Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 20.11.2008
Aktenzeichen: OVG 1 B 5.06
Rechtsgebiete: StGB, VersG, VersammlG, ASOG Bln


Vorschriften:

StGB § 111
VersG § 21
VersammlG § 15
VersammlG § 15 Abs. 1
VersammlG § 15 Abs. 3
ASOG Bln § 13 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN-BRANDENBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

OVG 1 B 5.06

Verkündet am 20. November 2008

hat der 1. Senat auf die mündliche Verhandlung vom 20. November 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Wolnicki, den Richter am Oberverwaltungsgericht Bath, den Richter am Verwaltungsgericht Eidtner und die ehrenamtlichen Richter Höppner und Kähler

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des 1,1fachen des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin ist die Jugendorganisation der NPD. Sie meldete Anfang November 2004 einen Aufzug mit Kundgebungen für den 8. Mai 2005 unter dem Motto "60 Jahre Befreiungslüge - Schluss mit dem Schuldkult" an. Der Aufzug sollte ursprünglich vom Alexanderplatz über die Straße "Unter den Linden" am Holocaust-Mahnmal vorbei zum Brandenburger Tor führen, nach - gerichtlich bestätigten - Auflagen der Versammlungsbehörde sollte er bis zur Friedrichstraße und dort bis zum Bahnhof (Endpunkt) verlaufen und erst Abschluss der für diesen Tag vorgesehenen Kranzniederlegung in der Neuen Wache nicht vor 14.00 Uhr beginnen. Nach Nichtbestätigung eines von der NPD geplanten Aufzuges sollte der Aufzug des Klägers als gemeinsame Veranstaltung durchgeführt werden. Die geplante Demonstration der Klägerin war nur eine von einer Vielzahl vorgesehener Veranstaltungen zum 60. Jahrestag des Kriegsendes im innerstädtischen Bereich; westlich des Brandenburger Tores veranstaltete der Berliner Senat mit einer Vielzahl gesellschaftlicher Organisationen den "Tag der Demokratie", in der St. Hedwigs Kathedrale sollte am späten Vormittag ein ökumenischer Gottesdienst stattfinden, an den sich die erwähnte Kranzniederlegung und ein Festakt im Deutschen Bundestag anschließen sollte, unter dem Motto "8. Mai - Tag der Befreiung" sollte ein sich als Gegendemonstration begreifender Aufzug links-autonomer Gruppen nördlich der Spree bis an den Alexanderplatz führen. Am Tag der Veranstaltung errichtete die Polizei Sperren rund um den Sammelpunkt auf dem westlichen Alexanderplatz und führte Einlasskontrollen der eintreffenden Demonstranten durch. Der Abmarsch und die Durchführung des Aufzuges wurden der Klägerin am späten Nachmittag untersagt, nachdem Veranstaltungsgegner die Wegstrecke blockierten.

Mit der Klage hat die Klägerin die Feststellung begehrt, dass die polizeiliche Eingrenzung der Versammlungsteilnehmer am Startpunkt des Aufzuges durch Absperrgitter sowie die am Nachmittag erfolgte Untersagung des Aufzuges rechtswidrig waren.

Bereits im Kooperationsgespräch mit der Klägerin am 23. März 2005 wies die Versammlungsbehörde darauf hin, dass bei der Wahl des Alexanderplatzes als Anfangspunkt des Aufzuges das Risiko bestehe, dass der Aufzug wegen der dagegen zu erwartenden Proteste auf der angemeldeten Route tatsächlich nicht durchführbar sein könnte. Im Vorfeld des 8. Mai 2005 berichtete die Presse, die Berliner Regierung rufe so unverhohlen wie möglich zur Gegendemonstration auf (TAZ vom 4./5. Mai 2005). Die Innenverwaltung setze auf den gesellschaftlich von einem breiten Spektrum angekündigten Zivilprotest. Der Innensenator wurde mit den Worten zitiert, er halte es für legitim, dass sich friedliche Bürger in "der Nähe des rechtsextremistischen Aufzuges" sammelten. Laut TAZ Berlin vom 9. Mai 2005 erklärte der Regierende Bürgermeister in einer Rede am 7. Mai 2005 vor dem Brandenburger Tor mit Bezug auf die Versammlung der Klägerin: "Wir sind aufgerufen, diesem Treiben ein Ende zu bereiten."

Am 8. Mai 2005 bemerkte die Versammlungsleitung der Klägerin während des Aufbaus der Technik, dass die Polizei das Gelände um den Versammlungsort am Alexanderplatz absperrte. Um den durch Absperrgitter abgegrenzten Veranstaltungsraum befanden sich noch zwei weitere Sperrlinien. Der Versammlungsleiter der Klägerin forderte die Polizei mehrere Male auf, die Eingrenzung zu entfernen oder erheblich weiter zu fassen. Die Polizei stellte eine Änderung in Aussicht, wenn eine Notwendigkeit dafür erkennbar werden würde.

Um 9.00 Uhr begann eine angemeldete Gegendemonstration am Bertolt-Brecht-Platz. Dieser Aufzug führte bis zur Kreuzung Alexanderplatz/Memhardtstraße/Karl-Liebknecht-Straße. Um 11:30 Uhr schätzte die Polizei die Zahl deren Teilnehmer auf etwa 6.000 Personen, darunter etwa 1000 als gewaltbereit eingestufte Personen. Nach dem Beendigung dieses Demonstrationszuges gegen 13.00 Uhr wurden an vier Stellen in unmittelbarer Nähe des Alexanderplatzes durch jeweils 200-300 Mann starke Gruppen Vermummter Steine aufgenommen. In einem Fall kam es zu einem Barrikadenbau.

Um 11.06 Uhr verteilten Teilnehmer des Tages für Demokratie vor dem Brandenburger Tor Flugblätter, auf denen dazu aufgerufen wurde, sich um 13.00 Uhr am Alexanderplatz der klägerischen Versammlung in den Weg zu stellen. Laut einer Zeitungsmeldung (TAZ Berlin vom 9. Mai 2005) erklärte um 11.10 Uhr ein Polizeisprecher am Alexanderplatz, die Polizei werde die Demonstration der Klägerin nicht "durchprügeln", wenn beispielsweise 5.000 Gegendemonstranten auf der Straße stünden.

Vor dem Abmarsch des Aufzuges der Klägerin kam es zu Verzögerungen, weil die Polizei dem Versammlungsleiter aufgab, nachträglich 26 Ordner festzulegen. Nach Angaben der Klägerin wurden Ordner wegen strafrechtlicher Ermittlungsverfahren nicht akzeptiert. Nach Angaben der Beklagten waren von 29 benannten Ordnern nur drei erschienen. Die Überprüfung der Zuverlässigkeit und Geeignetheit der Ordner war nach Polizeiangaben um 13.42 Uhr beendet. Der Zustrom von Teilnehmern der Versammlung der Klägerin dauerte nach Polizeiangaben bis 14.45 Uhr, als 3.325 Teilnehmer gezählt wurden.

In diesem Zeitraum ergab sich eine Lage außerhalb der abgesperrten Sammelzone, die die Polizei dazu veranlasste, den Abmarsch des Aufzuges hinauszuzögern. Nach deren Angaben wurden folgende Bewegungen von Gegendemonstranten festgestellt:

 13.13 Uhr: 100 vermummte Personen im Bereich
  Holzmarktstraße/Schillingstraße
13.15 Uhr: 600 Personen S-Bahn-Brücke Karl-Liebknecht-Straße
13.23 Uhr: 250 Punks S-Bahn-Brücke Rathausstraße
13.58 Uhr: 500 - 1000 Personen Friedrichstraße - Weidendamm
13.59 Uhr: 1100 Personen Liebknechtbrücke
14.03 Uhr: 3 U-Bahn-Waggons mit vermummten Personen U-Bahnhof Französische Straße ; 100 Personen U-Bahnhof Märkisches Museum Richtung Mühlendamm
14.30 Uhr: Schloßbrücke wegen starken Drucks von Polizei aufgegeben
14.31 Uhr: 3.500 Personen auf Liebknechtbrücke
  1.000 Personen auf Mühlendammbrücke
14.42 Uhr: Wasserwerfer Mühlendammbrücke und Liebknechtbrücke
15.12 Uhr: mehrere Hundert Störer im und auf dem Palast der Republik
15.18 Uhr: im Bereich Liebknechtbrücke werden Brandsätze vorbereitet
15.33 Uhr: Sprechchöre auf klägerischer Versammlung, in die Bewegung zu gehen; Ordner legen Handschuhe an, "Schwarzer Block" formiert sich
15.37 Uhr: vor Liebknechtbrücke 3 Mal Lautsprecherwagen-Aufforderung, sich zu entfernen
15:39 Uhr: Kurzzeitiger Durchbruch von 15 Personen an der Mühlendammbrücke
15:48 Uhr: Gegendemonstranten strömen Richtung Jannowitzbrücke
15:54 Uhr: klägerische Versammlung formiert sich zum Aufzug; Sprechchöre

