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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 21.09.2006
Aktenzeichen: 2 L 168/05
Rechtsgebiete: VwGO, GG, GKG


Vorschriften:

VwGO § 114 S. 2
GG Art. 103 Abs. 1
GKG § 41 Abs. 2
GKG § 52 Abs. 1
1. Die Ergänzung von Ermessenserwägungen nach § 114 Satz 2 VwGO bedarf der Schriftform. Dazu genügt es, wenn die Ergänzung in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll erklärt wird.

2. Zum Streitwert bei einer Nutzungsuntersagung.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 L 168/05

Datum: 21.09.2006

Gründe:

1. Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.

Das Verwaltungsgericht hat angenommen, die Nutzungsuntersagung sei rechtswidrig, weil der Beklagte zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass es sich bei der der Baugenehmigung vom 15.02.1996 beigefügten Nebenbestimmung über die Zahlung eines Stellplatzablösebetrags um eine Bedingung im Sinne von § 36 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG LSA (a. F.) handele. Stufe man die Nebenbestimmung als selbständige Auflage ein, führe dies dazu, dass es bereits an den Voraussetzungen für den Erlass einer Nutzungsuntersagung fehle. Sofern es sich um eine inhaltsändernde (modifizierende) Auflage handele, sei die Nutzung zwar nicht von der erteilten Baugenehmigung mit ihrem konkreten, eine Zahlungspflicht umfassenden Inhalt gedeckt. Die streitige Verfügung sei dann aber ermessensfehlerhaft, weil die Beklagte von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen sei. Es sei nicht auszuschließen, dass die Beklagte oder die Widerspruchsbehörde, hätten sie den fehlenden Charakter einer Bedingung bedacht, eine andere Entscheidung getroffen, beispielsweise lediglich die Nutzung einer der beiden Gewerbeeinheiten im Erdgeschoss untersagt oder von einer Nutzungsuntersagung gänzlich abgesehen hätte.

Dem hält die Beklagte entgegen, sie habe in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich erklärt, dass es für ihre Entscheidung ohne Belang sei, ob die Nutzung des Bauwerks wegen Nichteintritts der Bedingung oder deswegen rechtswidrig sei, weil die Nutzung und der Bau nicht den Bestimmungen der Baugenehmigung entsprächen. Sie habe klargestellt, dass sie auch bei Einordnung der Nebenbestimmung als modifizierende Auflage die Verfügung so erlassen hätte. Damit habe sie die (gegebenenfalls) erforderlichen Ermessenserwägungen gemäß § 114 Satz 2 VwGO ergänzt, auch wenn sie diesen Vortrag nicht ausdrücklich zu Protokoll erklärt habe. Damit vermag die Beklagte indes nicht durchzudringen.

In welcher Weise eine Ermessensergänzung zu erfolgen hat, lässt sich § 114 Satz 2 VwGO nicht entnehmen; dies ist vielmehr eine Frage des Verwaltungsverfahrensrechts (vgl. Bader, Die Ergänzung von Ermessenserwägungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, NVwZ 1999, 120 [124]). Um eine eindeutige und verbindliche Erklärung abgeben zu können, und weil die Ergänzung eine wesentliche Prozesserklärung darstellt, ist die Schriftform einer solchen Erklärung erforderlich (Bader, a. a. O., Kuntze in: Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO, 3. Aufl., § 114 RdNr. 61; vgl. auch Eyermann, VwGO, 12. Aufl., § 114 RdNr. 92; Gerhardt in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 114 RdNr. 12e). Da der angefochtene Bescheid schriftlich erlassen worden ist, muss aus auch Gründen der Bestimmtheit des Verwaltungsakts eine Änderung ebenfalls schriftlich erfolgen (vgl. BayVGH, Urt. v. 04.08.2004 - 1 B 01.2807 -, Juris). Eine prozessual eindeutige Erklärung ist ferner deshalb nötig, weil die Klägerseite die Möglichkeit haben muss, auf eine Ermessensergänzung seinerseits mit einer Prozesserklärung, beispielsweise einer Erledigungserklärung, oder einem Antrag auf Vertagung oder Schriftsatznachlass reagieren zu können.

Die Schriftform wäre durch eine in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll gegebene Erklärung gewahrt worden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 15.03.2000 - 2 B 98.99 -, NVwZ 2000, 1186; BayVGH, Urt. v. 04.08.2004, a. a. O.). Dies hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung indes versäumt. Da es sich bei der Ermessensergänzung nicht um reinen Sachvortrag, sondern um eine Prozesserklärung handelt, konnte sie das Verwaltungsgericht entgegen der Ansicht der Beklagten bei seiner Entscheidung nicht ohne Beachtung der Schriftform berücksichtigen. Die Behörde wird durch diese Formstrenge auch nicht unangemessen benachteiligt. Werden - wie hier - erstmals in der mündlichen Verhandlung seitens des Gerichts Ermessensfehler angesprochen, die zuvor im Verfahren nicht thematisiert wurden und sich der Behörde auch nicht aufdrängen mussten, und kann sich der Behördenvertreter im Termin nicht abschließend erklären, hat er einen Anspruch auf Vertagung bzw. Schriftsatzfrist, um gegebenenfalls ergänzende Ermessenserwägungen nachschieben zu können (vgl. Bader, a. a. O.; vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 21.12.1999 - 7 B 155.99 -, Buchholz 303 § 227 ZPO Nr. 29). Auch von dieser prozessualen Möglichkeit hat die Beklagte keinen Gebrauch gemacht.

