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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 06.07.2004
Aktenzeichen: 2 O 305/04
Rechtsgebiete: LSA-VwVfG, GG
Vorschriften:
LSA-VwVfG § 51 I Nr. 1 | |
LSA-VwVfG § 51 III | |
GG Art. 3 |
2. Eine Ausnahme kann nur dann geboten sein, wenn Gründe vorliegen, welche denen des § 51 Abs. 1 Nrn. 1-3 (LSA-)VwVfG gleichgewichtig sind. Dies ist nur anzunehmen, wenn die Aufrecht-Erhaltung des Bescheids schlechthin unerträglich wäre, weil er etwa offenkundig fehlerhaft ist oder weil seine Durchsetzung gegen die guten Sitten oder gegen Treu und Glauben verstoßen würde.
OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS
Aktenz.: 2 O 305/04
Datum: 06.07.2004
Gründe:
I.
Die Antragstellerin hat bei dem Verwaltungsgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein Klageverfahren beantragt, mit welchem sie die Verpflichtung der Antragsgegnerin begehrt, den inzwischen bestandskräftigen Straßenausbaubeitragsbescheid vom 12.11.1997 aufzuheben, nachdem diese in anderen Rechtsstreitigkeiten die Beitragsbescheide ebenfalls aufgehoben hatte.
Das Verwaltungsgericht Dessau hat mit Beschluss vom 01.04.2004 (Az: 2 A 283/03 DE) den Prozesskostenhilfeantrag mit der Begründung abgelehnt, die Klage habe keine Aussicht auf Erfolg, weil die Antragstellerin keinen Anspruch auf eine ihrem Begehren entsprechende ermessensfehlerfreie Entscheidung über das Wiederaufgreifen des Verfahrens nach Maßgabe der §§ 48; 49 VwVfG LSA habe; denn die Aufrechterhaltung des Erstbescheides sei nicht schlechthin unerträglich. Gegen diesen Beschluss hat die Antragstellerin am 28.04.2004 Beschwerde eingelegt und diese damit begründet, der Wiederaufnahmegrund im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG LSA liege vor, weil die Antragsgegnerin auch die anderen Beitragsbescheide nach einem Hinweis des Verwaltungsgerichts Dessau aufgehoben habe. Bei Aufrechterhaltung des Bescheides sei ein grobe Unbilligkeit zu ihren Lasten gegeben, da sie die einzige Anliegerin sei, die einen Ausbaubeitrag zu zahlen habe. Dies stelle einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz dar.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsvorgänge sowie die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragstellerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Recht mit der Begründung abgelehnt, die beabsichtigte Rechtsverfolgung biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 166 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 ZPO).
Hinreichende Erfolgsaussicht ist nämlich nur dann gegeben, wenn der Rechtsstandpunkt der Antragstellerin ohne Überspannung der Anforderungen zutreffend oder bei schwieriger Rechtslage zumindest vertretbar erscheint (OVG LSA, Beschl. v. 06.04. 1998 - F 2 S 366/96 -). Diese Voraussetzungen erfüllen die von der Antragstellerin erhobenen Einwendungen nicht.
Ohne Erfolg macht die Antragstellerin geltend, die Aufhebung der Beitragsbescheide anderer Anlieger durch die Antragsgegnerin begründe auch in ihrem Fall einen Wiederaufnahmegrund.
Ausgangspunkt der rechtlichen Beurteilung des von der Antragstellerin geltend gemachten Anspruchs auf Wiederaufgreifen des Verfahrens ist § 51 Abs. 1 Nr. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Sachsen-Anhalt i. d. F. d. Bek. v. 07.01.1999 (LSA-GVBl., S. 3) - VwVfG LSA -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 19.03.2002 (LSA-GVBl., S. 130 [135 <Nr. 34>]). Danach hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung eines unanfechtbaren Verwaltungsakts zu entscheiden, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat. Diese Voraussetzungen liegen hier offensichtlich nicht vor.