Die Klägerin drängte auf einen Abmarsch. Dies wurde von der Polizei unter Hinweis auf die Blockade der Liebknechtbrücke versagt. Der Versammlungsleiter forderte die Polizei auf, gegen die Blockade vorzugehen. Es wurde ihm zugesagt, dass ein Ansprechen der Blockadedemonstranten erfolgen solle. Kurz darauf, gegen 16.10 Uhr, teilte die Gesamtleitung der Polizei mit, dass sie eine Räumung der Strecke für unverhältnismäßig halte und deshalb der Aufzug auf der ursprünglichen Strecke untersagt werde. Als dies um 16.18 Uhr über Lautsprecher auf der Versammlung der Klägerin bekannt gegeben wurde, kam es innerhalb der nächsten drei Minuten zu zwei Durchbruchversuchen von Teilnehmern. Danach überreichte der Versammlungsleiter der Klägerin in Anwesenheit eines Rechtsanwalts dem Kontaktbeamten der Polizei eine Karte mit einer Ausweichroute über die Jannowitzbrücke. Diese Route wurde etwa 15 Minuten später unter Hinweis auf dort sich sammelnde Störer abgelehnt. Daraufhin forderte der Versammlungsleiter die Polizei auf, ihrerseits eine Ersatzroute vorzuschlagen. Gegen 17 Uhr teilte die Polizei mit, dass ein Abmarsch des Aufzuges untersagt werde. Trotz Aufforderung lehnte es die Polizei ab, den polizeilichen Notstand zu erklären.

Laut einer Zeitungsmeldung (TAZ Berlin vom 9. Mai 2005) informierte die Polizei um 16.10 Uhr die Gegendemonstranten auf der Rathausbrücke über die Absage des klägerischen Aufzuges. Ein Polizist soll in die Menge gerufen haben: "Danke für ihre Mitarbeit und den friedlichen Protest". Am 10. Mai 2005 meldete der Tagesspiegel, der Regierende Bürgermeister habe das friedliche Engagement gegen die Demonstration der Klägerin gelobt.

Die Klägerin begründet ihr Feststellungsinteresse mit bestehender Wiederholungsgefahr, mit der Verletzung von Grundrechten aus den Art. 3, 5 und 8 GG und dem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz. Das Verhalten der Polizei sei rechtswidrig gewesen. Das Demonstrationsrecht der Klägerin sei durch tatsächliche Einschränkungen faktisch unmöglich gemacht worden. Der Raum, auf dem mehrere tausend Menschen hätten ausharren müssen, sei ausgesprochen eng gewesen. Teilnehmer der Veranstaltung seien daran gehindert worden, den abgesperrten Bereich zu verlassen. Die "Einkesselung" habe sich faktisch wie ein Totalverbot der Versammlung ausgewirkt, da unter diesen Bedingungen eine ernsthafte kollektive Meinungskundgabe nicht mehr habe erfolgen können. Die Polizei habe niemals ernsthaft den Versuch unternommen, die Blockade an der Schlossbrücke zu durchbrechen. Einsatzkräfte seien erst tätig geworden, als die Blockaden vollendet gewesen seien. Auch dann hätten sie es bei bloßen Warnungen an die Störer belassen. Die Maßnahmen, die stattgefunden hätten, seien inszeniert gewesen. Als sich die Blockade an der Schlossbrücke abgezeichnet habe, hätte die Polizei die Gewalttäter vom Dach des Palastes der Republik entfernen und alle polizeilichen Mittel einsetzen müssen, um die Blockierer von der Straße zu entfernen. Friedliche Blockierer hätten leicht abgedrängt werden können, etwa hätten Platzverweise und die vorübergehende Ingewahrsamnahme schon etwas bewirkt. Der Einsatz oder die Androhung von Zwangsmitteln hätte einen großen Teil der nicht gewaltbereiten Personen veranlasst, die Straße zu räumen. Straftaten des gewaltbereiten Teils der Demonstranten hätte die Polizei verhindern müssen. Nicht einmal der Bau von Barrikaden durch 200 bis 300 vermummte Personen sei unterbunden worden. Im Vorfeld habe es die Polizei unterlassen, blockadewillige Gegendemonstranten daran zu hindern, in den Bereich der Demonstrationsroute zu gelangen. Durch frühzeitiges Eingreifen hätte die Polizei verhindern können, dass die Blockierer in den Bereich der Straße "Unter den Linden" gelangt wären. Einfache Polizeisperren am Brandenburger Tor und an den Seitenstraßen zu "Unter den Linden" hätten dazu gereicht. Zwischen 9 und 10 Uhr morgens sei die Aufzugstrecke noch fast menschenleer gewesen. Es sei erklärungsbedürftig, warum die Polizei Gegendemonstranten vor Durchführung des Staatsaktes in der Neuen Wache ungehindert zur Schlossbrücke habe ziehen lassen. Am Vorabend habe es ein Treffen der gewaltbereiten linken Szene im "Mehringhof" in Kreuzberg gegeben. Es sei davon auszugehen, dass dabei Mitarbeitern des Beklagten bekannt geworden sei, welche Maßnahmen von den Störern geplant gewesen seien. Da die Veranstaltung der Klägerin die erste angemeldete Demonstration gewesen sei, hätten die Veranstaltungen der Störer räumlich so gelegt werden müssen, dass die Versammlung der Klägerin nicht wirkungsvoll hätte gestört werden können. Die Polizei habe einen polizeilichen Notstand leichtfertig, wenn nicht vorsätzlich herbeigeführt. Der Beklagte habe in der Nähe des Versammlungsortes ein zweitägiges Straßenfest in dem Wissen organisiert, dass dadurch Gegendemonstranten die Möglichkeit eröffnet worden sei, die Versammlungsstrecke der Klägerin zu blockieren. Der Leiter der Versammlungsbehörde habe Vertretern der Klägerin schon mehrere Monate vor dem 8. Mai 2005 telefonisch angekündigt, dass der Aufzug vom Alexanderplatz nicht wegkommen werde. Es seien in der Spitze der Berliner Innenverwaltung Pläne ausgearbeitet worden, wie man die JN-NPD-Demonstration durch Ermunterung von Störern praktisch undurchführbar machen könne. Mit seiner öffentlichen Äußerung am Vortage der Versammlung habe der Regierende Bürgermeister öffentlich zur Begehung von Straftaten gemäß § 111 StGB, § 21 VersG aufgerufen. Die Bundesministerin Künast und der Bundestagsabgeordnete Ströbele hätten zur Blockade der Versammlung der Klägerin aufgefordert. Zur Verhinderung des Aufzuges habe es ein Zusammenspiel der Polizei mit gewaltbereiten Demonstranten zur zielgerichteten Verhinderung des Aufzuges gegeben. Kein blockierender Demonstrant habe etwas befürchten müssen. Es sei schon im Vorfeld geäußert worden, dass man wegen der JN-NPD-Kundgebungsteilnehmer nicht gewaltsam räumen werde. Polizisten hätten Beifall geklatscht, als die Versammlungsteilnehmer der Klägerin den Antreteplatz verlassen hätten.

Entgegen den Behauptungen des Beklagten habe kein Teilnehmer der Veranstaltung der Klägerin die unmittelbare Konfrontation mit Gegendemonstranten gesucht. Die Polizei habe lediglich das Lager der Klägerin daran gehindert, sich in Bewegung zu setzen, während das Lager der gezielten Störer sich ungehindert habe bewegen können. Würde das Verhalten der Polizei gerichtlich gebilligt, so würden in der Zukunft derartige Versammlungen der Klägerin und ihrer Mutterpartei faktisch unmöglich gemacht.

Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten: Die Absperrung des Antrete- und Kundgebungsplatzes habe einerseits dazu gedient, die Versammlungsteilnehmer vor Störern zu schützen und andererseits Störungen von "Rechts" abzuwehren, wie sie am 1. Mai 2004 in Berlin, am 1. Mai 2005 in Leipzig und am 13. Februar 2005 in Dresden bei NPD-Kundgebungen festgestellt worden seien. Dazu sei eine Trennung von Demonstranten und Gegendemonstranten etwa auf Wurfweite erforderlich, auch um eine Operationsfläche für Polizeieinsätze freizuhalten. Es sei ein ständiger Wechsel von und zum inneren Antreteplatz vor allem in Richtung Fernsehturm möglich gewesen. Die Anordnung, die Versammlung der Klägerin nicht in einem Aufzug übergehen zu lassen, sei rechtmäßig gewesen. Es hätten sowohl die Voraussetzungen einer Auflage als auch eines Teilverbots vorgelegen, auch soweit die Klägerin als Nicht-Störerin wegen der drohenden Gefahr durch Gegendemonstranten in Anspruch genommen worden sei. Die Klägerin habe die Zweifel an der Durchführbarkeit des angemeldeten Aufzugs gekannt. Seit dem Jahr 2000 sei es nur einmal gelungen, einen rechtsextremistischen Aufzug in der Mitte Berlins wie angemeldet durchzuführen. Wegen des zeitgleich vor der "Neuen Wache" stattfindenden Staatsakts habe der Aufzug keinesfalls vor 14.00 Uhr in Bewegung gehen können. Diese Prognosen hätten als zutreffend erwiesen. Der Beklagte habe keine vertretbare Möglichkeit gehabt, die Veranstaltung der Klägerin wie angemeldet zu gewährleisten. Gegen 15.00 Uhr seien neben den 3.500 Personen auf der Liebknechtbrücke und den 1.000 Personen auf der Mühlendammbrücke im gesamten westlichen Bereich um den Alexanderplatz herum mobile Kleingruppen unterwegs gewesen, wobei friedfertige Gegendemonstranten nicht von gewaltbereiten Störern zu trennen gewesen seien. Bereits um 14.00 Uhr sei nach eigenen Beobachtungen des Terminsvertreters des Beklagten der Alexanderplatz nur noch über die Oranienburger Straße zu verlassen gewesen. Die Friedrichstraße sei nicht mehr befahrbar gewesen. Auch im Bereich der Jannowitzbrücke habe eine erhebliche Fußgängerfrequenz geherrscht.

Die Chronologie der Ereignisse belege, dass der Aufzug in der angemeldeten Form bereits zu einem Zeitpunkt undurchführbar geworden sei, als sich die Versammlung der Klägerin noch in der Sammelphase befunden habe. Zu diesem Zeitpunkt hätte eine Auflösung der Blockaden zur Durchsetzung des Aufzuges so erhebliche Gefahren für alle Beteiligten mit sich gebracht, dass die Grenzen der Verhältnismäßigkeit überschritten gewesen wären. Eine Ausweich- oder Ersatzroute sei nicht in Betracht gekommen. Das gesamte Areal um den Alexanderplatz herum sei außerhalb der polizeilichen Absperrungen mit Gegendemonstranten besetzt gewesen. Wie der kurzfristige Zustrom zur Jannowitzbrücke nach Gerüchten über eine Ersatzstrecke gezeigt habe, sei damit zu rechnen gewesen, dass der zu erwartenden Gegendruck zeitnah auch die Ersatzroute erfasst hätte. Es brauche Zeit und Vorbereitung, um einen Aufzug von 3.000 Menschen mit Polizeibegleitung in Bewegung zu setzen. Diese Zeit hätten Gegendemonstranten zur Blockade jedweder Route nutzen können. Es habe zudem keine Örtlichkeit zur Verfügung gestanden, die die Versammlungsteilnehmer zuzüglich der zu ihrem Schutz erforderlichen Einsatzkräfte einschließlich eines geordneten und zügigen Abtransportes hätte aufnehmen können. Der S-Bahnhof Jannowitzbrücke hätte beispielsweise diesen Anforderungen nicht genügt. Es habe mit gewalttätigen Aktionen beider Seiten gerechnet werden müssen. In dieser Lage, in der beide Seiten mehrere tausend Personen stark gewesen seien und die unmittelbare Konfrontation gesucht hätten, habe es der Beklagte nicht verantworten können, auch nur eines der Lager in eine geschlossene Bewegung gehen zu lassen.

Die Möglichkeit, die Aufzugstrecke von vornherein freizuhalten, habe schon wegen des Gottesdienstes in der St. Hedwigs Kathedrale und des anschließenden Festaktes vor der Neuen Wache nicht bestanden. Praktisch wäre ein Freihalten der Strecke angesichts des Gegendrucks nur möglich gewesen, wenn die komplette östliche City südlich in Höhe der Leipziger Straße, nördlich in Höhe der Spree bzw. der Oranienburger Straße und westlich am Platz des 18. März gesperrt worden wäre. Diese Sperrung hätte den ganzen Tag über andauern müssen. Dies sei vom Versammlungsrecht der Klägerin nicht umfasst. Die Straße Unter den Linden hätte nicht isoliert freigehalten werden können, insbesondere auch wegen der dort befindlichen Plätze.

Der Leiter der Versammlungsbehörde habe im Vorfeld der Versammlung lediglich auf die Erfahrungen der letzten fünf Jahre mit Versammlungen rechtsextremer Gruppierungen hingewiesen. Soweit die Klägerin beanstande, dass Polizeibeamte teilweise den Dialog mit den Gegendemonstranten gesucht hätten, so verkenne sie, dass auch mit Mitteln der Deeskalation versucht worden sei, dem Versammlungsrecht der Klägerin im Rahmen des nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Möglichen zu entsprechen.

Das Verwaltungsgericht hat durch Urteil vom 8. März 2006 festgestellt, dass die durch Absperrgitter der Polizei auf dem Alexanderplatz erfolgte Eingrenzung der Teilnehmer des für den 8. Mai 2005 angemeldeten Aufzugs der Klägerin insoweit rechtswidrig war, als die für die Versammlungsteilnehmer zur Verfügung stehende Fläche zu klein war. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

Dem Grunde nach sei es zulässig gewesen, den Versammlungsort durch drei Sperrlinien von gewaltbereiten Gegendemonstranten zu trennen, um bei etwaigen Durchbrüchen von beiden Seiten eine Distanz in Steinwurfweite und einen Operationsraum für die Polizeieinsatzkräfte freizuhalten. Die Klägerin habe insoweit sowohl als Störer als auch als Nicht-Störer in Anspruch genommen werden können, weil einerseits eine nicht anders abwendbare Gefahr für Leib und Leben der Versammlungsteilnehmer und der eingesetzten Polizeikräfte durch gewaltbereite Gegendemonstranten bestanden habe und die Erfahrungen mit Versammlungen der NPD am 1. Mai 2004 in Berlin sowie Anfang 2005 in Dresden und Leipzig belegten, dass auch unter den Versammlungsteilnehmern Personen seien, die die direkte gewaltsame Konfrontation mit Gegendemonstranten suchten. Letzteres habe sich auch bestätigt, als es nach der Absage des Aufzuges kurzzeitig zu Durchbruchsversuchen gekommen sei. Die Fläche innerhalb des inneren Sperrriegels sei indessen angesichts des zur Verfügung stehenden Raumes zu eng bemessen worden. Die Polizei habe den Nachweis nicht erbracht, dass die Begrenzung des Versammlungsorts unter freiem Himmel auf dieses enge Maß erforderlich gewesen sei. Insoweit sei es nicht Sache der Klägerin den Platzbedarf darzulegen; vielmehr müsse die Notwendigkeit und Angemessenheit der vorgenommenen Beschränkung durch den Beklagten gerechtfertigt werden.

