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Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 03.11.2009
Aktenzeichen: OVG 1 S 19.09
Rechtsgebiete: GewO
Vorschriften:
GewO § 12 | |
GewO § 35 Abs. 1 |
OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN-BRANDENBURG BESCHLUSS
OVG 1 S 19.09
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 1. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Wolnicki, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Hoock und den Richter am Verwaltungsgericht Bierbaum am 3. November 2009 beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 22. Januar 2009 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten der Beschwerde.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 10.000 EUR festgesetzt.
Gründe:
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das für die Prüfung des Oberverwaltungsgerichts maßgebliche Beschwerdevorbringen des Antragstellers (vgl. § 146 Abs. 4 Sätze 3 und 6 VwGO) rechtfertigt eine Änderung des angegriffenen Beschlusses nicht.
1. Das Verwaltungsgericht hat es mit Beschluss vom 22. Januar 2009 abgelehnt, die aufschiebende Wirkung der Klage (VG 4 A 240.08) des Antragstellers gegen die erweiterte Gewerbeuntersagung sowie die Androhung eines Zwangsgeldes vom 30. Oktober 2008 wiederherzustellen bzw. anzuordnen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Gewerbeuntersagung erweise sich wegen erwiesener Unzuverlässigkeit des Antragstellers aufgrund nachhaltiger und schwerwiegender Verletzung von öffentlich-rechtlichen Zahlungspflichten als offensichtlich rechtmäßig. Zu Unrecht berufe sich der Antragsteller auf § 12 GewO; dessen Voraussetzungen lägen nicht vor, weil die erweiterte Gewerbeuntersagung, die Anordnung ihrer sofortigen Vollziehung sowie die Zwangsmittelandrohung bereits vor dem nach § 12 GewO einschlägigen insolvenzverfahrensrechtlichen Zeitraum verfügt worden seien. Ob die Fortsetzung des Verwaltungsvollstreckungsverfahren zur Zeit oder in Zukunft zulässig sei, sei nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Der Antragsgegner habe selbst ausgeführt, dass während eines bereits laufenden Insolvenzverfahrens keine Maßnahme zur Vollziehung einer Untersagungsverfügung eingeleitet werden dürfe. Jedenfalls bei einer solchen Sachlage bestehe kein Anlass, im Rahmen des gerichtlichen Ermessens nach § 80 Abs. 5 VwGO dem Antrag zu entsprechen.
2. Die hiergegen von der Beschwerde erhobenen Einwände greifen nicht durch.
a) Es ist nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht die Gewerbeuntersagung für rechtmäßig gehalten hat, weil sich der Antragsteller als unzuverlässig erwiesen habe. Unzuverlässig im Sinne von § 35 Abs. 1 GewO ist derjenige Gewerbetreibende, der nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß betreibt. Hierfür ist eine die gesamte Situation des Gewerbetreibenden einschließlich seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bewertende Prognose erforderlich. Dabei kommt es für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage auf den Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung an (stRspr, grundlegend BVerwG, Urteil vom 2. Februar 1982 - 1 C 146.80 -, BVerwGE 65, 1 ff., zit. nach juris Rn. 14). Ob der Umstand, dass das Amtsgericht nach Erlass der Gewerbeuntersagungsverfügung zunächst mit Beschluss vom 24. November 2008 Sicherungsmaßnahmen nach § 21 InsO angeordnet und mit Beschluss vom 9. Februar 2009 das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Antragstellers eröffnet hat, im Hinblick auf § 12 GewO zu einer Verschiebung des Beurteilungszeitpunkts führt, bedarf vorliegend keiner Entscheidung (verneinend VGH Kassel, Urteil vom 21. November 2002 - 8 UE 3195/01 - juris Rn. 28; offen gelassen von OVG Münster, Beschluss vom 3. April 2009 - 4 A 830/07 - juris Rn. 8 f., sowie von Hahn, GewArch 2000, 361, 365 f.). Denn im Zeitpunkt des Erlasses der Untersagungsverfügung vom 30. Oktober 2008 beliefen sich die aus dem Gewerbebetrieb des Antragstellers herrührenden Steuerschulden auf rund 34.000 EUR. Die Beitragsrückstände gegenüber Krankenkassen betrugen insgesamt rund 40.000 EUR; ferner schuldete der Antragsteller der Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes rund 24.000 EUR und der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft rund 29.000 EUR, so dass sich die Rückstände an Steuern und Sozialbeiträgen auf insgesamt fast 127.000 EUR summierten. Nach den unwidersprochenen Angaben des Antragsgegners hat sich der Schuldenstand im Laufe des Gerichtsverfahrens geringfügig auf etwa 130.000 EUR erhöht, so dass eine Verschiebung des Beurteilungszeitpunkts infolge des zwischenzeitlich eröffneten Insolvenzverfahrens nicht zu einer für den Antragsteller günstigeren Einschätzung seiner gewerberechtlichen Zuverlässigkeit führen würde. In beiden Fällen sind die Zahlungsrückstände des Antragstellers sowohl ihrer absoluten Höhe nach als auch im Verhältnis zur Gesamtbelastung des Antragstellers beträchtlich.
