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Gericht: Oberverwaltungsgericht Brandenburg
Beschluss verkündet am 10.02.2003
Aktenzeichen: 1 B 411/02
Rechtsgebiete: VwGO, GO, AmtsO
Vorschriften:
VwGO § 146 Abs. 4 | |
VwGO § 80 Abs. l1 | |
GO § 9 Abs. 1 | |
GO § 9 Abs. 3 | |
AmtsO § 1 Abs. 3 | |
AmtsO § 1 Abs. 4 | |
AmtsO § 1 Abs. 6 |
2. Die der Bildung der Ämter zugrunde liegenden öffentlich-rechtlichen Vereinbarungen (§ 1 Abs. 3 AmtsO) stehen aufgrund der Anpassungspflicht nach § 1 Abs. 4 AmtsO unter dem Vorbehalt einer Änderung durch Gemeindezusammenschlüsse nach § 9 Abs. 3 GO, welche ohne Zustimmung der übrigen amtsangehörigen Gemeinden möglich sind. Dieser Vorrang von Gemeindezusammenschlüssen gegenüber dem Mitgliederbestand von Ämtern schließt das Bestehen eines subjektiv-öffentlichen Rechts auf "Vertragstreue" hinsichtlich des Fortbestandes des Amtes aus.
OBERVERWALTUNGSGERICHT FÜR DAS LAND BRANDENBURG BESCHLUSS
In dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren
wegen Kommunalrechts (Genehmigung eines Gebietsänderungsvertrages);
hier: Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes
hat der 1. Senat
am 10. Februar 2003
durch den Präsidenten des ..., den Richter am ... und den Richter am ...,
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde der Antragstellerinnen gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 13. Dezember 2002 wird zurückgewiesen.
Der Antragstellerinnen tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Der Streitwert wird für beide Rechtszüge - unter Änderung der in dem angefochtenen Beschluss getroffenen Festsetzung - auf jeweils 15.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe:
Die gemäß § 146 Abs. 4 VwGO zulässige Beschwerde der Antragstellerinnen ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den (sinngemäßen) Antrag der Antragstellerinnen auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage (Verwaltungsgericht Cottbus, 4 K 2185/02) gegen die Bescheide des Antragsgegners vom 7. Mai 2002 (gerichtet an die Beigeladene zu 1.), vom 8. Mai 2002 (gerichtet jeweils an die Beigeladenen zu 2. und 3.) und vom 14. Mai 2002 (gerichtet an die Beigeladene zu 4.) zu Recht abgelehnt.
Die gerichtliche Überprüfung ist wegen des in § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO aufgestellten Darlegungserfordernisses auf die geltend gemachten Beschwerdegründe beschränkt, § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO (stand. Rspr. des Senats, vgl. nur Beschluss vom 2. Dezember 2002 - 1 B 388/02 -, S. 2 des Entscheidungsabdrucks m. w. N.). Nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO sind innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der erstinstanzlichen Entscheidung u. a. die Gründe darzulegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist; die Begründung muss sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen. Auf dieser Grundlage ist der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 13. Dezember 2002 nicht zu beanstanden; die Antragstellerinnen haben keine Gründe in dem vorgenannten Sinne dargelegt, die eine Fehlerhaftigkeit des erstinstanzlichen Beschlusses erkennen ließen.
