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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Urteil verkündet am 06.02.2004
Aktenzeichen: 2 L 283/01
Rechtsgebiete: LSA-BauO, LSA-VwVfG


Vorschriften:

LSA-BauO § 3 I
LSA-BauO § 55 I
LSA-BauO § 55 II
LSA-BauO § 74 I 1
LSA-VwVfG § 35
LSA-VwVfG § 48 I 1
LSA-VwVfG § 48 IV 1
1. Die Baugenehmigung ist auch dann ein Verwaltungsakt, wenn die Behörde sie zu Gunsten einer Stelle innerhalb derselben Körperschaft erteilt.

2. Die Baugenehmigung kann zurückgenommen werden, wenn und soweit Gefahren i. S. des § 3 Abs. 1 BauO LSA bekannt werden.

3. Die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 (LSA-)VwVfG beginnt erst dann zu laufen, wenn der Behörde alle für ihre Entscheidung - insbesondere Ermessensentscheidung - maßgeblichen Umstände bekannt sind.

4. Die öffentliche Sicherheit ist nicht gewährleistet, wenn in einem Krankenhaus bauliche Anlagen die Notfall-Rettung verhindern.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT URTEIL

Aktenz.: 2 L 283/01

Datum: 06.02.2004

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die von der Beklagten verfügte teilweise Rücknahme einer Baugenehmigung.

Der Kläger ist Träger des Kreiskrankenhauses Köthen. Am 18.10. bzw. 02.11.1995 beantragte er bei seinem Bauordnungsamt die Erteilung einer Baugenehmigung für das Vorhaben "Kreiskrankenhaus Köthen, 1. Neubauabschnitt". Am 09.01.1996 erteilte das Bauordnungsamt des Klägers der "Landkreisverwaltung Köthen/Anhalt" die Baugenehmigung Nr. 15/96. Dieses Bauvorhaben ist inzwischen realisiert und wird bestimmungsgemäß benutzt.

Durch Erlass des damaligen Ministeriums für Wohnungswesen, Städtebau und Verkehr vom 26.10.1998 wurden der Beklagten die Aufgaben der unteren Bauaufsichtsbehörde gemäß § 62 Abs. 1 Satz 2 der Bauordnung des Landes Sachsen-Anhalt mit Wirkung vom 01.04.1999 übertragen. Mit bauaufsichtlicher Verfügung vom 08.01.2000 nahm die Beklagte unter gleichzeitiger Anordnung der sofortigen Vollziehung die dem Kläger erteilte Baugenehmigung Nr. 15/96 vom 08.01.1996 teilweise für die folgenden Punkte zurück:

Ausführung der Eingangstüren der Patientenzimmer, Putz- und Duschräume in den Pflegebereichen, Ausführung der Fluchttüren von den Pflegestationen zu den Treppenhäusern, Ausführung der Brandschutztüren hinsichtlich der Öffnungs-Richtung im Bereich der Pflegestationen.

Zur Begründung wurde ausgeführt, gemäß Nr. 12.5 der Richtlinie über den Bau und Betrieb von Krankenhäusern - KrBauR - müsse die nutzbare Breite von Fluren, in denen Kranke liegend befördert würden, mindestens 2,25 m betragen. Entsprechend der Bauausführung der Zimmertüren in den Pflegebereichen werde dieses Mindestmaß jedoch erheblich unterschritten. so dass eine sichere und schnelle Evakuierung der Patienten in einem Gefahrenfall nicht sichergestellt sei. Auch das realisierte lichte Öffnungsmaß der Fluchttüren von den Pflegestationen zu den beiden Treppenhäusern betrage je Etage nur 0,85 m. Abgesehen von der nicht projektgerechten Ausführung der Türen bedeute dieses Türmaß selbst die Unterschreitung des Türmindestmaßes gemäß Nr. 15.3 KrBauR, wonach Türen eine Mindestbreite von 1,25 m aufweisen müssten. Dies stelle im Notfall eine Gefahr für das Leben und die Gesundheit der Patienten sowie des Pflegepersonals dar. Zudem erfolge die Öffnungsrichtung der Brandschutztüren von den Pflegebereichen entgegen der Fluchtrichtung (Nr. 15.4 KrBauR).

