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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 04.12.2006
Aktenzeichen: 7 W 40/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 935
ZPO § 93
Im einstweiligen Verfügungsverfahren ist dem Antragsgegner auch nach einem Anerkenntnis im Sinne von § 93 ZPO nicht der Vortrag abgeschnitten, er habe durch sein Verhalten keine Veranlassung zur Stellung des Antrages gegeben.
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss

Aktenzeichen: 7 W 40/06

In dem Rechtsstreit

wegen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung

hier sofortige Beschwerde gegen eine auf Kostenwiderspruch hin ergangene Entscheidung

hat der 7. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Neumüller, den Richter am Oberlandesgericht Burger und den Richter am Landgericht Born

ohne mündliche Verhandlung am 4. Dezember 2006

beschlossen:

Tenor:

I. Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegner vom 2. Juni 2006 wird das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Landau in der Pfalz vom 11. Mai 2006 abgeändert.

Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

II. Der Antragsteller trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird festgesetzt auf 1.676,26 €.

Gründe:

I.

Die Verfahrensbeteiligten streiten um die durch Erlass einer einstweiligen Verfügung verursachten Kosten.

Der Antragsteller ist testamentarischer Erbe (zu 40 % neben einem weiteren Miterben) der am 21. Oktober 1998 verstorbenen I... S.... Das Nachlassgericht hielt das entsprechende Testament rechtsfehlerhaft für unwirksam und erteilte den Antragsgegnern als vermeintlichen gesetzlichen Erben auf deren Antrag vom 29. März 2003 hin am 19. September 2005 einen Erbschein. Dagegen wandte sich der Antragsteller im vorliegenden Verfahren mit dem Begehren, den Antragsgegnern die Herausgabe des Erbscheins an das Nachlassgericht aufzugeben. Dem ist das Erstgericht mit einstweiliger Verfügung vom 11. Oktober 2005 (Bl. 19 d. A.) nachgekommen. Den Antragsgegnern wurden die Kosten des Verfahrens auferlegt.

Den Erbschein gaben die Antragsgegner aufgrund der einstweiligen Verfügung heraus und erklärten gegenüber dem Nachlassgericht mit Schriftsatz vom 1. November 2005 (Bl. 43 d. A.), dass sie mit der Einziehung einverstanden seien. Erbansprüche würden aufgrund des Testaments nicht mehr geltend gemacht. Daneben erkannten die Antragsgegner den Anspruch des Antragstellers auf Herausgabe des Erbscheins auch im einstweiligen Verfügungsverfahren an und legten einen auf die Kostenentscheidung der einstweiligen Verfügung beschränkten Widerspruch ein, mit dem Antrag, dem Antragsteller die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Sie, die Antragsgegner, hätten durch ihr Verhalten keine Veranlassung im Sinne des § 93 ZPO zur Beantragung einer einstweiligen Verfügung gegeben. Aufgrund der Mitteilungen des Nachlassgerichts hätten sie keinen Grund gehabt, ein entgegenstehendes testamentarisches Erbrecht in Betracht zu ziehen. Einer außergerichtlichen Aufforderung des Antragstellers, den Erbschein wieder an das Nachlassgericht herauszugeben, wären sie umgehend nachgekommen (Bl. 55 f. d. A.).

Das Erstgericht hat eine entsprechende Anwendung des § 93 ZPO mit Urteil vom 11. Mai 2006 abgelehnt (Bl. 125 d. A.). Zwar finde § 93 ZPO auch im einstweiligen Verfügungsverfahren Anwendung. Nach dem Anerkenntnis seien Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund jedoch der gerichtlichen Nachprüfung entzogen. Das Gericht dürfe sich nicht in Widerspruch zur Hauptsacheentscheidung setzen. Den Antragsgegnern sei daher der Vortrag abgeschnitten, eine Veranlassung zur Antragstellung durch das Verhalten der Antragsgegner habe nicht vorgelegen, wenn dies zugleich zur Verneinung des Verfügungsgrundes führen würde.

