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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 12.01.2007
Aktenzeichen: 15 E 1/07
Rechtsgebiete: VwGO, GG, LHO
Vorschriften:
VwGO § 40 | |
GG Art. 3 Abs. 1 | |
GG Art. 19 Abs. 4 | |
LHO § 55 |
Tatbestand:
Die Klägerin beteiligte sich an einer Ausschreibung der Beklagten. Nachdem die Beklagte der Klägerin vor Zuschlagerteilung mitgeteilt hatte, ihr Angebot könne nicht berücksichtigt werden, erhob die Klägerin Klage vor dem VG. Die Beklagte sicherte zu, den Zuschlag nicht vor einer rechtskräftigen Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs zu erteilen. Auf die erhobene Rechtswegrüge der Beklagten entschied das VG vorab durch Beschluss, dass der Verwaltungsrechtsweg gegeben sei. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Beklagten wies das OVG zurück und ließ wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtswegfrage die weitere Beschwerde zum BVerwG zu.
Gründe:
Das VG hat den Verwaltungsrechtsweg zu Recht bejaht.
Gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg - vorbehaltlich der in § 40 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 VwGO geregelten Sonderfälle, die hier nicht vorliegen - gegeben in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art. Die Klägerin begehrt in dem von ihr anhängig gemachten Rechtsstreit ausdrücklich, der Beklagten aufzugeben, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über die Erteilung des Zuschlags in dem näher bezeichneten Vergabeverfahren zu entscheiden. Sie wendet sich damit gegen die Entscheidung der Beklagten, ihr Angebot von vornherein von der Wertung auszuschließen. Sinngemäß beantragt sie daher, der Beklagten aufzugeben, im näher bezeichneten Vergabeverfahren vor der Erteilung des Zuschlags die Wertung ihres Angebote unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu wiederholen. Dieser Rechtsstreit ist öffentlich-rechtlicher und nichtverfassungsrechtlicher Art.
Nach der Rechtsprechung des Senats ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben, wenn vor Erteilung des Zuschlags Primärrechtsschutz gegen die Vergabe solcher öffentlichen Aufträge begehrt wird, auf die gemäß § 100 GWB die §§ 97 ff. GWB nicht anwendbar sind.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 11.8.2006 - 15 E 880/06 - , NVwZ-RR 2006, 771 m.w.N.
Dieser Rechtsprechung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Der Rechtsweg richtet sich nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird. Gleichordnungsverhältnisse werden als öffentlich rechtlich angesehen u.a., wenn die sie beherrschenden Rechtsnormen sich nur an Hoheitsträger wenden bzw. wenn der Sachverhalt einem Sonderrecht der Träger öffentlicher Aufgaben unterworfen ist und nicht Rechtssätzen, die für jedermann gelten.
Vgl. Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 10.7.1989 - GmS-OGB 1/88 -, BGHZ 108, 284 286.
Ein Anspruch eines Bieters, mit dem der Zuschlag an einen Mitbieter verhindert werden soll, leitet sich aus einem öffentlich-rechtlichen (Gleichordnungs-)Verhältnis zwischen der den Auftrag vergebenden Stelle und den Bietern ab. Der öffentlich-rechtliche Charakter dieses Rechtsverhältnisses folgt daraus, dass es (Sonder-) Regelungen unterworfen ist, die nur für Träger öffentlicher Aufgaben gelten.
Bei komplexen rechtlichen Beziehungen mit zudem mehreren Beteiligten besteht im Hinblick auf die Rechtswegbestimmung nicht die Notwendigkeit und häufig auch nicht die Möglichkeit, die Rechtsbeziehungen einem einheitlich zu beurteilenden Rechtsverhältnis zuzuordnen. Vielmehr können in derartigen Fällen durchaus mehrere Rechtsverhältnisse mit ggf. unterschiedlichen Rechtswegzuständigkeiten gegeben sein. Davon ausgehend ist für die Rechtswegbestimmung in Verfahren der vorliegenden Art nicht abzustellen auf das mit Zuschlagerteilung entstehende - als privatrechtlich zu qualifizierende - Rechtsverhältnis zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer. Aus diesem zweiseitigen Rechtsverhältnis leitet sich der von dem Bieter geltend gemachte Anspruch nicht her. Denn der Bieter will gerade verhindern, dass ein derartiges Rechtsverhältnis zwischen dem Auftraggeber und dem Mitbieter zustande kommt. Maßgeblich ist vielmehr das dem Vertragsschluss vorgeschaltete mehrseitige Rechtsverhältnis zwischen den Bietern und der den Auftrag vergebenden Stelle betreffend die Auswahl des Bieters.
