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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 07.11.2003
Aktenzeichen: 12 A 750/01
Rechtsgebiete: SchwbG
Vorschriften:
SchwbG § 5 | |
SchwbG § 11 | |
SchwbG § 15 |
Tatbestand:
Der schwerbehinderte Kläger war seit Juni 1993 als Betreuungsassistent in einem vom Beigeladenen betriebenen Wohnheim tätig. Nach einem Arbeitsunfall mit mehrfachem Beinbruch im Juni 1997 war er arbeitsunfähig erkrankt. Im September 1997 beantragte der Beigeladene bei der Hauptfürsorgestelle des Beklagten die Erteilung der Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses und führte zur Begründung aus: Der Betreuungsvertrag für das Wohnheim, in dem der Kläger tätig sei, sei von der Stadt L. zum 28.2.1998 gekündigt worden, deshalb entfielen dort sämtliche Arbeitsplätze. Das Wohnheim werde in den ersten beiden Monaten des Jahres 1998 leergeräumt und abgewickelt. Die dabei durchzuführenden schweren körperlichen Arbeiten seien dem Kläger nicht zumutbar. Andere freie Arbeitsplätze stünden nicht zur Verfügung. Für das Jahr 1998 sei wegen Kündigung weiterer Betreuungsverträge mit dem Abbau weiterer Arbeitsplätze zu rechnen. Der Betriebsrat des Beigeladenen und die Schwerbehindertenvertretung traten der beabsichtigten Kündigung entgegen. In ihrer Stellungnahme führte sie u.a. aus, der Beigeladene trage als sozialer Verband seiner besonderen Fürsorgepflicht gegenüber Schwerbehinderten nicht Rechnung, die Beschäftigungsquote von 6 % erfülle er bei weitem nicht. Der Kläger machte bei seiner Anhörung geltend, es gebe für ihn andere Einsatzmöglichkeiten, er könne in anderen Einrichtungen des Beigeladenen als Sozialberater arbeiten, er würde auch andere Arbeiten annehmen und sei zu einem Wohnortwechsel bereit. Das Arbeitsamt erhob im Hinblick auf Art und Schwere der Behinderung des Klägers, die Lage und Entwicklung des Arbeitsmarkts und seine fehlende Qualifikation Bedenken gegen die beabsichtigte Kündigung. Im November 1997 erteilte die Hauptfürsorgestelle bei dem Beklagten die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Die gegen die daraufhin erklärte Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.12.1997 erhobene Kündigungsschutzklage wies das LAG K. unter Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung ab. Den Widerspruch gegen den Zustimmungsbescheid wies der Widerspruchsausschuss der Hauptfürsorgestelle bei dem Beklagten im November 1998 als unbegründet zurück. In der Sachverhaltsdarstellung der Gründe wurde u.a. ausgeführt, der Beigeladene habe keine Angaben zur Zahl der Arbeitsplätze gemacht, die Schwerbehindertenvertretung habe in einer ergänzenden Stellungnahme erklärt, der Beigeladene habe "die Pflichtquote nach dem Schwerbehindertengesetz nicht besetzt". Zur Begründung heißt es weiter: Nach einer umfassenden Gesamtabwägung der im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung nach dem Schutzzweck des Gesetzes zu berücksichtigenden Umstände sei im Ergebnis dem Interesse des Beigeladenen an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber dem Interesse des Klägers an der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses der Vorrang einzuräumen. Der Arbeitsplatz des Klägers sei aus betrieblichen Gründen entfallen. Zu dem maßgeblichen Zeitpunkt der Kündigung habe ein anderer freier und für den Kläger geeigneter Arbeitsplatz nicht zur Verfügung gestanden. Zugunsten des Klägers sei berücksichtigt worden, dass ihn eine Kündigung hart treffen werde. Auch die Stellungnahmen des Arbeitsamts, des Betriebsrats sowie der Schwerbehindertenvertretung seien berücksichtigt worden.
Das VG gab der darauf erhobenen Klage statt. Auf die zugelassenen Berufungen des Beigeladenen und des Beklagten wies der Senat die Klage ab.
Gründe:
1. Bei der Ausübung des besonderen Kündigungsschutzes nach § 15 SchwbG trifft die Hauptfürsorgestelle, soweit - wie hier - nicht die besonderen Voraussetzungen des § 19 SchwbG erfüllt sind, eine nicht durch spezifische Vorgaben eingeschränkte Ermessensentscheidung. Nach § 114 VwGO ist eine solche Entscheidung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren lediglich daraufhin zu überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Hierzu gehört die Kontrolle, ob die Behörde in ihre Ermessenserwägungen alle nach Sinn und Zweck des Gesetzes wesentlichen Gesichtspunkte eingestellt hat, ob sie dabei von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist und ob das Ergebnis ihrer Entscheidung auf Grund der vorzunehmenden Gewichtung der zu berücksichtigenden Gesichtspunkte sachgerecht ist.