Gegen das Urteil des Erstgerichts haben die Antragsgegner sofortige Beschwerde eingelegt (Bl. 131 d. A.), mit dem Ziel, die Kosten des Verfahrens dem Antragsteller aufzuerlegen. Sie, die Antragsgegner, hätten durch ihr Verhalten den Anspruch des Antragstellers nicht gefährdet. Das Landgericht gehe selbst davon aus, dass eine ausreichende Gefährdung im Sinne des § 935 ZPO bereits in der Erteilung des Erbscheins liege, also nicht im Verhalten der Antragsgegner. Dem Antragsteller habe zudem eine Vielzahl von Möglichkeiten zur Verfügung gestanden, die Erteilung des Erbscheins an die Antragsgegner zu verhindern. Zu Unrecht gehe das Erstgericht davon aus, es habe einer vorprozessualen Aufforderung zur Herausgabe des Erbscheins nicht bedurft. Dies sei vielmehr der gesetzliche Regelfall. Die vom Erstgericht zitierte Rechtsprechung und Literatur stütze das Urteil nicht.

Das Landgericht hat dem Antragsteller Gelegenheit gegeben, auf die Beschwerde zu antworten. Dieser hat beantragt, die sofortige Beschwerde zurückzuweisen. Mit Beschluss vom 4. Juli 2006 (Bl. 150 d. A.) hat das Erstgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem erkennenden Senat zur Entscheidung vorgelegt. Der Senat hat die Akte über den Nachlass I... S... (AG Landau, Az.: 2 VI 371/98) und die Akte des Hauptsacheverfahrens zwischen den Parteien vor dem Landgericht Landau (4 O 422/05) beigezogen.

II.

Die sofortige Beschwerde der Antragsgegner hat Erfolg.

1. Gegen das auf einen Kostenwiderspruch hin ergehende Urteil ist gemäß §§ 99 Abs. 2, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO analog die sofortige Beschwerde statthaft (OLG Frankfurt, OLGR 1992, 150; Magazindienst 2006, 60 f.; KG, KGR 1999, 392 m. z. N.; Musielak/Wolst, ZPO, 4. Aufl., § 99 Rdn. 9; Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 925 Rdn. 5 und 11 und § 99 Rn. 17 beide m. w. N.). Die sofortige Beschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt (§ 569 Abs. 1 und 2 ZPO) und auch im Übrigen zulässig (§§ 99 Abs. 2 Satz 2, 567 Abs. 2 ZPO).