Der Abbruch des Aufzuges am Nachmittag des 8. Mai 2005 sei dagegen rechtmäßig. Die Voraussetzungen für ein Versammlungsverbot unter Inanspruchnahme der Versammlungsteilnehmer der Klägerin als Nicht-Störer hätten im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung vorgelegen. Ausnahmsweise sei ein Verbot zulässig, wenn die Polizei entweder nicht in der Lage sei, die öffentliche Sicherheit durch ein Vorgehen gegen gewaltbereite Gegendemonstranten als Störer aufrecht zu erhalten (sog. echter polizeilicher Notstand), oder wenn Maßnahmen gegen die Störer eine größere Gefahr bzw. größere Schäden für Unbeteiligte hervorriefen als Maßnahmen gegen die Nichtstörer (sog. unechter polizeilicher Notstand); letzteres sei dann der Fall, wenn die Polizei mit den vorhandenen Kräften zwar in der Lage sei, die verfassungsrechtlich garantierten Grundrechte durchzusetzen, hierzu aber Mittel wie z.B. Wasserwerfer, Sonderwagen und Reizstoffe einsetzen müsste, die auch im Hinblick auf das zu schützende Versammlungsrecht außer Verhältnis stünden, und dabei Maßnahmen gegen Störer ergreifen müsste, die zu wesentlich größeren Schäden für Unbeteiligte führten, d.h. die Schäden für die öffentliche Sicherheit bei einem Einschreiten gegen die Störer in einem extremen Missverhältnis zu den Nachteilen stehen würden, die im Vergleich dazu durch ein Vorgehen gegen die friedliche Versammlung einträten. Gemessen daran hätten im Zeitpunkt des Erlasses der Anordnung am 8. Mai 2005 zwischen 14.00 bis 16.30 Uhr die tatsächlichen Voraussetzungen jedenfalls für die Annahme eines unechten polizeilichen Notstandes vorgelegen, weil es unmöglich gewesen sei, die Sicherheit durch Inanspruchnahme der Störer des Aufzugs der Klägerin mit verhältnismäßigen Mitteln aufrecht zu erhalten. Als sich der Aufzug der Klägerin frühestens hätte in Bewegung setzen können, gegen 14:45 Uhr, sei die Aufzugstrecke von Tausenden Gegendemonstranten versperrt gewesen. Auf der Liebknechtbrücke hätten sich 3.500 und auf der Mühlendammbrücke 1000 Personen aufgehalten. Zwar sei die Polizei verpflichtet gewesen, für eine ordnungsgemäße Durchführung der Versammlung der Klägerin zu sorgen. Dies habe die Verpflichtung umfasst, Maßnahmen gegenüber den Störern zu ergreifen. Dementsprechend habe der Beklagte Wasserwerfer auffahren lassen und zur Räumung der Brücke aufgefordert. Das Handlungsermessen der Polizei sei aber nicht derart reduziert gewesen, dass sie zu einer sinnlosen Anwendung von Gewalt verpflichtet gewesen wäre. Die Brücken unter Anwendung von Gewalt zu räumen hätte zu einer Gefährdung von Leib oder Leben einer sehr großen Zahl von Menschen geführt. Wie der Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung erläutert habe, wäre selbst der Einsatz von Wasserwerfern auf einer Brücke mit unkalkulierbaren Risiken verbunden gewesen. Die gesamte City Ost sei derart mit Menschen besetzt gewesen, dass die Räumung einer einzelnen Brücke nicht dazu geführt hätte, dass die Aufzugstrecke frei geworden wäre. Im Übrigen wäre die Anwendung von Gewalt gegenüber der großen und dichten Menschenmenge rechtswidrig handelnder, aber friedlich im Sitzstreik befindlicher Personen unverhältnismäßig gewesen. Eine geeignete Ersatzroute habe in diesem Zeitpunkt nicht zur Verfügung gestanden, weil auch mit deren Blockierung durch Gegendemonstranten zu rechnen gewesen sei, ehe sich der Zug der Klägerin vollständig in Bewegung gesetzt hätte, so dass auch gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Versammlungsteilnehmern und Gegendemonstranten zu befürchten gewesen wären.

Es sei auch nicht zu erkennen, dass der Beklagte im Vorfeld der Versammlung der Klägerin Maßnahmen hätte treffen können und müssen, durch welche die im Zeitpunkt des Abbruchs der Versammlung die angespannte Sicherheitslage hätte vermieden und die Durchführung des Aufzugs mit verhältnismäßigen polizeilichen Mitteln hätte gewährleistet werden können. Zwar sei eine staatliche Verpflichtung anzunehmen, die friedliche und waffenlose Ausübung des Versammlungsrechts zu ermöglichen. Bei einer Lage, wo jeder rechtsextreme Aufzug, egal auf welcher Strecke, zu erheblichen Protesten führe und gewaltbereite Gegendemonstranten auf den Plan rufe, hänge es aber von den Umständen im Einzelfall und der sich daraus ergebenden konkreten Gefahrenprognose ab, welche Schutzmaßnahmen die Polizei im Vorfeld treffen könne. Platzverweise gegenüber Personen, die sich in der Aufzugstrecke aufhielten, seien nur zulässig, wenn sie als Störer erkennbar seien. Ohne solche Erkenntnisse könne die Route einer angemeldeten Versammlung nicht derart abgesperrt werden, dass es potentiellen Störern unmöglich gemacht werde, in das Versammlungsgeschehen einzugreifen. Auch vorbeugende Aufenthaltsverbote gegenüber polizeibekannten Personen aus der den Veranstaltern einer Versammlung feindlich gesinnten Szene seien bei einer großen Zahl gewaltbereiter Störer und einer noch größeren Zahl friedlicher Gegendemonstranten nicht ausreichend, um eine Gefahrensituation verhindern zu können, zumal dadurch Polizeieinsatzkräfte in großem Maße gebunden würden. Am 8. Mai 2005, dem 60. Jahrestag des Kriegsendes, hätten im östlichen Innenstadtbereich nicht nur die Versammlung der Klägerin, sondern auch ein vom Berliner Senat veranstalteter "Tag für die Demokratie", eine Kranzniederlegung um 14:00 Uhr unter den Linden sowie Gegendemonstrationen gegen die Versammlung der Klägerin stattgefunden. In dieser Situation wäre eine Abriegelung der gesamten Wegstrecke des Aufzuges der Klägerin auch unter Einsatz einer noch weit größeren Zahl von Polizeikräften unmöglich gewesen und hätte die Bewegungsfreiheit der übrigen Bürger in unzulässiger Weise beschränkt. Es sei angesichts der Plätze an der Straße Unter den Linden und angesichts der Bedeutung des Bahnhofs Friedrichstraße für den öffentlichen Nahverkehr nicht mit verhältnismäßigem Aufwand möglich gewesen, die Strecke freizuhalten.

Seine versammlungsrechtliche Neutralitätspflicht habe der Beklagte nicht verletzt. Die Berufung auf einen polizeilichen Notstand könne ihm daher nicht verwehrt werden. Äußerungen des Innensenators und des Regierenden Bürgermeisters hielten sich im Rahmen des rechtlich Zulässigen bzw. seien so unbestimmt gewesen, dass darin jedenfalls eine Aufforderung zur Blockade der Wegstrecke der Versammlung der Klägerin nicht gesehen werden könne. Auch der Hinweis des Innensenators, dass man eine Demonstration nicht gegen Tausende friedlicher Demonstranten "durchknüppeln" werde, stelle eine zulässige Ermessenserwägung im Vorfeld dar.

Mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung verfolgt die Klägerin ihr ursprüngliches Begehren weiter. Das Einsperren der Versammlungsteilnehmer sei unabhängig von der dabei verbliebenen Innenfläche rechtswidrig gewesen. Die Absperrung habe nicht der Trennung von Versammlungsteilnehmern und Gegendemonstranten gedient, sondern dem vorgefassten Plan des Beklagten entsprochen, den Aufzug nicht vom Ort kommen zu lassen. Diesem Plan hätten auch die Aufrufe von Repräsentanten zur Teilnahme an der Gegendemonstration bzw. zur Sammlung in der Nähe der Versammlung der Klägerin gedient; genügend Gegendemonstranten seien als Alibi gebraucht worden, um die von vornherein bestehende Zielsetzung zu verwirklichen. Die Argumentation des Verwaltungsgerichts hinsichtlich der Voraussetzungen einer Notstandslage, die eine Inanspruchnahme der Versammlungsteilnehmer als Nichtstörer zugelassen habe, sei nicht stichhaltig. Die Differenzierung des Verwaltungsgerichts zwischen gewaltbereiten Störern und friedlichen Blockierern sei nicht nachvollziehbar. Auch friedliche Bürger, die sich einer bestätigten Versammlung in den Weg stellten, um die Versammlungsteilnehmer daran zu nötigen, die Versammlungsstrecke nicht ablaufen zu können, seien Rechtsbrecher, die sich nach Auffassung der Klägerin strafbar machten. Entgegen der Auffassung des Beklagten und des Verwaltungsgerichts sei es zulässig und je nach den Umständen auch geboten, Zufahrtstraßen zum Schutz einer bestätigten Versammlung zu sperren. Die Polizei habe sich neben den gegen die Versammlungsteilnehmer gerichteten Absperrungen darauf beschränkt, gleichsam abzuwarten, bis die Versammlungsroute mit teilweise auch gewalttätigen Gegendemonstranten so voll gelaufen sei, dass der Aufzug nicht stattfinden konnte.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 8. März 2006 zu ändern und festzustellen, dass

1. die durch Absperrgitter der Polizei auf dem Alexanderplatz erfolgte Eingrenzung der Teilnehmer des für den 8. Mai 2005 angemeldeten Aufzuges der Klägerin rechtswidrig war,

2. die vom Beklagten am selben Tage auf dem Alexanderplatz ausgesprochene Absage des Aufzuges Richtung Bahnhof Friedrichstraße rechtswidrig war.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung sei die vom Verwaltungsgericht zutreffend beurteilte Lage vor Ort und die konkrete Gefahrenprognose im Zeitpunkt der zur Überprüfung gestellten Maßnahmen.

