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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 30.06.2003
Aktenzeichen: 6 A 4424/01
Rechtsgebiete: EG-Vertrag, BBesG, MehrarbeitsvergütungsVO


Vorschriften:

EG-Vertrag Art. 141
BBesG § 48 Abs. 1
MehrarbeitsvergütungsVO § 2
MehrarbeitsvergütungsVO § 4
Weibliche Lehrkräfte, die im Beamtenverhältnis teilzeitbeschäftigt werden, haben nach Art. 141 EG-Vertrag Anspruch auf Zahlung einer anteiligen Besoldung für vergütungspflichtige Mehrarbeitsstunden. Eine Vergütung dieser Stunden (nur) nach der Mehrarbeitsvergütungsverordnung verstößt gegen Europarecht.
Tatbestand:

Die Klägerin steht als Oberstudienrätin im Dienste des beklagten Landes. Sie versieht ihren Dienst als Teilzeitbeschäftigte am I.-Gymnasium H. Die regelmäßige Arbeitszeit für vollzeitbeschäftigte Gymnasiallehrer von 25,5 Unterrichtsstunden pro Woche war für das Schuljahr 1999/2000 bei der Klägerin auf 20 Unterrichtsstunden ermäßigt. Im Dezember 1999 leistete sie auf Anordnung des Schulleiters fünf Unterrichtsstunden mehr.

Im März 2000 beantragte die Klägerin bei der Bezirksregierung D. die Zahlung einer anteiligen Besoldung aus der Besoldungsgruppe A 14 für diese fünf Unterrichtsstunden.

Die Bezirksregierung D. lehnte den Antrag der Klägerin ab. Für die geleistete Mehrarbeit könne sie keine anteilige Besoldung, sondern nur eine Vergütung nach der Mehrarbeitsvergütungsverordnung beanspruchen.

Widerspruch und Klage hiergegen blieben erfolglos.

Auf die (zugelassene) Berufung verpflichtete das OVG NRW das beklagte Land dem Begehren der Klägerin zu entsprechen.

Gründe:

Die Klägerin hat einen Anspruch gegen den Beklagten auf Zahlung einer anteiligen Besoldung aus der Besoldungsgruppe A 14 für die im Dezember 1999 geleistete Mehrarbeit von fünf Unterrichtsstunden. Die entgegenstehenden Bescheide des Beklagten sind aufzuheben.

Eine Vergütung der im Dezember 1999 geleisteten fünf Mehrarbeitsstunden nach der Mehrarbeitsvergütungsverordnung führt zu einer Art. 141 EG-Vertrag und der Richtlinie 75/117/EWG des Rates der Europäischen Gemeinschaften (ABl. 1975 L 45/19) widersprechenden Ungleichbehandlung der teilzeitbeschäftigten Klägerin im Vergleich zu vollzeitbeschäftigten männlichen Beamten (1.). Eine Rechtfertigung für diese Ungleichbehandlung liegt nicht vor (2.). Die Klägerin hat einen Anspruch auf Anhebung der Vergütung für die geleisteten Stunden bis zur Höhe der (anteiligen) Besoldung, die vollzeitbeschäftigte Oberstudienräte für vergleichbare Stunden erhalten, das heißt bis zur Höhe anteiliger Besoldung nach der Besoldungsgruppe A 14 (3.).

1. Die der Klägerin vom Beklagten zugestandene Vergütung der fünf Mehrarbeitsstunden beruht auf § 48 Abs. 1 BBesG i.V.m. §§ 2 Abs. 1 Nr. 6, 3 Abs. 1, 4 Abs. 3 Nr. 4 der MehrarbeitsvergütungsVO i.V.m. Nr. 3 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 3 Abs. 1 der MehrarbeitsvergütungsVO. Die zuletzt genannte Verwaltungsvorschrift lautet (auszugsweise):

"Abgeltbare Mehrarbeit liegt nur vor, wenn die für den Kalendermonat ermittelten und gerundeten (§ 5 Abs. 3) Mehrarbeitsstunden fünf und bei Lehrern drei Stunden (Unterrichtsstunden - § 5 Abs. 2 Nr. 1 -) überschreiten; dies gilt auch bei einer Teilzeitbeschäftigung.

Bei einer solchen Überschreitung ist Mehrarbeit bereits von der ersten Stunde an abzugelten. (...)"

