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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 16.03.2005
Aktenzeichen: 19 B 374/05
Rechtsgebiete: VwGO, VwVfG NRW, HG NRW, VO
Vorschriften:
VwGO § 80 Abs. 1 | |
VwGO § 80 Abs. 1 Satz 1 | |
VwGO § 68 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 | |
VwGO § 69 Abs. 1 | |
VwVfG NRW § 35 Satz 1 | |
VwVfG NRW § 44 | |
VwVfG NRW § 44 Abs. 4 | |
HG NRW § 113 Abs. 3 Satz 6 a. F. | |
HG NRW § 119 Abs. 1 | |
HG NRW § 119 Abs. 2 a. F. | |
HG NRW § 119 Abs. 3 Satz 1 | |
HG NRW § 119 Abs. 3 Satz 2 a. F. | |
HG NRW § 119 Abs. 3 Satz 3 a. F. | |
VO § 8 Abs. 1 Nr. 2 b | |
VO § 8 Abs. 2 | |
VO § 8 Abs. 2 Satz 1 | |
VO § 8 Abs. 2 Satz 2 | |
VO § 8 Abs. 2 Satz 3 |
Ein nach § 68 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VwGO unstatthafter Widerspruch begründet keine aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 1 VwGO.
Tatbestand:
Der Antragsteller lehrt und forscht seit 1996 an einer Universität in der Volksrepublik China. Die Universität verlieh ihm im April 1999 für die Dauer von 5 Jahren den Grad "Visiting Professor". Nach den Angaben des Antragstellers wird der Grad in der Volksrepublik China mit der abgekürzten Form "Prof." geführt. Mit Bescheid vom 15. 11. 2001 erteilte der Antragsgegner seine Zustimmung, den verliehenen Grad in der ausgeschriebenen Form "Visiting Professor (RC)" und der Abkürzung "Prof. (RC)" für die Dauer der Lehrtätigkeit an der chinesischen Universität zu führen. Auf Anfrage des Antragsgegners teilte der Antragsteller im Dezember 2002 mit, er lehne den Klammerzusatz "RC" strikt ab, weil es sich hierbei "nach offiziellem internationalen Sprachgebrauch" um die Abkürzung für Taiwan handele. Angesichts der Spannungen zwischen Taiwan und der Volksrepublik China würde die Verwendung des Klammerzusatzes "RC" in der Volksrepublik China als Beleidigung und politischer Affront empfunden. Mit Änderungsbescheid vom 15. 5. 2003 änderte der Antragsgegner seinen Bescheid vom 15. 11. 2001 dahin ab, dass sowohl der ausgeschriebenen Form des ausländischen Grades wie auch der Abkürzung künftig nicht der Klammerzusatz "RC", sondern der Klammerzusatz "VRC" beizufügen sei. Mit Strafbefehl vom 24. 2. 2004 setzte das AG H. gegen den Antragsteller wegen Titelmissbrauchs in 5 Fällen eine Gesamtgeldstrafe in Höhe von 144.000 € fest. Der Antragsteller erhob gegen den Strafbefehl Einspruch. Das AG H. setzte als Termin zur Hauptverhandlung den 22. 3. 2005 fest. Das VG lehnte den Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Die Beschwerde blieb ohne Erfolg.
Gründe:
Es kann dahinstehen, ob der Antragsteller, der eine Vorwegnahme der Hauptsache erstrebt, einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht hat. ...
Der Antragsteller hat jedenfalls einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.
Er hat keinen Anspruch auf Feststellung, dass der Bescheid des Antragsgegners vom 15. 11. 2001 insoweit nichtig war, als er vor Erlass des Änderungsbescheides vom 15. 5. 2003 regelte, dass der Führung des Grades "Visiting Professor" und der Abkürzung "Prof." jeweils der Klammerzusatz "RC" hinzuzufügen war. Ungeachtet der Frage, ob der - unrichtige - Klammerzusatz "RC" nicht nur rechtswidrig, sondern im Sinne des § 44 VwVfG NRW nichtig war, lässt sich hieraus allenfalls eine Gesamtnichtigkeit, nicht aber eine allein auf den Klammerzusatz bezogene Teilnichtigkeit des Bescheides vom 15. 11. 2001 herleiten. Der Antragsteller hätte deshalb - die Nichtigkeit des Klammerzusatzes unterstellt - den in der Volksrepublik China verliehenen Grad weder in der Originalform noch in abgekürzter Form führen dürfen.
