Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 08.09.2006
Aktenzeichen: OVG 1 S 122.05
Rechtsgebiete: VwGO, StVG, FeV


Vorschriften:

VwGO § 146
VwGO § 146 Abs. 4 Satz 6
VwGO § 147
StVG § 3 Abs. 1
FeV § 11 Abs. 8
FeV § 13 Abs. 2 Buchstabe c)
FeV § 13 Abs. 2 Buchstabe d)
FeV § 46 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 1 S 122.05

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 1. Senat durch

den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht ... die Richterin am Oberverwaltungsgericht ....und die Richterin am Verwaltungsgericht ....

am 8. September 2006 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 12. Oktober 2006 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller wendet sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen den für sofort vollziehbar erklärten Bescheid des Antragsgegners vom 19. August 2005, mit dem ihm die polnische Fahrerlaubnis, die er am 30. Oktober 2004 erworben hatte, mit der Wirkung der Aberkennung des Rechts entzogen wurde, von ihr auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen, nachdem er der Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nicht nachgekommen war. Den Antrag, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruches gegen diesen Bescheid wiederherzustellen, hat das Verwaltungsgericht durch Beschluss vom 12. Oktober 2005 abgelehnt. Der Antragsgegner habe aus der unterbliebenen Beibringung des medizinisch-psychologischen Gutachtens auf die Nichteignung des Antragstellers schließen dürfen, da die Gutachtenanordnung wegen der im Jahre 1994 mit einer Blutalkoholkonzentration von 2,20 Promille begangenen und wegen Nichtverstreichens der Tilgungsfrist auch noch verwertbaren Trunkenheitsfahrt rechtmäßig ergangen sei. Der angefochtene Bescheid verstoße auch nicht gegen europäisches Gemeinschaftsrecht. Im Interesse der Verkehrssicherheit könne eine nach vorheriger Entziehung von einem anderen Mitgliedstaat erteilte Fahrerlaubnis nicht ohne weiteres Geltung in dem Heimatstaat beanspruchen. Würde man dem Heimatstaat als Anerkennungsstaat keine Überprüfungsbefugnis der in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen Fahrerlaubnis zuerkennen, würde man auch vor der rechtstatsächlichen Entwicklung des "Führerscheintourismus" und den damit einhergehenden Gefahren für die Verkehrssicherheit die Augen verschließen.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers.

II.

Die nach §§ 146 und 147 VwGO zulässige Beschwerde ist nicht begründet.

Der Antragsteller rügt mit seiner Beschwerde, dass der angegriffene Beschluss der Tragweite des Europarechts nicht gerecht werde. Die Führerschein-Richtlinie ziele auf eine Harmonisierung. Dieses Ziel würde konterkariert, wenn neben dem Ausstellerstaat auch der Anerkennungsstaat zur Prüfung des Wohnsitzerfordernisses und der Kraftfahreignung befugt sei. Die Richtlinie müsse so ausgelegt werden, dass dem Anerkennungsstaat die Überprüfung der Fahreignung verwehrt sei, sofern nicht nach Erteilung der Fahrerlaubnis durch den anderen Mitgliedstaat neue Fahreignungszweifel begründende Umstände aufträten. Verblieben Zweifel, müsse der Europäische Gerichtshof zur Auslegung der Richtlinie angerufen werden.

Das Beschwerdevorbringen des Antragstellers, das das Oberverwaltungsgericht gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, rechtfertigt keine Änderung des angefochtenen Beschlusses. Die Erfolgsaussichten des Widerspruchs gegen die Entziehungsverfügung stellen sich als offen dar (dazu unter 1.). Im Rahmen der Interessenabwägung überwiegt das öffentliche Interesse am Vollzug der angefochtenen Verfügung das Interesse des Antragstellers, von deren Vollzug einstweilen verschont zu bleiben (dazu unter 2.).

