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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 21.08.2009
Aktenzeichen: 15 B 1048/09
Rechtsgebiete: KAG NRW, WVG, VwGO
Vorschriften:
KAG NRW § 8 | |
WVG | |
VwGO § 146 |
Zur Reichweite der Prüfungsbeschränkung des Beschwerdegerichts nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO.
Tatbestand:
Die Antragstellerin war dingliches Mitglied eines Wasserverbandes und leitete die Abwässer ihres Industriebetriebs in die Verbandskläranlage. 1999 veräußerte sie die die dingliche Mitgliedschaft begründenden Grundstücke an einen Dritten, entwässerte ihren auf anderen Grundstücken befindlichen Betrieb aber weiter in die Verbandskläranlage. Nach entsprechender Aufforderung durch den Verband und die Gemeinde beendete die Antragstellerin im Juni 2009 die Einleitung in Verbandskläranlage und schloss den Betrieb an das gemeindliche Entwässerungsnetz an. Bereits im April 2009 zog die Antragsgegnerin, die Betriebsleitung des gemeindlichen Abwassereigenbetriebs, die Antragstellerin zu einem Kanalanschlussbeitrag heran. Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung der gegen den Bescheid gerichteten Anfechtungsklage anzuordnen, blieb vor dem VG gänzlich, in der Beschwerdeinstanz vor dem OVG zum weit überwiegenden Teil ohne Erfolg.
Gründe:
Dem Antrag der Antragstellerin ist aus den im Beschwerdeverfahren dargelegten, vom Senat alleine zu prüfenden Gründen (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) nur in einem geringen Umfang stattzugeben.
Gegen die Beitragsfestsetzung bestehen nicht deshalb nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage (§ 80 Abs. 1 und 2 Nr. 1 VwGO) begründende ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides im Sinne des entsprechend anzuwendenden § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO, weil der Bescheid in festsetzungsverjährter Zeit ergangen wäre (§ 12 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KAG NRW i.V.m. §§ 169 Abs. 1 Satz 1, 170 Abs. 1 AO). Das ist nämlich nicht der Fall, weil die Beitragspflicht erst mit dem tatsächlichen Anschluss der hier veranlagten Grundstücke im Juni 2009 entstanden ist, so dass der Beitragsbescheid nicht nur nicht in festsetzungsverjährter Zeit, sondern sogar zu früh ergangen ist.
Vor dem tatsächlichen Anschluss konnte durch die Möglichkeit des Anschlusses an den gemeindlichen Kanal die Beitragspflicht nicht entstehen. Zwar ist dies gemäß § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG NRW regelmäßig der Fall, jedoch dann nicht, wenn durch die gebotene Möglichkeit des Anschlusses an die gemeindliche Entwässerungsanlage kein wirtschaftlicher Vorteil im Sinne des § 8 Abs. 2 Satz 2 KAG NRW geboten wird. Der wirtschaftliche Vorteil der Möglichkeit des Anschlusses an die gemeindliche Entwässerungsanlage besteht bei - wie hier - bebauten Grundstücken in der Erhöhung des Gebrauchswertes dahin, dass erst durch die zur Inanspruchnahme angebotene Entwässerungsanlage eine nur provisorische Entwässerung durch eine endgültige und ordnungsgemäße Erschließung ersetzt wird. Verfügte das Grundstück also bereits über eine endgültige und ordnungsgemäße Entwässerung, kann die bloße Möglichkeit des Anschlusses an die gemeindliche Entwässerungsanlage die Beitragspflicht mangels Gewährung dieses wirtschaftlichen Vorteils nicht entstehen lassen. Vielmehr kann diese dann erst durch tatsächlichen Anschluss entstehen.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 22.1.2008 - 15 A 488/05 -, NRWE Rn. 31, 43 ff.
So liegt der Fall hier: Die Antragstellerin war als Rechtsnachfolgerin der Molkerei M. bis 1999 dingliches Mitglied im Abwasserreinigungs- und Verwertungsverband (im Folgenden: Verband), da sie Eigentümerin der Grundstücke Gemarkung T., Flur 15, Flurstücke 4, 5 und 6 war, die die dingliche Mitgliedschaft im Verband begründeten.
Vgl. zu den dinglichen Mitgliedern § 3 Nr. 1 der Ersten Verordnung über Wasser- und Bodenverbände vom 3.9.1937 in der zuletzt geltenden Fassung, BGBl. III 753-2-1, (WVVO); zur Maßgeblichkeit dieser Regelung auch nach Inkrafttreten des Wasserverbandsgesetz vom 12.2.1991 (BGBl. I S. 405, - WVG -) vgl. § 79 Abs. 1 und 2 WVG.
Die hier in Rede stehenden, zum Anschlussbeitrag veranlagten Grundstücke wurden in die Verbandskläranlage entwässert. Daher bestand für sie eine endgültige und ordnungsgemäße Entwässerung, die kein bloßes Provisorium war, so dass die bloße Möglichkeit des Anschlusses an den gemeindlichen Kanal nicht erstmalig eine auf Dauer angelegte Grundstücksentwässerung angeboten hat.
