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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 27.10.2006
Aktenzeichen: OVG 1 S 115.06
Rechtsgebiete: VwGO, ASOG Bln, BVerfGG


Vorschriften:

StGB § 284
VwGO § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4
VwGO § 146
VwGO § 146 Abs. 4 Satz 3
VwGO § 146 Abs. 4 Satz 6
VwGO § 147
ASOG Bln § 17 Abs. 1
BVerfGG § 31 Abs. 1
BVerfGG § 31 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 1 S 115.06

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 1. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Monjé, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Dr. Blumenberg und die Richterin am Verwaltungsgericht Tänzer am 27. Oktober 2006 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 11. September 2006 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 300.000 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die im Februar 2001 mit Sitz in Berlin gegründete, nicht börsennotierte Antragstellerin betätigt sich nach eigener Darstellung im Beschwerdeverfahren als Dienstleistungsunternehmen für den in Gibraltar unter der Firma D_____ ansässigen Veranstalter von Oddset-Sportwetten sowie für den Vermittler von Sportwetten B_____, der für diese Tätigkeit im Besitz einer unbefristeten DDR-Lizenz aus dem Jahre 1990 sein soll. Die Firma D_____ ist von der Regierung in Gibraltar als Anbieter von Sportwetten mit der "Gaming Licence No. ..." für das "Offshore-Buchmachergeschäft" lizensiert. Die Dienstleistungen der Antragstellerin bestehen nach ihren Angaben in Aufbau und Betrieb der Internetseite, einer deutschsprachigen Hotline sowie der Werbung für die Firma D_____. Als solche wirbt die Antragstellerin u. a. auf der Grundlage eines im September 2005 geschlossenen Vertrages als "Exklusiv Partner von Hertha BSC" während der Heimspiele der Lizenzspielermannschaft von Hertha BSC im Rahmen des Spielbetriebs der Fußballbundesliga im Berliner Olympiastadion für ihre Marken "d_____" und "W_____".

Das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten Berlin untersagte der Antragstellerin mit Verfügung vom 18. August 2006 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung jegliche Art der Veranstaltung, Vermittlung und Werbung für Sportwetten, weil derartiges Verhalten Privatpersonen ohne behördliche Erlaubnis im Land Berlin verboten sei und zudem den Straftatbestand des § 284 StGB erfülle. Den gegen diese Verfügung erhobenen Widerspruch hat der Antragsgegner zwischenzeitlich durch Widerspruchsbescheid vom 4. September 2006 zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete Klage vom 7. September 2006 wird beim Verwaltungsgericht Berlin unter dem Geschäftszeichen VG 35 A 247.06 geführt.

Die Antragstellerin hatte beim Verwaltungsgericht Berlin beantragt, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs wiederherzustellen. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 11. September 2006 mit der Begründung abgelehnt, die Antragstellerin betreibe unerlaubtes Glücksspiel im Sinne von § 284 StGB. Sie halte in ihren Verkaufskiosken im Olympiastadion Unterlagen zum Abschluss von Sportwetten bereit und veranstalte insbesondere auch durch die Erstellung eines Internetauftritts für deutsche Teilnehmer entweder selbst Glücksspiele, leiste jedenfalls Beihilfe dazu oder stelle zumindest Einrichtungen hierfür bereit. Weil weder sie noch die Firma D_____ in Gibraltar hierfür eine Erlaubnis für das Land Berlin besäßen, stelle ihre Tätigkeit einen Verstoß gegen § 284 StGB und damit gleichzeitig eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar. Die in Gibraltar erteilte Konzession gelte nicht in Berlin. Aus Gemeinschaftsrecht ergebe sich nichts Gegenteiliges. Auf die Herrn H_____ nach DDR-Recht erteilte Genehmigung zur Veranstaltung von Sportwetten komme es nicht an. Die Untersagungsverfügung stelle weder einen rechtswidrigen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der Antragstellerin aus Art. 12 Abs. 1 GG dar, noch könne sie sich mit Erfolg auf die gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten gem. Art. 43 und 49 EG-Vertrag berufen. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei auch durch überwiegende öffentliche Interessen im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO gerechtfertigt. Unabhängig von einer Strafbarkeit der unerlaubten Vermittlung gewerblich veranstalteter Sportwetten, seien diese als ordnungsrechtlich verboten anzusehen. Dieses Verbot begründe bereits ein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung. Gleichrangige private Interessen der Antragstellerin stünden dem nicht gegenüber.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin.