Die von der Klägerin geleisteten fünf Unterrichtsstunden werden danach dem Grunde nach als vergütungspflichtig angesehen. Die nach der Mehrarbeitsvergütungsverordnung vorgesehene Höhe der Vergütung für diese Mehrarbeitsstunden steht aber nicht mit unmittelbar geltendem Gemeinschaftsrecht im Einklang:

Art. 141 Abs. 1 EG-Vertrag gebietet den Mitgliedstaaten, die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit sicherzustellen. Die Vorschrift begründet zusammen mit der Richtlinie 75/117/EWG das gemeinschaftsrechtliche Gebot der Entgeltgleichheit. Zwar wendet sie sich ihrem Wortlaut nach unmittelbar nur an die Mitgliedstaaten, jedoch hat der EuGH klargestellt, dass sie auch im Verhältnis zwischen "(privaten oder öffentlichen) Arbeitgebern und Arbeitnehmern" gilt.

Vgl. EuGH, Urteil vom 8.4.1976 - Rs. 43/75 -, Slg. 1976, 455, 475 f.; Langenfeld, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Loseblattkommentar, Stand August 2002, Band II, Art. 141 EGV Rdnr. 46; Curall, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, Band 3, 5. Aufl. 1999, Art. 119 Rdnr. 36.

Unter Entgelt sind gemäß Art. 141 Abs. 2 Satz 1 EG-Vertrag alle Vergütungen zu verstehen, die der Arbeitgeber aufgrund des Dienstverhältnisses dem Arbeitnehmer unmittelbar oder mittelbar in bar oder in Sachleistung zahlt. Ausgehend hiervon unterliegt auch die den deutschen Beamten geleistete Besoldung dem Entgeltgleichheitsgebot des Art. 141 EG-Vertrag.

Vgl. EuGH, Urteil vom 2.10.1997 - Rs. C - 1/95 -, ZBR 1998, 159, 160 Rdnr. 16 und 19 des Urteils; Nds. OVG, Urteil vom 10.6.1998 - 2 L 7937/95 -, NVwZ-RR 1999, 654-656; Langenfeld, a.a.O., Rdnr. 50; siehe auch BVerwG, Urteil vom 26.10.1995 - 2 C 18/94 -, NVwZ-RR 1996, 277-279; Urteil vom 11.3.1999 - 2 C 18/98 -, NVwZ-RR 1999, 767-768.

Dem steht das Alimentationsprinzip, nach dem die Beamtenbesoldung keine Gegenleistung für eine geleistete Arbeit, sondern einen "Unterhalt" darstellt, nicht entgegen. Wie sich an der Vorschrift des § 6 BBesG zeigt, kann die Besoldung des Beamten nicht losgelöst von seiner Dienstverpflichtung und seiner Dienstleistung gesehen werden.

Vgl. Schwegmann/Summer, Das Besoldungsrecht des Bundes und der Länder, Loseblattkommentar, Band I, Stand Dezember 2002, II/1 § 6 Rdnr. 2; BVerfG, Beschluss vom 15.5.1985 - 2 BvL 24/82 -, BVerfGE 70, 69, 79.

Der Entgeltgleichheitsgrundsatz in Art. 141 EG-Vertrag verbietet eine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Eine mittelbare Ungleichbehandlung liegt vor, wenn eine Entgeltregelung zwar formal nicht an das Geschlecht anknüpft, durch die Regelung aber erheblich mehr Angehörige eines Geschlechts tatsächlich nachteilig betroffen werden. Dies kann bei benachteiligenden Regelungen für Teilzeitbeschäftigte der Fall sein, wenn in dieser Gruppe von Beschäftigten im Vergleich zur Gruppe der Vollzeitbeschäftigten der Frauenanteil weit überwiegt.

Vgl. Langenfeld, a.a.O., Rdnr. 30, 31; Curall, a.a.O., Rdnr. 47 ff.

Hieran anknüpfend hat der EuGH in seiner Rechtsprechung den Grundsatz entwickelt, dass eine Ungleichbehandlung immer dann vorliegt, wenn bei gleicher Stundenzahl, die aufgrund eines Arbeitsverhältnisses geleistet wird, die den Vollzeitbeschäftigten gezahlte Gesamtvergütung höher ist als die den Teilzeitbeschäftigten gezahlte.

Vgl. EuGH, Urteil vom 15.12.1994 - Rs. C-399/92 u.a. -, Slg. I-5727, 5754 Rdnr. 26; Urteil vom 13.5.1986 - Rs. 170/74 -, NJW 1986, 3020, Rdnr. 27 des Urteils; eingehend: Curall, a.a.O., Rdnr. 74-77.

