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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 12.02.2008
Aktenzeichen: 18 B 230/08
Rechtsgebiete: AufenthG, VwGO


Vorschriften:

AufenthG § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4
VwGO § 123
1. Für die Dauer eines Erteilungsverfahrens für eine Aufenthaltserlaubnis kann ausnahmsweise durch eine einstweilige Anordnung gemäß § 123 VwGO eine Aussetzung der Abschiebung erwirkt werden, wenn nur so sichergestellt werden kann, dass eine ausländerrechtliche Regelung einem möglicherweise Begünstigten zugute kommt, wobei das Vorliegen der Voraussetzungen glaubhaft zu machen ist. Dies gilt auch für einen möglichen Anspruch nach § 104a Abs. 1 AufenthG.

2. Ein Hinauszögern oder Behindern aufenthaltsbeendender Maßnahmen im Sinne von § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG liegt nur vor, wenn das fragliche Verhalten kausal dafür war, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden konnten.


Tatbestand:

Der Antragsteller begehrte Abschiebungsschutz unter anderem unter Hinweis darauf, er sei anspruchsberechtigt nach § 104a Abs. 1 AufenthG. Das VG lehnte den Antrag ab unter anderem mit der Begründung, dem Anspruch nach § 104a Abs. 1 AufenthG stehe jedenfalls entgegen, dass der Antragsteller in den Jahren 1997 bis 1999 unzureichend bei der Passbeschaffung mitgewirkt habe. Die Beschwerde hatte Erfolg.

Gründe:

Für die Dauer eines Erteilungsverfahrens für eine Aufenthaltserlaubnis kann ausnahmsweise durch eine einstweilige Anordnung gemäß § 123 VwGO eine Aussetzung der Abschiebung erwirkt werden, wenn nur so sichergestellt werden kann, dass eine ausländerrechtliche Regelung einem möglicherweise Begünstigten zugute kommt, wobei das Vorliegen der Voraussetzungen glaubhaft zu machen ist. In diesem Fall ist zur Sicherung eines effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) eine Ausnahme von dem Grundsatz zu machen, wonach die Erteilung einer Duldung für die Dauer eines Aufenthaltsgenehmigungsverfahrens aus gesetzessystematischen Gründen ausscheidet, wenn ein vorläufiges Bleiberecht nach § 81 AufenthG (bzw. zuvor § 69 AuslG) nicht eingetreten ist.

Vgl. bereits OVG NRW, Beschluss vom 20.4.1999 - 18 B 1338/97 -, InfAuslR 1999, 449.

Dies hat der Senat zuletzt für einen möglichen Anspruch nach der Bleiberechtsanordnung des Innenministeriums des Landes NRW vom 11.12.2006 - 15-39.08.01.3 - festgestellt.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30.8.2007 - 18 B 1349/07 -, Asylmagazin 11/2007, 31.

Gleiches gilt für die hieran angelehnte gesetzliche Regelung des § 104a Abs. 1 AufenthG.

Entgegen der Auffassung des VG kann im Rahmen der summarischen Prüfung im vorliegenden Verfahren nicht festgestellt werden, dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 104a Abs. 1 AufenthG an den Antragsteller gemäß § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG ausgeschlossen ist; am Vorliegen der übrigen Voraussetzungen hat das VG Zweifel nicht geäußert.

Gemäß § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG ist - unter anderem - Voraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 AufenthG, dass der betreffende Ausländer nicht behördliche Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung vorsätzlich hinausgezögert oder behindert hat. In rechtlicher Hinsicht ist vorliegend insoweit fraglich, ob die mangelhafte Mitwirkung des Antragstellers bei der Passbeschaffung in den Jahren 1997 bis 1999, die jenem seitens des VG angelastet wird, für die Verwirklichung dieser negativen Voraussetzung ausreicht (a); in tatsächlicher Hinsicht ist zudem ungeklärt, ob die mangelhafte Mitwirkung des Antragstellers bei der Passbeschaffung in den Jahren 1997 bis 1999 wie erforderlich dafür kausal war, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht durchgeführt werden konnten (b).

a) Der Senat hat bereits Zweifel daran geäußert, ob die Bestimmung des § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG so weit zu verstehen ist, wie ihr Wortlaut es zulässt.

Vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 21.1.2008 - 18 B 1864/07 -.

Dem Wortlaut zufolge lassen sich unter § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG auch schlicht mangelnde selbstinitiative Bemühungen um die Passbeschaffung fassen (zumindest wenn - was regelmäßig der Fall sein dürfte - angenommen werden könnte, dass dem Betreffenden klar war, dass dies Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung erschweren oder verzögern kann). Dabei enthält die Bestimmung keine zeitliche Vorgabe oder sonstige Anforderung, so dass dem Wortlaut der Vorschrift zufolge auch ein sehr lange zurückliegendes und/oder einmaliges Hinauszögern oder Behindern aufenthaltsbeendender Maßnahmen darunter fällt.

Demgegenüber spricht Einiges für ein einschränkendes Verständnis. Die Gesetzesmaterialien sind insoweit allerdings weitgehend unergiebig; der sich darin findende Hinweis, die Voraussetzungen und Ausschlussgründe für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 104a AufenthG seien "zum großen Teil eng an die des Bleiberechtsbeschlusses der IMK vom 17.11.2006 angelehnt", vgl. BT-Drs. 16/5065, S. 202, hilft wenig weiter, weil sich die Materialien nicht dazu verhalten, in welchen Teilen das Gesetz sich an die Regelungen des IMK-Beschlusses anlehnt und in welchen nicht, und gerade die in Rede stehende Bestimmung nicht so formuliert ist wie der entsprechende Ausschlussgrund nach dem Bleiberechtsbeschluss der IMK.