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger unter dem 17.02.2000 Widerspruch, den das Regierungspräsidium Dessau mit Widerspruchsbescheid vom 13.06.2000 zurückwies.

Am 13.07.2000 hat der Kläger bei dem Verwaltungsgericht Dessau Klage erhoben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Rücknahmebescheid sei bereits wegen Nichteinhaltung der Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG LSA unzulässig; denn die aufgezeigten Verstöße bei der Bauausführung seien dem zuständigen Bauordnungsamt seit dem 16.10.1998 bekannt gewesen. Ein anderer Zeitpunkt ergebe sich weder aufgrund der Anweisung des Regierungspräsidiums Dessau an die Beklagte vom 01.12.1999, die Baugenehmigung zurückzunehmen, noch aus dem Wechsel der Behördenzuständigkeit mit Wirkung zum 01.04.1999. Im Übrigen sei der Rücknahmebescheid aber auch materiell rechtswidrig. Die geplante und ausgeführte Breite der Flure betrage der Bauordnung in Verbindung mit der KrBauR entsprechend 2,25 m. Diese Breite werde nicht durch Einbauten eingeengt, insbesondere seien in den Flur hineinragende Türen keine Einbauteile. Entsprechende Regelungen für die Verringerung der nutzbaren Breite durch Türen seien - anders als in Nr. 13.5 Satz 2 KrBauR für Treppen und Treppenabsätze und der Gaststättenbaurichtlinie - nicht vorhanden. Auch das lichte Öffnungsmaß der Flurtüren von den Pflegestationen zu den beiden Treppenhäusern von 0,85 m sei nicht zu beanstanden, weil diese Durchgangsbreite ausreichend sei. Schließlich sei Nr. 15.4 KrBauR bei der Prüfung der Öffnungsrichtung der Brandschutztüren von den Pflegestationen nicht anwendbar, da die streitgegenständlichen Türen überhaupt nicht im Zuge der ersten Rettungswege lägen, so dass die gewählte Türaufschlagsrichtung zulässig sei.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 8. Februar 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Dessau vom 13. Juni 2000 aufzuheben.

Unter Wiederholung ihres Vorbringens im Widerspruchsverfahren hat die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Verwaltungsgericht Dessau hat durch Urteil vom 9. August 2001 - 1 A 228/00 DE - den Rücknahmebescheid der Beklagten vom 08.02.2000 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Dessau vom 13.06.2000 mit der Begründung aufgehoben, die Voraussetzungen für eine Rücknahme gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG LSA seien nicht erfüllt, weil ein rücknehmbarer Verwaltungsakt nicht vorhanden sei. Der "Baugenehmigung" vom 08.01.1996 fehle die für einen Verwaltungsakt erforderliche Außenwirkung, da die genehmigende Stelle und der Empfänger der Baugenehmigung seinerzeit ein und demselben Rechtsträger zugeordnet gewesen seien. Eine Entscheidung, die - wie hier - von einer Dienststelle gegenüber einer anderen Dienststelle desselben Rechtsträgers ausgesprochen werde, könne nicht auf unmittelbare Rechtswirkung nach Außen gerichtet sein.