II.

Die nach §§ 146 und 147 VwGO zulässige Beschwerde ist nicht begründet.

Zur Begründung ihrer Beschwerde trägt die Antragstellerin im Wesentlichen vor: Die aufschiebende Wirkung der Klage sei wiederherzustellen, weil Ziffer 1 der Untersagungsverfügung im Bescheid vom 18. August 2006 jedenfalls gegen europäisches Gemeinschaftsrecht verstoße. Denn das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Urteil vom 28. März 2006 zu dem mit der Rechtslage in Berlin übereinstimmenden bayerischen Sportwettenmonopol entschieden, dass dieses mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar sei. Dabei habe das Bundesverfassungsgericht sowohl Defizite bei der landesgesetzlichen Regelung selbst als auch bei deren Vollzug festgestellt. Zugleich habe das Gericht betont, dass die Anforderungen des deutschen Verfassungsrechts in Fällen mit Gemeinschaftsrechtsbezug parallel zu den vom Europäischen Gerichtshof formulierten Vorgaben des Gemeinschaftsrechts zu beurteilen seien. Blieben aber die Vorgaben des Gemeinschaftsrechts nicht hinter denjenigen des Grundgesetzes zurück, verstießen die Rechtsvorschriften der Bundesländer zu Sportwetten in ihrer derzeitigen Ausgestaltung eindeutig gegen Art. 43 bzw. 49 des EG-Vertrages. Eine bloße -im übrigen bisher nicht ausreichende - Veränderung der Anwendungspraxis der defizitären Norm könne den Gemeinschaftsrechtsverstoß nicht ausräumen. Verfassungskonforme und damit auch gemeinschaftsrechskonforme Zustände würden erst mit einer Neuregelung des Sportwettenrechts durch den Gesetzgeber erreicht. Bis dahin komme der allgemein anerkannte Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts vor nationalem Recht zum Tragen. Die Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts vermöge nur den nationalen Verfassungsverstoß zu überbrücken. Das Bundesverfassungsgericht sei aber nicht befugt, unmittelbar geltendes Gemeinschaftsrecht, wie die Grundfreiheiten vorübergehend zu suspendieren.

Unabhängig hiervon sei die Anordnung der sofortigen Vollziehung unverhältnismäßig. Gewichtige öffentliche Interessen am Sofortvollzug bestünden nicht. Namentlich sei die Bekämpfung der Spielsuchtgefahr nicht eilbedürftig; es bestehe insoweit ein klarer Wertungswiderspruch zur Behandlung des Automatenspiels. Demgegenüber seien die wirtschaftlichen Belange der Antragstellerin und des Bundesligisten Hertha BSC Berlin von erheblichem Gewicht.

Das Beschwerdevorbringen der Antragstellerin, das das Oberverwaltungsgericht gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, rechtfertigt keine Änderung des angefochtenen Beschlusses. Die Klage der Antragstellerin gegen die Untersagungsverfügung vom 18. August 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 4. September 2006 hat unter dem mit der Beschwerde allein geltend gemachten Gesichtspunkt der Verletzung von Gemeinschaftsrecht bei der im vorliegenden Verfahren allein möglichen summarischen Prüfung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin ist insoweit nicht zu beanstanden.

1. Von der Beschwerde unbeanstandet ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die Dienstleistungen der Antragstellerin für die Firma D_____ in Gibraltar eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne von § 17 Abs. 1 ASOG Bln darstellten, weil ein von staatlichen Stellen des Landes Berlin nicht erlaubtes Veranstalten oder Bewerben von Sportwetten den objektiven Straftatbestand des § 284 StGB erfülle und landesrechtliche Normen der Erlaubnispflicht für Sportwettenangebote Privater verletze.

