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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 20.12.2005
Aktenzeichen: OVG 10 B 14.05
Rechtsgebiete: VermLiegG, BGB, ZPO


Vorschriften:

VermLiegG § 18 Abs. 1
VermLiegG § 20 Abs. 1
VermLiegG § 20 Abs. 1 Satz 1
VermLiegG § 20 Abs. 1 Satz 2
VermLiegG § 20 Abs. 5
BGB § 883 Abs. 2 Satz 1
BGB § 920
BGB § 1004
ZPO § 286
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN-BRANDENBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

OVG 10 B 14.05

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 10. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Krüger, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Scheerhorn, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Dr. Bumke, die ehrenamtliche Richterin Heyde und den ehrenamtlichen Richter Jeworowski aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 20. Dezember 2005 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 26. September 2003 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt, werden dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerinnen vor der Vollstreckung entsprechend Sicherheit leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Juni 1997 beantragte die damalige Eigentümerin des Flurstücks 16 der Flur 2 der Gemarkung L. bei dem Beklagten die Vermessung der Grenze zwischen diesem Flurstück und Flurstück 17. Am 30. Januar 1998 fand ein Grenztermin mit den damaligen Eigentümern der betroffenen Flurstücke statt, in dem diese einen Verlauf der Grenze anerkannten, der in der darüber gefertigten Niederschrift festgehalten wurde, worauf hin der Beklagte dem gemäß die Grenze abmarkte. Nachdem die Klägerinnen von dem Ergebnis dieser Verhandlung Kenntnis erlangt hatten, legten sie gegen die Niederschrift unter dem 28. Mai 1998 Widerspruch ein. Zur Begründung machten sie im Wesentlichen geltend, dass der Beklagte die Grenze falsch ermittelt habe und sie, die Klägerinnen, an der Vermessung hätten beteiligt werden müssen, weil sie in dem fraglichen Zeitpunkt eine eigentümerähnliche Stellung gehabt hätten. Damit hat es folgendes auf sich: Die Klägerinnen hatten bereits mit notariellem Vertrag vom 12. März 1997, in dem zugleich die Auflassung erklärt und der Übergang des Besitzes, der Nutzungen und der Lasten zum 1. Mai 1997 vereinbart worden waren, unter anderem das Flurstück 17 gekauft; und seit dem 3. September 1997 war im Grundbuch zu ihren Gunsten unter anderem hinsichtlich dieses Flurstücks eine Auflassungsvormerkung eingetragen. Mit Widerspruchsbescheid vom 22. März 1999 wies das Landesvermessungsamt Brandenburg den Widerspruch mit der Begründung als unzulässig zurück, dass eine Beteiligung der Klägerinnen an der Vermessung nicht geboten gewesen sei.

Mit ihrer am 16. April 1999 erhobenen Klage haben die Klägerinnen beantragt,

die Grenzfeststellung und Abmarkung in Gestalt der Grenzniederschrift des Beklagten vom 30. Januar 1998 über die Grundstücksgrenze der Grundstücke Gemarkung L., Flur 2, Flurstück 16 und 17 sowie den Widerspruchsbescheid des Landesvermessungsamtes Brandenburg vom 22. März 1999 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Mit dem angefochtenen - dem Beklagten am 28. Oktober 2003 zugestellten - Urteil hat das Verwaltungsgericht unter Zulassung der Berufung der Klage stattgegeben. Beteiligter im Sinne des § 20 Abs. 1 Satz 1 und 2 des Vermessungs- und Liegenschaftsgesetzes (VermLiegG) sei auch, wer an einem Grundstück in eigentumsähnlicher Weise dinglich berechtigt sei; diesem Personenkreis sei auch derjenige gleichzustellen, dem aufgrund einer Auflassungsvormerkung ein dingliches Anwartschaftsrecht zustehe.

Mit seiner am 25. November 2003 eingelegten Berufung, die er nach Fristverlängerung fristgemäß am 15. Januar 2004 begründet hat, macht der Beklagte unter Wiederholung und Vertiefung seines Vorbringens im Verwaltungsverfahren und im ersten Rechtszug im Wesentlichen geltend: § 20 Abs. 1 VermLiegG habe genau definiert, wer Beteiligter sei. Grundstücksgleiche Rechte seien Sachenrechte, die als Gegenstand des Rechtsverkehrs weitgehend wie Grundstücke behandelt würden. Das Anwartschaftsrecht falle hierunter nicht. Eine Auslegung oder entsprechende Anwendung der Vorschrift auf das Anwartschaftsrecht komme nicht in Betracht. Fehlerhaft sei auch die Ansicht des Verwaltungsgerichts, dass die Rechtsposition der Klägerinnen diesen dieselben Abwehrrechte wie einem Eigentümer verleihe. Auch § 1004 BGB schütze einen solchen Käufer nicht.