Die in Rede stehenden Unterrichtsstunden sind für die teilzeitbeschäftigte Klägerin im Vergleich zu einem vollzeitbeschäftigten Oberstudienrat, der diese Unterrichtsstunden leistet, "gleiche bzw. gleichwertige Arbeit" im Sinne von Art. 141 EG-Vertrag. Dass sie diese Stunden zusätzlich zu einer reduzierten Stundenzahl geleistet hat, während ein vollzeitbeschäftigter Oberstudienrat vergleichbare Stunden als "reguläre" Arbeitszeit leistet, führt zu keiner anderen Bewertung. Bei der Beurteilung, ob eine Arbeit gleich oder gleichwertig ist, bleiben Faktoren wie die tägliche oder wöchentliche Arbeitszeit der Beschäftigten unberücksichtigt.

Vgl. Langenfeld, a.a.O., Rdnr. 63 (m.w.N. aus der Rechtsprechung des EuGH).

Teilzeitarbeit unterscheidet sich von der Vollzeitarbeit nur in quantitativer, nicht in qualitativer Hinsicht. Eine geringere Arbeitszeit darf daher grundsätzlich nur quantitativ, nicht aber qualitativ anders abgegolten werden als Vollzeitarbeit.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27.11.1997 - 1 BvL 12/91 -, NJW 1998, 1215, 1216.

Gemessen an den zuvor aufgezeigten Grundsätzen stellt die vom Beklagten der Klägerin zugestandene Vergütung für die geleisteten fünf Mehrarbeitsstunden nach der Mehrarbeitsvergütungsverordnung eine Ungleichbehandlung im Sinne von Art. 141 EG-Vertrag gegenüber der an Vollzeitbeschäftigte für vergleichbare Stunden geleisteten Besoldung dar. Dabei geht der Senat zunächst davon aus, dass in der Gruppe der teilzeitbeschäftigten beamteten Lehrer Frauen proportional deutlich stärker vertreten sind als in der Gruppe der vollzeitbeschäftigten beamteten Lehrer. Dies wird von den Beteiligten vorausgesetzt und entspricht der Lebenserfahrung. Die anteilige Besoldung für Unterrichtsstunden, die über die 20. Wochenunterrichtsstunde hinausgehen, wie sie vollzeitbeschäftigten Oberstudienräten an Gymnasien mit regelmäßiger Wochenunterrichtstundenzahl von 25,5 gewährt wird, ist höher als die der Klägerin für diese Unterrichtsstunden vom Beklagten zugestandene Mehrarbeitsvergütung. Nach den Berechnungen des Landesamtes für Besoldung und Versorgung beträgt die Vergütung für die im Dezember 1999 geleisteten fünf Mehrarbeitstunden nach der Mehrarbeitsvergütungsverordnung 232,55 DM. Die anteilige Besoldung, wie sie ein gleichalter vollzeitbeschäftigter Oberstudienrat für vergleichbare - für ihn als Regelstunden zu leistenden - Stunden erhält, beträgt 350,00 DM. Somit gesteht der Beklagte der Klägerin im Vergleich zu einem vollzeitbeschäftigten Oberstudienrat 117,45 DM weniger für die gleiche Anzahl geleisteter Unterrichtsstunden zu.

2. Eine Rechtfertigung für die aufgezeigte Ungleichbehandlung in der Vergütung der teilzeitbeschäftigten Klägerin gegenüber vollzeitbeschäftigten Oberstudienräten ist nicht erkennbar.

Nach der Rechtsprechung des EuGH ist ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz gerechtfertigt, wenn die Maßnahme einem legitimen sozialpolitischen Ziel dient und für die Erreichung dieses Zieles geeignet und erforderlich ist; eine derartige Rechtfertigung setzt Gründe voraus, die nichts mit einer Diskriminierung auf Grund des Geschlechts zu tun haben.

Vgl. EuGH, Urteil vom 26.9.2000 - Rs. C - 322/98 -, EuZW 2000, 691, 692 Rdnr. 30 des Urteils.

Bei der Prüfung, ob eine mittelbare Schlechterstellung von Frauen gerechtfertigt ist, ist eine Abwägung vorzunehmen. Dabei sind das Interesse an der Gleichbehandlung und der Zweck der Maßnahme, die faktisch ein Geschlecht stärker betrifft, im Hinblick auf die Erreichung eines bestimmten Zieles einander gegenüber zu stellen. Der nach diesen Vorgaben durchzuführende Abwägungsprozess obliegt den nationalen Gerichten. Bisher in der Rechtsprechung anerkannte Rechtfertigungsgründe für eine Ungleichbehandlung sind etwa: Dienstalter, Qualifikation, Mangel an Fachkräften, Produktivität, Flexibilität.