1. Die mit dem angegriffenen Bescheid verfügte Aberkennung des Rechts, von der polnischen Fahrerlaubnis in der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen, stellt sich nach der im Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes allein gebotenen summarischen Prüfung weder als offensichtlich rechtmäßig noch als offensichtlich rechtwidrig dar. Die von der Republik Polen ausgestellte Fahrerlaubnis ist grundsätzlich auch von den deutschen Behörden anzuerkennen. Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Fahrerlaubnisse kann jedoch durchbrochen werden, wenn es dem Fahrerlaubnisinhaber im Einzelfall verwehrt ist, sich auf die im EU-Ausland erworbene Fahrerlaubnis zu berufen. Die hierzu erforderliche Aufklärung der tatsächlichen Umstände, die beim Antragsteller zum Erwerb der polnischen Fahrerlaubnis geführt haben, muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Ob und unter welchen Voraussetzungen der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von EU-Führerscheinen Einschränkungen unterliegt, ist vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (Gerichtshof) zu entscheiden, ohne dass für den Senat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes indes eine dahingehende Vorlagepflicht besteht.

a) Die Anwendung der innerstaatlichen Vorschriften über die Entziehung der Fahrerlaubnis - hier: § 3 Abs. 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 und § 11 Abs. 8 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) - unterliegt den gemeinschaftsrechtlichen Bindungen der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein (ABlEG Nr. L 237 vom 24. August 1991, S. 1) in der Fassung der Richtlinie 97/26/EG des Rates vom 2. Juni 1997 (ABlEG Nr. L 150 vom 7. Juni 1997) - im Folgenden: Führerschein-RL. Art. 1 Abs. 2 Führerschein-RL sieht vor, dass die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine gegenseitig anerkannt werden. Nach Art. 8 Abs. 2 derselben Richtlinie kann der Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes auf den Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins seine innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis anwenden; nach Art. 8 Abs. 4 kann ein Mitgliedstaat es ablehnen, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine der in Absatz 2 genannten Maßnahmen angewendet wurde. Der für die Auslegung des Gemeinschaftsrechts zuständige Gerichtshof hat sich mit diesen Richtlinienbestimmungen unlängst (Beschluss vom 6. April 2006 - Rs. C-227/05 [Halbritter] - NJW 2006, 2173 und bereits zuvor Beschluss vom 29. April 2004 - Rs. C-476/01 [Kapper] - NJW 2004, 1725) näher befasst. Danach sehe Art. 1 Abs. 2 Führerschein-RL nach gefestigter Rechtsprechung die gegenseitige Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine ohne jede Formalität vor und erlege den Mitgliedstaaten eine klare und unbedingte Verpflichtung auf, die keinen Ermessensspielraum in Bezug auf die zu erlassenden Maßnahmen einräume, um dieser Verpflichtung nachzukommen. Art. 8 Abs. 4 Führerschein-RL stelle sich als Ausnahme dieses allgemeinen Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung dar und sei demnach eng auszulegen. Art. 1 Abs. 2 i.V.m. Art. 8 Abs. 4 Führerschein-RL verbiete es einem Mitgliedstaat, die Gültigkeit eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins dann abzulehnen, wenn dieser Führerschein nach Ablauf einer zusätzlich zu der Maßnahme des Entzugs angeordneten Sperrfrist ausgestellt worden sei. Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung würde negiert, wenn ein Mitgliedstaat berechtigt wäre, die Anerkennung eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins unter Berufung auf die eigenen nationalen Vorschriften unbegrenzt zu verweigern. Die Mitgliedstaaten könnten sich nicht auf die ihnen mit Art. 8 Abs. 2 Führerschein-RL eingeräumte Befugnis berufen, um die Gültigkeit eines in einem anderen Mitgliedstaat nach Ablauf der Sperrfrist erworbenen Führerscheins nicht anzuerkennen. Sie könnten vom Inhaber eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins nicht verlangen, dass er die Bedingungen erfülle, die ihr nationales Recht für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach ihrem Entzug aufstelle. Hätten die Behörden eines Mitgliedstaats einen Führerschein gemäß Art. 1 Abs. 1 der Führerschein-RL ausgestellt, seien die anderen Mitgliedstaaten nicht mehr befugt, die Beachtung der Ausstellungsbedingungen erneut zu prüfen (EuGH, Beschluss vom 6. April 2006, a.a.O., Rdn. 25 - 29 und 34).

