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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 29.09.2009
Aktenzeichen: OVG 1 N 74.08
Rechtsgebiete: BBiG, HandwO, VwGO


Vorschriften:

BBiG § 17 Abs. 1
HandwO § 29 Abs. 1
VwGO § 124 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN-BRANDENBURG BESCHLUSS

OVG 1 N 74.08

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 1. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Wolnicki und die Richter am Oberverwaltungsgericht Bath und Dahm am 29. September 2009 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 16. Mai 2008 wird abgelehnt.

Die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens trägt die Klägerin.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für die zweite Rechtsstufe auf 5 000 EUR festgesetzt.

Gründe:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

I.

Die Klägerin begehrt die Eintragung eines Berufsausbildungsvertrages in die Lehrlingsrolle. Sie schloss am 10. Juni 2005 mit _____ einen Vertrag zur Ausbildung als Maurer in der Zeit vom 1. September 2005 bis 31. August 2008 ab. Vereinbart war darin eine Bruttovergütung von 380,10 EUR im ersten, 590,10 EUR im zweiten und 745,50 EUR im dritten Ausbildungsjahr. Den Antrag auf Eintragung dieses Vertrages in die Lehrlingsrolle lehnte die Beklagte nach Anhörung der Klägerin mit Bescheid vom 24. Oktober 2005, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 10. Februar 2006, ab.

Die daraufhin erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 16. Mai 2008 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin habe keinen Anspruch auf die begehrte Eintragung, weil sie dem Auszubildenden nicht eine angemessene Vergütung gewähre. Nur Berufsausbildungsverträge, die den gesetzlichen Vorschriften entsprächen, seien gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 der Handwerksordnung - HandwO - in die Lehrlingsrolle einzutragen. Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 des Berufsbildungsgesetzes - BBiG - sei eine angemessene Ausbildungsvergütung zu zahlen. Diese richte sich - wie die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts geklärt habe - nach den tariflich vereinbarten Vergütungssätzen. Da die Klägerin in Berlin ihren Sitz habe, sei der gegenwärtig geltende Tarifvertrag zur Regelung der Löhne und Ausbildungsvergütungen im Baugewerbe des Landes Berlin einschlägig, der eine Vergütung von 543 EUR im ersten, 843 EUR im zweiten und 1 065 EUR im dritten Lehrjahr vorsehe. Nicht tarifgebundene Arbeitgeber wie die Klägerin dürften zwar die tarifliche Höhe unterschreiten, jedoch sei eine Ausbildungsvergütung mit einer Unterschreitung um mehr als 20 % nicht mehr angemessen im Sinne von § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG.

Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung trägt die Klägerin vor: An der Richtigkeit des Urteils beständen ernstliche Zweifel. Auch Ausbildungsverträge mit weniger als 80 % der tariflichen Vergütung seien in die Lehrlingsrolle einzutragen. Der von der Klägerin gezahlte Betrag von 70 % der tariflichen Ausbildungssätze sei angemessen im Sinne von § 17 BBiG. Das Verwaltungsgericht sei unzureichend auf die Vertragsfreiheit, auf nicht tarifgebundene Unternehmen, auf das Verhältnis zu den mit öffentlichen Geldern finanzierten Ausbildungsverhältnissen und auf die Schaffung von Ausbildungsplätzen eingegangen. Es verkenne, dass eine Verkehrsauffassung nur existieren könne, wenn sie von der überwiegenden Mehrheit der Unternehmer des betreffenden Gewerbezweiges akzeptiert werde. Dafür reiche nicht aus, an einen Tarifvertrag anzuknüpfen, der nicht von einem nennenswerten Teil des betroffenen Gewerbes abgeschlossen worden sei. Hier habe der tarifschließende Arbeitgeberverband - der Bauindustrieverband Berlin und Brandenburg e.V. - nur 81 Mitglieder und stehe im Geltungsbereich des Tarifvertrages 11 305 nicht tarifgebundenen Betrieben gegenüber. Bei dieser Zahlenrelation könne nicht abgeleitet werden, dass der Tarifvertrag die Verkehrsauffassung repräsentiere. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, nach der die Tarifverträge generell die Verkehrsauffassung widerspiegelten, beruhe darauf, dass in der Vergangenheit die Tarifvertragsparteien die jeweilige Branche einigermaßen repräsentiert hätten. Gegenwärtig sei dies nicht mehr der Fall. Zumindest hier sei der Tarifvertrag kein geeigneter Anknüpfungspunkt, um das Merkmal der Angemessenheit zu definieren.