Vgl. zum Sonderfall des Rechtsschutzantrages eines Nichtbieters: OVG NRW, Beschluss vom 4.5.2006 - 15 B 692/06 -, DÖV 2006, 657.
Dem streng formalisierten und durch ausschließlich für Träger öffentlicher Gewalt geltende Regelungen geprägten Auswahlverfahren kommt gegenüber dem sich daran anschließenden und erst mit dem Zuschlag begründeten privatrechtlichen Vertragsverhältnis zwischen dem Auftraggeber und dem den Zuschlag erlangenden Bieter besonderes Gewicht i.S. einer selbständigen ersten Verfahrensstufe zu. Hieran schließt sich, beginnend mit dem durch den Zuschlag bewirkten Abschluss eines zivilrechtlichen Vertrages, eine zweite Verfahrensstufe an. Zwar findet die erste Verfahrensstufe - im Gegensatz zur zweiten - ihren Abschluss nicht mit einer eigenständigen formalisierten Entscheidung. Das Erfordernis zweier äußerlich voneinander getrennter, zeitlich aufeinander folgender Entscheidungen einer Behörde ist aber kein Strukturmerkmal zweistufiger Rechtsverhältnisse. Diese können vielmehr auch dann vorliegen, wenn die erste Verfahrensstufe mit einer internen Entscheidung endet, die der zweiten Verfahrensstufe - wie hier - logisch vorgeschaltet ist.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 6.6.1958 - BVerwG VII C 227.57 -, BVerwGE 7, 89,91.
Das Verfahren der Auftragsvergabe durch Träger öffentlicher Gewalt unterscheidet sich auf Grund seiner Zweistufigkeit grundlegend von der Auftragsvergabe durch Private im Übrigen. Das Zivilrecht wird bestimmt durch den Grundsatz der Privatautonomie, wonach die Einholung von Angeboten und deren Auswahl grundsätzlich der freien, rechtlich nicht determinierten Entscheidung des Einzelnen überlassen bleibt. Dementsprechend sind diese Verfahrensschritte in der Regel nicht Gegenstand eigener rechtlicher Betrachtung. Diese konzentriert sich vielmehr auf den Vertragsschluss und die Vertragsabwicklung, deren Rechtsqualität auch die vorvertragliche Phase bestimmt. Demgegenüber kommt bei der Auftragsvergabe durch Träger öffentlicher Gewalt - mag sie auch in einen privatrechtlichen Vertrag einmünden - gerade auch der Angebotseinholung und -auswahl besondere rechtliche Bedeutung zu. Nach § 55 LHO muss dem Abschluss von Verträgen über Lieferungen und Leistungen eine öffentliche Ausschreibung vorausgehen, sofern nicht die Natur des Geschäfts oder besondere Umstände eine Ausnahme rechtfertigen. Beim Abschluss von Verträgen ist nach einheitlichen Richtlinien zu verfahren. Gemäß VV Nr. 2.1 zu § 55 LHO gelten für die Vergabe von Lieferungen und Leistungen insbesondere die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB) sowie die Verdingungsordnungen für Leistungen (VOL) und freiberufliche Leistungen (VOF). Für die Vergabe von Aufträgen durch Gemeinden bestimmt § 25 Abs. 2 der GemHVO, dass die Vergabebestimmungen anzuwenden sind, die das Innenministerium bekannt gibt. Nach Ziffern 4 bis 6 des insoweit maßgeblichen Runderlasses des Innenministeriums vom 22.3.2006 (MBl. NRW. 2006, S.222) sollen bei Aufträgen unterhalb der EU-Schwellenwerte grundsätzlich die Teile A (Abschnitt 1), B und C der VOB angewendet werden bzw. wird die Anwendung der Teile A (Abschnitt 1) und B der VOL empfohlen. Die Anwendung der VOF wird insoweit nicht vorgeschrieben. Die jeweils anzuwendenden Regelwerke enthalten im Interesse der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Haushaltsführung und eines fairen Wettbewerbs allein für öffentliche Auftraggeber geltende detaillierte Regelungen des Ausschreibungsverfahrens, insbesondere auch der Berücksichtigungsfähigkeit von Angeboten und der Erteilung des Zuschlags. Die damit verbundene rechtliche Ausgestaltung des Vergabeverfahrens in der Phase vor dem eigentlichen Vertragschluss gebietet es, die insoweit bestehenden Rechtsbeziehungen im Hinblick auf die Zuordnung zum öffentlichen oder privaten Recht eigenständig zu würdigen und die Qualifizierung nicht ausschließlich aus der Perspektive des späteren Vertragsschlusses vorzunehmen.
