich und unverrückbar auf einen Verbleib bei der Mutter gerichtet ist.

Der Junge hat als Grund für seinen verbal geäußerten Wunsch genannt, dass der Vater weniger Zeit für ihn habe als die Mutter, weil er voll erwerbstätig und deshalb viel unterwegs sei, und dass er von der Großmutter väterlicherseits, die ihn während der Abwesenheit des Vaters betreut, eher streng als liebevoll behandelt werde. Als ihm bedeutet wurde, dass diese Gründe nicht ausreichten, ihm den Verbleib bei der Mutter schon jetzt vor der Durchführung und dem Abschluss weiterer Untersuchungen und Beweiserhebungen zu ermöglichen, fing M......... laut und vernehmlich an zu weinen, was allerdings eher einem Kreischen als einem echten Weinen entsprach. Auf die einschränkende Frage, was er denn als weitere Argumente gegen den Aufenthalt bei seinem Vater anbringen könne, endete das Weinen abrupt. Die Stimme wurde sofort klar und fest. Er sagte nun, bei den Großeltern väterlicherseits würde während des Essens geraucht, was er als unangenehm empfinde. Konfrontiert mit der Feststellung, dass auch das nicht ausreiche sowie dass man ihm die Echtheit seiner Tränen nicht abnehme und deshalb auch starke Zweifel an seinen Aussagen habe, wiederholte sich das Weinen und Schreien bis zu der Frage der Berichterstatterin, wie er sich - falls es zu einem Aufenthalt bei der Mutter kommen sollte - den Besuchskontakt mit dem Vater vorstelle. Sofort war die Stimme wieder klar und fest und M......... erklärte ausführlich, wann, wie oft und wo er sich dann mit dem Vater zu treffen wünsche. Dabei ließ er deutlich erkennen, dass er auch gegen einen Besuch von mehreren Wochen in den Sommerferien beim Vater nichts einzuwenden habe.

Dieser Ablauf der Anhörung des Kindes M......... lässt starke Zweifel an der Echtheit der Weinattacken entstehen. M........ hat bei der Anhörung den Eindruck vermittelt, auf die Anhörung sehr gut vorbereitet zu sein und genau zu wissen, was er sagen und tun werde, um das Ziel, bei der Mutter zu bleiben, zu erreichen. Dabei entsprang diese Zielsetzung nach dem äußeren Verhalten des Kindes eher nicht einem innerlich gefühlten, nicht zu steuernden eigenen Willen und Empfinden, sondern erschien aufgesetzt, angelernt und vorgeschoben.

Angesichts des dem Vater zustehenden Alleinsorgerechts für das Kind M....., hat sich die Prüfung, ob das Kindeswohl der auf das Alleinsorgerecht gestützten Herausgabeforderung des Vaters entgegensteht, an den strengen Maßstäben des § 1696 BGB zu orientieren. Hierbei ist selbstverständlich - und bei zunehmendem Alter mit immer größerem Gewicht - der Wille des Kindes eines der wesentlichen zu prüfenden Kriterien. Dies setzt aber voraus, dass ein solcher Kindeswille auf Änderung der bestehenden Verhältnisse tatsächlich besteht. Daran lassen aber die geschilderten Umstände der Anhörung des Kindes M............ erhebliche Zweifel.

II. Aus gegebenem Anlass weist der Senat für das weitere Verfahren darauf hin, dass eine Herausgabe des Kindes M......... an den Vater nur dann nicht in Betracht kommen könnte, wenn die Voraussetzungen für eine Änderung der bestehenden Sorgerechtsregelung (Alleinsorge des Vaters) gemäß § 1696 BGB vorliegen sollten. Hierüber ist allein in dem bereits rechtshängigen Parallelverfahren zu befinden.

Im Rahmen dieses Verfahrens wird das Familiengericht prüfen müssen, ob aus triftigen, das Wohl des Kindes M........ nachhaltig berührenden Gründen die von der Mutter gewünschte Änderung der elterlichen Sorge erforderlich ist. Solche Gründe könnten sich vorliegend allenfalls aus dem geäußerten Kindeswillen ergeben, sofern dieser tatsächlich und nicht nur verbal besteht und beachtlich ist. Beachtlich ist ein Kindeswille dann nicht, wenn Umstände vorliegen, welche bei Erfüllung des Kindeswunsches dem Wohl des Kindes entgegenstehen würden. Insoweit besteht im vorliegenden Fall hinreichend Anlass zur Prüfung, ob die Mutter die erforderliche Erziehungseignung besitzt. Hierzu gehört insbesondere auch Bindungstoleranz, also die Bereitschaft und die Fähigkeit, dem Kind den Kontakt und die familiäre Verbundenheit zum anderen Elternteil zu erhalten und zu gewähren. Angesichts der nunmehr seit Wochen andauernden Vereitelung eines Zusammenseins des Kindes M.............. mit seinem Vater bestehen insoweit erhebliche Zweifel, ob die Mutter den an ihre Erziehungseignung zu stellenden Anforderungen genügt.

Gegebenenfalls ist ein Sachverständigengutachen einzuholen aufgrund eines Beweisbeschlusses, in welchem die angesprochenen Fragen gezielt zu formulieren sind. Die daran erst anschließende Prüfung, was letztlich aus triftigen Gründen dem Wohle des Kindes dient, obliegt als Rechtsanwendung dem Familiengericht.

III. In Anbetracht des bisherigen Verhaltens der Antragsgegnerin, welche sich seit Anfang April 2004 kompromisslos und ohne Rücksicht auf die Situation des Kindes M............. der bestehenden Sorgerechtsregelung widersetzt, besteht Grund zu der Besorgnis, dass sie auch die vorliegende Herausgabeanordnung nicht freiwillig und ohne Widerstand befolgen wird. Aus diesem Grund rechtfertigen sich die gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 FGG getroffenen Vollstreckungsanordnungen.

Das Gleiche gilt für das Verbot, das Kind außerhalb der Grenzen der Bundesrepublik Deutschland zu verbringen. Sowohl aufgrund der Grenznähe des Aufenthaltsortes der Mutter wie auch im Hinblick auf die bisher bestehenden engen Verbindungen der Mutter in die Vereinigten Staaten von Amerika besteht die begründete Befürchtung, dass die Mutter sich ins Ausland begeben wird, um die Rückkehr des Kindes zum Vater zu vereiteln.

IV. Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei (§ 131 Abs. 3 KostO). Die Anordnung der Kostenerstattung beruht auf § 13 a Abs. 1 Satz 2 FGG. Den Wert des Beschwerdegegenstandes setzt der Senat gemäß den §§ 131 Abs. 2, 30 Abs. 2 und Abs. 3 KostO fest.



Ende der Entscheidung

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