Gemessen an diesen gemeinschaftsrechtlichen Maßstäben wäre der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine auch auf den Führerschein anzuwenden, den die polnische Behörde dem Antragsteller am 30. Oktober 2004 ausgestellt hat. Die in dem Strafbefehl des Amtsgerichts Tiergarten vom 3. August 1994 (17 VRs 153 PLs 1832/94 Ve) festgesetzte achtmonatige Sperrfrist für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis war zu dieser Zeit längst verstrichen. Weil auch Eignungszweifel begründende Umstände im Anschluss an die Erteilung der polnischen Fahrerlaubnis nicht bekannt geworden sind (zu nachträglichen Eignungszweifeln vgl. Beschluss des erkennenden Senats vom 27. Juni 2006 - OVG 1 S 112.05 -), wäre der Antragsgegner bei uneingeschränkter Geltung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung der EU-Fahrerlaubnisse gehindert, gestützt auf § 13 Abs. 2 Buchstabe c) und d) FeV die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zur Prüfung der Fahrerlaubnisentziehung bei alkoholbedingten Eignungszweifeln zu verlangen und im Falle seiner nicht fristgerechten Vorlage gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf die Nichteignung des Antragstellers zu schließen.

b) Auch der jüngste Beschluss des Gerichtshofes vom 6. April 2006 lässt jedoch noch Fragen offen, ob der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Fahrerlaubnisse tatsächlich stets uneingeschränkte Geltung beanspruchen kann. Mithilfe der den mitgliedstaatlichen Gerichten auferlegten Pflicht zur gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts, um die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten, lassen sich die verbleibenden Zweifel nicht ausräumen, da sie aus dem Gemeinschaftsrecht selbst und seiner Auslegung durch den Gerichtshof erwachsen. Der Judikatur des Gerichtshofes lassen sich immerhin Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass es dem Fahrerlaubnisinhaber im Einzelfall verwehrt sein kann, sich auf die in einem anderen Mitgliedstaat erworbene Fahrerlaubnis zu berufen. Generell gestattet der Gerichtshof die missbräuchliche oder betrügerische Berufung auf Gemeinschaftsrecht nicht (EuGH, Urteil vom 9. März 1999 - Rs. C-212/97 [Centros] - NJW 1999, 2027 [2028; Rdn. 24 f.]). Ein nicht schutzwürdiger Missbrauch ist anzunehmen, wenn eine Gesamtwürdigung der objektiven Umstände ergibt, dass trotz formaler Einhaltung der gemeinschaftsrechtlichen Bedingungen das Ziel der Regelung nicht erreicht wurde, und ein subjektives Element in Gestalt der Absicht, sich einen gemeinschaftsrechtlich vorgesehenen Vorteil dadurch zu verschaffen, dass die entsprechenden Voraussetzungen willkürlich geschaffen werden, vorliegt (vgl. EuGH, Urteile vom 21. Juli 2005 - Rs. C-515/03 [Eichsfelder Schlachtbetrieb] - Rdn. 39, http://eur-lex.europa.eu; vom 14. Dezember 2000 - Rs. C-110/99 [Emsland-Stärke] -, Slg. 2000, I-11569, Rdn. 50 ff.).

Bei summarischer Würdigung der bisher aktenkundigen Tatsachen anhand dieser Maßstäbe erscheint es nicht von vornherein ausgeschlossen, dass dem Antragsteller die Berufung auf den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Fahrerlaubnisse wegen rechtsmissbräuchlicher Umgehung der inländischen Vorschriften im Ergebnis versagt sein kann. Selbst wenn man nicht schon darin eine missbräuchliche Inanspruchnahme der sich aus dem Gemeinschaftsrecht ergebenden Rechte erkennen kann, dass ein Fahrerlaubnisbewerber sich mangels vollständiger Harmonierung des Rechts der Mitgliedstaaten die für ihn günstigeren Vorschriften zunutze macht, kommen hier doch besondere Umstände hinzu, die in objektiver und subjektiver Hinsicht als Anzeichen für einen Rechtsmissbrauch bewertet werden können.