1. Dies gilt zunächst hinsichtlich des Vorbringens der Antragstellerinnen, die Zulässigkeit der Klage sei keine gesetzlich normierte Voraussetzung für den Eintritt der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 1 VwGO und allenfalls bei offensichtlicher Unzulässigkeit könne diese Wirkung entfallen, nicht aber dann, wenn die Unzulässigkeit "das Ergebnis einer komplizierten Bewertung" sei, "die das Verwaltungsgericht fehlsam vorgenommen" habe (unter 2. der Beschwerdeschrift vom 19. Dezember 2002). Ausgehend von der - nach Maßgabe des Beschwerdevorbringens nicht zu beanstandenden (s. dazu unten 2. und 3.) - Würdigung des Verwaltungsgerichts, dass eine Verletzung der Antragstellerinnen durch die angefochtenen Verwaltungsakte von vornherein ausscheidet, entfaltet ihre danach offensichtlich unzulässige Klage keine aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 1 VwGO. Der Senat schließt sich insoweit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts an, wonach einem (offensichtlich) unzulässigen Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung zukommt (BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 1992 - 7 C 24/92 -, NJW 1993, 1610, 1611; vgl. auch etwa BayVGH, Beschluss vom 16. Dezember 1993 - 4 CS/CE 93.3206 -, BayVBl. 1994, 407, 408; OVG Berlin, Beschluss vom 1. Februar 1994 - 1 S 118/93 -, LKV 1994, 298; VGHBW, Urteil vom 1. Februar 1996 - 8 S 1961/95 -, NVwZ 1997, 594, 597). Ob eine Ausnahme hiervon für Fälle in Betracht kommt, bei denen die Klage- bzw. Widerspruchsbefugnis zweifelhaft ist (vgl. etwa OVG Hamburg, Beschluss vom 25. August 1987 - Bs VI 31/87 -, NVwZ 1987, 1002 f.), kann danach vorliegend offen bleiben (vgl. auch OVG SH. Beschluss vom 26. September 2000 - 2 M 21/00 -, NordÖR 2001, 304).
2. Die Antragstellerinnen können sich - entgegen ihrem Zulassungsvorbringen (unter 3. der Beschwerdeschrift) - nicht auf eine mögliche Verletzung von § 9 Abs. 3 Satz 5 GO berufen. Diese Bestimmung, wonach das Ministerium des Innern die Genehmigung des Zusammenschlusses (von Gemeinden durch Gebietsänderungsvertrag) insbesondere dann versagen kann, wenn durch den Zusammenschluss die Verwaltungskraft eines Amtes gefährdet würde, dient allein dem öffentlichen Interesse an der Sicherstellung funktionsfähiger Verwaltungsstrukturen auf gemeindlicher Ebene. Die mit der Beschwerde gegen die entsprechende Würdigung des Verwaltungsgerichts vorgebrachte Kritik greift nicht durch. Allerdings weisen die Antragstellerinnen zutreffend darauf hin, dass sich eine Gefährdung der Verwaltungskraft des Amtes negativ auf die amtsangehörigen Gemeinden, welche sich der Amtsverwaltung zur Erledigung ihrer Aufgaben bedienen, auswirken kann. Daraus folgt jedoch kein drittschützender Charakter der Bestimmung des § 9 Abs. 3 Satz 5 GO zu Gunsten der nach der Genehmigung des Zusammenschlusses weiterhin im Amt verbleibenden Gemeinden. Dem Antragsgegner obliegt es, im Rahmen des auf die Genehmigung nach § 9 Abs. 3 Satz 1 GO bezogenen Verfahrens zu prüfen, ob ein beabsichtigter Gemeindezusammenschluss von Gründen des öffentlichen Wohls getragen ist (§ 9 Abs. 1 GO; vgl. auch Art. 98 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 der Landesverfassung; vgl. ferner Beschluss des Senats vom 30. August 2002 - 1 E 94/02 -, S. 3 des Entscheidungsabdrucks). Die Auswirkungen des Zusammenschlusses auf die Verwaltungskraft des Amtes stellen insoweit lediglich einen der verschiedenen