Entgegen der Auffassung der Antragstellerin kann diese Qualität der Entwässerung nicht damit verneint werden, dass die hier veranlagten Grundstücke nicht zum Verband gehörten in dem Sinne, dass sie nicht die dingliche Mitgliedschaft begründeten. Dies hat allein zur Folge, dass die Mitgliedschaft der Antragstellerin nicht auf ihrer Stellung als Eigentümerin dieser Grundstücke beruhte und dass diese Grundstücke im Gegensatz zu den die dingliche Mitgliedschaft begründenden Grundstücken vom Verband nicht zur Durchführung seines Unternehmens in Anspruch genommen werden durften (vgl. § 22 Abs. 1 WVVO, heute § 33 Abs. 1 WVG). Das ändert aber nichts daran, dass die Antragstellerin Mitglied war und als Ausfluss des Mitgliedschaftsrechts ihr Abwasser in die Verbandskläranlage leiten durfte.
Vgl. dazu, dass das "elementarste Recht des Mitglieds sein Anspruch auf Benutzung der Verbandsanlagen" ist, Rapsch, Wasserverbandsrecht, Rn. 145.
Der Verband ist eine mitgliedschaftlich organisierte juristische Person ohne den Charakter einer Gebietskörperschaft (vgl. §§ 1 Abs. 1, 4 Abs. 3 WVVO; heute § 1 WVG), wie es etwa eine Gemeinde ist (§ 1 Abs. 2 GO NRW). Für eine Gebietskörperschaft ist kennzeichnend, dass sie Herrschaft über ein Territorium ausübt. Demgegenüber verfügt der hier in Rede stehende Verband im Rechtssinne nicht über ein Verbandsgebiet, wenngleich mit diesem Begriff untechnisch die die dingliche Mitgliedschaft begründenden Grundstücke bezeichnet werden.
Vgl. Kaiser/Linckelmann/Schleberger, Wasserverbandverordnung, § 4 Anm. 5.
Daher ist das Recht zur Benutzung der Verbandsanlagen durch ein Mitglied nicht davon abhängig, dass das Abwasser aus Grundstücken stammt, die die dingliche Mitgliedschaft begründen. Vielmehr kommt es alleine darauf an, dass das Mitglied sein Abwasser einleitet. Im Übrigen wäre eine Beschränkung auf die die dingliche Mitgliedschaft begründenden Grundstücke hier kaum sinnvoll: Wie dem vom Antragsgegner zu den Akten gereichten Plan zu entnehmen ist, befinden sich auf diesen Grundstücken die Kläreinrichtungen des Verbandes, nicht aber die Produktionsstätten der Antragstellerin bzw. ihrer Rechtsvorgängerin, die erst den Entwässerungsbedarf nach sich ziehen.
Somit ist der angegriffene Bescheid nicht nur nicht in festsetzungsverjährter Zeit, sondern sogar zu früh vor Entstehen der Beitragspflicht ergangen. Da die Beitragspflicht inzwischen durch tatsächlichen Anschluss entstanden ist, ist der Mangel geheilt.
Vgl. zur Heilung eines Beitragsbescheides ex nunc durch Entstehen der Beitragspflicht OVG NRW, Urteil vom 29.4.2005 - 15 A 2667/02 -, S. 15 des amtlichen Umdrucks.
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Beitragsbescheides im Sinne von § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO bestehen somit alleine in Bezug auf das Zahlungsgebot zum Fälligkeitstag auf S. 2 des Bescheides zum 14.4.2009. Da die Beitragspflicht - wie oben ausgeführt - erst mit dem tatsächlichen Anschluss im Juni 2009 entstanden ist, durfte dieses Zahlungsgebot zu dem vor dem Entstehen der Beitragspflicht liegende Fälligkeitsdatum nicht gesetzt werden. Insoweit bedarf es einer erneuten Entscheidung der Antragsgegnerin über das Zahlungsgebot.
Der Senat ist trotz der Prüfungsbeschränkung auf die dargelegten Gründe nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO berechtigt, den vorgenannten Umstand zu frühen Erlasses des Bescheides zu berücksichtigen, obwohl die Antragstellerin, die im Gegenteil Festsetzungsverjährung geltend gemacht hat, jenen Grund nicht dargelegt hat. Das ergibt sich aus Folgendem: Die prozessuale Prüfungsbeschränkung betrifft nur Angriffe des Beschwerdeführers gegen die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung. Daraus folgt, dass das Beschwerdegericht vom VG nicht herangezogene Gründe, die aber dessen Entscheidung im Ergebnis tragen, uneingeschränkt berücksichtigen kann.
H.M. trotz unterschiedlichen Verständnisses der Prüfungsbeschränkung im Einzelnen, vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 146 Rn. 43; Guckelberger, in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 146 Rn. 101, 102, 104, 106, 107, 114.
Muss also das Beschwerdegericht vom VG nicht herangezogene Gründe zu Gunsten der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung und damit zu Gunsten des Beschwerdegegners berücksichtigen, gebietet es die Waffengleichheit, dass sich aus diesen Gründen ergebende Gesichtspunkte zu Gunsten des Beschwerdeführers ebenfalls berücksichtigt werden müssen.
Ende der Entscheidung
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