Durch Beschluss vom 18.03.2003 hat der Senat auf den Antrag der Beklagten die Berufung auf der Grundlage des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen. Zur Begründung ihrer Berufung trägt die Beklagte vor, auch die von dem Kläger sich selbst erteilte Baugenehmigung vom 08.01.1996 habe Verwaltungsaktsqualität, weil die Außenwirkung dieser behördlichen Maßnahme in der Begünstigung des Klägers als Körperschaft durch die eine Pflichtaufgabe zur Erfüllung nach Weisung wahrnehmende Bauaufsichtsbehörde liege, eine vergleichbare Maßnahme auch gegenüber einem Privaten habe ergehen können und es im Verwaltungsverfahren grundsätzlich nicht erforderlich sei, dass die Behörden verschiedenen Rechtsträgern angehörten.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er bezieht sich zur Begründung auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts in dem angefochtenen Urteil.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen. Die Unterlagen sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. d. Bek. v. 19.03.1991 [BGBl I 686] - VwGO -, in der Fassung des Gesetzes vom 20.12.2001 [BGBl I 3987]).

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet; denn ihr Rücknahmebescheid vom 08.02.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Dessau vom 13.06.2000 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Rechtsgrundlage des Rücknahmebescheides der Beklagten vom 08.02.2000 ist § 48 Abs. 1 Satz 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Sachsen-Anhalt i. d. F. d. Bek. v. 07.01.1999 (LSA-GVBl., S. 3) - VwVfG LSA -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 19.03.2002 (LSA-GVBl., S. 130 [135 <Nr. 34>]). Nach dieser Vorschrift kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt; denn die dem Kläger erteilte Baugenehmigung vom 08.01.1996 ist als Verwaltungsakt im Sinne des § 35 Satz 1 VwVfG LSA (1.) rechtswidrig (2.) und die Beklagte war nicht wegen Ablaufs der in § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG LSA bestimmten Jahresfrist an der Rücknahme der Baugenehmigung gehindert (3.).

1. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts handelt es sich bei der dem Kläger erteilten Baugenehmigung Nr. 15/96 vom 08.01.1996 um einen Verwaltungsakt im Sinne des § 35 Satz 1 VwVfG LSA; insbesondere kommt einer Baugenehmigung auch dann Rechtswirkung nach außen zu, wenn - wie hier - die genehmigende Stelle und der Adressat der Baugenehmigung demselben Rechtsträger zugeordnet sind.

Ob eine Verwaltungsmaßnahme ihrer Rechtsnatur nach Verwaltungsakt ist, hängt nämlich davon ab, ob sie nach § 35 Satz 1 VwVfG LSA ihrem objektiven Sinngehalt nach darauf gerichtet ist, unmittelbare Außenwirkung zu entfalten. Ob dies der Fall ist, hängt seinerseits wesentlich von der Ausgestaltung durch das zugrundeliegende materielle Recht ab. Daher kann auch eine Maßnahme gegenüber einem eigenen Rechtsträger ihrem objektiven Sinngehalt nach auf Außenwirkung gerichtet und damit Verwaltungsakt sein, wenn ihre Rechtswirkung unter Berücksichtigung des zugrundeliegenden materiellen Rechts nicht im staatlichen Innenbereich verbleibt, sondern auf den rechtlich geschützten Bereich Dritter übergreift und damit Außenwirkung erzeugt.