2. Sie ist auch begründet.

a) Im Ausgangspunkt richtig stellt das Erstgericht darauf ab, dass mit der Einlegung des auf den Kostenpunkt beschränkten Widerspruchs die einstweilige Verfügung in der Hauptsache anerkannt wird. Im Rahmen der Kostenentscheidung darf dann nicht mehr überprüft werden, ob die einstweilige Verfügung zu Recht erlassen worden ist, insbesondere, ob der erforderliche Verfügungsanspruch und der erforderliche Verfügungsgrund gegeben waren (vgl. nur OLG Frankfurt, WRP 1985, 563; Magazindienst 2006, 60 f.; KG, KGR 1999, 392; Liesegang, JR 1980, 95, 97; Handbuch des vorläufigen Rechtsschutzes Baur, 3. Aufl., S. 798; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 93 Rdn. 27). Der Verfügungsgrund im Sinne der Gefährdung eines Anspruchs darf jedoch nicht schematisch mit der Veranlassung zur Verfahrenseinleitung im Sinne des § 93 ZPO gleichgesetzt werden, mit der Folge, dass die Anwendung der Norm zu Gunsten des Antragsgegners im einstweiligen Verfügungsverfahren häufig bereits wegen der oben beschriebenen Bindung des Gerichts ausscheiden würde. Dies ist offensichtlich, wenn der Verfügungsgrund gesetzlich vermutet wird, wie etwa bei den §§ 885 Abs. 1 Satz 2, 899 Abs. 2 Satz 1 BGB und in den Fällen, in denen die Gefährdung des Anspruchs nicht auf einem Verhalten des Antragsgegners beruht (vgl. OLG Stuttgart, NJW 1955, 1192; OLG Köln, NJW-RR 1988, 1341; OLG Frankfurt, OLGR 1992, 140; Stein/Jonas/Bork, aaO m.w.N.; Lemke, DRiZ 1982, 339, 340; Liesegang, aaO, 98; Nikisch, NJW 1955, 1192, 1193). Aber auch dann, wenn die Gefährdung des Anspruchs mit einem Verhalten des Antragsgegners begründet wird, hat dieser nicht begriffsnotwendig für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zwecks Abwendung weiterer Gefährdungen die Veranlassung im Sinne des § 93 ZPO gegeben (so aber OLG Stuttgart, NJW 1955, 1192, 1194; OLG Celle, NJW 1953, 1871; Lemke, aaO). Durch das Anerkenntnis ist das Gericht lediglich gehindert nachzuprüfen, ob tatsächlich eine Gefährdung des Anspruchs vorgelegen hat. Der Prüfung, ob diese Gefährdung als Klageveranlassung zu werten ist, ist das Gericht nicht enthoben. Die nach einem Kostenwiderspruch eintretende Bindung des Gerichts an den zuvor bejahten Verfügungsgrund, entzieht dieses daher nach Auffassung des erkennenden Senats nicht der Verpflichtung, in jedem Einzelfall zu prüfen, ob der Verfügungsbeklagte durch sein Verhalten Anlass zur Beantragung einer einstweiligen Verfügung gegeben hat (ebenso Liesegang, aaO; HdBVR-Baur, aaO; Stein/Jonas/Bork, aaO; vgl. auch Zöller/Herget, 26. Aufl., § 93 Rdn. 6 - Kostenwiderspruch a. E.). Mag auch in Fällen, in denen der Verfügungsgrund auf einem Verhalten des Schuldners beruht, eine Veranlassung zur Klageerhebung häufig gegeben sein, ist dies nicht notwendig der Fall. Kann etwa bereits ein Hinweis auf die durch seine Handlungsweise herbeigeführte Gefährdung im Sinne des Verfügungsgrundes genügen, um den Antragsgegner zu einer gewünschten Verhaltensänderung zu veranlassen, ist es unter Umständen gerechtfertigt, trotz verhaltensbedingten Verfügungsgrundes eine Veranlassung zur Klageerhebung zu verneinen. Diese differenzierte Betrachtung gebietet bereits die unterschiedliche Zielsetzung des § 93 ZPO und der Vorschriften über den vorläufigen Rechtsschutz. Während letztere das Interesse des Anspruchsberechtigten in den Vordergrund stellen, die Gefahr zu beseitigen, dass bei Durchsetzung seines Anspruchs im Erkenntnisverfahren durch den hierfür erforderlichen Zeitaufwand die Verwirklichung seines Rechts nach dem Obsiegen vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, dient § 93 ZPO der Kostengerechtigkeit. Die Norm soll den Beklagten vor allem vor dem Kostenrisiko übereilter Klagen schützen (vgl. BGH NJW 2006, 2490, 2491). Deshalb verbietet es sich, den Verfügungsgrund mit der Veranlassung zur Klageerhebung im Sinne des § 93 ZPO gleichzusetzen.