2. Ebenso wenig greift die Beschwerdebegründung die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur übergangsweisen Fortgeltung der landesrechtlichen Vorschriften über das in seiner derzeitigen normativen Ausgestaltung mit dem Grundrecht aus Art. 12 Abs.1 GG unvereinbare staatliche Sportwettenmonopol (dazu BVerfG, Urteil vom 28. März 2006 - 1 BvR 1054/01 -, NJW 2006, 1261 ff.) im Land Berlin an. Soweit die Beschwerde beiläufig geltend macht, auch im Land Berlin seien die vom Bundesverfassungsgericht festgestellten Defizite in der Anwendungspraxis des staatlichen Sportwettenmonopols noch nicht abgestellt, so dass den an die Weitergeltungsanordnung geknüpften Maßgaben des verfassungsgerichtlichen Urteils nicht genügt sei, entspricht sie nicht den Darlegungserfordernissen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO, weil sie sich mit den gegenteiligen Gründen der angefochtenen Entscheidung nicht auseinandersetzt.

3. Die allein auf Verletzung von Gemeinschaftsrecht gestützte Beschwerde vermag dem Rechtsbehelf in der Hauptsache voraussichtlich nicht zum Erfolg zu verhelfen. Das strafbewehrte Verbot der Veranstaltung von privaten Sportwetten beschränkt zwar die Dienstleistungsfreiheit des den privaten Sportwettenanbieter unterstützenden Unternehmens, ist aber im Ergebnis gerechtfertigt. Obwohl anzunehmen ist, dass werbende, vermittelnde und dienstleistende Tätigkeiten für Sportwetten eines EG-ausländischen Wettanbieters zur gemeinschaftsrechtlichen Freiheit des Dienstleistungsverkehrs gehören, scheitert die Anwendung des innerstaatlichen Rechts nicht am Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts.

a) Der Senat geht zugunsten der Antragstellerin davon aus, dass die genannten Tätigkeiten für von EG-ausländischen Buchmachern veranstaltete Sportwetten der Dienstleistungsfreiheit nach Art. 49 ff. EG-Vertrag unterfällt, ohne jedoch der weiteren Frage nachgegangen zu sein, ob die dem Wettanbieter erteilte Konzession diesen auch in Gibraltar zu entsprechendem Tätigwerden berechtigt. Sollte dies - wie der Antragsgegner behauptet - nicht der Fall sein, ist bereits fraglich, ob überhaupt ein gemeinschaftsrechtlicher Bezug besteht. Denn ein Inhaber einer derart beschränkten Erlaubnis könnte sich nicht auf die Dienstleistungsfreiheit berufen, da diese nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH voraussetzt, dass der Dienstleistende in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig ähnliche Dienstleistungen erbringt (vgl. EuGH, Urteil vom 29. November 2001 -C-17/00 [De Coster]-, http://curia.europa.eu/de, Rn. 29; Urteil vom 24. März 1994 -C275/92 [Schindler]-, NJW 1994, 2013 Rn. 43). Daran dürfte es fehlen, wenn dem Konzessionsinhaber ein Tätigwerden im Ausstellerstaat untersagt ist. Ungeachtet dessen wird der grenzüberschreitende Bezug der Tätigkeit von Wettvermittlern auch mit der Erwägung in Frage gestellt, dass das Verhältnis zwischen Wettvermittler und -kunde rein innerstaatlich zu qualifizieren sei. Auf die von EG-ausländischen Wettanbietern (Buchmachern) gegenüber den Wettkunden wahrgenommene Dienstleistungsfreiheit könne sich der Wettvermittler nicht berufen; er könne deren Grundfreiheiten nicht in eigenem Namen geltend machen (vgl. OVG Koblenz, Beschluss vom 28. September 2006 -6 B 10895/06-, juris Rn. 15 bis 18 m.w.N.). Aus der Sicht des Senats spricht demgegenüber vieles dafür, dass auch die im Inland stattfindende Vermittlung von im EG-Ausland ansässigen Buchmachern veranstalteten Sportwetten und entsprechende Dienstleistungen die erforderliche grenzüberschreitende Dimension aufweist und daher an der Dienstleistungsfreiheit teilnimmt. In der Rechtssache Zenatti (Urteil vom 21. Oktober 1999 -C-67/98 -, GewArch 2000, 19 Rn. 24, 25) hat der EuGH dargelegt, dass eine Tätigkeit, die die Teilnahme an einem Glücksspiel ermöglicht, in den Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit falle, sobald wenigstens einer der Leistungsanbieter in einem anderen Staat als dem niedergelassen sei, in dem die Leistung angeboten werde. Die Leistungen, die der Veranstalter der Wetten und seine Bevollmächtigten erbrächten, wiesen einen grenzüberschreitenden Charakter auf. Diese Ausführungen lassen sich (nur) in dem Sinne verstehen, dass nicht nur die im EG-Ausland ansässigen Wettanbieter, sondern auch ihre im Inland tätigen Hilfspersonen die Dienstleistungsfreiheit für sich in Anspruch nehmen können. Jedenfalls differenziert der EuGH für den grenzüberschreitenden Charakter der Leistung, der Bereitstellung von Gewinnchancen, nicht zwischen den beiden Erbringern dieser Leistung. Dass der EuGH in der Rechtssache Gambelli (Urteil vom 6. November 2003 -C-243/01-, NJW 2004, 139 Rn. 58) die Rechtsstellung des Wettvermittlers in Bezug auf die Grundfreiheiten nicht ausdrücklich gewürdigt hat, obwohl sich das strafrechtliche Ausgangsverfahren gegen Sportwettvermittler richtete, kann keine hinreichende Grundlage für die Annahme bieten, die Vermittler kämen nicht auch selbst in den Genuss der Dienstleistungsfreiheit. Die vom Wettvermittler kraft Vertrages mit dem Veranstalter zu erbringende Leistung in Gestalt der Weiterleitung der Sportwetten hat grenzüberschreitenden Bezug (vgl. Korte, NVwZ 2004, 1449 [1451]). Nichts anderes dürfte für Erbringer anderer Dienstleistungen für Anbieter von Sportwetten gelten.