Betrifft die Nichtigkeit nur einen Teil des Verwaltungsaktes, so ist er gemäß § 44 Abs. 4 VwVfG NRW im Ganzen nichtig, wenn der nichtige Teil so wesentlich ist, dass die Behörde den Verwaltungsakt ohne den nichtigen Teil nicht erlassen hätte. Letzteres ist hier der Fall. Der Klammerzusatz "RC" war so wesentlich, dass der Antragsgegner seinen Bescheid vom 15. 11. 2001 ohne den Klammerzusatz nicht erlassen hätte. Wesentlich im Sinne des § 44 VwVfG NRW ist der nichtige Teil unter anderem dann, wenn der verbleibende Teil für sich allein einen anderen Sinn erhalten und dadurch den Zweck verfehlen würde, den der Verwaltungsakt insgesamt erfüllen soll.
Kopp, VwVfG, 8. Aufl., 2003, § 44 Rdn. 62, m. w. N.; vgl. auch zur Teilbarkeit von Verwaltungsakten: BVerwG, Urteile vom 21. 2. 1992 - 7 C 11.91 -, BVerwGE 90, 42 (50), und vom 17. 2. 1984 - 4 C 70.80 -, NVwZ 1984, 366 (366 f.), Kopp, VwGO, 13. Aufl., 2003, § 113 Rdn. 16, m. w. N.
So liegt es hier.
Nach § 119 Abs. 3 Satz 1 HG NRW in der bis zum 31. 12. 2004 geltenden Fassung bedurfte die Führung anderer als der in § 119 Abs. 1 und Abs. 2 HG NRW a. F. genannten ausländischen Grade der Zustimmung des Antragsgegners. Zu diesen Graden gehört der dem Antragsteller in der Volksrepublik China verliehene Grad des "Visiting Professor". Gemäß § 113 Abs. 3 Satz 6 HG NRW a. F. regelte der Antragsgegner durch Rechtsverordnung die näheren Einzelheiten der nach § 119 Abs. 3 Sätze 2 und 3 HG NRW a. F. erforderlichen Gleichwertigkeitsfeststellung sowie Verfahren und Form der Zustimmung. Diese Ermächtigung deckt die vom Antragsgegner erlassene Verordnung über das Verfahren der Zustimmung und die Führung ausländischer Grade (VO.AGr.) vom 13. 5. 1993, GV. NRW. S. 338, geändert durch Verordnung vom 2. 9. 1995, GV. NRW. S. 982, ab. Danach enthält der Bescheid des Antragsgegners über die Zustimmung zur Führung eines ausländischen Grades der vorliegenden Art drei Regelungen im Sinne des § 35 Satz 1 VwVfG NRW: Er legt fest, dass der ausländische Grad in der Originalform und mit welcher Abkürzung er geführt werden darf (§ 8 Abs. 1 Nr. 2 a VO.AGr.). Außerdem bestimmt der Bescheid, mit welchem auf den Staat hinweisenden Klammerzusatz die Herkunft des Grades sichtbar zu machen ist (§ 8 Abs. 2 Satz 1 VO.AGr.). Dieser Klammerzusatz, der der Übersicht ausländischer Nationalitätenkennzeichen folgt (§ 8 Abs. 2 Satz 2 VO.AGr.), ist wesentlich im Sinne des § 44 Abs. 4 VwVfG NRW. Denn die Bestimmung des Klammerzusatzes ist zwingend vorgeschrieben.
OVG NRW, Urteile vom 16. 3. 1990 - 19 A 2051/88 -, und vom 16. 2. 1990 - 19 A 905/88 -, NVwZ 1991, 186 (187).
Das ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 8 Abs. 2 Sätze 1 und 2 VO.AGr. Die Regelungen sehen ausnahmslos die Hinzufügung eines Klammerzusatzes vor und eröffnen dem Antragsgegner auch kein Ermessen, soweit er, wie hier, seine Zustimmung zur Führung des ausländischen Grades in der Originalform erteilt. Er kann lediglich gemäß § 8 Abs. 2 Satz 3 VO.AGr. auf Antrag an die Stelle der Landesbezeichnung einen auf die verleihende Institution hinweisenden Klammerzusatz festlegen. Auch in diesem, hier nicht vorliegenden Ausnahmefall, ist die Hinzufügung eines Klammerzusatzes zwingend vorgeschrieben.
