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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 15.10.2004
Aktenzeichen: 18 B 2140/03
Rechtsgebiete: AuslG


Vorschriften:

AuslG § 53 Abs. 6 S. 1
Schwere psychische Erkrankungen wie depressive Syndrome, insbesondere posttraumatische Belastungsstörungen, sind nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand im Kosovo durch medikamentöse sowie eine in gewissem Umfang zur Verfügung stehende gesprächstherapeutische Behandlung grundsätzlich soweit behandelbar, dass konkrete individuelle existentielle Leibes- und Lebensgefahren für in die Provinz Kosovo zurückgeführte Personen nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit festzustellen sind.
Tatbestand:

Die wegen unerlaubter Einreise vollziehbar ausreisepflichtige Antragstellerin ist Staatsangehörige von Serbien und Montenegro aus dem Kosovo. Einen Asylantrag hat sie nicht gestellt. Sie betreibt ein auf die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis gerichtetes Klageverfahren, in welchem sie sich auf das Bestehen einer schweren psychosomatischen Erkrankung in Form einer sog. posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) beruft. Auf ihren entsprechenden Antrag hin verpflichtete das VG durch Beschluss vom 24.9.2003 die Antragsgegnerin als Ausländerbehörde, die Antragstellerin bis zum rechtskräftigen Abschluss ihres Klageverfahrens zu dulden, weil das Gericht nach dem ihm damals vorliegenden Erkenntnismaterial davon ausging, dass die Erkrankung der Antragstellerin wegen ungenügender Behandlungsmöglichkeiten im Kosovo zu einer erheblichen konkreten Gefahr für deren Leib und Leben führen könne.

Die dagegen von der Antragsgegnerin erhobene Beschwerde hatte Erfolg.

Gründe:

Die durch den angefochtenen Beschluss ergangene einstweilige Anordnung, durch die die Antragsgegnerin verpflichtet wurde, die Antragstellerin bis zum rechtskräftigen Abschluss ihres Klageverfahrens zu dulden, ist aufzuheben.

Der auf eine solche Duldung gerichtete Antrag der Antragstellerin ist abzulehnen, weil sie einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht hat (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO).

Die Antragsgegnerin hat sich in ihrer Beschwerdebegründung zu Recht gegen die Würdigung des VG gewandt, dass das von der Antragstellerin als Erkrankung geltend gemachte Vorliegen einer sog. PTBS im Falle ihrer Rückkehr in ihr Heimatland zu einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib und Leben solchen Ausmaßes führen könne, dass dies voraussichtlich ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG begründen würde.

Zwar mag aufgrund der Atteste des Klinikums D. und des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Sch. davon ausgegangen werden, dass die Antragstellerin an einer PTBS leidet. Dies führt jedoch für sich genommen nicht auf einen Duldungsanspruch. Vielmehr ist für den Fall der Geltendmachung vermehrter gesundheitlicher Komplikationen infolge von Behandlungsproblemen nach der Rückkehr in das Heimatland in der Rechtsprechung des BVerwG - vgl. Urteile vom 25.11.1997 - 9 C 58.96 -, BVerwGE 105, 383 = NVwZ 1998, 524 = DVBl. 1998, 284 = InfAuslR 1998, 189, vom 27.4.1998 - 9 C 13.97 -, InfAuslR 1998, 409 = NVwZ 1998, 973 und vom 29.7.1999 - 9 C 2.99 -, JURIS - und des erkennenden Gerichts - vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 24.6.2002 - 18 B 965/02 -, m.w.N., und vom 11.3.2004 - 18 B 1120/03 - geklärt, dass ein Abschiebungshindernis im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG durch unzureichende Behandlungsmöglichkeiten im Heimatland nur dann begründet wird, wenn die konkrete erhebliche Gefahr besteht, dass sich die Krankheit des ausreisepflichtigen Ausländers alsbald nach seiner Rückkehr in seinen Heimatstaat wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern wird. Eine nicht zu erwartende Heilung einer Erkrankung im Zielland stellt keine Verschlimmerung in diesem Sinne dar. Insbesondere können die Voraussetzungen für ein gesundheitsbedingtes Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG nicht an deutschen Standards gemessen sowie an Qualität und Dichte der Gesundheitsversorgung im Abschiebungszielland einschließlich Kostenbeteiligung des Betroffenen keine der hiesigen Gesundheitsversorgung entsprechende Anforderungen gestellt werden.

Vgl. dazu OVG NRW, Beschluss vom 17.9.2004 - 13 A 3598/04.A -.

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat der Senat bei Würdigung der eingereichten, die darlegungs- und beweispflichtige Antragstellerin betreffenden Atteste keine hinreichenden, den Anforderungen an die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruches genügenden Anhaltspunkte dafür, dass bei der Antragstellerin im Falle ihrer Rückkehr in ihr Heimatland eine wesentliche oder gar lebensbedrohende Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten ist.