b) Der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts löst entgegen der Ansicht der Antragstellerin vorliegend nicht die Verpflichtung aus, das landesrechtliche Monopol für Sportwetten und den dieses flankierenden Straftatbestand des § 284 StGB unangewendet zu lassen. Die Nichtanwendungspflicht mitgliedstaatlichen Rechts setzt voraus, dass bei der Anwendung von gemeinschafts- und innerstaatlichem Recht auf denselben Sachverhalt eine Normkollision auftritt. Daran fehlt es, nachdem das Bundesverfassungsgericht durch das Urteil vom 28. März 2006 eine inhaltlich modifizierte und bis Ende 2007 befristete Weitergeltung des als verfassungswidrig erkannten staatlichen Wettmonopols angeordnet hat.

Das Gemeinschaftsrecht und insbesondere die unmittelbar innerstaatlich wirkenden Vertragsbestimmungen über die Grundfreiheiten zeichnen sich durch einen Anwendungsvorrang gegenüber entgegenstehendem innerstaatlichen Recht aus (vgl. nur EuGH, Urteil vom 9. März 1978 -106/77 [Simmenthal]-, NJW 1978, 1741; Urteil vom 22. November 2005 -C-144/04 [Mangold/Helm]-, NJW 2005, 3695 Rn. 77; BVerwG, Urteil vom 25. Mai 2005 -2 C 14/04-, NVwZ 2005, 1080 [1081] m.w.N.). Auf die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen dieser gemeinschaftsrechtliche Anwendungsvorrang im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht suspendiert werden kann (dazu OVG Münster, Beschluss vom 28. Juni 2006 -4 B 961.06- NVwZ 2006, 1078 ff., juris Rn. 36 ff.; Vorlagebeschluss des VG Köln vom 21. September 2006 -1 K 5910/05-), kommt es nicht an. Denn die Anwendung der Dienstleistungsfreiheit einerseits und die Anwendung des vom Bundesverfassungsgericht aufgrund der modifizierten Weitergeltungsanordnung geschaffenen Übergangsrechts lässt einen Normkonflikt in Bezug auf die nicht erlaubte und strafbewährte Tätigkeit der Antragstellerin nicht entstehen (im Ergebnis ebenso: VGH Mannheim, Beschluss vom 28. Juli 2006, -6 S 1987/05-, juris Rn. 7; VGH München, Beschluss vom 10. Juli 2006 -22 BV 05.457-, juris Rn. 42; OVG Bremen, Beschluss vom 7. September -1 B 273/06-, S. 9 des Umdrucks; VGH Kassel, Beschluss vom 25. Juli 2006 -11 TG 1465/06-, juris Rn. 42). Dies verkennt die Beschwerde der Antragstellerin. Nach der Rechtsprechung des EuGH können mitgliedstaatliche Vorschriften zur Beschränkung von Glücksspielen durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses wie den Verbraucherschutz, die Betrugsvorbeugung und die Vermeidung von Störungen der sozialen Ordnung gerechtfertigt sein. Dabei ist es dem Ermessen der Mitgliedstaaten überlassen zu beurteilen, ob und welche einschränkenden Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele notwendig sind. Die Beschränkungen, die auf solche Gründe gestützt sind, müssen aber geeignet sein, die Verwirklichung dieser Ziele in dem Sinne zu gewährleisten, dass sie kohärent und systematisch zur Begrenzung der Wetttätigkeiten beitragen. Auch eine begrenzte Erlaubnis von Glücksspielen im Rahmen von Ausschließlichkeitsrechten, die den Vorteil bietet, die Spiellust und den Spielbetrieb zu kanalisieren, die Risiken der Betrugs- und sonstigen Begleitkriminalität auszuschalten und die sich ergebenden Gewinne gemeinnützigen Zwecken zuzuführen, dient der Verwirklichung der am Allgemeininteresse ausgerichteten Ziele. Eine solche Begrenzung ist aber nur zulässig, wenn sie in erster Linie wirklich dem Ziel dient, die Gelegenheiten zum Spiel zu vermindern, und wenn die Finanzierung sozialer Aktivitäten mit Hilfe der Erlöse nur eine nützliche Nebenfolge, nicht