im öffentlichen Interesse zu berücksichtigenden Gemeinwohlgründe (vgl. zu diesem unbestimmten Rechtsbegriff BbgVerfG, Urteil vom 29. August 2002 - VerfGBbg 34/01 -, LKV 2002, 573, 575 m. w. N.) dar. Diese Auswirkungen sind dementsprechend allein im öffentlichen Interesse, nämlich, dem an der Sicherstellung funktionsfähiger Verwaltungsstrukturen, zu berücksichtigen, nicht jedoch (zugleich) im Individualinteresse des jeweiligen Amtes und der diesem (weiterhin) angehörigen Gemeinden. Ein subjektiv-öffentliches Recht auf Wahrung des Mitgliederbestandes im Falle einer Gefährdung der Verwaltungskraft des Amtes, wie es die Antragstellerinnen nach § 9 Abs. 3 Satz 5 GO für sich beanspruchen, würde auch dem Willen des Gesetzgebers, mit der Neufassung von § 9 Abs. 3 GO u. a. klarzustellen, dass (freiwillige) Gemeindezusammenschlüsse Vorrang gegenüber dem Mitgliederbestand von Ämtern haben (vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung zum Gesetz zur Förderung freiwilliger Gemeindezusammenschlüsse, LT-Drucks. 2/4905, S. 9, unter Hinweis auch auf die Anpassungspflicht nach § 1 Abs. 4 AmtsO), nicht gerecht. Dem objektiv-rechtlichen Verständnis von § 9 Abs. 3 Satz 5 GO entspricht es im Übrigen, dass die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Amt mit einer in bestimmter Form fortbestehenden Amtsverwaltung nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg grundsätzlich auch nicht von der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie umfasst wird (BbgVerfG, a.a.O., 573, 574; s. hierzu auch Beschluss des Senats vom heutigen Tage - 1 B 184/02 -, S. 6 f. des Entscheidungsabdrucks). Auch im Lichte eines etwa bestehenden - hier mangels entsprechender Darlegungen der Antragstellerinnen im Sinne von § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht näher zu betrachtenden - verfassungsrechtlichen Anspruchs darauf, dass den Gemeinden - soweit sie als amtsangehörige Gemeinden fortbestehen - eine funktionsfähige Amtsverwaltung zur Seite gestellt wird, ist eine subjektiv-rechtliche Deutung des § 9 Abs. 3 Satz 5 GO nicht geboten. Denn ein solcher etwaiger Anspruch wäre ebenfalls nicht auf den Fortbestand der Amtsverwaltung in der bisherigen Form bezogen (vgl. BbgVerfG, a.a.O., 573, 574), sondern ihm könnte gerade auch durch eine - vorliegend vom Antragsgegner mit dem Verfahren nach § 1 Abs. 6 AmtsO bereits in die Wege geleitete - Zuordnung der Gemeinden zu einem anderen Amt Rechnung getragen werden.
3. Die Antragstellerinnen können entgegen dem Beschwerdevorbringen auch keine Verletzung der "bei Gelegenheit der Bildung des Amtes getroffene[n] Vereinbarung zwischen" ihnen und den Beigeladenen durch die Genehmigung der von den Beigeladenen geschlossenen Gebietsänderungsverträge geltend machen (unter 4. und 5. der Beschwerdeschrift). Das Verwaltungsgericht hat insoweit zutreffend darauf abgestellt, dass den Gemeindezusammenschlüssen nach der Regelungssystematik von § 9 Abs. 3 GO und § 1 Abs. 4 AmtsO Vorrang gegenüber dem Mitgliederbestand eines Amtes zukommt. Dieser Vorrang entspricht nicht, wie die Antragstellerinnen meinen, nur "politischen Wünschen" und "Phantasien" des Antragsgegners, sondern er ergibt sich schon eindeutig aus dem Gesetz. Führt der Zusammenschluss von Gemeinden zu einer Änderung eines oder mehrerer Ämter, ist er ohne eine Zustimmung der übrigen amtsangehörigen Gemeinden und insbesondere ohne eine einvernehmliche Änderung der dem Amt