Das gilt zunächst für die auf objektiver Ebene angesiedelten Sachverhaltsmomente, die es zweifelhaft erscheinen lassen, den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von EU-Führerscheinen ohne weiteres anzuwenden. Es ist insbesondere nichts dafür ersichtlich, dass der Erwerb der polnischen Fahrerlaubnis im Zusammenhang mit der Ausübung der Grundfreiheiten durch den Antragsteller, namentlich der Niederlassungs- oder Dienstleistungsfreiheit steht. Die gleichlautende Stellungnahme, die der Antragsteller unter dem 19. Februar 2005 gegenüber dem Landeseinwohneramt und dem Kraftfahrtbundesamt abgegeben hat, bietet keinen tragfähigen Anhaltspunkt für eine solche Annahme. Nach seiner Einlassung hat ihn allein die Kenntnis vom Urteil des Gerichtshofes vom 29. April 2004 (Rechtssache Kapper) bewogen, sich in Polen um die Ausstellung eines Führerscheins zu bemühen. Dieses Vorhaben ist demnach nicht von dem in dem ersten Erwägungsgrund der Führerschein-RL niedergelegten Ziel getragen gewesen, die Freizügigkeit von Personen zu erleichtern, die sich in einem anderen Mitgliedstaat als dem niederlassen, in dem sie ihre Fahrprüfung abgelegt haben. Durch das Fehlen eines solchen gemeinschaftsrechtlich relevanten Vorganges unterscheidet sich die vorliegende Fallgestaltung auch von derjenigen, die Gegenstand des Beschlusses des Gerichtshofes vom 6. April 2006 (Rechtssache Halbritter) war. Dort hatte der Betroffene seinen Wohnsitz aus beruflichen Gründen nach Österreich verlegt. Diesen Gesichtspunkt hat der Gerichtshof in seiner Entscheidung dahingehend gewürdigt, dass nach Art. 7 Abs. 1 Buchstabe b) und Abs. 5 Führerschein-RL ausschließlich Österreich eine Fahrerlaubnis erteilen und dem Betroffenen demnach nicht zum Vorwurf gemacht werden konnte, eine neue Fahrerlaubnis erworben zu haben, ohne die in Deutschland für den Erwerb einer Fahrerlaubnis nach dem Entzug seiner letzten Fahrerlaubnis aufgestellten Voraussetzungen beachtet zu haben (a.a.O., Rdn. 30). Die Entscheidung des Gerichtshofes lässt sich daher durchaus in dem Sinne verstehen, dass es für die Frage der Geltung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine im Einzelfall eine Rolle spielen kann, ob der Erwerb der Fahrerlaubnis in einem anderen Mitgliedstaat einen von diesem Vorgang unabhängigen gemeinschaftsrechtlichen Bezug aufweist.

Hinzu kommt der weitere Umstand, dass der Antragsteller nach seiner eigenen Einlassung in seiner bereits erwähnten Stellungnahme vom 19. Februar 2005 vor Ausstellung des polnischen Führerscheins zwar eine theoretische und praktische Fahrprüfung abgelegt hat, aber nichts dafür vorgetragen oder sonst ersichtlich ist, dass die polnischen Behörden gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchstabe a) Führerschein-RL die Erfüllung der gesundheitlichen Anforderungen nach Maßgabe des Anhangs III geprüft haben. Ziffer 14 des die Mindestanforderungen hinsichtlich der körperlichen und geistigen Tauglichkeit für das Führen eines Kraftfahrzeuges regelnden Anhangs III befasst sich mit alkoholbedingten Eignungszweifeln. Auch die unterbliebene Überprüfung der an die physische Fahreignung gestellten Mindestanforderungen stellt einen Unterschied zu dem Sachverhalt dar, über den der Gerichtshof mit Beschluss vom 6. April 2006 befunden hat. Der Gerichtshof hat die Tatsache, dass die österreichischen Behörden seinerzeit die Mindestanforderungen an die physische und psychische Fahreignung geprüft hatten, ausdrücklich bei seiner Entscheidung gewürdigt, es dem Anerkennungsstaat zu verwehren, den im Ausstellerstaat erteilten Führerschein nicht anzuerkennen (a.a.O., Rdn. 31). Es liegt folglich nahe, diesem Umstand bei der Frage der gegenseitigen Anerkennung von EU-Führerscheinen Relevanz beizumessen, zumal die Führerschein-RL ausweislich ihrer Erwägungsgründe auch das Ziel verfolgt, die Sicherheit im Straßenverkehr zu verbessern und zu diesem Zweck Mindestvoraussetzungen für die Ausstellung eines Führerschein festlegt.