Eine solche unmittelbare Auswirkung der streitgegenständlichen Baugenehmigung auf die Rechtssphäre Dritter ist hier gegeben; denn die baurechtliche Gestattung des beantragten Bauvorhabens bestimmt auch im Verhältnis zu Dritten - insbesondere zu Nachbarn -, was Inhalt des Eigentums ist; der Nachbar kann seinerseits der Baugenehmigung gegenüber den Anspruch ableiten, dass seine subjektiven Rechte gewahrt bleiben (BVerwG, Beschl. v. 17.03.1998 - BVerwG 4 B 26.98 -, NVwZ 1998, 737; OVG NW, Urt. v. 05.12.1997 - 7 A 6206/95 - [juris]; OVG NW, Beschl. v. 29.07.1991 - 10 B 1128/91 -, BauR 1991, 733; Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, Kommentar, 6. Aufl., § 35 RdNr. 117). Im Übrigen ist die Baugenehmigung, die eine Behörde gegenüber ihrem eigenen Rechtsträger erlässt, auch deswegen als Verwaltungsakt im Sinne des § 35 Satz 1 VwVfG LSA zu qualifizieren, weil eine entsprechende Baugenehmigung gegenüber einem Privaten unzweifelhaft ebenfalls Verwaltungsaktsqualität aufweist. Sachliche Gründe für eine Differenzierung zwischen Behörden einerseits und Privaten andererseits ergeben sich weder aus dem Verwaltungsverfahrens- noch aus dem Bauordnungsrecht. Vielmehr wird in allen Baugenehmigungsverfahren unabhängig von der Person des Bauherrn die Konformität des Bauvorhabens mit öffentlich-rechtlichen Vorschriften verbindlich festgestellt; dies rechtfertigt die Schlussfolgerung, dass eine Baugenehmigung, die gemäß § 74 Abs. 1 Satz 1 der Bauordnung des Landes Sachsen-Anhalt - BauO LSA 94 - vom 23.06.1994 (LSA-GVBl., S. 723), geändert durch Gesetz vom 24.11.1995 (LSA-GVBl., S. 339), bzw. § 77 Abs. 1 Satz 1 BauO LSA i. d. F. des Gesetzes zur Vereinfachung des Baurechts in Sachsen-Anhalt vom 09.02.2001 [LSA-GVBl., S. 50]), zuletzt geändert durch Gesetz vom 16.07.2003 (LSA-GVBl., S. 158 [161 <Art. 5>]), erteilt wird, immer ein Verwaltungsakt im Sinne des § 35 Satz 1 VwVfG LSA ist.

2. Die dem Kläger erteilte Baugenehmigung vom 08.01.1996 ist insoweit rechtswidrig, als sie zulässt, dass die nutzbare Breite von 2,25 m der im Pflegebereich auf den betreffenden Geschossebenen als Rettungswege dienenden Flure durch geöffnete bzw. offenstehende Zimmertüren eingeengt wird (2.1.), dass für die Fluchttüren von den jeweiligen Pflegestationen zu dem Treppenhaus ein lichtes Öffnungsmaß von nur 0,85 m zulässig ist (2.2.) und dass die Öffnungsrichtung der Brandschutztüren im Bereich der Pflegestationen im 1., 2. und 3. Obergeschoss aus der Sicht der Pflegestationen nach innen, d. h. entgegen der Fluchtrichtung, gerichtet ist (2.3.); denn das Bauvorhaben des Klägers ist insoweit nicht mit öffentlich-rechtlichen Vorschriften im Sinne des hier noch anwendbaren § 75 Abs. 1 Satz 1 BauO LSA 94 vereinbar.

Gemäß § 55 Abs. 1 BauO LSA 94 können, soweit durch die besondere Art oder Nutzung baulicher Anlagen und Räume ihre Benutzer oder Benutzerinnen oder die Allgemeinheit gefährdet oder in unzumutbarer Weise belästigt werden, im Einzelfall zur Verwirklichung der allgemeinen Anforderungen nach § 3 Abs. 1 BauO LSA 94 besondere Anforderungen gestellt oder Erleichterungen gestattet werden. Diese Regelung trägt dem Umstand Rechnung, dass das materiell-rechtliche Programm der Bauordnung auf eine bestimmte Bandbreite von Standardfällen zugeschnitten ist und entsprechend auf besondere Anlagen, die § 55 Abs. 2 BauO LSA 94 im Einzelnen benennt, nicht passt (Jäde/Dirnberger, BauO LSA, Kommentar, § 55 RdNr. 1). Diese höheren Anforderungen zur Gefahrenabwehr bei der Errichtung von Krankenhäusern, die gemäß § 55 Abs. 2 Nr. 5 BauO LSA 94 zu den baulichen Anlagen besonderer Art gehören, sind in Nr. 55 der Verwaltungsvorschriften zum Gesetz über die Bauordnung des Landes Sachsen-Anhalt - VV BauO LSA - vom 03.02.1995 (LSA-MBl., S. 1885) i. V. m. der Richtlinie über den Bau und Betrieb von Krankenhäusern - KrBauR - enthalten. Zwar haben weder die Verwaltungsvorschriften noch die Richtlinie für sich gesehen Rechtsnormqualität, sie stellen aber für den Bau von Krankenhäusern eine Konkretisierung der allgemeinen Anforderungen nach § 3 Abs. 1 BauO LSA 94 dar, wonach bauliche Anlagen u. a. so zu errichten sind, dass die öffentliche Sicherheit oder Ordnung, insbesondere Leben und Gesundheit, nicht gefährdet werden, und können insoweit für die Bewertung der benannten Gefahrentatbestände herangezogen werden (OVG LSA, Beschl. v. 31.05.2001 - 2 M 117/02 -).