aber der eigentliche Grund der betriebenen restriktiven Politik ist. Ermuntern die Mitgliedstaaten die Verbraucher zur Teilnahme an Glücksspielen im Interesse der Einnahmenerzielung, können sie sich zur Rechtfertigung von Glücksspielbeschränkungen nicht auf die öffentliche Sozialordnung und die darin begründete Notwendigkeit, die Gelegenheiten zum Spielen zu vermindern, berufen. Die Aufgabe zu prüfen, ob die nationalen Rechtsvorschriften angesichts ihrer konkreten Anwendungsmodalitäten wirklich den Zielen dienen, die sie rechtfertigen könnten, und ob die in ihnen enthaltenen Beschränkungen nicht außer Verhältnis zu diesen Zielen stehen, obliegt den nationalen Gerichten (Urteil vom 6. November 2003 [Gambelli], a.a.O. Rn. 62, 67, 69 und 75; Urteil vom 21. Oktober 1999 [Zenatti], a.a.O. Rn. 35 - 37). Dass der EuGH von dieser Rechtsprechung abrücken könnte, legt auch der Schlussantrag des Generalanwalts vom 16. Mai 2006 in der Rechtssache Placanica u.a. (C-338/04, 359/04 und 360/04; http://curia.europa.eu/de) nicht nahe; danach sei die italienische Strafdrohung, eine bis zu dreijährige Freiheitsstrafe, für die ungenehmigte Wettvermittlung unverhältnismäßig.

Gemessen an diesen gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen stellt sich das staatliche Wettmonopol in der Gestalt, die es durch die mit einer Maßgabe versehene befristete Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts erhalten hat, als gerechtfertigte Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit dar. Die den Mitgliedstaaten vom EuGH zugestandene Einschätzungsprärogative im Hinblick auf die Notwendigkeit nationaler Beschränkungen für Sportwetten hat das Bundesverfasssungsgericht höchstrichterlich ausgeübt. Es hat seiner Entscheidung aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zum Suchtpotenzial von Sportwetten zugrunde gelegt, womit auch der Forderung des EuGH, dass Rechtfertigungsgründe von einer Untersuchung zur Zweck- und Verhältnismäßigkeit der beschränkenden Maßnahmen begleitet sein müssten (vgl. Urteil vom 13. November 2003 -C-42/02 [Lindman]-, http://curia.europa.eu/de, Rn. 25), genüge getan sein dürfte. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht das Bayerische Staatslotteriegesetz deswegen für unvereinbar mit Art. 12 Abs. 1 GG erklärt, weil das staatliche Wettmonopol nicht konsequent am Ziel der Bekämpfung der Suchtgefahren ausgerichtet ist. Das Bundesverfassungsgericht hat damit gerade auch ein normatives Regelungsdefizit in Bezug auf materielle und strukturelle Vorkehrungen zur Suchtbekämpfung und zur Begrenzung der Wettleidenschaft beanstandet. Zugleich hat es als Ergebnis seiner verfassungsrechtlichen Ausführungen die Parallelität der verfassungsrechtlichen und der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben festgestellt. Danach entsprechen die Vorgaben des Gemeinschaftsrechts an die Rechtfertigung eines staatlichen Monopols denen des Grundgesetzes (Rn. 144 des Urteils). Daraus lässt sich aber nicht der Schluss ziehen, dass sich das staatliche Wettmonopol bis zu einer landesrechtlichen Neuregelung im Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht befinde und deswegen unangewendet bleiben müsse, weil dem Europarecht Übergangsfristen zur Erreichung eines europarechtskonformen Zustandes fremd seien (so aber etwa VG Potsdam, Beschluss vom 11. September 2006 -3 L 312/06-, S. 6 ff. des Umdrucks; VG München, Urteil vom 21. Juni 2006 -M 16 K 05.2229-, S. 22 des Umdrucks m.w.N.; Vallone/Dubberke, GewArch 2006, 240 [241]) .