Indessen wird von dem im Hinblick auf das Gesetz federführenden Bundesministerium des Innern in seinen Anwendungshinweisen (Hinweise zum Richtlinienumsetzungsgesetz, Stand 2.10.2007) ein deutlich einschränkendes Verständnis des § 104a AufenthG vorgegeben. Wenn auch diese Anwendungshinweise die Gerichte nicht binden, wenn es - wie hier - um die Auslegung von Rechtsbegriffen geht, ohne dass behördliches Ermessen eingeräumt ist, erscheint aber insoweit doch nicht unbeachtlich, dass den genannten Anwendungshinweisen zufolge der "Ausschlussgrund des vorsätzlichen Hinauszögerns oder Behinderns behördlicher Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung (...) ausschließlich dann vor[liegt], wenn ein Ausländer

- nachweislich Identitätsnachweise oder Personaldokumente vernichtet und unterdrückt hat, um seine Abschiebung zu verhindern, - im Rahmen der Passbeschaffung zu einem konkreten Termin oder innerhalb eines bestimmten Zeitraums zur Vorsprache bei der Vertretung eines ausländischen Staates aufgefordert worden ist und dieser Aufforderung nicht gefolgt ist,

- sich durch Untertauchen behördlicher Maßnahmen entzogen hat

- der bereits in Abschiebehaft saß, sich beharrlich geweigert hat, an der Durchsetzung seiner Ausreisepflicht mitzuwirken oder sonst seine Abschiebung durch sein persönliches Verhalten verhindert hat."

Gleichermaßen lassen die Anwendungshinweise des Landes NRW zu § 104a AufenthG vom 16.10.2007, Ziffer 1.1.5.1, ein restriktives Verständnis erkennen. Ihnen zufolge bedarf es im Hinblick auf das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG einer wertenden Gesamtbetrachtung. Erforderlich ist danach ein gezieltes und nachhaltiges Unterlaufen der Aufenthaltsbeendigung, z.B. durch Untertauchen, Vernichten oder Unterdrücken von Urkunden, beharrliche Verweigerung der Mitwirkung bei der Passbeschaffung oder widersetzliches Verhalten bei Vollstreckungsmaßnahmen.

Ebenso Fehrenbacher, HTK-AuslR / § 104a / zu Abs. 1 12/2007 Nr. 3.5.

Dass hierfür eine mangelhafte Mitwirkung an der Passbeschaffung auch dann ausreicht, wenn dieses Verhalten acht Jahre zurückliegt und - wie hier - dokumentiert ist, dass der Betreffende bereits im Jahre 2000 und später nochmals bei der Botschaft vorgesprochen hat, um einen Pass oder ein Passersatzpapier zu bekommen, unterliegt Zweifeln. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass selbst Verurteilungen wegen Straftaten im Rahmen von § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG so lange - aber auch nur so lange - zu beachten sind, bis sie durch Zeitablauf oder aufgrund einer Anordnung der Registerbehörde getilgt worden sind.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27.11.2007 - 17 B 1779/07 -.

Hiermit wäre es schwerlich vereinbar, wenn die weniger gewichtige Verletzung ausländerrechtlicher Mitwirkungspflichten zeitlich unbeschränkt anspruchsvernichtend wirkte.

b) Im Übrigen ist in tatsächlicher Hinsicht ungeklärt, ob die - unterstellte - mangelhafte Mitwirkung des Antragstellers bei der Passbeschaffung in den Jahren 1997 bis 1999 dafür kausal war, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht durchgeführt werden konnten. Dass dies erforderlich ist, gibt bereits der Wortlaut des § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG vor, denn die Begriffe "hinauszögern" und "behindern" beinhalten, dass das fragliche Verhalten Auswirkungen auf die geplanten aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gezeitigt hat.

Vgl. auch Fehrenbacher, HTK-AuslR / § 104a / zu Abs. 1 02/2008 Nr. 3.5 ; Hinweise des Bundesministeriums des Innern zum Richtlinienumsetzungsgesetz, Stand 2.10.2007, Rz. 334; zu der insoweit gleichlautenden Regelung in Nr. 1.4.3. der Bleiberechtsanordnung OVG NRW, Beschlüsse vom 5.4.2007 - 19 B 117/07 - und vom 3.8.2007 - 18 B 1172/07 -.

Mit der Beschwerde wird bestritten, dass in den Jahren 1997 bis 1999 ausreiseverpflichtete Äthiopier eine realistische Chance auf Ausstellung eines Passes gehabt hätten. Ohne dass in der zur Entscheidung über die Beschwerde nur zur Verfügung stehenden Zeit diese Frage letztlich geklärt werden könnte, lässt sich aber doch feststellen, dass die auch in den Lageberichten des Auswärtigen Amtes etwa für die Jahre 2001, 2006 und 2007 insoweit formulierten Vorbehalte sich bereits im Lagebericht vom 9.4.1998 finden. (wird ausgeführt)

Ende der Entscheidung

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