Vgl. Curall, a.a.O., Rdnr.72; Geiger, EUV/EGV, Kommentar, 3. Aufl. 2000, § 141 Rdnr. 10.

Diese oder vergleichbare Rechtfertigungsgründe sind nicht erkennbar. Insbesondere kann die Ungleichbehandlung nicht damit gerechtfertigt werden, dass die Mehrarbeit für Teilzeitbeschäftigte nur eine vorübergehende Belastung ist, während die entsprechenden Unterrichtsstunden von Vollzeitbeschäftigten regelmäßig geleistet werden. Dieser Umstand beschreibt allein den Unterschied zwischen Teil- und Vollzeitbeschäftigung, bietet aber keine inhaltliche Rechtfertigung.

Vgl. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21.4.1999 - 5 AZR 200/98 -, NVwZ-RR 1999, 659, 662.

Der Beklagte hat auch für seine Auffassung, wonach die von der Klägerin geleisteten Mehrarbeitsstunden nur nach der Mehrarbeitsvergütungsverordnung abzugelten sind, keine besondere Rechtfertigung gegeben. Sein Vorbringen, Beamte und Angestellte dürften wegen des unterschiedlichen Status ungleich behandelt werden, trifft nicht den entscheidenden Punkt. Es geht nicht um einen Vergleich von teilzeitbeschäftigten Beamten mit teilzeitbeschäftigten Angestellten, sondern um einen Vergleich von teilzeitbeschäftigten Beamten mit vollzeitbeschäftigten Beamten. Der Beklagte hat auch sonst keine Gesichtspunkte vorgetragen, die dem Senat hätten Anlass geben können, der Frage nach einer Rechtfertigung für die aufgezeigte Ungleichbehandlung in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht weiter nachzugehen.

Schließlich ist auch eine - die beschriebene Ungleichbehandlung legitimierende -Rechtfertigung durch den (Besoldungs-)Gesetzgeber nicht ersichtlich. Haushaltspolitische Erwägungen sind jedenfalls grundsätzlich nicht geeignet, eine mittelbare Ungleichbehandlung zu rechtfertigen.

Vgl. Langenfeld, a.a.O., Rdnr. 37 (m.w.N. aus der Rechtsprechung des EuGH).

3. Rechtsfolge des Verstoßes gegen den Entgeltgleichheitsgrundsatz nach Art. 141 EG-Vertrag ist, dass die Klägerin einen Anspruch auf Angleichung des Entgelts für die fünf Mehrarbeitsstunden an das Entgelt hat, welches vollzeitbeschäftigte Oberstudienräte für vergleichbare Stunden beziehen, nämlich eine anteilige Besoldung. Die entgegenstehenden Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Zwar enthält Art. 141 EG-Vertrag selbst keine ausdrückliche Regelung darüber, welche Rechtsfolgen sich aus einer Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ergeben. Die gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßenden Regelungen des nationalen Rechts können aber weder einer behördlichen noch einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 29.11.1990 - 3 C 77.87 -, BVerwGE 87, 154, 158; EuGH, Urteil vom 7.2.1991 - Rs. C-184/89 -, Slg. 1991, I-297, 321 Rdnr. 19 des Urteils.

In der Rechtsprechung des EuGH ist zudem anerkannt, dass einem in der Vergangenheit liegenden Verstoß gegen den Grundsatz der Entgeltgleichheit nicht anders als durch die Anhebung der niedrigeren Löhne und Gehälter auf das Niveau des durch die Ungleichbehandlung begünstigten Geschlechts Rechnung getragen werden kann.

Vgl. EuGH, Urteil vom 7.2.1991 - Rs. C - 184/89 -, Slg. 1991, I - 297, 321 Rdnr. 21; Urteil vom 8.4.1976 - Rs. 43/75 -, Slg. 1976, 455, 473, 476 Rdnrn. 15, 37, 40; Curall, a.a.O., Rdnr. 81; Geiger, a.a.O., Rdnr. 19.

Der Anspruch der Klägerin auf Zahlung einer anteiligen Besoldung nach der Besoldungsgruppe A 14 für die geleisteten fünf Mehrarbeitsstunden folgt demgemäß unmittelbar aus Art. 141 EG-Vertrag.

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