Vielmehr genügt das landesrechtliche Wettmonopol bei Beachtung der in den Gründen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts niedergelegten Maßgabe für die weitere Anwendbarkeit der landesrechtlichen Vorschriften zum Lotteriewesen in seiner konkreten Anwendung - und damit in der Diktion des EuGH: angesichts seiner konkreten Anwendungsmodalitäten - den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben an eine kohärente und systematische Begrenzung der Wetttätigkeiten. Die vom Bundesverfassungsgericht für die Übergangszeit ausgesprochene inhaltlich modifizierte Weitergeltung der landesrechtlichen Vorschriften trägt den gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen in der Sache Rechnung und bindet als gesetzesvertretendes Übergangsrecht kraft § 31 Abs. 1 BVerfGG die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden.

Inhaltlich verlangt die verfassungsgerichtliche Maßgabe, dass unverzüglich ein Mindestmaß an Konsistenz zwischen dem Ziel der Begrenzung der Wettleidenschaft und der Bekämpfung der Wettsucht einerseits und der tatsächlichen Ausübung des staatlichen Monopols andererseits herzustellen ist (Rn. 157 des Urteils). Mit dieser Maßgabe wird zugleich dem vordringlichen Anliegen der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben, dass die Erzielung von Einkünften für fiskalische, soziale und karitative Zweck nicht der Hauptzweck der Wettbeschränkung sein darf, entsprochen. Die mit der Maßgabe versehene verfassungsgerichtliche Weitergeltungsanordnung, der für den Freistaat Bayern gemäß § 31 Abs. 2 BVerfGG Gesetzeskraft zukommt (vgl. dazu die Veröffentlichung der Entscheidungsformel in BGBl. I, 1161), bildet während der verfassungsgerichtlich eingeräumten Übergangszeit als gesetzesvertretendes Übergangsrecht die Rechtsgrundlage für das staatliche Wettmonopol auch in den übrigen Bundesländern, auf deren Rechtslage die verfassungsrechtliche Bewertung gleichermaßen zutrifft. Mit der Weitergeltungsanordnung hat das Bundesverfassungsgericht die durch die Unvereinbarkeitserklärung ausgelöste Anwendungssperre für das Bayerische Staatslotteriegesetz aufgehoben. Es wird angenommen, dass in einem solchen Falle die verfassungsgerichtliche Weitergeltungsanordnung bis zu einer gesetzlichen Neuregelung die Rechtsgrundlage für die Realisierung des mit der für verfassungswidrig erklärten Norm verfolgten Anliegens darstellt (vgl. Bethge, in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, Stand März 2006, § 35 Rn. 46 unter Bezugnahme auf BVerfGE 98, 169 [215]). Nach anderer Lesart erteilt das Bundesverfassungsgericht einer verfassungswidrigen Norm mit der Anordnung ihrer weiteren Geltung keinen eigenen Normanwendungsbefehl, sondern ermöglicht, indem es von der Nichtigerkärung absieht, nur die befristete Fortgeltung (vgl. M. Graßhof, in Umbach/Clemens/Dollinger [Hrsg.], BVerfGG, 2. Auflage, § 78 Rn. 38). Auf die Unterschiede in der dogmatischen Begründung der Rechtsnatur des Übergangsrechts kommt es in dem vorliegenden Zusammenhang nicht an, da nach dem einen wie dem anderen Verständnis die fragliche Norm trotz ihrer Verfassungswidrigkeit anwendbar bleibt. Diese vorübergehende Anwendbarkeit ist allerdings mit einer inhaltlichen Modifizierung "nach Maßgabe der Gründe" verbunden, wodurch das Bundesverfassungsgericht der Sache nach als Ersatzgeber gesetzesvertretendes Übergangsrecht geschaffen hat (vgl. Bethge, a.a.O., § 35 Rn. 29; Heusch, in Umbach/Clemens/Dollinger [Hrsg.], a.a.O., § 31 Rn. 82). Es hat damit auch nicht, wie die Antragstellerin meint, jenseits seiner Kompetenz unmittelbar geltendes Gemeinschaftsrecht vorübergehend suspendiert, sondern lediglich den den Anwendungsvorrang auslösenden Normkonflikt zwischen Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht aufgelöst. Sämtliche in § 31 Abs. 1 BVerfGG genannten staatlichen Stellen haben aufgrund ihrer Bindung die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts einschließlich der sie tragenden Gründe in Bezug auf die Auslegung und Anwendung des Grundgesetzes auch in Parallelfällen zu beachten. Ein Parallelfall ist anzunehmen, wenn ein im Wesentlichen gleichgelagerter Sachverhalt auf der Grundlage der bindenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keine abweichende verfassungsrechtliche Bewertung rechtfertigt (vgl. Heusch, a.a.O., § 31 Rn. 68). Stellt sich, wie im Land Berlin, die gesetzliche Ausgestaltung des Wettmonopols ebenso wie im Freistaat Bayern dar, entfaltet das Urteil vom 28. März 2006 im Hinblick auf die weitere, aber inhaltlich modifizierte Anwendung des landesrechtlichen Monopols für Sportwetten Bindungswirkung auch für die hiesigen staatlichen Stellen.

