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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 17.09.2004
Aktenzeichen: 2 L 193/03
Rechtsgebiete: VwGO
Vorschriften:
VwGO § 60 I | |
VwGO § 124a VI 1 |
2. Ein die Wiedereinsetzung ausschließendes Verschulden ist auch dann anzunehmen, wenn die Auffassung, welche der Beteiligte seinem Handeln zu Grunde legt, früher einmal in der Recht-sprechung vertreten worden, diese Ansicht aber inzwischen eindeutig aufgegeben worden ist.
OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS
Aktenz.: 2 L 193/03
Datum: 17.09.2004
Gründe:
Der Beschluss beruht auf §§ 125 Abs. 2; 124a Abs. 5 und 6; 60 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. d. Bek. v. 19.03.1991 (BGBl I 686) - VwGO -, in der Fassung des Gesetzes vom 20.12.2001 (BGBl I 3987) - VwGO 02 -, sowie auf § 154 Abs. 2 VwGO <Kosten> und auf § 13 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes i. d. F. d. Bek. v. 15.12.1975 (BGBl I 3047) - GKG -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 14.03.2003 (BGBl I 345 [349]), <Streitwert>.
Die Berufung ist zu verwerfen; denn die Beklagte hat die Berufung nicht fristgerecht begründet (1.). Ihr ist auch nicht gemäß § 60 Abs. 1 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Darlegungsfrist zu gewähren; denn sie war nicht ohne Verschulden verhindert, diese gesetzliche Frist einzuhalten (2.).
1. Nach § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO ist die Berufung in den Fällen, in denen sie - wie hier durch den Beschluss des Senates vom 02.08.2004 - vom Oberverwaltungsgericht gemäß § 124a Abs. 5 VwGO zugelassen wurde, innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist gemäß § 124a Abs. 6 Satz 2 VwGO bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Fehlt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen (§ 124a Abs. 6 Satz 3, Abs. 3 Satz 5 i. V. m. § 125 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Dem Erfordernis einer fristgerechten Berufungsbegründung im Sinne des § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO wird nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 08.03.2004 - BVerwG 4 C 6.03 -, NVwZ-RR 2004, 541) - der sich der Senat insoweit anschließt - nur genügt, wenn innerhalb eines Monats nach Zustellung des Zulassungsbeschlusses ein gesonderter Begründungsschriftsatz eingereicht wird. Mit der Einreichung der Begründungsschrift nach Zulassung der Berufung soll der Berufungskläger nämlich eindeutig zu erkennen geben, dass er nach wie vor an der Durchführung des Berufungsverfahrens interessiert ist (BVerwG, Urt. v. 30.06.1998 - BVerwG 9 C 6.98 -, BVerwGE 107, 117 [zu § 124a Abs. 3 VwGO 1996]; Beschl. v. 03.12.2002 - BVerwG 1 B 429.02 -, NVwZ 2003, 868). Zweck der Begründungspflicht nach § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO ist es, dass der Berufungskläger eindeutig klarstellt, dass er die Berufung durchführen will und weshalb er sie für begründet hält (BVerwG, Urt. v. 08.03.2004 - BVerwG 4 C 6.03 -, a. a. O.; Urt. v. 23.04.2001 - BVerwG 1 C 33.00 -, BVerwGE 114, 155). Zwar sind an den Inhalt eines Begründungsschriftsatzes im Sinne des § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO keine hohen Anforderungen zu stellen; insbesondere muss er nicht als Berufungsbegründung gekennzeichnet sein und kann sich - je nach den Umständen des Einzelfalles - auch in einer Bezugnahme auf das Zulassungsvorbringen erschöpfen (BVerwG, Urt. v. 08.03.2004 - BVerwG 4 C 6.03 -, a. a. O.). Als Mindestanforderung für eine ordnungsgemäße Berufungsbegründung ist aber jedenfalls die Einreichung eines gesonderten Schriftsatzes erforderlich, weshalb es für eine hinreichende Berufungsbegründung im Sinne des § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO insbesondere nicht genügt, wenn die Anträge und die Begründung der Berufung schon im Antrag auf Zulassung der Berufung enthalten waren (BVerwG, Urt. v. 08.03.2004 - BVerwG 4 C 6.03 -, a .a. O.).