a) Die Hauptfürsorgestelle (unter der Herrschaft des an die Stelle des Schwerbehindertengesetzes getretenen SGB IX: das Integrationsamt) hat sich bei ihrer Ermessensentscheidung von folgenden Leitlinien bestimmen zu lassen: Der Zweck des Schwerbehindertengesetzes als eines Fürsorgegesetzes besteht vor allem darin, mit seinen Vorschriften über den Sonderkündigungsschutz die Nachteile eines Schwerbehinderten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszugleichen. Der Schwerbehinderte soll vor den besonderen Gefahren, denen er wegen seiner Behinderung auf dem Arbeitsmarkt ausgesetzt ist, bewahrt werden. Es soll sicher gestellt werden, dass er gegenüber dem gesunden Arbeitnehmer nicht ins Hintertreffen gerät. Dies hat auch die Leitlinie bei der Ermessensentscheidung zu sein, ob der Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Schwerbehinderten zugestimmt wird. Sie bestimmt die Grenzen dessen, was zur Verwirklichung der dem Schwerbehinderten gebührenden weitgehenden Fürsorge dem Arbeitgeber zugemutet werden darf. Die Ermessensentscheidung erfordert deshalb eine Abwägung des Interesses des Arbeitgebers an der Erhaltung seiner Gestaltungsmöglichkeiten gegen das Interesse des schwerbehinderten Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes. Bei dieser Abwägung muss die Hauptfürsorgestelle berücksichtigen, ob und inwieweit die Kündigung die besondere, durch sein körperliches Leiden bedingte Stellung des einzelnen Behinderten im Wirtschaftsleben berührt. Dagegen ist es grundsätzlich nicht Aufgabe der Hauptfürsorgestelle, bei ihrer Entscheidung die allgemeinen sozialen Interessen des einzelnen Schwerbehinderten als Arbeitnehmer zu wahren. Der besondere Schutz des § 15 SchwbG ist dem Schwerbehinderten nämlich zusätzlich zu dem allgemeinen arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz gegeben.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 2.7.1992 - 5 C 51.90 -, BVerwGE 90, 287, sowie OVG NRW, Urteil vom 9.2.1996 - 24 A 2982/94 -.
Der Schwerbehindertenschutz stellt dann gesteigerte Anforderungen an die zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses führenden Gründe, wenn sie in der Beschädigung selbst ihre Ursache haben.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 18.9.1989 - 5 B 100.89 -, Buchholz § 15 SchwbG Nr. 2 m.w.N.
b) Ausgehend von diesen Leitlinien ist entgegen der Auffassung des Beigeladenen auch der Aspekt einer fehlenden Erfüllung der Beschäftigungspflicht nach § 5 Abs. 1 SchwbG bei der Ermessensausübung zu berücksichtigen. Nach dieser Vorschrift haben Arbeitgeber, die über mindestens 16 Arbeitsplätze verfügen, auf wenigstens 6 v.H. der Arbeitsplätze Schwerbehinderte zu beschäftigen.
Die Pflicht, den Umstand der Nichterfüllung der Beschäftigungspflicht nach § 5 Abs. 1 SchwbG in die Ermessensausübung einzustellen, ergibt sich aus dem primären Zweck der Vorschriften im Zweiten Abschnitt des Schwerbehindertengesetzes, auf die Einhaltung der dort normierten Beschäftigungspflicht hinzuwirken.
Vgl. ebenso auch etwa BayVGH, Urteil vom 6.7.1978 - Nr. 381 XII/75 -, br 1979, 42, sowie Seidel, MDR 1997, 804/808, und Zanker, br 1987, 54 f., sowie Steinbrück, in: Gemeinschaftskommentar zum SGB IX, Stand: Mai 2002, Rz. 239 zu der § 15 SchwbG entsprechenden Regelung des § 85 SGB IX.
Dementsprechend ist auch der früher für das Schwerbehindertenrecht zuständige 24. Senat des OVG NRW davon ausgegangen, dass die Frage, ob die Beschäftigungspflicht nach § 5 SchwbG vom Arbeitgeber erfüllt wird, von der für den schwerbehindertenrechtlichen Kündigungsschutz zuständigen Behörde in die Ermessensentscheidung nach § 15 SchwbG eingestellt werden kann.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 10.3.1999 - 24 A 2164/97 -, S. 16 des Urteilsabdrucks.
Dies stimmt auch mit dem rechtlichen Ansatz des BVerwG in der zu diesem Urteil ergangenen Revisionsentscheidung überein.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 11.11.1999 - 5 C 23.99 -, BVerwGE 110, 67 ff.
Die gegen eine Ermessensrelevanz der Nichterfüllung der Beschäftigungspflicht nach § 5 SchwbG im Rahmen von Zustimmungsentscheidungen gemäß § 15 SchwbG gerichteten Einwände greifen nicht durch:
Aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber für den Fall der Nichterfüllung der Beschäftigungsquote in § 11 Abs. 1 Satz 1 SchwbG eine Verpflichtung zur Zahlung einer Ausgleichsabgabe statuiert hat, kann entgegen der Ansicht des Beigeladenen nicht geschlossen werden, dass sich ihre Bedeutung darin erschöpft; dies zeigt bereits die ausdrückliche Regelung des § 11 Abs. 1 Satz 2 SchwbG, wonach die Zahlung der Ausgleichsabgabe die Pflicht zur Beschäftigung Behinderter nicht aufhebt.