Das auf der Ebene der Gleichordnung liegende Auswahlverhältnis ist als öffentlich-rechtlich zu qualifizieren, weil es mit den haushalts- und vergaberechtlichen Vorschriften sowie Art. 3 Abs. 1 GG durch Sonderrecht der Träger öffentlicher Gewalt geprägt wird.
OVG NRW, Beschlüsse vom 4.5.2006 - 15 E 453/06 -, NVwZ 2006, 1083 und vom 20.9.2005 - 15 E 1188/05 -, NZBau 2006, 67; OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 25.5.2005 - 7 B 10356/05 -, DVBl. 2005, 988; Sächs. OVG, Beschluss vom 13.4.2006 - 2 E 270/05 -; Sodan, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Auflage 2005, § 40 Rn. 339; Kopp/Schenke, VwGO, § 40 Rn. 25 a; Huber, Der Schutz des Bieters im öffentlichen Auftragswesen unterhalb der sog. Schwellenwerte, JZ 2000, 877, 881; vgl. auch Pietzcker, Defizite beim Vergaberechtschutz, unterhalb der Schwellenwerte?, NJW 2005, 2881, 2883; a.A. - unter Verneinung der Zweistufigkeit des Vergabeverfahrens - Nds. OVG, Beschluss vom 14.7.2006 - 1 B 26/06 -; Schneider/Häfner, Anmerkung zu OVG Rh.-Pf., a.a.O., DVBl. 2005, 989; Ruthig, Verwaltungsrechtsschutz bei der staatlichen Auftragsvergabe ?, NZBau 2005, 497; Jaeger, Rechtsschutz bei De-facto-Vergaben, ZWeR 2006, 366, 380 ff.; Dabrinhausen/Sroka, Vergaberechtlicher Primärrechtsschutz auch unterhalb der EU-Schwellenwerte durch Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges?, VergabeR 2006, 462.
Das nordrhein-westfälische Vergaberecht ist - wie das deutsche Vergaberecht insgesamt - traditionell ein spezieller Teil des Haushaltsrechts und teilt deshalb dessen öffentlich-rechtlichen Charakter. Dies gilt auch für die oben genannten Vergabe- und Verdingungsordnungen. Nach VV Nr. 3.2 zu § 55 LHO ist in den Verdingungsunterlagen ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass die VOB und VOL nicht Vertragsbestandteil werden, sondern den Charakter von Dienstanweisungen an die Dienststellen tragen. Die Anwendung dieser Regelungen ist durch VV Nr. 2.1 zu § 55 LHO im Innenverhältnis gegenüber den Trägern öffentlicher Gewalt verbindlich vorgegeben und kann nach Maßgabe des Gleichbehandlungsgebots des Art. 3 Abs. 1 GG im Außenverhältnis auch von Bietern gefordert werden. Dass die angeführten Verdingungsordnungen nicht nur dem öffentlichen Interesse an der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Haushaltsführung dienen, sondern daneben gerade auch den Interessen der Bieter an einem fairen Wettbewerb wird durch die in § 2 VOB/A, § 2 VOL/A und § 4 VOF vorgegebenen Vergabegrundsätze verdeutlicht.