Der Senat hat die Leiter der Direktionen 1 und 3 der Berliner Polizei, in deren örtlichen Zuständigkeitsbereich die Aufzugroute lag, in der mündlichen Verhandlung angehört. Sie haben im Wesentlichen angegeben, dass das Einsatzkonzept in beiden Bereichen darauf ausgerichtet gewesen sei, den Aufzug der Klägerin durchzuführen. Im Bereich der Polizeidirektion 3, die für die Wegstrecke Unter den Linden bis zur Friedrichstraße ab Liebknechtbrücke zuständig gewesen sei, sei es jedoch nicht gelungen, die Wegstrecke gegen Veranstaltungsgegner effizient abzusichern. Man habe sich im Vorfeld gegen eine Komplettsperrung des gesamten Bereichs von etwa zwei Quadratkilometern entschieden, weil damit nicht vertretbare Behinderungen des Verkehrsflusses innerhalb und außerhalb des Gebiets verbunden gewesen seien. Es habe auch keine rechtliche Handhabe dafür bestanden, bereits lange vor Beginn des Aufzuges jedem Passanten, insbesondere auch Touristen, Anwohnern und Gewerbetreibenden, den Durchgang zu verweigern. Stattdessen sei eine Sperrung der Seitenstraßen zu der Aufzugroute der Klägerin zeitnah zur Durchführung des Aufzuges durch die Einrichtung stationärer Sperren und Kontrollpunkte beabsichtigt gewesen. Dafür hätten ausreichende Kräfte (ca. 1300 Polizisten) und entsprechendes Gerät zu Verfügung gestanden. Über einen längeren Zeitraum im Vorfeld hätten sich solche Maßnahmen gegen Störungswillige nicht aufrechterhalten lassen, weil ein Freihalten der Strecke erfahrungsgemäß Veranstaltungsgegner und Neugierige angezogen und damit die Gefahr von Verletzung (sog. Pressing) erheblich gesteigert hätte. Tatsächlich habe man jedoch, nachdem man vermehrt sich in Bewegung befindliche potentielle Störergruppen in der Fläche des zu schützenden Raums ausgemacht habe, auf ein Raumschutzkonzept mit mobilen Kontrollstellen umgestellt. Zeitgleich habe ein spontaner Aufzug der IG-Metall und ver.di vom Brandenburger Tor gen Osten begonnen, der zwecks Freihalten der Aufzugstrecke nach Süden von den Linden abgedrängt und polizeilich habe begleitet werden müssen. Durch diese anderweitige Bindung von Einsatzkräften habe man mit den mobilen Kontrollen nicht verhindern können, dass immer mehr Veranstaltungsgegner auf die Straße Unter den Linden und zu den Spreebrücken gelangt seien und diese schließlich blockiert hätten. Eine Räumung hätte erfordert, die Blockierer mit extremer Gewalt gegen die anströmenden weiteren Veranstaltungsgegner zu treiben und sie seitlich abzudrängen. Der Zug der Klägerin hätte im Übrigen in Form eines sog. Wanderkessels durch die vorhandenen Menschenmassen gebracht werden müssen, zu dessen Sicherung nach Norden Kräfte vom Alexanderplatz hätten abgezogen werden müssen, die dort weiterhin benötigt worden seien. Abgesehen von den drohenden Verletzungsfolgen für alle Beteiligten allein durch den polizeilichen Einsatz hätte ein störungsfreier Ablauf des Aufzuges dadurch nicht gewährleistet werden können, weil sich die Abgedrängten innerhalb des Gebiets neu hätten sammeln können, um den Aufzug zu behindern. Der Senat hat weiter Videoaufzeichnungen des Beklagten von der Mühlendammbrücke zur Zeit des Durchbruchs einer Gruppe von Veranstaltungsgegnern, der Liebknechtbrücke vor der Räumungsaufforderung und aus dem Bereich östlich der Bahnbrücke Karl-Liebknecht-Straße nach Beendigung der angemeldeten Gegendemonstration angesehen.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird neben der Verwaltungsstreitakte sowie der Akte des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens (VG 1 A 103.04) auf den Verwaltungsvorgang des Beklagten (4 Heftungen) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit dem Teil des Streitgegenstandes, über den noch nicht rechtskräftig entschieden ist, zu Recht abgewiesen. Die sich letztlich versammlungsrechtlich als Auflage im Sinne des § 15 VersammlG darstellende Beschränkung der Versammlung auf einen ortsfesten Verlauf auf dem westlichen Alexanderplatz war - ebenso wie die dort vorgenommenen Sperrmaßnahmen im Übrigen - rechtmäßig (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO).

Die Sperrmaßnahmen rund um den Fernsehturm bis hin zu den Seitenstraßen der Karl-Liebknecht-Straße, deren faktische Auswirkungen auf die Versammlung der Klägerin im Rahmen einer allgemeinen Feststellungsklage (§ 43 Abs. 1 VwGO) auf ihre Zulässigkeit zu überprüfen sind, waren - unbeschadet der rechtskräftig gewordenen erstinstanzlichen Feststellung - berechtigt. Der Versammlung der Klägerin drohten nach der Erkenntnislage Übergriffe durch etwa 1000 gewaltbereite Teilnehmer des Aufzuges, der am Vormittag vom Bertolt-Brecht-Platz nördlich der Spree bis nordöstlich des Alexanderplatzes geführt wurde, wie auch die Videoaufzeichnungen des Beklagten aus dem Bereich östlich der Bahnbrücke Karl-Liebknecht-Straße nach Beendigung der angemeldeten Gegendemonstration, die einen Durchbruchversuch von Gegendemonstranten zeigen, eindrucksvoll deutlich gemacht haben . Die Abwehr dieser unmittelbaren Gefahr für Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit, nämlich Leib und Leben der Versammlungsteilnehmer der Klägerin, rechtfertigte es, diese an sich polizeirechtlich gebotenen Absperrmaßnahmen in ihren faktisch beschränkenden Auswirkungen auch für die Versammlung der Klägerin anzuordnen. Die Klägerin konnte insoweit allerdings auch selbst in Anspruch genommen werden, weil nach den erkennbaren Umständen auch mit gewaltbereiten Teilnehmern aus dem Kreis der Versammlungsteilnehmer der Klägerin sicher gerechnet werden konnte, da sich das Potential der Teilnehmer von Großdemonstrationen der Klägerin im Wesentlichen aus demselben Personenkreis rekrutiert und es im Verlauf vorangegangener Demonstrationen am 1. Mai 2004, am 13. Februar 2005 in Dresden und am 1. Mai 2005 in Leipzig zu gewalttätigen Ausschreitungen durch Angehörige dieses Personenkreises gekommen war. Von einem versammlungsrechtlich unzulässigen Einschließen einer bestätigten, nicht aufgelösten Versammlung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. Januar 1997 - 1 B 219.96 - NVwZ 1988, 250, Urteil vom 8. September 1981 - 1 C 88.77 - BVerwGE 64, 56; OVG NW, Beschluss vom 2. März 2001 - 5 B 273/01 - NVwZ 2001, 1970) kann in Ansehung der primär dem Schutz der Versammlung dienenden Maßnahmen keine Rede sein. Der Schutz der Versammlung der Klägerin beschränkte sich im Übrigen, was die Sperrmaßnahmen nördlich und östlich der Karl-Liebknecht-Straße anging, auch nicht nur darauf, die Versammlung der Klägerin vor Übergriffen von Gegendemonstranten zu schützen, sondern ermöglichte es zugleich, im Sinne einer Vorfeldmaßnahme den ersten Teil der Aufzugstrecke im Einsatzabschnitt der Direktion 1 bis zur Liebknechtbrücke freizuhalten.

Den Aufzug nicht beginnen zu lassen und schließlich zu untersagen, war auf der Grundlage des § 15 Abs. 1 VersammlG ebenfalls rechtmäßig. Nach dieser Vorschrift kann eine Versammlung verboten oder von bestimmten Auflagen abhängig gemacht werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei der Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Die Anwendung dieser Bestimmung erfordert grundsätzlich, dass die Gefahr - auf der Grundlage einer durch Tatsachen, Sachverhalte und sonstiger Einzelheiten gestützten Prognose für dem Versammlungsrecht gleichwertige Schutzgüter - von der Versammlung ausgeht, wobei die Unfriedlichkeit einzelner Teilnehmer der Versammlung regelmäßig für deren Totalverbot nicht ausreicht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233 u. 341/81 - BVerfGE 69, 315 <352 ff., 360 ff.>). Kommt es wegen der Durchführung der Versammlung zu Störungen durch Dritte, ist die Versammlung davor zu schützen und sind Maßnahmen der Gefahrenabwehr gegen die verantwortlichen Handlungsstörer (§ 13 Abs. 1 Allgemeines Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung - ASOG Bln -), nicht gegen die Versammlung zu richten.