b) Danach konnte die auf einer schematischen Gleichsetzung von Verfügungsgrund und Veranlassung zur Verfahrenseinleitung beruhende Entscheidung des Erstgerichts keinen Bestand haben. Die Antragsgegner haben keine Veranlassung zur Klageerhebung gegeben. Hiervon ist nur dann auszugehen, wenn das Verhalten einer Partei aus der Sicht des Klägers (Antragstellers) bei vernünftiger Betrachtung hinreichenden Anlass für die Annahme bietet, er werde ohne Inanspruchnahme der Gerichte nicht zu seinem Recht kommen (BGH NJW 2006, 2490). Der Senat ist indes davon überzeugt, dass die Antragsgegner bereits auf eine außergerichtliche Aufforderung unter Vorlage des Testaments hin sich jeglicher Verfügung über den Nachlass enthalten hätten. Die Antragsgegner haben stets - sowohl im Nachlassverfahren, als auch im Hauptsacheverfahren und im vorliegenden einstweiligen Verfügungsverfahren - geltend gemacht, sie hätten den Erbschein ohne weiteres herausgegeben, wenn sie von den testamentarischen Erben hierzu aufgefordert worden wären. Die Beantragung des Erbscheins beruhe allein auf der schuldlosen Unkenntnis anderweitiger Berechtigung. Umstände, die hiergegen sprechen würden sind nicht ersichtlich. Die Antragsgegner haben, nachdem sie von einem Erbenermittler auf den Erbfall aufmerksam gemacht worden waren, am 3. April 2003 einen gemeinschaftlichen Erbschein beantragt. Erstmals mit Verfügung des Nachlassgerichts vom 7. April 2005 erfuhren sie, dass sich bei der Akte zwei Testamente der Erblasserin befänden. Zugleich wurde ihnen aber mitgeteilt, dass die Testamente für die Erbfolge nicht maßgeblich seien. Danach hatten sie keine Veranlassung von ihrem Erbscheinsantrag Abstand zu nehmen. Am 19. September 2005 wurde dann der Erbschein erteilt. Die Antragsgegner hatten bis dahin keine Kenntnis von testamentarischen Erben. Nach Erhalt der einstweiligen Verfügung vom 11. Oktober 2005 im vorliegenden Verfahren haben die Antragsgegner den Anspruch des Antragstellers anerkannt und den Erbschein herausgegeben. Sie haben danach zu keiner Zeit Veranlassung zur Einleitung eines einstweiligen Verfügungsverfahrens gegeben. Nachdem der Kläger keinerlei Anhaltspunkte dafür hatte, dass die Antragsgegner bei Kenntnis der wahren Erbfolge in rechtswidriger Weise von dem Erbschein Gebrauch machen würden, war er zur Vermeidung der Kostenfolge des § 93 ZPO verpflichtet, zunächst mit den Antragsgegnern Kontakt aufzunehmen, bevor er zwei Verfahren gegen sie einleitet. Diese Wertung entspricht der Einschätzung des Erstgerichts im Hauptsacheverfahren, in dem der Antragsteller (dortiger Kläger) gemäß § 93 ZPO die Kosten des Verfahrens zu tragen hat.

In der Rechtsprechung wird auch in anderen Bereichen bei der Durchsetzung von Herausgabeansprüchen im Wege des einstweiligen Verfügungsverfahrens zur Vermeidung der Kostentragung des Antragstellers die Notwendigkeit einer vorherigen Abmahnung erörtert. Hierbei handelt es sich um Sequestrationsansprüche, die zusammen mit wettbewerbsrechtlichen, urheberrechtlichen oder markenrechtlichen Unterlassungsansprüchen geltend gemacht werden, bei denen eine vorherige Abmahnung regelmäßig gefordert wird (vgl. etwa OLG Frankfurt, Magazindienst 2006, 60 f.; OLG Braunschweig GRUR-RR 2005, 103; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1997, 1064; LG Hamburg, GRUR-RR 2004, 191). Daneben wird eine vorherige Abmahnung zur Vermeidung der Kostenfolge des sofortigen Anerkenntnisses im einstweiligen Verfügungsverfahren bei Unterlassungsansprüchen wegen Ehrverletzungen diskutiert (vgl. KG KGR 1999, 392; OLG Karlsruhe, NJW-RR 1987, 105). Das für äußerungs- und wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche entwickelte Abmahnerfordernis kann zwar wegen der verschiedenen Interessenlagen nicht ohne weiteres auf den Streitfall übertragen werden. Die Rechtssprechung zeigt jedoch, dass bei Prüfung der Voraussetzungen des letztlich auf Billigkeitsgesichtspunkten beruhenden § 93 ZPO, die Verpflichtung des Antragsgegners vor Beschreiten des Rechtswegs zunächst auf einfachere Weise sein Recht zu suchen, ein abwägungsrelevanter Faktor sein kann.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Der Streitwert für das Verfahren über den auf die Kosten beschränkten Widerspruch gegen eine im Beschlusswege erlassene einstweilige Verfügung bemisst sich nach den Kosten, die bis zur Einlegung des Widerspruchs angefallen sind (OLG München, ZUM-RD 2002, 244). Angefallen sind Gerichtskosten aus einem Streitwert von 26.667 € nach Ziff. 1410 des Kostenverzeichnisses in Höhe von 510 € (Vorblatt I.) und Anwaltskosten des Antragstellers in Höhe von 1.166,26 € (Bl. 49 d. A.).

Die Rechtsbeschwerde ist im Hinblick auf § 542 Abs. 2 ZPO nicht statthaft (BGH NJW 2003, 1531; OLG Braunschweig GRUR-RR 2005, 103, 104).

Ende der Entscheidung

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