Zum - insoweit allerdings begrenzten - materiellen Schutzumfang vgl. OVG NRW, Beschluss vom 4.5.2006 - 15 B 692/06 -, a.a.O.
Über Art. 3 Abs. 1 GG kommt den einschlägigen Vergabe- und Verdingungsordnungen als öffentlich-rechtlichen Rechtssätzen des Innenrechts mittelbar auch Wirkung für die Außenrechtsbeziehung zwischen der den Auftrag vergebenden Stelle und den Bietern zu. Infolge dessen prägt der öffentlich-rechtliche Charakter dieser Innenrechtssätze auch die Rechtsnatur des Auswahlverfahrens.
Soweit ein Konkurrent nach Maßgabe des Art. 3 Abs. 1 GG eine gleichheitsgemäße Anwendung der Verdingungs- und Vergabeverordnungen verlangen kann, verfügt er über ein subjektives Recht, für das Rechtsschutz gewährleistet sein muss. Zwar schließt die grundgesetzliche Garantie wirkungsvollen Rechtsschutzes Einschränkungen nicht aus, wenn im Einzelfall widerstreitende grundrechtlich fundierte Interessen zum Ausgleich zu bringen sind. Hierbei müssen nicht nur die betroffenen Belange angemessen gewichtet werden, vielmehr ist in Bezug auf die Auswirkungen der Regelung auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.5.2006 - 1 BvR 2530/04 -.
Der Senat kann offen lassen, ob hiernach eine Begrenzung des dem Konkurrenten eröffneten Primärrechtsschutzes zulässig wäre. Jedenfalls bedürfte sie nach der sog. Wesentlichkeitstheorie einer gesetzlichen Grundlage, die hierfür fehlt.
Vgl. den der Entscheidung des BVerfG, Beschluss vom 23.5.2006, a.a.O., zu Grunde liegenden Fall, in dem eine entsprechende Regelung in Gestalt von § 6 Abs. 1 InsO gegeben war.
Eine dementsprechende Regelung ist insbesondere nicht in §§ 97 ff. GWB enthalten, denn dort wird lediglich der Rechtsschutz für den - hier nicht gegebenen - Fall geregelt, dass Aufträge die Schwellenwerte erreichen oder überschreiten. Ein Rechtswegausschluss auch für Vergaben unterhalb der Schwellenwerte kann §§ 97 ff. GWB nicht entnommen werden.
Die vorstehenden Überlegungen werden durch das Beschwerdevorbringen der Beklagten nicht in Frage gestellt. Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf den von ihr angeführten Beschluss des BVerfG.
BVerfG, Beschluss vom 13.6.2006 - 1 BvR 1160/03 -, NJW 2006, 3701.
Dieser betrifft nicht die Frage, welcher Rechtsweg für den vergaberechtlichen Primärrechtsschutz unterhalb der Schwellenwerte eröffnet ist, sondern er legt - bei Unterstellung des vom Fachgericht auf der Grundlage einfachen Rechts als gegeben angesehenen Rechtswegs - die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die inhaltliche Ausgestaltung dieses Rechtsschutzes dar.
Der Entscheidung des BVerfG sind auch im Übrigen keine Aussagen zur Rechtswegfrage in der im vorliegenden Verfahren gegebenen Konstellation zu entnehmen. Die Wertung des BVerfG, die Vergabeentscheidung erfolge mangels eines Über/ Unterordnungsverhältnisses nicht in Ausübung öffentlicher Gewalt i.S.v. Art. 19 Abs. 4 GG, besagt nichts darüber, ob das hier in Rede stehende, die Bieterauswahl betreffende Gleichordnungsverhältnis als öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich zu qualifizieren ist.
Die weitere Beschwerde wird gemäß § 17 a Abs. 4 Sätze 4 und 5 GVG zugelassen. Der Frage, welcher Rechtsweg für den Primärrechtsschutz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge gegeben ist, auf die gemäß § 100 GWB die §§ 97 ff. GWB nicht anwendbar sind, kommt grundsätzliche Bedeutung zu.
Ende der Entscheidung
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