Dem letzten Attest des Arztes Sch. zufolge wird zur psychischen Stabilisierung der Antragstellerin gegenwärtig in vierwöchigem Abstand eine traumaspezifische (Gesprächs-)Therapie und eine Medikation durchgeführt. Dieser Arzt geht zwar davon aus, dass sich die Erkrankung der Antragstellerin im Falle einer zwangsweisen Ausreise in ihr Heimatland wegen der "Konfrontation mit den auslösenden Umgebungsfaktoren" wie Örtlichkeiten, Menschen mit gleichen Traumaerlebnissen, Gräbern usw. erheblich verschlimmern würde und die Gefahr der Selbsttötung bestehe, wenn kein anderer Ausweg aus der sich extrem zuspitzenden intrapsychischen Situation gesehen werde.

Diese Einschätzung beruht aber erklärtermaßen auf der Annahme des Arztes, dass eine traumaspezifische Therapie im Heimatland der Antragstellerin nicht möglich sei. Diese Prämisse trifft nach dem aktuellen Erkenntnismaterial, das dem Senat gegenwärtig vorliegt, nicht zu. Vielmehr sind schwere psychische Erkrankungen wie depressive Syndrome, insbesondere PTBS, nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand im Kosovo durch medikamentöse sowie eine in gewissem Umfang zur Verfügung stehende gesprächstherapeutische Behandlung grundsätzlich soweit behandelbar, dass konkrete individuelle existentielle Leibes- und Lebensgefahren für in die Provinz Kosovo zurückgeführte Personen nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit festzustellen sind. Nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages vom 20.2.2004 ist die nicht ausschließlich medikamentös, sondern auch durch supportive Gespräche erfolgende fachpsychiatrische Behandlung von Patienten, die an einer PTBS leiden, im öffentlichen Gesundheitswesen des Kosovo kostenfrei möglich und kann die Behandlung einer PTBS im Kosovo außerdem durch eine Psychotherapie in Form einer Gesprächstherapie in Pristina durch privat praktizierende Fachärzte für Neurologie und Psychiatrie mit im Ausland erworbener Zusatzqualifikation im Bereich Psychotherapie/Gesprächspsychotherapie durchgeführt werden. Dazu heißt es in der von der Antragsgegnerin im vorliegenden Verfahren eingereichten Auskunft des Deutschen Verbindungsbüros Kosovo in Pristina an die Ausländerbehörde der Antragsgegnerin vom 28.5.2004 - in der im Übrigen eine Vielzahl als Basismedikamente zur Behandlung psychischer Erkrankungen im Kosovo gegen eine geringfügige Zuzahlung zur Verfügung stehender Medikamente aufgelistet ist - im einzelnen:... (wird ausgeführt).

Dementsprechend hat der für Asylverfahren betreffend Personen aus dem Kosovo zuständige 13. Senat des erkennenden Gerichts unter Auswertung des ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnismaterials - insbesondere von Stellungnahmen des Deutschen Verbindungsbüros Kosovo in Pristina - entschieden, dass schwere psychische Erkrankungen und insbesondere PTBS in der Provinz Kosovo grundsätzlich behandelbar sind und dass bei der dort möglichen medikamentösen Behandlung jedenfalls keine konkrete existenzielle Gefahr der Verschlimmerung einer solchen Erkrankung mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit gegeben ist.

OVG NRW, Beschluss vom 17.9.2004 - 13 A 3598/04.A -.

Die vorstehend beschriebenen Behandlungsmöglichkeiten einer PTBS im Kosovo werden seitens der Antragstellerin lediglich unsubstantiiert in Frage gestellt. Die Behauptung der Antragstellerin, ihre Behandlung im Kosovo sei nicht finanzierbar, da sie über "keinerlei Gelder" verfüge, ist nicht nachvollziehbar angesichts dessen, dass ihr Ehemann den Angaben in der Antragsschrift zufolge über ein monatliches Bruttoeinkommen von ca. 2000,- € bis 2.500,- € verfügt, aus dem finanzielle Mittel zur Behandlung der Antragstellerin nach ihrer Rückkehr in ihr Heimatland angespart werden können. Ob die - mögliche und finanzierbare - Behandlung der Antragstellerin im Kosovo mit derselben Intensität, derselben Art und derselben Medikation wie gegenwärtig in der Bundesrepublik Deutschland erfolgen wird, ist - wie bereits ausgeführt - unerheblich.