2.1. Die von dem Kläger inzwischen umgesetzte Ausführung der Eingangstüren der Patientenzimmer, Putz- und Duschräume in den Pflegebereichen verstößt gegen § 3 Abs. 1 BauO LSA 94 i. V. m. Nr. 12.5 Satz 2 KrBauR, wonach Flure, in denen Kranke liegend befördert werden, eine nutzbare Breite von mindestens 2,25 m haben müssen. Zwar sind die Flure bei geschlossenen Zimmertüren tatsächlich entsprechend der Bauausführung 2,23 m breit; diese Breite ist aber aufgrund der gegenüberliegenden Anordnung der Türen dann nicht mehr gewährleistet, wenn - zum Beispiel in einem Notfall - sämtliche Türen gleichzeitig geöffnet werden müssten. Da die Zimmertüren nicht vollständig bis zum Wandanschlag geöffnet werden können, wird der Bewegungsspielraum in den Fluren bei beidseitig geöffneten Zimmertüren der Patientenzimmer auf ca. 1,25 m, bei beidseitig geöffneten Türen der Putz- und Duschräume auf ca. 1,35 m reduziert.

Diese Einschränkung der Nutzbarkeit der Flure ist mit § 3 Abs. 1 BauO LSA 94 i. V. m. Nr. 12.5 KrBauR nicht vereinbar.

Schon nach seinem Wortlaut bestimmt Nr. 12.5 Satz 1 KrBauR, dass die nutzbare Breite allgemein zugänglicher Flure, zu denen auch die von den Besuchern der Patienten aufgesuchten Flure im Sinne des Satzes 3 gehören, für den größten zu erwartenden Verkehr ausreichen muss, d. h. bei Fluren, in denen Kranke liegend befördert werden, muss zu jeder Zeit ein Begegnungsverkehr mit zwei Betten gewährleistet sein. Diese Auslegung wird bestätigt durch die Regelung in Nr. 12.6 Satz 1 KrBauR, wonach die nutzbare Breite der Flure durch Einbauten nicht eingeengt werden darf, d. h. die gesamte Fläche der Flure muss im Bedarfsfall jederzeit zur Verfügung stehen. Dies ist aber weder bei festen Einbauten noch bei in den Flur hineinragenden Zimmertüren, die aufgrund ihrer besonderen Konstruktion nicht bis zur Flurwand aufschlagen können, gewährleistet.

Im Übrigen dient die Regelung in Nr. 12 KrBauR - wie dargelegt - in erster Linie dazu, die in § 3 Abs. 1 Satz 1 BauO LSA 94 geregelten allgemeinen Anforderungen an die Errichtung von baulichen Anlagen - vor allem im Bereich des vorbeugenden Brandschutzes (Verarbeitung nichtbrennbarer Baustoffe; dichtschließende Türen) - zu konkretisieren, um Gefährdungen für Leben und Gesundheit weitestgehend auszuschließen. Diese Aspekte sind auch bei der Anwendung und Auslegung der Richtlinie Nr. 12.5 Satz 2 KrBauR zu berücksichtigen, d. h. die Anforderungen der Regelung müssen auch in einem Notfall (z. B. Brand) gewährleistet werden können. Eine sichere und schnelle Evakuierung der Patienten in einem Gefahrenfall ist aber bei geöffneten Türen gerade nicht sichergestellt, weil die Betten nicht unverzüglich aus dem Gefahrenbereich gebracht werden können.