4. An der sofortigen Vollziehung der gegen die Antragstellerin ergangenen Untersagungsverfügung besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse.

Aus dem Umstand, dass die Vermittlung von unerlaubten Sportwetten nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in der Übergangszeit trotz der festgestellten Unvereinbarkeit des staatlichen Wettmonopols mit Art. 12 Abs. 1 GG als ordnungsrechtlich verboten angesehen werden kann, folgt - unabhängig von der Möglichkeit der strafrechtlichen Verfolgung dieses Tatbestandes - zugleich ein besonderes öffentliches Interesse an der Vollziehung, da nur so die mit dem Verbot verfolgten Schutzzwecke auch während der Übergangszeit sichergestellt werden können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. September 2006 -1 BvR 2399/06-, www.bverfg.de Rn. 10 m.w.N.). Eines Nachweises besonderer Gefahren für die Allgemeinheit bedarf es nicht (vgl. VGH Kassel, a.a.O. Rn. 49).

Diesen die sofortige Vollziehung rechtfertigenden öffentlichen Interessen stehen keine gleichrangigen privaten Interessen der Antragstellerin an der Fortsetzung ihrer gewerblichen Tätigkeit gegenüber. Die Schutzwürdigkeit ihres Vertrauens darauf, dass sie ihr Gewerbe als Dienstleisterin für private Sportwetten weiterhin ungehindert betreiben kann, ist schon deshalb eingeschränkt, weil sie diese Tätigkeit in Kenntnis der entgegenstehenden nationalen Rechtsvorschriften und mit dem Risiko einer die Rechtmäßigkeit staatlicher Sportwettenmonopole bestätigenden höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgebaut und ausgeweitet hat. Ihre unternehmerische Entscheidung war deshalb von vornherein risikobehaftet; allein auf den Verlust künftiger Einnahmen und Entwertung von Investitionen gestützte wirtschaftliche Interessen überwiegen die entgegenstehenden öffentlichen Belange nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG und Ziffern 54.2.1, 1.5 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, Fassung Juli 2004 (NVwZ 2004,1327). Mangels anderer Erkenntnisse über den für die Streitwertbemessung maßgeblichen Jahresbetrag des erzielten oder erwarteten Gewinns der Antragstellerin, insbesondere der Vergütung ihrer Dienstleistungen durch die Firma D_____, hat der Senat keine Veranlassung, die vom Verwaltungsgericht am Wert des Werbevertrages mit Hertha BSC orientierte Streitwertfestsetzung in Zweifel zu ziehen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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