Im Rahmen der von § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG vorausgesetzten Gefahr für Leib und Leben ist es nämlich nicht zwingend erforderlich, eine im Bundesgebiet begonnene Behandlung im Zielstaat unverändert fortführen zu können. Nach ständiger Senatsrechtsprechung ist ein Ausländer grundsätzlich auf den in medizinischer und therapeutischer Hinsicht allgemein üblichen Standard in seinem Heimatland zu verweisen, wobei selbstverständlich die Erbringung zumutbarer familiärer Unterstützungsmaßnahmen, zu denen auch finanzielle Hilfen zählen, jedenfalls im Rahmen der im Heimatland hierzu üblichen Gepflogenheiten zu erwarten sind.

Vgl. hierzu OVG NRW, Beschlüsse vom 28.3.2003 - 18 B 35/03 - und vom 14.7.2004 - 18 B 2478/03 -.

Nach alledem ist davon auszugehen, das der Antragstellerin unmittelbar nach ihrer Rückkehr in ihr Heimatland eine angemessene medikamentöse Behandlung ihrer PTBS sowie eine - gegenwärtig offenbar nur in vierwöchigem Abstand für angebracht gehaltene - Gesprächstherapiemöglichkeit zur Verfügung stehen, womit der von dem Arzt Sch. in seinem Attest vom 22. September 2004 - für den Fall der von ihm zu Unrecht angenommenen Unmöglichkeit einer traumaspezifischen Therapie - befürchteten Gefahr einer Selbsttötung der Antragstellerin wegen von ihr empfundener Ausweglosigkeit "aus der sich extrem zuspitzenden intrapsychischen Situation" begegnet werden kann.

Einer Klärung der von den Beteiligten thematisierten Frage, ob es der Antragstellerin zuzumuten ist, sich für eine Behandlung nach Serbien und Montenegro zu begeben, wo möglicherweise bessere Behandlungsmöglichkeiten bestehen, bedarf es nach alledem nicht.

Die Antragstellerin kann sich schließlich auch nicht mit Erfolg auf ein sog. inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis in Form einer Reiseunfähigkeit berufen. Zwar geht der Arzt Sch. in seinem Attest von einer Reiseunfähigkeit der Antragstellerin aus, die er aber erklärtermaßen aus der von ihm - zu Unrecht - angenommenen Nichtbehandelbarkeit einer PTBS im Kosovo und der daraus von ihm - zu Unrecht - gefolgerten Gefahr einer erheblichen Verschlimmerung der Erkrankung der Antragstellerin im Falle ihrer Rückkehr in ihr Heimatland herleitet. Davon unabhängige Gründe für eine Reiseunfähigkeit der Antragstellerin sind diesem Attest nicht zu entnehmen.

Nach ständiger Senatsrechtsprechung ist nicht davon auszugehen, dass bei Personen mit dem Beschwerdebild einer posttraumatischen Belastungsstörung wegen der mit einer Abschiebung verbundenen Auswirkungen auf deren Gesundheitszustand stets ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis anzunehmen ist. Eine posttraumatische Belastungsstörung vermag erst dann auf ein derartiges Vollstreckungshindernis zu führen, wenn ein Ausländer suizidgefährdet ist und im Rahmen einer Abschiebung die ernsthafte Gefahr einer Selbsttötung droht.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 1.7.2002 - 18 B 1516/01 - und vom 15.9.2004 - 18 B 2014/04 -.

Das ist bei der Antragstellerin nicht der Fall. In dem Attest ist von einer Gefahr der Selbsttötung der Antragstellerin nur für den Fall die Rede, dass ihre Erkrankung im Heimatland unbehandelt bleibt, was aus den vorstehenden Gründen nicht der Fall ist. Im Übrigen heißt es in diesem Attest: "akute Selbst- oder Fremdgefährdung: keine".

In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass nicht jede mit der Erkenntnis eines aussichtslosen Bleiberechts für Deutschland und einer bevorstehenden Rückkehr ins Heimatland einhergehende, mithin also letztlich abschiebungsbedingte Verschlechterung des Gesundheitszustandes auf ein Abschiebungshindernis oder einen Duldungsgrund wegen Reiseunfähigkeit führt, der im Übrigen vielfach durch ärztliche Hilfe bishin zu einer Flugbegleitung begegnet werden kann. Indem das Ausländergesetz die Abschiebung vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer unter bestimmten Voraussetzungen vorsieht, nimmt es in diesem Zusammenhang vielfach zu erwartende Auswirkungen auf den gesundheitlichen, insbesondere psychischen Zustand der Betroffenen in Kauf und lässt diese erst dann als Duldungsgründe gelten, wenn eine Reiseunfähigkeit gegeben ist bzw. wenn - was hier aus den oben genannten Gründen nicht der Fall ist - eine Gesundheitsstörung droht, die den in § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG vorgegebenen Gefährdungsgrad erreicht.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 1.7.2002 - 18 B 1516/01 -, vom 2.10.2002 - 18 B 484/01 - m.w.N. und vom 15.9.2004 - 18 B 2014/04 -.

Ende der Entscheidung

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