Die Antragstellerin hat schon einen entsprechenden Antrag nicht ordnungsgemäß, insbesondere fristgerecht innerhalb der Drei-Monats-Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG LSA gestellt; denn die Aufhebung der Beitragsbescheide durch die Antragsgegnerin erfolgte bereits am 09.04.1999, während sie ihren Antrag auf "Aufhebung des Beitragsbescheids" erst am 16.04.2003 gestellt hat. Auch liegt der im Beschwerdeverfahren geltend gemachte Wiederaufgreifensgrund des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG LSA nicht vor; denn allein die Entscheidung der Antragsgegnerin, in den anderen - nicht durch Klagerücknahme bestandskräftig gewordenen - beitragsrechtlichen Verfahren die Bescheide aufzuheben, stellt keine nachträgliche Änderung der Sach- oder Rechtslage dar, weil diese Entscheidung nicht aufgrund neuer Tatsachen oder Erkenntnisse ergangen ist, sondern auf einer anderen Beurteilung der unverändert gebliebenen Verhältnisse durch die Behörde beruht. Andere neue Tatsachen hat die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren hinsichtlich des zur rechtlichen Beurteilung stehenden Sachverhalts nicht geltend gemacht, so dass eine Änderung der Sachlage nicht gegeben ist. Aber auch eine Änderung der Rechtslage liegt nicht vor. Wenngleich § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG insoweit weiter gefasst ist als § 49 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG, wo von einer Änderung der Rechtsvorschrift die Rede ist, so gilt auch hier, dass es sich um Änderungen im Bereich des materiellen Rechts, dem eine allgemein verbindliche Außenwirkung zukommt (Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 51 RdNr. 72), handeln muss. Die Änderung der Rechtsprechung oder eine vom Verwaltungsgericht geäußerte Rechtsauffassung führt eine Änderung der Rechtslage nicht herbei (BVerwG, Beschl. v. 11.09.1987 - BVerwG 9 B 309.87 -, Buchholz 316 [VwVfG] § 51 Nr. 20). Gerichtliche Entscheidungsfindung bleibt rechtliche Würdigung des Sachverhalts am Maßstab der vorgegebenen Rechtsordnung.
Zwar ist die Antragsgegnerin grundsätzlich befugt, nach pflichtgemäßem Ermessen über die Aufhebung eines unanfechtbaren Verwaltungsakts sachlich zu entscheiden, da sie nicht gehindert ist, unter Beachtung des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung auf die Durchsetzung des von ihr erlassenen belastenden Verwaltungsakts zu verzichten oder den begehrten begünstigenden Verwaltungsakt zu erlassen (BVerwG, Urt. v. 27.01.1994 - BVerwG 2 C 12.92 -, BVerwGE 95, 86). Grundsätzlich handelt die Behörde jedoch nicht ermessensfehlerhaft, wenn sie ein Wiederaufgreifen des Verfahrens aus Gründen der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens ablehnt. Insoweit bedarf es regelmäßig keiner weiteren ins Einzelne gehenden Ermessenserwägungen der Behörde. Umstände, die eine erneute Entscheidung im Einzelfall gebieten, müssen - wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt - von einer den in § 51 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 VwVfG LSA geregelten Fällen vergleichbaren Bedeutung und Gewicht sein. Derartige Umstände, nach denen die Aufrechterhaltung des Beitragsbescheids schlechthin unerträglich wäre, etwa wegen einer offenkundigen Fehlerhaftigkeit des Bescheids oder eines Verstoßes gegen die guten Sitten oder Treu und Glauben (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 19.10.1977 - BVerwG 3 C 123.66 -, BVerwGE 28, 122 [127], und Urt. v. 30.01.1974 - BVerwG 8 C 20.72 -, BVerwGE 44, 333), sind hier nicht ersichtlich; insbesondere hat die persönliche Belastung der Antragstellerin nicht einen Grad erreicht, der eine aandere Entscheidung erfordert.
Ende der Entscheidung
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