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Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 17.03.2006
Aktenzeichen: OVG 1 S 26.06
Rechtsgebiete: StGB, VersG
Vorschriften:
StGB § 130 Abs. 3 | |
StGB § 131 Abs. 1 | |
StGB § 189 | |
VersG § 15 Abs. 1 |
OVG 1 S 26.06
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 1. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Monjé, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Dr. Blumenberg und die Richterin am Verwaltungsgericht Fischer-Krüger am 17. März 2006 beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 14. März 2006 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass in der Versammlung am 18. März 2006 weder auf Transparenten noch in Reden oder in anderen Wort- und Schriftbeiträgen ein Genozid an den Armeniern als Lüge bezeichnet werden darf. Im Übrigen ist den von der Versammlungsbehörde für erforderlich gehaltenen Auflagen Folge zu leisten.
Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsgegner 3/4 und der Antragsteller 1/4.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe:
I.
Am 7. März 2006 meldete der Antragsteller für den 18. März 2006 eine Demonstration unter dem Motto "Protest gegen die Stigmatisierung des türkischen Volkes und Geschichtsverfälschung der Ereignisse im Jahr 1915 zwischen Armeniern und Muslimen im Osmanischen Reich" an. Zu der Versammlung sollen etwa 500 Teilnehmer aus der Türkei anreisen. Unterstützer der Veranstaltung sind u.a. auch amtierende und frühere Repräsentanten der Republik Türkei. In dem auch über das Internet verbreiteten Versammlungsaufruf werden an das deutsche Parlament die Forderungen gerichtet, die Anerkennung der Massaker an den Armeniern aufzuheben, die Türkenfeindlichkeit in Deutschland zu beenden und armenische Massaker-Lügen nicht in Schulbücher aufzunehmen. Entsprechende Forderungen formuliert ein vom Veranstalter herausgegebenes Flugblatt. Der Versammlungsaufruf bewertet die Behauptung eines Genozids an den Armeniern im Jahre 1915 als Lüge und spricht daher wiederholt von der "Genozid-Lüge".
Mit für sofort vollziehbar erklärtem Bescheid vom 13. März 2006 verbot der Antragsgegner die Versammlung und begründete dies im wesentlichen damit, dass es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zur Begehung von Straftaten im Sinne von § 189 StGB (Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener) kommen werde. Das pauschale Leugnen der Pogrome und Massaker gegenüber der armenischen Bevölkerung sowie die glorifizierende Darstellung des seinerzeitigen Hauptverantwortlichen, des damaligen Innenministers Talat Pascha, begründe den Anfangsverdacht einer Straftat nach § 189 StGB. Ein Verunglimpfen im Sinne dieser Vorschrift liege insbesondere im Verherrlichen, Billigen oder Rechtfertigen der damaligen Maßnahmen.
Auf den dagegen gerichteten einstweiligen Rechtsschutzantrag hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 14. März 2006 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Verbotsverfügung wiederhergestellt. Es bestünden erhebliche Zweifel daran, dass die in der angemeldeten Versammlung von den Veranstaltern beabsichtigten Meinungskundgaben den objektiven Tatbestand des § 189 StGB erfüllten. Ungeachtet dessen, dass die vom Antragsgegner vorgenommene Definition der Verunglimpfung mit Hilfe der Tathandlungen der §§ 131 Abs. 1 und 130 Abs. 3 StGB methodisch nicht zulässig sei, wende sich der Antragsteller der Sache nach gegen die historische Bewertung der an den Armeniern verübten Gewalttaten als Völkermord, ohne indes die Massentötung an sich zu leugnen. Es sei zweifelhaft, ob bereits hierdurch die Würde der Opfer in Bezug auf die besonderen Umstände ihres Todes in strafbarer Weise missachtet werde. Im Hinblick auf den Straftatbestand des § 130 Abs. 3 StGB könne nicht jede Billigung, Leugnung oder Verharmlosung eines Völkermordes nach § 189 StGB strafbar sein.
Hiergegen wendet sich die vorliegende Beschwerde des Antragsgegners.
II.
Die zulässige Beschwerde hat nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Auf der Grundlage des den Prüfungsumfang des Senats begrenzenden Vorbringens der Beschwerde (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) ist es nicht gerechtfertigt, den angefochtenen Beschluss im Sinne einer Wiederherstellung des Versammlungsverbots zu ändern. Der Senat hält jedoch die tenorierte Maßgabe für geboten, um eine Verwirklichung des Straftatbestandes des § 189 StGB abzuwenden.