Es kommt in diesem Zusammenhang des Weiteren nicht entscheidend darauf an, ob es sich bei der Frage der Erfüllung der Beschäftigungspflicht um einen individuellen, vom Schutzzweck des Schwerbehindertengesetzes erfassten Belang des Schwerbehinderten handelt, dessen Arbeitsverhältnis gekündigt werden soll. Im Einklang mit dem Zweck des Gesetzes wirkt sich die Nichterfüllung der Beschäftigungspflicht durch den Arbeitgeber jedenfalls dahin aus, dass sich das Gewicht seiner Belange im Rahmen der Abwägung zwischen seinen Interessen und denen des Schwerbehinderten verringert.
Gegen eine Berücksichtigung der Nichterfüllung der Beschäftigungspflicht bei Ermessensentscheidungen nach § 15 SchwbG kann auch nicht angeführt werden, dass eine Erfüllung der Pflicht nach § 5 SchwbG, und zwar nach § 19 Abs. 1 Satz 2 SchwbG, zu Gunsten des Arbeitgebers, der eine Zustimmung zur Kündigung beantrage, ermessensrelevant sei. Nach § 19 Abs. 1 Satz 2 SchwbG soll die Hauptfürsorgestelle unter den Voraussetzungen des Satzes 1 der Bestimmung (Gehaltszahlung von 3 Monaten nach dem Tag der Kündigung) die Zustimmung auch bei nicht nur vorübergehender wesentlicher Betriebseinschränkung erteilen, wenn die Gesamtzahl der verbleibenden Schwerbehinderten zur Erfüllung der Verpflichtung nach § 5 ausreicht. Aus dieser Ermessenseinschränkung zu Gunsten des Arbeitgebers kann nicht im Umkehrschluss gefolgert werden, dass in anderen Fällen eine Nichterfüllung der Beschäftigungspflicht generell unberücksichtigt bleiben müsse. Vielmehr belegt die Regelung, dass sich die Nichterfüllung der Beschäftigungspflicht zu Ungunsten des Arbeitgebers auswirkt, da er ansonsten bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 19 Abs. 1 Satz 2 SchwbG im Regelfall ("soll") gerade die Zustimmung beanspruchen könnte. Der darin zum Ausdruck kommenden Wertung entspricht es, dass die Nichterfüllung im Rahmen der Ermessensbetätigung nach § 15 SchwbG in dem vorstehend genannten Sinne berücksichtigt wird. Dies bedeutet nicht, dass bei Nichterfüllung der Beschäftigungspflicht grundsätzlich oder regelmäßig die Zustimmung zur Kündigung versagt werden müsste oder dass dieser Gesichtspunkt isoliert betrachtet zur Begründung einer Versagung der Zustimmung herangezogen werden könnte. Andererseits kann dieser Aspekt im Zusammenwirken mit weiteren, zu Gunsten des Arbeitnehmers sprechenden Umständen maßgebliche Bedeutung für die Abwägung erlangen. Dies kann etwa Fälle betreffen, in denen eine Weiterbeschäftigung gegebenenfalls nach behinderungsgerechter Umgestaltung anderweitig vorhandener Arbeitsplätze (vgl. hierzu auch § 14 SchwbG) in Betracht kommt.
2. Gemessen hieran hat der Beklagte sein Ermessen im Rahmen der für die gerichtliche Prüfung nach § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO maßgeblichen Widerspruchsentscheidung fehlerfrei ausgeübt.
a) Er ist von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen und hat die nach Lage der Dinge einzustellenden Gesichtspunkte berücksichtigt. (Wird ausgeführt)
b) Bei dem zugrundezulegenden Sachverhalt zu dem Entscheidungsergebnis einer Zustimmung zur Kündigung zu gelangen, war nicht sachwidrig.
Vgl. zu einem ähnlichen Sachverhalt etwa OVG NRW, Urteil vom 10.3.1999 - 24 A 2164/97 -.
Der Widerspruchsausschuss des Beklagten war ausgehend von den oben näher dargestellten Grundsätzen nicht gehalten, den in die Ermessensentscheidung einbezogenen Gesichtspunkt der Nichterfüllung der Beschäftigungsquote in der Weise zu würdigen und ihm ein derart starkes Gewicht zuzumessen, dass er die Zustimmung hätte versagen müssen. Vielmehr durfte er angesichts des betriebsbedingten Wegfalls des Arbeitsplatzes und fehlender Beschäftigungsalternativen beim Beigeladenen im Rahmen der Abwägung der verschiedenen ermessensrelevanten Aspekte ohne Weiteres zu dem letztlich im Tenor der Entscheidung ausgesprochenen Abwägungsergebnis kommen.
Ende der Entscheidung
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