Der Kläger kann sich demgegenüber nicht mit Erfolg darauf berufen, Nr. 12.5 KrBauR sehe anders als Nr. 13.5 Satz 2 KrBauR keine ausdrückliche Regelung für die Einengung durch geöffnete Türen vor, mit der Folge, dass die in Nr. 12.5 Satz 2 KrBauR geforderte Mindestbreite von 2,25 m auch durch offen stehende Zimmertüren gewährleistet sei; denn zum einen ergibt sich - wie oben dargelegt - sowohl aus dem Wortlaut der Nr. 12.5 KrBauR als auch aus dem Gesamtzusammenhang der Regelung, dass eine Verringerung der Breite durch offen stehende Türen vom Regelungszweck der Nr. 12.5 KrBauR nicht gedeckt ist. Zum anderen ist Nr. 13.5 KrBauR ausdrücklich nur für die Errichtung von Treppen und Rampen einschlägig, die anders als Flure nicht dem Transport von Patientenbetten dienen und damit anderer Regelungen und Klarstellungen bedürfen als Flure. Gleiches gilt, soweit der Kläger auf die Richtlinie über den Bau und Betrieb von Gaststätten (Nr. 13.1 Satz 2 Türen) verweist; insbesondere sind bei der Errichtung von Gaststätten andere Sicherheitsvorschriften zu beachten als beim Bau eines Krankenhauses, so dass sich eine Übertragbarkeit der Richtlinien schon vom Ansatz her verbietet.

2.2. Die von dem Kläger errichteten Fluchttüren von den jeweiligen Pflegestationen zum Treppenhaus mit einem lichten Öffnungsmaß von 0,85 m sind bereits formell illegal, da diese Errichtung mit der Baugenehmigung vom 08.01.1996 nicht übereinstimmt; denn dem Kläger wurde eine lichte Durchgangsbreite von 1,01 m genehmigt. Soweit im Rahmen eines Gesprächs am 16.07.1998 von einem Vertreter des Bauordnungsamts die Auffassung geäußert wurde, die Tolerierung der 85 cm sei als absolute Ausnahme zu betrachten, ist hierin eine Genehmigung der Bauausführung nicht zu sehen; denn die Ergebnisse des Gesprächs sind nicht Gegenstand eines Nachtrags zur Baugenehmigung vom 08.01.1996 geworden.

Die tatsächliche Bauausführung von 0,85 m ist auch nicht genehmigungsfähig; denn gemäß § 3 Abs. 1 BauO LSA 94 i. V. m. Nr. 15.3 KrBauR sollen Türen, durch die Kranke liegend befördert werden, eine lichte Breite von mindestens 1,25 m haben. Soweit der Kläger dagegen einwendet, die tatsächlich realisierte Breite von 0,85 m sei seiner Auffassung nach ausreichend, weil im Falle einer Evakuierung der Transport der Patienten nicht im Bett, sondern auf wesentlich schmaleren Tragen erfolgen soll, führt dies zu keinem anderen Ergebnis, da Nr. 15.3 nicht von einer Umbettung der Patienten auf Tragen ausgeht, sondern eine Liegendbeförderung im Patientenbett gewährleisten will. Die von dem Kläger beabsichtigte Umbettung, um die Fluchttüren passieren zu können, erscheint bei Schwerstkranken nicht nur unrealistisch, sondern stellt angesichts der im Gefahrenfalle bestehenden Notwendigkeit einer zügigen und schnellen Evakuierung eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, insbesondere des Lebens und der Gesundheit der Patienten und des Klinikpersonals, dar, mit der Folge, dass eine eigenmächtige Reduzierung der Türbreite nicht mit § 3 Abs. 1 Satz 1 BauO LSA 94 i. V. m. Nr. 15.3 KrBauR vereinbar ist.