Mit der Blockade der Wegstrecke, die bereits um 12.30 auf der Liebknechtbrücke begann und bis 14.30 Uhr auf 3.500 Personen angewachsen war, war eine gegenwärtige und erhebliche Störung der öffentlichen Sicherheit, die auch den Schutz des durch Art. 8 Abs. 1 GG gewährleisteten Versammlungsrechts einschließt, gegeben. Dabei kann dahinstehen, ob die Menschenansammlung, die die Wegstrecke blockierte, selbst als Spontanversammlung den Schutz des Versammlungsgrundrechts für sich in Anspruch nehmen konnte, weil sie sich möglicherweise nicht nur auf die Absicht der Blockade der Wegstrecke beschränkte, sondern zugleich gemeinsam die Ablehnung der politischen Betätigung der Klägerin unter deren Versammlungsmotto zum Ausdruck bringen wollte. Hätte es sich insoweit um eine Spontanversammlung gehandelt, hätte eine Räumung zunächst die Auflösung gemäß § 15 Abs. 3 VersammlG vorausgesetzt, aber grundsätzlich nichts daran geändert, dass Maßnahmen mit dem Ziel der Durchführung des angemeldeten und bestätigten Aufzuges der Klägerin zunächst gegen die Blockierer der Wegstrecke als Verursacher der Gefahr gemäß § 13 Abs. 1 ASOG Bln zu richten waren und erst gegen die Versammlung der Klägerin als nicht Verantwortliche unter der Voraussetzung gerichtet werden durften, dass Maßnahmen gegen den Gefahrverursacher nicht möglich oder nicht erfolgversprechend waren, die Polizei die Gefahr nicht selbst oder durch Beauftragte abwenden konnte und die Versammlung ohne erhebliche eigene Verletzung höherwertiger Pflichten in Anspruch genommen werden konnte (§ 16 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 ASOG Bln). Diese Voraussetzungen waren zu dem Zeitpunkt, als der Klägerin die Durchführung des Aufzuges untersagt wurde, jedoch gegeben. Der Senat hat sich davon durch die Auskünfte der in der mündlichen Verhandlung gehörten leitenden Polizeibeamten und das vorhandene Bild- und Videomaterial überzeugt. Eine Räumung der Aufzugstrecke beginnend mit den auf der Liebknechtbrücke befindlichen Menschen war danach nahezu undurchführbar, jedenfalls wegen der mit einem solchen Polizeieinsatz einhergehenden zu befürchtenden Folgen für Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit, insbesondere Leib und Leben, aber auch bedeutende Sachwerte, nicht mehr verhältnismäßig, denn die zu befürchtenden Schäden standen in einem deutlichen Missverhältnis zu der damit erreichten Durchsetzung des Aufzuges der Klägerin. Die Blockade hätte nur mit körperlicher Gewalt und deren Hilfsmitteln gebrochen werden können. Insofern hat der Direktor beim Polizeipräsidenten K_____ in der mündlichen Verhandlung erklärt, im Zusammenhang mit der Aufforderung zur Räumung der Liebknechtbrücke gegen 15.30 Uhr sei eine Entschlossenheit der Menge erkennbar geworden, Widerstand zu leisten, die den Einsatz "extremer" Gewalt zur Durchsetzung des Räumungsverlangens notwendig gemacht hätte. Zudem hätte die Wegstrecke - unter Einsatz eines sog. Wanderkessels - nur gegen den weiteren Zustrom aus Richtung "Unter den Linden" freigemacht werden können und es sei wenig Raum für ein seitliches Abdrängen und für die Herstellung eines ausreichenden Abstandes zum Aufzug der Klägerin und den diesen sichernden Polizeikräften vorhanden gewesen. Der Einsatz von Wasserwerfern im Brückenbereich und ein Abdrängen mit Fahrzeugen und Beamten hätte zu einer Kompression der Menge geführt und habe Schadensereignisse befürchten lassen, wie man sie nach eine Panik in einer Menschenmenge auslösenden Unfallereignissen wie etwa dem Tribüneneinsturz im Brüsseler Heyselstadion gesehen habe. So sei u.a. damit zu rechnen gewesen, dass einzelne Personen über die Brückengeländer gedrückt worden wären. In dieser Notstandslage konnte die Klägerin - wie ihr Bevollmächtigter in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat letztlich ebenfalls konzediert hat - ein Einschreiten gegen die blockierende Menschenmenge zur Durchsetzung ihres Versammlungsrechts nicht mehr verlangen.

Der von der Klägerin erhobene Vorwurf, eine Vielzahl von Indizien spreche dafür, dass der Beklagte diese unechte polizeiliche Notstandslage zielgerichtet habe eintreten lassen, um die Versammlung der Klägerin nicht "vom Ort kommen" zu lassen, so dass er sich auf die Notstandslage nicht berufen könne, ist demgegenüber nach der Überzeugung des Senats nicht berechtigt.

Die Ausgangsüberlegung der Klägerin, dass eine zielgerichtete Herbeiführung von nicht mehr beherrschbaren polizeilichen Lagen durch den Staat mit der Zielrichtung, die Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme einer nicht störenden Versammlung durch Auflagen oder ein Versammlungsverbot, mit der grundrechtlichen Gewährleistung der Versammlungsfreiheit und der Stellung der Polizei als Garant der rechtsstaatlichen Ordnung, die auch die unparteiliche Wahrnehmung der Aufgaben zum Schutz von Versammlungen und Aufzügen einschließt, unvereinbar ist, ist jedoch als solche zutreffend.

Die Versammlungsbehörde ist Garant der Versammlungsfreiheit. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit erschöpft sich nicht in einem Abwehrrecht, sondern setzt zugleich Maßstäbe für eine den Grundrechtsschutz effektuierende Organisations- und Verfahrensgestaltung; daraus erwächst die Forderung an die staatlichen Behörden, versammlungsfreundlich und insbesondere bei Großdemonstrationen nicht ohne zureichenden Grund hinter bewährten Erfahrungen zurückzubleiben und die Kooperation mit dem Veranstalter zu suchen, dem nach der abwehrrechtlichen Position weitgehende Selbstbestimmung über die Durchführung von Versammlungen verbleibt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 a.a.O. S. 355 f). In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist anerkannt, dass die Versammlungsbehörde im Rahmen ihrer Kooperationspflicht gehalten ist, den Möglichkeiten nachzugehen, durch Modifikation der Versammlungsmodalitäten Notstandslagen zu vermeiden und nach Wegen zu suchen, die Versammlung gegen Gefahren zu schützen, die nicht von ihr selbst ausgehen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 18. August 2000 - 1 BvQ 23/00 - NJW 2000, 353, juris, Rn. 43). Das Bundesverfassungsgericht hat weiter deutlich gemacht, dass Beschränkungen des Versammlungsrechts unter Berufung auf Notstandssituationen nur als "ultima ratio" in Betracht kommen. Wenn zu erwarten sei, dass die Durchführung der Versammlung zu jedem Zeitpunkt zu Gegenaktionen und damit immer wieder zur Situation polizeilichen Notstands führen werde, bestehe das Risiko, dass der davon betroffene Grundrechtsträger auf Dauer an der Verwirklichung seines Freiheitsrechts gehindert werde. Diese Situation könne entstehen, wenn jede Absicht zur Durchführung rechtsextremistischer Demonstrationen mit Gegenaktionen gewaltbereiter Personen des linken politischen Spektrums beantwortet werde. Das Grundgesetz verwirklicht zwar eine auf Abwehr von Gefahren für die Demokratie gerichtete Ordnung; es bestehe aber auf der Einhaltung der Regeln des Rechtsstaates, den es zu verteidigen gelte. Gewalt von "links" sei keine verfassungsrechtlich hinnehmbare Antwort auf eine Bedrohung der rechtsstaatlichen Ordnung von "rechts". Drohten Gewalttaten als Gegenreaktion auf Versammlungen, so sei es Aufgabe der zum Schutz der rechtsstaatlichen Ordnung berufenen Polizei, in unparteiischer Weise auf die Verwirklichung des Versammlungsrechts hinzuwirken (vgl. BVerfG a.a.O. Rn. 42; Beschluss vom 1. September 2000 - 1 BvQ 24/00 - NVwZ 2000, 1429, juris, Rn. 16).