Entgegen der Auffassung des Antragsgegners rechtfertigt es § 15 Abs. 1 VersG nicht, den angemeldeten Aufzug zu verbieten. Danach kann die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Ein Versammlungsverbot scheidet aus, solange das mildere Mittel der Erteilung von Auflagen nicht ausgeschöpft ist. Reichen Auflagen zur Gefahrenabwehr nicht aus, kommt allerdings ein Verbot in Betracht, wenn es unter Berücksichtigung des Artikels 8 GG zum Schutze elementarer Rechtsgüter angemessen ist. Eine Gefährdung nur der öffentlichen Ordnung rechtfertigt im allgemeinen ein Versammlungsverbot nicht (vgl. BVerfG, NVwZ 2004, 90 [92] m.w.N.). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, auch bei Gefahren für die öffentliche Sicherheit den Vorrang der Auflage vor dem Verbot einer Versammlung. Soweit sich - wie hier - die ordnungsbehördliche Verfügung auf den Inhalt von Aussagen bezieht, deren Äußerung von den Versammlungsteilnehmern zu erwarten ist, ist sie auch am Maßstab von Artikel 5 Abs. 1 und 2 GG zu beurteilen. Die verfassungsrechtlichen Grenzen der Inhalte einer auf einer Versammlung geäußerten Meinung richten sich nicht nach Artikel 8 Abs. 2 GG, sondern nach Artikel 5 Abs. 2 GG. Meinungsäußerungen, die durch eine nach Artikel 5 Abs. 2 GG zulässige Norm mit Strafe bedroht sind, bleiben auch in einer Versammlung verboten (BVerfG, Beschluss vom 26. Januar 2006 - 1 BvQ 3/06 -, www.bverfg.de; NJW 2004, 2814 [2815]; BVerfGE 90, 241 [246]).
Gemessen an diesem Maßstäben kann strafbewehrten Äußerungen, soweit sie auf der Grundlage des Versammlungsaufrufes zu erwarten sind, im Wege der tenorierten Maßgabe begegnet werden, so dass das Verbot der Versammlung unverhältnismäßig ist.
Der durchaus kämpferisch formulierte Versammlungsaufruf für die Talat Pascha-Bewegung lässt erwarten, dass Teilnehmer und Redner der Versammlung von der Genozid-Lüge an den Armeniern sprechen werden. Damit drohen Meinungsäußerungen, die gemäß § 189 StGB unter Strafe gestellt sind. Diese Norm konkretisiert die Grundrechtsschranke des Artikels 5 Abs. 2 GG. Es kann offen bleiben, welches Rechtsgut die nach § 189 StGB strafbewehrte Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener schützen will. Dies kann - wie bei den (übrigen) Beleidigungstatbeständen - die persönliche Ehre oder das Pietätsgefühl der Angehörigen oder der Allgemeinheit oder der postmortale Persönlichkeitsschutz sein (vgl. BGHSt, 40, 97 [105]). Je nachdem ist § 189 StGB Ausdruck der in Artikel 5 Abs. 2 GG ausdrücklich als Rechtsgut genannten persönlichen Ehre oder als allgemeines Gesetz im Sinne dieser Vorschrift anzusehen. Denn § 189 StGB richtet sich nicht gegen die Meinungsfreiheit an sich oder gegen die Äußerung einer bestimmten Meinung, sondern dient dem Schutz eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung zu schützenden Rechtsgutes.
Die Behauptung der Genozid-Lüge an den Armeniern verwirklicht auf der Grundlage der vorliegenden strafgerichtlichen Rechtsprechung den objektiven Tatbestand des § 189 StGB. Das Verunglimpfen des Andenkens eines Verstorbenen setzt eine besonders grobe und schwerwiegende Herabsetzung voraus. Die Verunglimpfung kann sich auch auf eine Gruppe von Personen beziehen, deren Gemeinsamkeit sich gerade aus den Umständen ihres Versterbens ergibt (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl. 2006, § 189 Rdn. 2). Denn untrennbarer Bestandteil der Würde eines Menschen können auch die besonderen Umstände seines Todes sein. Hat er ohne persönliche Schuld allein aufgrund seiner Abstammung durch staatlich organisierte und gelenkte Gewaltmaßnahmen auf grausame Weise sein Leben verloren, so prägt dieses schwere Schicksal seine individuelle Würde und damit zugleich und unmittelbar auch sein Andenken unter den Lebenden. Der Anspruch auf Achtung jenes Schicksals wird jedenfalls verletzt, wenn - in dem entschiedenen Fall - der nationalsozialistische Massenmord an den Juden als bloße Erfindung abgetan und dies mit herabsetzenden Begriffen ("Lüge") negativ betont wird (BGHSt, 40, 97 [105]).