In Anwendung dieses Maßstabes fehlt es hier an einer rechtzeitigen Berufungsbegründung im Sinne des § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO. Der Zulassungsbeschluss des Senates vom 02.08.2004 ist der Beklagten ausweislich des von ihr abgegebenen Empfangsbekenntnisses am 04.08.2004 zugestellt worden. Die dem Beschluss beigefügte Rechtsmittelbelehrung enthält auch den Hinweis, die Berufung sei innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses zu begründen. Hieran hat sich die Beklagte jedoch nicht gehalten. Einen Schriftsatz zur Berufungsbegründung hat sie vielmehr erstmals am 13.09.2004 und damit nach Fristablauf eingereicht. Soweit die Beklagte hiergegen geltend macht, dass die Berufungsbegründung inhaltlich mit der Begründung ihres Zulassungsantrags übereinstimme und es demnach keines gesonderten Begründungsschriftsatzes mehr bedurft habe, kann sie mit diesem Einwand nicht durchdringen; denn der Zeck der Berufungsbegründung im Sinne des § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO erschöpft sich - wie dargelegt - nicht in einer (nochmaligen) Darlegung der Gründe, weshalb der Rechtsmittelführer das angefochtene Urteil für unrichtig hält. Der Begründungsschriftsatz dient vielmehr auch und vor allem der Klarstellung, dass der Berufungskläger die Berufung durchführen will.
2. Der Beklagten ist auch keine Wiedereinsetzung in die versäumte Begründungsfrist zu gewähren; denn sie hat nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass sie ohne Verschulden verhindert war, diese Frist einzuhalten (vgl. § 60 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 VwGO).
Als Entschuldigungsgrund hat die Beklagte lediglich vorgetragen, der zuständige Sachbearbeiter habe eine gesonderte Berufungsbegründungsschrift für entbehrlich gehalten, weil das Ziel der Rechtsmitteleinlegung sowie sämtliche Angriffsmittel bereits aus der Antragsschrift hervorgingen und die Einreichung einer hiermit deckungsgleichen Berufungsbegründung dem Grundsatz der Prozessökonomie widersprochen hätte. Diese Rechtsauffassung widerspricht jedoch sowohl der Vorschrift des § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO als auch der hierzu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung (BVerwG, Urt. v. 08.03.2004 - BVerwG 4 C 6.03 -, a. a. O.). Eine derartige Rechtsunkenntnis kann die Fristversäumnis aber grundsätzlich nicht entschuldigen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 60 RdNr. 12). Der Betroffene muss sich vielmehr in geeigneter, zuverlässiger Weise informieren (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., a. a. O.).
Entschuldigt ist ein Rechtsirrtum nur in Ausnahmefällen, etwa wenn sich ein Betroffener bei einer dritten Person erkundigt hat, die nicht mit der Wahrnehmung seiner Interessen betraut war, oder wenn die Auslegung einer Vorschrift durch die Rechtsprechung noch nicht geklärt ist und der Betroffene mit einer anderen Auslegung als der, die er für richtig gehalten hat, nicht rechnen musste (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., a. a. O.). Letzteres kann insbesondere zu bejahen sein, wenn eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung hinsichtlich der Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Rechtsmittels dem Kläger bzw. seinem Bevollmächtigten noch nicht bekannt sein musste (vgl. BVerwG, Beschl. v. 31.08.1999 - BVerwG 9 B 171.99 -, NVwZ 2000, 66); denn aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit darf es den Beteiligten nicht als Verschulden angerechnet werden, wenn sie auf eine eindeutige Rechtsprechung eines obersten Bundesgerichts vertrauen und mit einer strengeren Handhabung von Verfassungsvorschriften nicht rechnen mussten (vgl. BVerwG, Beschl. v. 31.08.1999 - 9 B 171.99 -, a. a. O.). Ein derartiger Ausnahmefall liegt hier aber nicht vor. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 25.07.1997 (BVerwG 9 B 690.97 -, DVBl 1997, 1325) die der Ansicht der Beklagten entsprechende Rechtsauffassung vertreten, dass ein gesonderter Schriftsatz für die Berufungsbegründung entbehrlich ist, wenn die Berufungsgründe bereits in dem Schriftsatz zur Begründung des Zulassungsantrags enthalten sind. Diese Rechtsauffassung hat es aber bereits in seinem Urteil vom 30.06.1998 (BVerwG 9 C 6.98 -, BVerwGE 107, 117) ausdrücklich aufgegeben und seitdem auch nicht mehr vertreten (vgl. BVerwG, Urt. v. 08.03.2004 - BVerwG 4 C 6.03 -, a. a. O.).
Ende der Entscheidung
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