Auch wenn sich diese Ausführungen darauf beziehen, ob und in welcher Weise eine angemeldete Versammlung bestätigt werden kann, wenn beständig mit gewalttätigen Gegenaktionen zu rechnen ist, ist die Rolle von Versammlungsbehörde und Polizei keine andere, wenn eine Versammlung bestätigt worden ist und unter solchen Umständen durchzuführen ist. Auch die polizeilichen Maßnahmen zur Begleitung von Demonstrationen, die entsprechende Gegenaktionen hervorrufen, sind an den selben Maximen auszurichten, insbesondere ist auch dabei unparteiisch darauf hinzuwirken, dass das Versammlungsrecht entsprechend der bestätigten Bestimmung des Veranstalters verwirklicht werden kann. Es ist für diese Verpflichtung auch nicht entscheidend, ob Störungen des Versammlungsablaufs nur durch gewaltbereite Personen zu erwarten sind oder zusätzlich durch weitgehend gewaltfreie Protestformen, etwa Sitzblockaden o.ä., die nach der Einschränkung des Gewaltbegriffs (dazu BVerfG, Beschluss vom 10. Januar 1995 - 1 BvR 718 u 719/89 sowie 722 und 723/89 - BVerfGE 92, 1 <16 ff. >) keine strafbare Nötigung mehr darstellen, aber als Mittel zur Hinderung Dritter an der Durchführung einer von ihnen angemeldeten und bestätigten Versammlung auch unter Berufung auf das Versammlungsrecht nicht eingesetzt werden dürfen. Erschöpft sich nämlich der kollektive Zweck einer Ansammlung darin, eine andere Versammlung zu verhindern, ist dies nicht mehr durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. Juni 1991 - 1 BvR 772/90 - BVerfGE 84, 197 <209>; Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 15. Aufl., § 1, Rn. 254; Brenneisen/Wilksen, Versammlungsrecht, S. 140). Formen des gewaltfreien Protests setzen allerdings die Einschreitschwelle für den Beklagten höher als gewaltsame Störungen. Liegen Erkenntnisse für gewaltfreie Gegenaktionen vor, sind jedoch angemessene präventive Maßnahmen zur frühzeitigen Abwehr solcher Störungen, wie sie etwa Absperr- und Kontrollmaßnahmen darstellen, rechtlich nicht von vornherein zu beanstanden, auch wenn sie die Handlungs- und Bewegungsfreiheit unbeteiligter und nicht verantwortlicher Personen im öffentlichen Raum beeinträchtigen. Dies gilt insbesondere für Lagen, in denen gewaltbereite von friedlichen Veranstaltungsgegnern und insgesamt nicht oder nur schwer von Unbeteiligten zu trennen sind, insbesondere eine Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass Unbeteiligte und friedliche Veranstaltungsgegner als Schutzschirm für die Ausübung von Gewalt missbraucht werden sollen. Ob weiträumige Absperrmaßnahmen in Betracht kommen, hängt zunächst von der Gefahrenprognose ab, für die auch vergangene Erfahrungen im Zusammenhang mit Wegstreckenblockaden, Aufrufen zu Gegendemonstrationen und deren Befolgung nach den jeweils obwaltenden Umständen zu berücksichtigen sind. Ob solche Maßnahmen geeignet, erforderlich und angemessen sind, insbesondere in der Abwägung zwischen dem Versammlungsrecht und den Rechten Dritter, den Bereich um eine Aufzugstrecke aufsuchen zu können, dem Versammlungsrecht der Vorrang einzuräumen ist, lässt sich nicht pauschal beantworten; vielmehr muss diese Abwägung stets nach den Umständen des Einzelfalles vorgenommen werden. Dabei kommt dem Ort, der Verkehrsbedeutung der betreffenden Straßenzüge für die Allgemeinheit, dem Vorhandensein von Geschäften und vom Publikum abhängigen Gewerbebetrieben, aber auch sonstigen konkreten Umständen im fraglichen Zeitraum, wie etwa die Durchführung von Veranstaltungen in geschlossenen Räumen u.ä, erhebliche Bedeutung zu, weil sich daraus ergeben kann, dass verkehrsbeschränkende Maßnahmen und Absperrungen außer Verhältnis zu dem Zweck des Versammlungsschutzes stehen können, Vorfeldmaßnahmen zum Schutz einer angemeldeten und bestätigten Versammlung also nicht nur tatsächliche, sondern auch rechtliche Grenzen gesetzt sind.

Auf dieser Grundlage muss die Einsatzplanung von vornherein darauf ausgerichtet werden, vorhersehbare Störungen der Versammlung effektiv bis an die Grenze des tatsächlich Möglichen und des rechtlich Zulässigen abzuwehren. Das erfordert nicht nur ein Tätigwerden bei Auftreten von Störungen, sondern eine Umsetzung der schon bei Bestätigung der Versammlung anzustellenden Überlegungen, wie die Versammlung durchgeführt werden kann. Das schließt auch vorbereitende Maßnahmen wie etwa eine vorsorgliche Sperrung von Verkehrsflächen ein, wenn diese sowohl von der Versammlung als Wegstrecke beansprucht werden als auch als "Aufmarschgebiet" - auch gewaltbereiter - Gegner der Versammlung in Betracht kommen und rechtzeitige Maßnahmen geboten sind, um das Einsickern von Störern auf die Aufzugroute zu verhindern.

Es wird jedoch der Komplexität der zu bewältigenden Aufgabe nicht gerecht, wenn jedes im Hinblick auf diese Anforderungen festzustellende Versäumnis oder Fehleinschätzung der Lage dazu führte, dass dem Beklagten die Berufung auf eine daraus entstehende Notstandslage versagt wäre. Vielmehr kann die Inanspruchnahme einer Versammlung unter den dargestellten Voraussetzungen auch dann nicht beanstandet werden, wenn die Notstandssituation infolge von polizeilichen Versäumnissen und Fehleinschätzungen der Lage verursacht oder jedenfalls mitverursacht wird (vgl. dazu bereits Senatsbeschluss vom 6. September 2007 - OVG 1 N 25.06 - BA S. 3 f.); der Beklagte kann sich nur dann für die Rechtmäßigkeit seiner Maßnahmen auf eine Notstandssituation nicht mehr berufen, wenn er diese Situation final und zielgerichtet herbeigeführt hat.

Die diesbezügliche Unterstellung der Klägerin, die Polizei hätte auf eine Notstandslage "hingearbeitet", hat keine hinreichende Grundlage. Sie beruht auf der Prämisse, dass die Behörde der Klägerin in Bezug auf die Anmeldung des streitbefangenen Aufzuges von Anbeginn eine parteiliche Haltung eingenommen habe, in deren Licht die von der Klägerin für ihre Auffassung angeführten Indizien bewertet werden, und erschöpft sich deshalb auch in einer einseitigen politischen Bewertung des Geschehens, die ungeeignet ist, den erhobenen Vorwurf rechtlich zu tragen. Im Einzelnen:

Die Klägerin blendet bei ihrer Betrachtung zunächst weitgehend aus, dass ihr Auftreten - und das ihrer Mutterpartei - regelmäßig den politischen Gegner und darunter ein organisiertes gewaltbereites Potenzial in einer Größenordnung von über 1000 Personen "auf den Plan" ruft, weshalb ihre Versammlungen und Aufzüge enger Kooperation mit der Polizei bedürfen, um ihre sichere Durchführung einschließlich des Sammelns der Versammlungsteilnehmer am Anfangspunkt und des Verlassens des Endpunktes zu gewährleisten. Diese Grundproblematik verschärft sich noch, wenn die Klägerin von ihrer grundrechtlichen Befugnis, Ort und Zeit der Versammlung zu bestimmen, in der Weise Gebrauch macht, dass sie an einem historischen Datum wie dem Tage des Kriegsendes eine Aufzugroute wählt, die durch zentrale Innenstadtbereiche führt, die an einem Wochenende ohnehin stark frequentiert sind, und die eigene Veranstaltung zusätzlich noch mit einer Reihe anderer Veranstaltungen offizieller Art und Veranstaltungen anderer politischer Lager einhergehen soll. Wird ein solcher Aufzug - zudem mit einem polarisierenden Motto, das absehbar für bestimmte gesellschaftliche Kreise und politische Gruppierungen geradezu eine Herausforderung zu Gegenaktionen darstellt - wie im vorliegenden Fall frühzeitig angemeldet und erfährt er im unmittelbaren Vorfeld durch gerichtliche Auseinandersetzungen um die zunächst geplante Wegstrecke vorbei am Holocaust-Mahnmal noch zusätzliche Publizität, so beschwört dies geradezu eine Lage herauf, in der eine Gewährleistung des Versammlungsrechts in Ausfüllung der dargestellten Verpflichtung von Polizei und Versammlungsbehörde an die Grenzen des Möglichen stößt und dann in Abwägung mit den übrigen betroffenen Schutzgütern der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auch keine staatliche Verpflichtung mehr sein kann. In diesem Sinne lassen sich die Äußerungen des Leiters der Versammlungsbehörde begreifen, wenn er im Hinblick auf die hier gewählte Aufzugroute im Kooperationsgespräch am 23. März 2005 darauf hingewiesen hat, dass bei der Wahl des Alexanderplatzes als Abmarschpunkt das Risiko bestehe, dass der Aufzug wegen der zu erwartenden dagegen gerichteten Proteste tatsächlich nicht möglich sein könnte. Wenn die Klägerin hier ihre Planung nur hinsichtlich einer Verlegung des Sammelplatzes von dem Bereich um die Weltzeituhr auf dem östlichen Alexanderplatz in den Bereich um den Fernsehturm modifiziert hat und sich hinsichtlich der Wegstrecke gerichtlich bestätigten Auflagen beugen wollte, so ging sie - der Senat meint bewusst - das Risiko ein, dass die Durchführung des Aufzuges an mit verhältnismäßigen Mitteln nicht mehr überwindbaren Schwierigkeiten scheitern könnte, um in der Folge dem Beklagten gegenüber den Vorwurf erheben zu können, es sei zum Schutz der grundrechtlichen Positionen der Klägerin nicht willens, jedenfalls nicht in der Lage gewesen.