Am Maßstab dieser strafgerichtlichen Rechtsprechung unterliegt auch die Tatbestandsverwirklichung im Falle der Genozid-Lüge an den Armeniern keinen ernstlichen Zweifeln. Aus der Versammlung drohende Äußerungen dieses Inhalts erschöpfen sich nicht in einer bloßen Leugnung eines Genozids an den Armeniern im Jahre 1915. Vielmehr bezichtigen sie diejenigen, die die seinerzeitigen Übergriffe von Seiten des Osmanischen Reiches gegen die Armenier als Genozid qualifizieren, der Lüge und damit einer wider besseres Wissen getroffenen Falschbewertung historischer Vorgänge. Wird die Bewertung des damaligen Geschehens als Völkermord als vorsätzliche falsche Tatsachenbehauptung ("Lüge") disqualifiziert, diskreditiert dies zugleich den Anspruch der damaligen Opfer auf Achtung ihres Schicksals in besonderem Maße. Durch die Behauptung, die historischen Vorgänge würden bewusst falsch dargestellt, werden die armenischen Toten in besonders grober und schwerwiegender Weise um ihren Achtungsanspruch gebracht, wird ihr Andenken mithin verunglimpft. Selbst wenn die historische Bewertung der Ereignisse im Osmanischen Reich im Jahre 1915 als Völkermord - im Unterschied zu der systematischen Tötung von Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft - noch nicht abgeschlossen sein sollte, steht dies der Strafbarkeit der Verbreitung einer "Genozid-Lüge" nicht entgegen. Der Senat kann die Frage, ob seitens des Osmanischen Reiches ein Völkermord, d.h. in der Absicht der vollständigen oder teilweisen Zerstörung gegen eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe begangene Handlungen, an den Armeniern verübt wurde, offen lassen, wenngleich insbesondere Verlautbarungen der UNO und des Europäischen Parlaments bereits aus den Jahren 1985 und 1987 diese Einordnung offenbar nach dem gegenwärtigen anerkannten Stand der internationalen historischen Forschung vornehmen.
Indem der Vorwurf der Lüge gegen die Bewertung der historischen Vorgänge als Genozid erhoben wird, handelt es sich nicht lediglich um einen streitbaren oder auch nur abwegigen Beitrag zur historischen und politischen Interpretation historischer Geschehnisse. Der im Versammlungsaufruf mehrfach verwendete Begriff der "Genozid-Lüge" muss angesichts einer Gesamtwürdigung dieses Textes und der in ihm zum Ausdruck gebrachten aggressiven, feindlichen und nationalistischen Haltung durchaus beim Wort und ernst genommen werden. Diese Haltung wird nicht nur in der mehrfachen Wiederholung von "Genozid-Lügen" ausgedrückt, sondern insbesondere auch in dem Satz "Die Europäer sollten ihre unrichtigen, unbegründeten und gewissenlosen Beschuldigungen gegen die Türkei unterlassen, wenn sie nicht wollen, dass ihre Hauptstädte in Flammen stehen wie Paris". Die Einordnung des seinerzeitigen Vorgehens gegen die Armenier als Genozid wird als ein Akt der Türkenfeindschaft Europas angesehen. In diesem Zusammenhang muss das Wort von der "Genozid-Lüge" im buchstäblichen Sinne, und kann nicht mehr nur als plakative Forderung nach einer anderen bzw. neuen Geschichtsdeutung verstanden werden. In dem Versammlungsaufruf findet sich namentlich auch die an anderer Stelle dezidiert vertretene Haltung eines der Unterstützer der Versammlung, des Vorsitzenden der linksnationalistischen Arbeiterpartei der Türkei D_____ wieder. Dieser hat sich z.B. in der Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland (Schweiz) vom 23. Juli 2005 ausdrücklich zur Genozid-Lüge bekannt ("Es ist eine internationale Lüge. Es ist eine historische Lüge."). Auch wenn keine Erkenntnisse darüber vorliegen, ob er selbst an der Veranstaltung teilnehmen oder sogar als Redner auftreten wird, muss aufgrund des Inhalts des Versammlungsaufrufes davon ausgegangen werden, dass Äußerungen gleichen Inhalts bei der Versammlung beabsichtigt sind. Bekräftigt wird diese Einschätzung dadurch, dass die türkische Gemeinde zu Berlin und andere türkische Vereine die vorangegangene Anmeldung zurückgezogen haben.
Soweit die Versammlung darüber hinaus für eine abweichende Bewertung des historischen Geschehens eintreten will und sich dabei auch historisch nicht belegbarer Behauptungen bedienen sollte, ist sie von der Meinungsfreiheit des Artikels 5 Abs. 1 GG geschützt.
Dafür, dass darüber hinaus die sonstige Art und Weise der Durchführung der Versammlung - z.B. die Art und Weise der Meinungskundgabe etwa durch aggressives, die Grundlagen eines verträglichen Zusammenlebens der Bürger beeinträchtigendes, insbesondere andere Bürger einschüchterndes Auftreten der Versammlungsteilnehmer - eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Ordnung begründet, ist mangels aktenkundiger Anhaltspunkte nicht zu besorgen.
Die Versammlungsbehörde hat zu entscheiden, ob und welche weiteren - etwa organisatorischen - Auflagen erforderlich sind, um eine Durchführung des Aufzuges zu gewährleisten, ohne dass es zu Verstößen gegen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung kommt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Festsetzung des Beschwerdewertes ergibt sich aus §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
Ende der Entscheidung
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