2.3. Schließlich entspricht auch die Öffnungsrichtung der Brandschutztüren im Bereich der Pflegestationen im 1., 2. und 3. Obergeschoss nicht § 3 Abs. 1 BauO LSA 94 i. V. m. Nr. 15.4 Satz 1 KrBauR. Danach dürfen Türen im Zuge von Rettungswegen nur in Fluchtrichtung aufschlagen. Diese Bestimmung ist bei der Ausführung der Fluchttüren von den Pflegestationen aus in die anliegenden Treppenhäuser nicht beachtet worden; denn diese öffnen sich nach innen, also entgegen der Fluchtrichtung.

Soweit der Kläger dagegen einwendet, Nr. 15.4 KrBauR sei schon deswegen nicht anwendbar, weil die streitgegenständlichen Türen nicht im Zuge der ersten Rettungswege lägen und die jeweiligen zweiten Rettungswege nach Nr. 11.4 KrBauR möglichst entgegengesetzt zu führen seien, führt dieser Einwand zu keiner anderen Beurteilung; denn auch für diesen Fall weisen die Brandschutztüren die falsche Öffnungsrichtung auf. Die nach den Bauplänen verwirklichten Brandschutztüren öffnen gegenwärtig in Richtung des östlichen Teils der Pflegestation, in dem der überwiegende Teil der Patienten untergebracht ist. Eine Evakuierung dieser Patienten erfolgt im Notfall über den in östlicher Richtung verlaufenden ersten Rettungsweg. Jenseits der Brandschutztüren, im westlichen Teil der Station, befinden sich außer den Patientenaufenthaltsräumen überwiegend Personal- und Versorgungsräume. Personen aus diesem Bereich werden nach den Fluchtplänen im ersten Rettungsweg in das nordwestliche Treppenhaus evakuiert. Dem Kläger ist zwar zuzustimmen, dass die streitgegenständlichen Brandschutztüren zwischen dem Ost- und Westflügel im Rahmen des zweiten Rettungswegs gemäß Nrn. 11.4 und 15.4 KrBauR sowohl in östlicher als auch in westlicher Richtung aufschlagen können. Nr. 11.4 KrBauR schreibt nämlich vor, dass von jedem Aufenthaltsraum in Gebäuden mit mehr als einem Vollgeschoss mindestens zwei voneinander unabhängige und möglichst entgegengesetzt liegende Rettungswege erreichbar sein müssen, die unmittelbar oder über notwendige Treppen und Flure ins Freie führen. Indes gebieten es die in § 3 Abs. 1 BauO LSA 94 normierten Anforderungen, aus dem Blickwinkel der Gefahrenabwehr den zweiten Rettungsweg im vorliegenden Fall auch für den Ostflügel in Richtung des nordwestlichen Treppenhauses zu gestalten. In diesem Bereich sind nämlich die Patienten untergebracht, deren schnelle Evakuierung im Vordergrund stehen muss. Ein rasches Entfernen aus dem Gefahrenbereich ist aber nur dann möglich, wenn sich die Brandschutztüren in Richtung der Fluchtrichtung, also hier in Richtung des nordwestlichen Treppenhauses öffnen. Demgegenüber dürfte der Menschenstrom, der sich im Gefahrenfalle vom westlichen Flügel in den östlichen Flügel zu begeben hat, angesichts der dort lediglich vorhandenen Aufenthalts-, Personal- und Versorgungsräume erheblich geringer sein, so dass ein Aufschlagen der Türen entgegen der Fluchtrichtung eher hinzunehmen ist als im umgekehrten Fall. 3. Die Beklagte war auch nicht wegen Ablaufs der Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG LSA daran gehindert, die teilweise Rücknahme der Baugenehmigung zu verfügen. Nach dieser Vorschrift ist die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt zulässig, zu dem die Behörde von Tatsachen Kenntnis erhält, welche die Rücknahme rechtfertigen. Diese Frist beginnt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich der erkennende Senat anschließt, zu laufen, wenn die Behörde die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts erkannt hat und ihr die für die Rücknahmeentscheidung außerdem erheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind (BVerwG, Beschl. v. 19.12.1984 - BVerwG Gr.Sen. 1 und 2.84 -, BVerwGE 70, 356).