Die Klägerin kann auch die Absperrmaßnahmen auf der westlichen Seite der Bahntrasse am Alexanderplatz nicht beanstanden, soweit die Polizei - wie bereits ausgeführt - auch das Ziel verfolgt hat, den Anfangsbereich der Wegstrecke von Störern freizuhalten und dies - ganz im Sinne der von der Klägerin geforderten "Vorfeldmaßnahmen" - auch geleistet hat.

Der Senat hat darüber hinaus auch die Überzeugung gewonnen, dass die Polizei auch bestrebt war, die Wegstrecke im Übrigen freizumachen und für die Dauer des Aufzuges auch freizuhalten. Die vom zuständigen Polizeiführer der Direktion 3 hierzu gegebenen Auskünfte lassen andere Schlussfolgerungen nicht zu. Auch er hat bekräftigt, dass die polizeiliche Einsatzkonzeption darauf ausgerichtet gewesen sei, den Aufzug "laufen zu lassen" und alles zu seinem Schutz Gebotene zu unternehmen. Der Direktor beim Polizeipräsidenten Kr hat einleuchtend erläutert, dass eine großräumige Absperrung des Gebiets der Aufzugstrecke südlich ab der Leipziger Straße, nördlich an der Spree und westlich am Brandenburger Tor wegen der massiven Auswirkungen auf den Straßenverkehr im an den gesperrten Bezirk angrenzenden Bereich, wegen der Vielzahl betroffener Anwohner und Gewerbebetriebe innerhalb des Sperrbereichs sowie wegen des mit der Vielzahl der Veranstaltungen im Innenstadtbereich verbundenen immensen Zu- und Abstroms von Menschen als Handlungsalternative verworfen werden musste. Ebenso wenig sei eine enge Sperrung direkt an der Straße Unter den Linden in Betracht gekommen, weil sie wegen der zu geringen Distanz zwischen potentiellen Störern und den Versammlungsteilnehmern eine sichere Durchführung des Aufzuges in einem sog. Wanderkessel nicht gewährleistet hätte, und eine bereits frühzeitige Sperrung aufgrund der vorhandenen polizeilichen Erfahrungen bis zum Beginn des Aufzuges nicht hätte gehalten werden können. Außerdem wurde der betroffene Sperrbereich unmittelbar vor dem Aufzug noch von dem ökumenischen Gottesdienst in der St. Hedwigs-Kathedrale und der anschließenden Kranzniederlegung in der Neuen Wache beansprucht. Das schließlich gewählte Einsatzkonzept sah die Einrichtung von Sperren in den Seitenstraßen südlich der Aufzugstrecke auf Höhe der Französischen Straße, Oberwallstraße und sodann über die Freiflächen am Werderschen Markt und den Schlossplatz sowie westlich der Aufzugstrecke im Straßenzug Neustädtische Kirchstraße/Glinkastraße vor, die zeitnah zum Beginn des Aufzuges zu schließen und zu halten waren. Nach der Einschätzung des Polizeiführers waren ihm Einheiten mit entsprechender Einsatzerfahrung im Umfang von 1.300 Beamten und hinreichendes Gerät zur Umsetzung dieses Einsatzkonzepts unterstellt. Schon bevor die Kontroll- und Sperrpunkte geschlossen werden konnten, hätten sich jedoch - im Übrigen schwer auszumachende ("wabernde Gruppen") - potentielle Störer innerhalb des freizuhaltenden Bereichs bewegt, weshalb die Konzeption statischer Sperren auf eine mobile Raumschutztaktik habe umgestellt werden müssen, um potentielle Störergruppen aufzuspüren und des Platzes zu verweisen. Zeitgleich habe sich eine Spontandemonstration aus einer Gewerkschaftskundgebung von ver.di und der IG Metall vom Brandenburger Tor aus in Richtung Alexanderplatz entwickelt, die keine erkennbare Versammlungsleitung besaß und polizeilich aus dem Bereich der Straße Unter den Linden ab Friedrichstraße habe ferngehalten werden müssen und nach Süden abgedrängt werden sollte, was einen Teil der unterstellten Einsatzkräfte gebunden habe. Es sei deshalb nicht gelungen, die Aufzugroute wie geplant zu sichern; von Südwesten seien immer mehr Menschen in den Bereich der Spreebrücken gelangt, schließlich seien die Menschen auch von Westen her über die Straße unter den Linden auf die Aufzugstrecke gelangt. Diese Darstellung lässt bei aller Zurückhaltung, die sich der Senat in polizeitaktischer Hinsicht auferlegen muss, erkennen, dass die Abstimmung zwischen statischen und mobilem Raumschutz möglicherweise nicht hinreichend funktioniert hat, um die Wegstrecke des Aufzuges tatsächlich freizuhalten, insbesondere auch die neuralgischen Punkte an den Spreebrücken und den Freiflächen am Werderschen Markt und im Bereich des Schlossplatzes und dem Bau des früheren Palasts der Republik genügend zu sichern. Immerhin zeigen die Videoaufnahmen aus dem Bereich Liebknechtbrücke in Richtung Unter den Linden aus der Zeit der polizeilichen Aufforderung zur Räumung der Brücke, dass sich in der blockierenden Menge Personen befanden, die durch mitgeführte Gegenstände, etwa Fahnen, auch im Vorfeld eindeutig als potentielle Störer zu identifizieren gewesen sein müssen. Auf dem Bildmaterial ist zu erkennen, dass der Bauzaun am Palast der Republik geöffnet war und Veranstaltungsgegner durch diese Öffnung einströmen konnten. Es kann jedoch im einzelnen dahinstehen, ob sich hier Schwächen des Einsatzkonzepts offenbart haben oder lagebezogen mit den vorhandenen Kräften eine Durchsetzung der Einsatzplanung nicht mehr möglich war; jedenfalls hat der Senat nicht die Überzeugung gewinnen können, es sei schon im Vorfeld im Sinne bewusst unzureichend gehaltener Vorfeldmaßnahmen beabsichtigt gewesen, eine Blockade der Wegstrecke des Aufzuges zu ermöglichen. Vielmehr spricht viel dafür, dass die Absicht, die Wegstrecke freizumachen und zu halten, bereits zu einem frühen Zeitpunkt mit dem angehaltenen, polizeilicherseits für ausreichend gehaltenen Einsatzkonzept nicht mehr durchsetzbar war.

Die Äußerungen von Politikern zu dem geplanten Aufzug rechtfertigen die Bewertung der Klägerin ebenfalls nicht. Auch wenn es sich um staatliche Repräsentanten handelt, denen an der Wahrung des Versammlungsrechts als Form der politischen Beteiligung gerade von Minderheiten als einem Wesenselement des demokratischen Rechtsstaats gelegen sein sollte, kann ihnen ein Handeln als Teilnehmer in der politischen Auseinandersetzung und im Rahmen des gesellschaftlichen Meinungsbildungsprozesses anders als den zum Vollzug des Versammlungs- und des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes berufenen Amtsträgern nicht verwehrt werden, solange damit Grenzen des rechtlich zulässigen und strafbaren Verhaltens - was hier, wie bereits das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat, nicht der Fall war - nicht überschritten werden. Die Klägerin übersieht insoweit, dass es auch dann, wenn es aus dem politischen Lager Äußerungen gibt, die als Ermunterung verstanden werden können, sich ihrem Aufzug in den Weg zu stellen, immer noch einer Willensentscheidung des einzelnen Bürgers bedarf, an entsprechenden Aktionen teilzunehmen. Diese Entschließung kann dem Beklagten in letzter Konsequenz nicht zugerechnet werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordnung.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.

Ende der Entscheidung

Zurück