b) Soweit die Beschwerde geltend macht, das Sanierungskonzept des Antragstellers sei zu Unrecht als nicht tragfähig bewertet worden, überzeugt das nicht. Es trifft zwar zu, dass der Antragsteller im Nachgang zur mündlichen Verhandlung vor der Behörde am 8. April 2008 Unterlagen über die eingeleiteten Maßnahmen zur Erhaltung seines Betriebs überreicht hat. Zum damaligen Zeitpunkt beliefen sich die Zahlungsrückstände des Antragstellers auf rund 76.000 EUR. Trotz der eingeleiteten Maßnahmen ist es ihm in den Folgemonaten jedoch nicht gelungen, den Schuldenstand zurückzuführen; vielmehr sind die Rückstände im Zeitraum April bis Oktober 2008 auf 127.000 EUR angewachsen. Bei dieser Sachlage war die Annahme, der Antragsteller habe sich als unzuverlässig erwiesen, gerechtfertigt.
Diese Einschätzung erweist sich entgegen der Auffassung der Beschwerde auch nicht deshalb als ermessensfehlerhaft, weil die positive Stellungnahme der Handwerkskammer vom 15. Juli 2008 nicht berücksichtigt worden sei; dieses Vorbringen trifft nicht zu. Die Handwerkskammer Berlin hat nach einem Gespräch mit dem Antragsteller im Juli 2008 die Aussetzung des Verfahrens für einen angemessenen Zeitraum angeregt, um ihm die Möglichkeit zu geben, die Rückstände zu begleichen, weil eine zeitnahe Tilgung der Verbindlichkeiten "letztlich auch nicht gänzlich auszuschließen" sei. Unabhängig davon, dass diese Stellungnahme nur als ein Gesichtspunkt in die Gesamtbetrachtung der Zuverlässigkeit des Antragstellers einzustellen war, ist der Antragsgegner der Anregung der Handwerkskammer nachgekommen, indem er bis zum Erlass der Gewerbeuntersagung dreieinhalb Monate zugewartet und in diesem Zeitraum die Entwicklung der Zahlungsrückstände des Antragstellers weiter beobachtet hat. Nachdem die von der Handwerkskammer für nicht völlig ausgeschlossen gehaltene Tilgung der Verbindlichkeiten über mehrere Monate nicht erkennbar war, durfte der Antragsgegner von der Unzuverlässigkeit des Antragstellers ausgehen.
c) Es ist auch nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner eine erweiterte Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO ausgesprochen hat. Sie ist grundsätzlich dann gerechtfertigt, wenn davon auszugehen ist, dass der Gewerbetreibende auch für die Ausübung der anderen selbstständigen Gewerbe bzw. leitenden Tätigkeiten und Vertretungstätigkeiten als unzuverlässig anzusehen ist. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass ein Ausweichen in diese Gewerbe bzw. Tätigkeiten zu erwarten ist, müssen aber nicht bestehen. Nur dann, wenn besondere Umstände vorliegen, die es ausschließen, dass der Gewerbetreibende in andere Gewerbe, Vertretungstätigkeiten oder leitende gewerbliche Tätigkeiten ausweichen wird, ist die erweiterte Gewerbeuntersagung nicht zulässig (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. September 1992 - 1 B 131.92 - juris Rn. 5). Steuerrechtliche und sozialversicherungsrechtliche Zahlungspflichten gelten für jeden Gewerbetreibenden und haben nicht nur Bezug zu einer bestimmten gewerblichen Tätigkeit. Da der Antragsteller seine öffentlich-rechtlichen Zahlungspflichten nachhaltig verletzt hat und Anhaltspunkte dafür, dass eine anderweitige Gewerbeausübung ausscheidet, nicht erkennbar sind, ist die erweiterte Untersagungsverfügung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO gerechtfertigt.