Auch auf subjektiver Ebene lassen sich gewisse Anhaltspunkte für die Absicht des Antragstellers erkennen, sich einen gemeinschaftsrechtlich vorgesehenen Vorteil durch Umgehung der innerstaatlichen Vorschriften zu verschaffen. Wesentlicher Beweggrund für den Antragsteller, einen Führerschein in Polen zu erwerben, waren seine mehrfach erfolglos gebliebenen Anträge auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis. Im Einzelnen: In den Jahren 1995 und 1996 lehnte der Antragsgegner die Wiedererteilung nach negativen Begutachtungen der Kraftfahreignung des Antragstellers ab; ein dritter Neuerteilungsantrag blieb im Jahre 1999 ohne Erfolg, nachdem der Antragsteller einer Gutachtenanordnung nicht nachgekommen war; einen weiteren Neuerteilungsantrag ließ der Antragsteller im Jahre 2004 nach einer neuerlichen Gutachtenaufforderung fallen. Vor dem Hintergrund der im Jahre 1994 begangenen Trunkenheitsfahrt und der in den Folgejahren gutachterlich bestätigten alkoholbedingt fehlenden Kraftfahreignung erschien dem Antragsteller der Erwerb eines polnischen Führerscheins als Ausweg aus dieser von ihm als ungerecht empfundenen Situation (vgl. auch hierzu seine Stellungnahme vom 19. Februar 2005).

c) Die erforderliche Aufklärung der tatsächlichen Umstände, die beim Antragsteller zum Erwerb der polnischen Fahrerlaubnis geführt haben, muss dem Hauptsacheverfahren ebenso vorbehalten bleiben wie die Würdigung, ob die Tatbestandsvoraussetzungen eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens erfüllt sind (vgl. EuGH, Urteile vom 21. Juli 2005, a.a.O., Rdn. 40; vom 14. Dezember 2000, a.a.O., Rdn. 54). Ob und unter welchen Voraussetzungen der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von EU-Führerscheinen Einschränkungen unterliegt, ist als Frage der Auslegung des Gemeinschaftsrechts im Hinblick auf dessen einheitliche Anwendung vom Gerichtshof zu entscheiden, ohne dass für den Senat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes indes eine dahingehende Vorlagepflicht besteht. Die gemäß Art. 234 Abs. 3 EG-Vertrag statuierte Vorlagepflicht besteht auch für letztinstanzliche Gerichte grundsätzlich nicht im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes. Selbst wenn in einem solchen Verfahren - wie hier - ein Rechtsmittel nicht mehr zur Verfügung steht, bleibt den Beteiligten die Möglichkeit, das Hauptsacheverfahren zu betreiben, in dessen Rahmen unter Umständen ein Vorabentscheidungsersuchen erfolgen kann (vgl. Dörr in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 2. Auflage 2006, Europäischer Vertragsrechtsschutz Rdn. 127; Wegener in Calliess/Ruffert, EUV/EGV, 1999, Art. 234 Rdn. 22; jeweils m.w.N.).

2. Die losgelöst von den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs im Hauptsacheverfahren vorzunehmende Interessenabwägung geht zu Lasten des Antragstellers. Das öffentliche Interesse an der Wahrung der Verkehrssicherheit genießt Vorrang gegenüber dem persönlichen Interesse des Antragstellers. Dabei verkennt der Senat nicht, dass der sofortige Vollzug der Aberkennung des Rechts, von der polnischen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen, in die persönliche Lebensführung des Antragstellers und auch in die Wahrnehmung seiner grundrechtlichen Freiheiten eingreift. Diese durchaus als schwerwiegend zu bewertenden Folgen müssen jedoch im überragenden Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit des Straßenverkehrs und dem aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ableitbaren Auftrag zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben hingenommen werden, wenn - wie hier - alkoholbedingte Zweifel an der Kraftfahreignung nicht ausgeräumt sind. Die Vermeidung von Gefahren, die durch die Teilnahme von ungeeigneten Personen am motorisierten Straßenverkehr entstehen, ist ein vorrangiges öffentliches Anliegen, hinter dem die privaten Interessen eines Betroffenen in aller Regel zurückzustehen haben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Der Antrag des Antragstellers gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO geht damit ins Leere.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes - GKG - und Ziffern 46.3 und 1.5 der Empfehlungen des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

Zurück