Der Zweck des § 8 Abs. 2 VO.AGr. bestätigt, dass der vom Antragsgegner festgelegte Klammerzusatz "RC" materiell-rechtlich unverzichtbar und damit wesentlich im Sinne des § 44 Abs. 4 VwVfG NRW ist. Zweck der Regelung in § 8 Abs. 2 VO.AGr. ist es, die Inhaber deutscher akademischer Grade davor zu schützen, dass ihre erworbene Rechtsstellung durch missbräuchliche Benutzung gleicher oder ähnlicher Bezeichnungen, die nicht unter den in Deutschland üblichen Bedingungen oder unter vergleichbaren Voraussetzungen erworben wurden, beeinträchtigt und entwertet wird. Außerdem soll die Allgemeinheit davor bewahrt werden, nicht mehr erkennen zu können, ob der Träger eines ausländischen akademischen Grades diesen Grad unter den genannten Bedingungen und Voraussetzungen erworben hat.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. 6. 1987 - 7 B 121.87 -, NVwZ 1988, 365 (365), und Urteil vom 19. 11. 1971 - VII C 31.70 -, BVerwGE 39, 77 (79 f.); OVG NRW, Urteile vom 30. 1. 1997 - 19 A 4423/95 -, und vom 16. 2. 1990 - 19 A 905/88 -, a. a. O., m. w. N.
Mit diesem Zweck wäre es nicht vereinbar, wenn der Antragsteller aufgrund der Fehlerhaftigkeit des Klammerzusatzes "RC" befugt gewesen wäre, die nach seinen Angaben in der Volksrepublik China gebräuchliche Abkürzung "Prof." ohne einen Klammerzusatz im Sinne des § 8 Abs. 2 Sätze 1 und 2 VO.AGr. zu führen. In diesem Fall bestünde eine Verwechselungsgefahr, weil die Abkürzung "Prof." der Abkürzung eines in Deutschland erworbenen Professorengrades entspricht. Dies ist nach dem Zweck des § 8 Abs. 2 VO.AGr. und mit Blick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit allenfalls unter den Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Nr. 2 b VO.AGr. hinzunehmen. Danach liegt ein Ausnahmefall, der den Verzicht auf einen Klammerzusatz rechtfertigen dürfte, vor, wenn auf besonderen Antrag die materielle Gleichwertigkeit des ausländischen Grades mit einem entsprechenden deutschen Grad festgestellt worden ist. Der Antragsteller hat dagegen einen solchen Antrag nicht gestellt und macht auch nicht geltend, dass der ihm in der Volksrepublik China verliehene Grad einem entsprechenden deutschen Grad materiell gleichwertig ist.
Der Antragsteller hat weiter keinen Anspruch auf Feststellung, dass sein "Widerspruch" vom 31. 12. 2002 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 15. 11. 2001 aufschiebende Wirkung hat.
Dabei kann dahinstehen, ob es sich bei dem Schreiben des Antragstellers vom 31. 12. 2002 überhaupt um einen Widerspruch im Sinne des § 69 Abs. 1 VwGO handelt. Außerdem bedarf keiner näheren Erörterung, ob der Bescheid vom 15. 11. 2001, wie das VG meint, ein ausschließlich begünstigender Verwaltungsakt ist, auf den § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO keine Anwendung findet. Dagegen könnte sprechen, dass der Antragsteller die Zustimmung zur Führung seines in der Volksrepublik China verliehenen Grades ohne Klammerzusatz beantragt hat.
Das Schreiben vom 31. 12. 2002 hat jedenfalls deshalb keine aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO begründet, weil ein Widerspruch gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 15. 11. 2001 aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses nicht statthaft ist (§ 68 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VwGO i.V.m. § 3 LOG NRW). Ist ein Widerspruch gegen einen Verwaltungsakt nach § 68 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VwGO nicht statthaft, so hat er keine aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 1 VwGO. Diese Vorschrift bezweckt nämlich, den Adressaten des Verwaltungsaktes für die Dauer des Rechtsbehelfsverfahrens vor einer Vollziehung des Verwaltungsaktes zu schützen, bevor die Widerspruchsbehörde oder im Falle einer Anfechtungsklage das Verwaltungsgericht über die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts entschieden hat. Nur für diese Übergangszeit soll die aufschiebende Wirkung die Vollziehbarkeit hemmen. Daraus folgt, dass der Adressat eines belastenden Verwaltungsaktes sich nicht auf den Eintritt der aufschiebenden Wirkung berufen kann, wenn er sein vermeintliches Recht in der Sache nicht mehr durchsetzen kann, weil etwa der Verwaltungsakt bestandskräftig geworden ist.
Vgl. nur BVerwG, Urteil vom 13. 12. 1967 - IV C 124.65 -, NJW 1968, 955.
Dasselbe gilt, wenn, wie hier, eine Überprüfung des Verwaltungsaktes in einem Widerspruchsverfahren überhaupt nicht vorgesehen ist. In diesem Fall kann der Adressat des Verwaltungsaktes eine sachliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes in einem Widerspruchsverfahren von vornherein nicht erreichen. Damit besteht auch kein rechtfertigender Grund, von einer Vollziehung des Verwaltungsaktes bis zur Entscheidung über den unstatthaften Widerspruch abzusehen.
Ende der Entscheidung
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