bzw. den Ämtern zugrunde liegenden öffentlich-rechtlichen Vereinbarungen (§ 1 Abs. 3 AmtsO) möglich. Die übrigen Gemeinden des Amtes oder der Ämter sind vielmehr nach § 9 Abs. 3 Satz 4 GO zuvor lediglich zu hören, und es besteht, sofern der Zusammenschluss nachfolgend genehmigt wird, gemäß § 1 Abs. 4 AmtsO eine gesetzliche Pflicht zur Anpassung der öffentlich-rechtlichen Vereinbarungen nach § 1 Abs. 3 AmtsO. Der Wille des Gesetzgebers, mit § 9 Abs. 3 Satz 4 GO einen Vorrang der Gemeindezusammenschlüsse vor dem Mitgliederbestand von Ämtern klarzustellen (vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung zum Gesetz zur Förderung freiwilliger Gemeindezusammenschlüsse, LT-Drucks. 2/4905, S. 9), ist damit eindeutig zum Ausdruck gekommen. Die den Ämtern zugrunde liegenden öffentlich-rechtlichen Vereinbarungen stehen danach von Gesetzes wegen unter dem Vorbehalt einer Änderung in Folge von - ohne Zustimmung der übrigen amtsangehörgen Gemeinden möglichen - Zusammenschlüssen nach § 9 Abs. 3 GO. Dies verkennen die Antragstellerinnnen, soweit sie mit ihrem Beschwerdevorbringen geltend machen, dass die Anpassungspflicht nach § 1 Abs. 4 AmtsO einen Gemeindezusammenschluss ohne Verletzung von Rechten Dritter durch einen wirksamen Gebietsänderungsvertrag voraussetzen und es an einem solchen fehlen würde, wenn mit dem Gebietsänderungsvertrag ein "Vertragsbruch" hinsichtlich der dem Amt bzw. den Ämtern zugrunde liegenden öffentlich-rechtlichen Vereinbarungen einhergehe. Für ein subjektiv-öffentliches Recht der Antragstellerinnen auf Vertragstreue der Beigeladenen besteht danach von vornherein kein Raum. Soweit die Antragstellerinnen schließlich "ein ungeregeltes Chaos der 'Ämter-Ruinen' mit übergroßem Personalbesatz, einer sachlichen Ausstattung, die für den Ursprungsbestand der Gemeinden angeschafft worden ist und der unerfüllbaren Verpflichtung der Vertragstreuen Gemeinden, das Chaos, die übergroße Verwaltung mit eigenen Haushaltsmitteln zu finanzieren" befürchten, beschreiben sie denkbare Folgen von Zusammenschlüssen, aus denen sich das beanspruchte Recht auf Vertragstreue ebenfalls nicht ableiten lässt. Derlei Folgen ist vielmehr gegebenenfalls auf dem in § 1 Abs. 6 Satz 1 AmtsO vorgesehenen Wege zu begegnen, wonach das Ministerium des Innern die Auflösung von Ämtern anordnen und dabei auch Gemeinden anderen Ämtern zuordnen kann; dementsprechend beabsichtigt der Antragsgegner vorliegend ausweislich seines Anhörungsschreibens vom 9. Dezember 2002, zeitnah das Amt ... /... aufzulösen und die antragstellenden Gemeinden dem Amt... zuzuordnen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in §§ 13 Abs. 1 Satz 1, 14 Abs. 1, 20 Abs. 3, 25 Abs. 2 Satz 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Der Senat erachtet es in Anlehnung an den im Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Stand 1996, NVwZ 1996, 563) unter Nr. 19.5 für kommunalaufsichtsrechtliche Streitsachen zur Bewertung der Bedeutung der Sache für die Antragstellerinnen insgesamt angemessen, für jede der drei angefochtenen Genehmigungen einen Betrag von 10.000,00 Euro in Ansatz zu bringen und den sich ergebenden Betrag angesichts der Vorläufigkeit der begehrten Entscheidung zu halbieren; dementsprechend war die erstinstanzliche Streitwertfesetzung von Amts wegen zu ändern.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).
Ende der Entscheidung
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