Da es bereits an der erforderlichen Schriftform fehlt, kann offen bleiben, ob die Erklärung der Beklagten, auch im Fall der Einstufung der Nebenbestimmung als modifizierende Auflage hätte sie den Verwaltungsakt so erlassen, inhaltlich den Anforderungen an eine Ermessensergänzung genügt und ob sie damit zugleich ausreichend begründet ist (vgl. hierzu Bader, a. a. O.).

2. Auch der geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) liegt nicht vor. Das Verwaltungsgericht hat den Anspruch der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht verletzt.

Der Senat hat wiederholt entschieden (vgl. z. B.: OVG LSA, Beschl. v. 01.08.1996 - A 2 S 332/96 -), schon einfaches Verfahrensrecht (§§ 108 Abs. 1 Satz 2; 117 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) verlange nicht, dass sich die Entscheidungsgründe mit jeder Einzelheit des Vorbringens befassten; es genüge die Angabe der Gründe, "die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind". Der Grundsatz rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) gebietet dem Gericht gleichfalls nicht, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen ausdrücklich zu bescheiden (BVerfG, Beschl. v. 17.11.1992 - 1 BvR 168,1509/89, 638,639/90 -, BVerfGE 87, 363 [392 f]). Art. 103 Abs. 1 GG fordert allein, dass das Gericht das Vorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat (BVerfG, Beschl. v. 19.05.1992 - 1 BvR 986/91 -, BVerfGE 86, 133 [145]). Art. 103 Abs. 1 GG ist erst verletzt, wenn das Gericht gegen diesen Grundsatz erkennbar verstoßen hat; das Bundesverfassungsgericht geht grundsätzlich davon aus, dass ein Gericht dem Verfassungsgebot entsprochen hat (BVerfGE 86, 133 [146]; 87, 363 [392]). Als Indiz für die Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG ist erst anzusehen, wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Parteivortrags zu einer Frage von zentraler Bedeutung nicht eingegangen ist, sofern das Vorbringen vom Gericht nicht für unerheblich oder offensichtlich unsubstanziiert gehalten wird (BVerfGE 86, 133 [146]).

Den Vortrag der Beklagten in der mündlichen Verhandlung, sie hätte den Bescheid auch im Fall der Einstufung der Nebenbestimmung als modifizierende Auflage so erlassen, konnte das Verwaltungsgericht aus den bereits dargelegten Gründen nicht als Ergänzung der Ermessenserwägungen im Sinne von § 114 Satz 2 VwGO berücksichtigen. Da dieses Vorbringen als bloßer Sachvortrag den nach Auffassung des Verwaltungsgerichts vorliegenden Ermessensfehler nicht beseitigen konnte und damit für die Entscheidung nicht erheblich war, musste sich das Verwaltungsgericht in den Urteilsgründen auch nicht ausdrücklich damit befassen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes i. d. F. des Art. 1 des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes v. 05.05.2004 (BGBl I 718) - GKG n. F. - i. V. m. Nr. 9.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom Juli 2004 (NVwZ 2004, 1327 [1328]). Danach ist als Streitwert bei einem Nutzungsverbot die Höhe des Schadens oder der Aufwendungen (geschätzt) anzusetzen. In entsprechender Anwendung des § 41 Abs. 2 GKG n. F., der Streitigkeiten um die Räumung eines Grundstücks wegen der Beendigung von Miet-, Pacht- oder ähnlichen Nutzungsverhältnissen betrifft, ist der Streitwert auf die für die Dauer eines Jahres ausfallenden Mieteinnahmen zu begrenzen (vgl. BayVGH, Beschl. v. 08.07.1999 - 2 C 99.1930 -; Beschl. v. 12.03.2003 - 2 C 02.1503 -, Juris; vgl. auch Beschl. d. Senats v. 07.03.2006 - 2 L 76/04 -, Juris). Nach den von den Klägern im Verfahren über die Streitwertbeschwerde (2 O 172/05) vorgelegten Mietverträgen sind die beiden in Rede stehenden Gewerbeeinheiten zu einem Mietzins von 730,40 € bzw. 1.500,00 DM (= 766,94 €) vermietet. Der jährliche Ertragsverlust beläuft sich damit auf den im Tenor als Streitwert festgesetzten Betrag.

Entgegen der Ansicht des Prozessbevollmächtigten der Kläger, die er im Streitwertbeschwerdeverfahren (2 O 172/05) vertreten hat, kann als Streitwert nicht der Betrag angesetzt werden, den die Kläger (noch) als Stellplatzablösebetrag zu zahlen haben (98.168,04 €). Diese Auffassung lässt sich nicht mit der Erwägung begründen, dass die Nichtzahlung der Ablösesumme Grund für den Erlass der streitgegenständlichen Nutzungsuntersagung war und die Beklagte die Verfügung von sich aus aufgehoben hätte, sobald die Zahlung geleistet worden wäre. Maßgeblich ist allein die sich aus dem Antrag der Kläger für sie ergebende Bedeutung der Sache. Der Klageantrag war auf die Aufhebung des Nutzungsverbots gerichtet. Abzustellen ist damit allein darauf, welche wirtschaftlichen Nachteile die Kläger durch die den Streitgegenstand bildende Untersagungsverfügung und nicht durch die - nicht streitgegenständliche - Nebenbestimmung zur Baugenehmigung erleiden.

Ende der Entscheidung

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