d) Schließlich steht § 12 GewO der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheids nicht entgegen. Danach finden Vorschriften, welche die Untersagung eines Gewerbes oder die Rücknahme oder den Widerruf einer Zulassung wegen Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden, die auf ungeordnete Vermögensverhältnisse zurückzuführen ist, ermöglichen, während eines Insolvenzverfahrens, während der Zeit, in der Sicherungsmaßnahmen nach § 21 der Insolvenzordnung angeordnet sind, und während der Überwachung der Erfüllung eines Insolvenzplans (§ 260 der Insolvenzordnung) keine Anwendung in Bezug auf das Gewerbe, das zur Zeit des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeübt wurde. Die Regelung verfolgt das Ziel, während der dort bezeichneten Zeitabschnitte die Möglichkeit einer Sanierung des insolventen Gewerbebetriebs offen zu halten; dem Zweck des Insolvenzverfahrens zuwider laufende Entscheidungen im gewerberechtlichen Verfahren sollen vermieden werden (vgl. Heß, in: Friauf, GewO, § 12 Rn. 2 und 9). Ziel des § 12 GewO ist es indes nicht, dem Gewerbetreibenden die Fortführung eines unerlaubt betriebenen Gewerbes zu ermöglichen (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 8. Dezember 2008 - 7 ME 144/08 - juris Rn. 4; Hahn, GewArch 2000, 361, 365).
Als materiell-rechtliche Vorschrift ist § 12 GewO im laufenden Gewerbeuntersagungsverfahren zu beachten und entfaltet Sperrwirkung für den Erlass einer Gewerbeuntersagungsverfügung, sobald das Insolvenzverfahren eingeleitet ist. Ob der Anwendungsbereich der Vorschrift hingegen auch dann eröffnet ist, wenn - wie hier - das die Gewerbeuntersagung betreffende Verwaltungsverfahren vor den in § 12 GewO bezeichneten Zeitabschnitten bereits abgeschlossen, die Gewerbeuntersagung aber noch nicht in Bestandskraft erwachsen ist, erscheint hingegen zweifelhaft (vgl. hierzu Hahn a.a.O., 365 f.).
Die Frage bedarf allerdings im Rahmen der hier nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung keiner abschließenden Entscheidung. Denn der Antragsgegner geht selbst davon aus, dass die Gewerbeuntersagung erst nach Ablauf der durch § 12 GewO begünstigten Zeitabschnitte vollstreckt werden kann, sofern der Antragsteller seine Betriebstätigkeit dann nicht freiwillig aufgeben sollte (vgl. Schreiben des Ordnungsamts vom 17. März 2009, Seite 3). Damit hat er klargestellt, dass er für die Dauer des Insolvenzverfahrens dem Regelungsziel des § 12 GewO Rechnung tragen wird (zur Berücksichtigung der Ziele der Insolvenzordnung auch im Stadium der Verwaltungsvollstreckung vgl. Heß, a.a.O., Rn. 15; Marcks, in: Landmann/Rohmer, GewO, Stand: Mai 2009, § 12 Rn. 16). Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass das Ziel des Insolvenzverfahrens, nämlich die Sanierung des Betriebes zu ermöglichen, durch eine vorzeitige Vollstreckung des Bescheids vom 30. Oktober 2008 gefährdet werden könnte, sind danach nicht ersichtlich und werden von der Beschwerde auch nicht substantiiert aufgezeigt. Bei dieser Sachlage besteht - wie vom Verwaltungsgericht zutreffend erkannt - kein Anlass, die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen bzw. hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung anzuordnen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
Ende der Entscheidung
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