Dem Kläger ist zwar zuzustimmen, dass dem Bauordnungsamt (des Klägers) die Mängel der Bauausführung schon am 16.10.1998 bekannt waren. Allerdings ist nach Aktenlage nicht davon auszugehen, dass der zuständige Sachbearbeiter des Bauordnungsamts bereits zu diesem Zeitpunkt, jedenfalls aber vor dem 08.02.1999 einen Verstoß der Baugenehmigung gegen die Richtlinien über den Bau und Betrieb von Krankenhäusern erkannt und ihm alle für die Rücknahmeentscheidung erheblichen Tatsachen vollständig bekannt waren. Zu den weiteren für die Rücknahmeentscheidung erheblichen Tatsachen im Sinne des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG LSA gehören nämlich insbesondere auch die für die Ermessensbetätigung wesentlichen Umstände (BVerwG, Beschl. v. 05.05.1988 - BVerwG 7 B 8.88 -, Buchholz 421.11 [GfaG] § 4, S. 1 [5]). Diente z. B. eine Anhörung (§ 28 Abs. 1 VwVfG LSA) des Betroffenen der Ermittlung weiterer entscheidungserheblicher Tatsachen, beginnt die Jahresfrist erst danach zu laufen (BVerwG, Beschl. v. 19.12.1984, a. a. O.). Folglich wird die Jahresfrist erst in Lauf gesetzt, wenn die Behörde positive Kenntnis von den Tatsachen, welche die Rücknahme des Verwaltungsakts rechtfertigen, erhalten hat. Die Auffassung, zur Auslösung der Jahresfrist genüge, dass die die Rücknahme des Verwaltungsakts rechtfertigenden Tatsachen aktenkundig - d. h. aus den Akten ersichtlich - seien, wird dem Charakter der Frist nicht gerecht, die der Behörde zur sachgerechten Entscheidung über die Rücknahme eingeräumt ist und deshalb nicht in Lauf gesetzt wird, bevor sich die Behörde der Notwendigkeit bewusst geworden ist, über die Rücknahme entscheiden zu müssen. Die Jahresfrist beginnt erst zu laufen, wenn diese Tatsachen vollständig, uneingeschränkt und zweifelsfrei ermittelt sind (BVerwG, Beschl. v. 19.12.1984, a. a. O.). Eine schuldhafte Unkenntnis der Behörde genügt nicht (BVerwG, Urt. v. 24.01.2001 - BVerwG 8 C 8.00 - [juris]).

Davon ausgehend ist es nicht zu beanstanden, dass sich das Bauordnungsamt des Klägers nicht bereits im Hinblick auf die Baubegehung vom 16.10.1998 zu einer abschließenden Beurteilung über eine Rücknahme der Baugenehmigung in der Lage gesehen, sondern den Kläger mit Schreiben vom 02.12.1998 aufgefordert hat, die Mängel umgehend abzustellen und die Realisierung schriftlich mitzuteilen, um den Betrieb des Kreiskrankenhauses doch noch zu gewährleisten. Diese Prüfung war offensichtlich für die Frage einer möglichen Ergänzung der Baugenehmigung mit Auflagen einerseits oder einer Rücknahme der Baugenehmigung andererseits erheblich. All dies zeigt, dass das Bauordnungsamt die Notwendigkeit einer Rücknahme der Baugenehmigung vom 08.01.1996 gerade noch nicht erkannt hatte, mit der Folge, dass die Jahresfrist nicht bereits mit der Baubegehung vom 16.10.1998 oder dem Schreiben vom 02.12.1998 zu laufen begonnen hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11; 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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