Die Auffassung des Verwaltungsgerichts verstoße gegen die Vertragsfreiheit, denn nicht tarifgebundene Parteien würden Tarifregelungen unterworfen, die nicht gemäß § 5 des Tarifvertragsgesetzes für allgemeinverbindlich erklärt worden seien. Eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung sei nur zulässig, wenn sie im öffentlichen Interesse geboten erscheine und die tarifgebundenen Arbeitgeber mindestens 50 % der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages fallenden Arbeitnehmer beschäftigten. Eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung für die Höhe der Ausbildungsvergütung im Baugewerbe gebe es nicht und der Organisationsgrad unterschreite die betreffende Schwelle. Dementsprechend müsse den nicht tarifgebundenen Vertragsparteien gestattet sein, die Ausbildungsvergütung frei zu vereinbaren. Überdies verkenne das Verwaltungsgericht auch den Ablauf von Tarifverhandlungen, insbesondere die Randfunktion von Vereinbarungen über Ausbildungsverhältnisse. Die Arbeitgeberseite nehme dabei lieber höhere Lehrlingsvergütungen als höhere Löhne in Kauf. Die Angemessenheit an Tarifvergütungen anzuknüpfen, sei auch deshalb fehlerhaft, weil deren Höhe in keinem sachlichen Zusammenhang mit der Arbeitsbelastung und den Arbeitszeiten stehe, sondern je nach Branche und Region sehr unterschiedlich sei (Hinweis auf die Unterschiede zwischen Ausbildungsvergütungen für Maurer, Dachdecker, Bäcker und Friseure sowie in den Ländern Baden-Württemberg, Sachsen, Brandenburg, Berlin-Ost und Berlin-West). Das Verwaltungsgericht hätte der Empfehlung von Fachverbänden und der Innung größere Bedeutung als vorhandenen Tarifverträgen beimessen müssen und sei auch nicht überzeugend eingegangen auf den Unterschied zur niedrigeren Ausbildungsvergütung in den vom Berliner Senat geförderten Ausbildungsverhältnissen sowie darauf, dass sich die Klägerin bewusst nicht einer Tarifbindung unterworfen habe. Nach alledem weise die Rechtssache auch besondere Schwierigkeiten und grundsätzliche Bedeutung auf.

Die Beklagte tritt dem Zulassungsvorbringen entgegen. Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

II.

Der geltend gemachte Zulassungsgrund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor.

Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung zutreffend auf die maßgeblichen Vorschriften des § 29 Abs. 1 Nr. 1 HandwO und § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG gestützt. Von dieser Grundlage geht auch die Klägerin aus. Abweichend von der sowohl von der Beklagten als auch vom Verwaltungsgericht vertretenen Auslegung möchte sie allerdings das gesetzliche Erfordernis einer "angemessenen Vergütung" nicht auf tarifvertragliche Gestaltungen beziehen, sondern will auf die Auffassung der überwiegenden Mehrheit der Unternehmer des betreffenden Gewerbezweiges bzw. auf Empfehlungen von Fachverbänden oder der Innung abstellen. Damit verkennt sie jedoch, dass es einer Vermittlung der gegensätzlichen Interessen der Unternehmer und der Auszubildenden bedarf, um zu einer angemessenen Vergütung zu gelangen. Mit Blick auf den seit jeher und auch künftig bestehenden Interessengegensatz hat die Rechtsprechung deshalb auf Vergütungssätze zurückgegriffen, auf die sich die Kontrahenten im jeweiligen Tarifgebiet haben einigen können (vgl. BAG, Urteil vom 15. Dezember 2005 - 6 AZR 224/05 -, Juris Rn 11, 12 m.w.N.; OVG Bautzen, Beschluss vom 19. Februar 2009 - 3 B 373/06 -, Juris Rn 8 - 14 unter Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber die tarifliche Vergütung auch bei der Neufassung des § 17 Abs. 1 BBiG im Jahre 2005 als Bezugspunkt gewollt hat). Den Empfehlungen der Kammern und Innungen ein größeres Gewicht beizumessen, ist nicht angezeigt, weil sie nicht von Vertretern der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite ausgehandelt worden sind und damit nicht die gleiche Gewähr wie Tarifverträge für die angemessene Berücksichtigung der Interessen beider Seiten bieten. Deshalb ist es sachgerecht, auch bei einem geringen Organisationsgrad der tarifschließenden Vertragspartner und sogar für nicht tarifgebundene Parteien als Maßstab primär Tarifverträge heranzuziehen (vgl. BAG, Urteil vom 15. Dezember 2005, a.a.O., Rn 13 m.w.N.; Urteil vom 19. Februar 2008 - 9 AZR 1091/06 -, Juris Rn 20, 21; OVG Bautzen, Beschluss vom 19. Februar 2009, a.a.O. Rn 14, 15, 23). Die Vertragsfreiheit des einzelnen Unternehmers ist dadurch nicht beseitigt, sondern hat je nach dem, wie sie hinsichtlich der Höhe der Ausbildungsvergütung ausgeübt worden ist, gesetzlich angeordnete Folgen dafür, ob der Ausbildungsvertrag gemäß § 29 HandwO eintragungsfähig ist (vgl. hierzu noch OVG Bautzen, Beschluss vom 19. Februar 2009, a.a.O. Rn 19). Das Fehlen einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung ist dabei ebenso unerheblich wie die von der Klägerin behauptete Randfunktion von Tarifvereinbarungen über Ausbildungsverhältnisse. Freilich ist der Klägerin einzuräumen, dass je nach Branche und Region Tarifvergütungen in unterschiedlicher Höhe vereinbart werden. Dies führt jedoch nicht dazu, dass sie als Anknüpfungspunkt für die Angemessenheit untauglich sind, sondern trägt den betreffenden Unterschieden in jeweiliger Anpassung an die Branche und die Region Rechnung. Was die niedrigeren Ausbildungsvergütungen in öffentlich finanzierten Ausbildungsverhältnissen betrifft, ist zu vermerken, dass sie zur Aufstockung der von den Handwerksbetrieben zahlenmäßig nicht ausreichend zur Verfügung gestellten Lehrstellen, somit der Schaffung von gesamtgesellschaftlich benötigten Ausbildungsplätzen dienen und dass den öffentlichen Einrichtungen die Teilnahme der Lehrlinge an einer Gewinn erzielenden gewerblichen Produktion grundsätzlich nicht zugute kommt. Dies sind sachliche Differenzierungsgründe, deretwegen die regelmäßig geltende Grenze, wonach eine vertraglich vereinbarte Ausbildungsvergütung nur angemessen ist, wenn sie mindestens 80 % der tariflichen Vergütung erreicht, in diesen Fällen ausnahmsweise unterschritten werden darf (vgl. BAG, Urteil vom 19. Februar 2008, a.a.O., Rn 22, 39, 41 m.w.N.; OVG Bautzen, Beschluss vom 19. Februar 2009, a.a.O., Rn 17, 20; Litterscheid, NZA 2006, 639 [640 f]).

Die vorstehenden Ausführungen zeigen, dass die Rechtssache entgegen der Annahme der Klägerin keine besonderen Schwierigkeiten im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO aufweist. Sie hat auch wegen der bereits geklärten entscheidungserheblichen Rechtsfragen keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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