Der Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerinnen beantragen,

die Berufung zurückzuweisen, verteidigen das angefochtene Urteil und machen ergänzend im Wesentlichen geltend: Sie seien über die bevorstehende Grenzverhandlung nicht unterrichtet worden. Unzutreffend sei die in einem der Auffassung des Beklagten günstigen Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) angestellte Erwägung, dass der Vormerkungsberechtigte nicht in die Lage versetzt werden dürfe, einen noch eingetragenen Eigentümer aus seiner formalen Position zu verdrängen. Vielmehr gehe es nur darum, ob zu den ohnehin zu beteiligenden Personen noch eine weitere hinzutrete.

Die Beigeladene stellt auch im Berufungsverfahren keinen Antrag.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage jedenfalls im Ergebnis zu Recht stattgegeben.

Wirksam festgestellt im Sinne des § 18 Abs. 1 VermLiegG ist die fragliche Grenze jedenfalls nicht gegenüber den Klägerinnen. Denn ihnen gegenüber ist das Ergebnis der Grenzermittlung nicht im Sinne dieser Vorschrift "von den Beteiligten anerkannt". Dass es auch nicht gemäß § 20 Abs. 5 VermLiegG "als anerkannt gilt", bedarf keiner Darlegung.

Die Erklärung, mit der die damaligen Eigentümer das Ergebnis der Grenzermittlung anerkannt hatten, war den Klägerinnen gegenüber unwirksam, weil sie in entsprechender Anwendung des § 883 Abs. 2 Satz 1 BGB als "eine Verfügung über das Grundstück" anzusehen ist, die "den Anspruch beeinträchtigen würde". Einer Verfügung über das Grundstück kommt sie gleich und beeinträchtigen würde sie den Anspruch der Klägerinnen auf Übertragung des Eigentums an dem Grundstück deshalb, weil sie einen Versuch der Klägerinnen nahezu aussichtslos machen würde, den Verlauf der Grenze zu dem fraglichen Nachbargrundstück im Wege einer Klage gemäß § 920 BGB dahin feststellen zu lassen, dass er zu ihren Gunsten von demjenigen Verlauf abweicht, der gemäß dem von den damaligen Eigentümern anerkannten Ergebnis der Grenzermittlung abgemarkt worden ist.

Der Abmarkung einer festgestellten Flurstücksgrenze (§ 19 Abs. 1 Satz1 VermLiegG) kommt zwar keine konstitutive Wirkung zu; es kann über den Grenzverlauf ein Gegenbeweis geführt werden. Sie schafft aber ein kaum zu widerlegendes Beweismittel dafür, wie weit das Eigentum reicht (vgl. Beutler in: Staudinger, BGB, 12. Aufl. (1989), Rdn. 17 zu § 919 BGB), ist ein starkes Beweismittel im Sinne des § 286 ZPO (Bassenge in: Palandt, BGB, 65. Aufl. (2005), Rdn. 3 zu § 919 BGB). Ist eine Grenze ordnungsgemäß vermarkt, so wird auch von vornherein keine Grenzverwirrung im Sinne des § 920 BGB entstehen, und wer gegen diese Grenze ankämpft, muss sein Eigentum nachweisen (Beutler, a.a.O., Rdn. 2 zu § 920 BGB). In der Mitwirkung eines Beteiligten an der Anerkennung des - sodann der Abmarkung zugrunde zu legenden - Ergebnisses einer Grenzermittlung liegt eine Willenserklärung. Eine Grenzermittlung ist eine Sachverhaltsermittlung, bei der anders als im Falle einer Grenzwiederherstellung der Katasternachweis nicht maßgeblich (§ 2 Abs. 1 Buchst. a der Liegenschaftsvermessungsverordnung vom 18. Februar 1999, GVBl. II S. 130) ist, sondern nur von dem Katasternachweis auszugehen (§ 1 Abs. 1 der Verordnung) ist und andere Erkenntnisquellen heranzuziehen und zu bewerten sind. Dabei kommt der Mitwirkung der Beteiligten in Gestalt einvernehmlicher Willenerklärungen erhebliche Bedeutung zu (vgl. Bengel/Simmerding, Grundbuch Grundstück Grenze, 5. Aufl (1999), Rdn. 80; ferner etwa Harneid/Oswald, Die Liegenschaftsvermessung im Land Brandenburg, Erläuterungen der Verwaltungsvorschrift zur Durchführung von Liegenschaftsvermessungen und der Verwaltungsvorschrift zur Qualitätskontrolle bei der Fortführungsentscheidung, Fassung vom September 2003).

Für eine entsprechende Anwendung des § 883 Abs. 2 Satz 1 BGB dahin, dass die Vorschrift den Vormerkungsberechtigten auch gegen öffentlich-rechtliche Erklärungen des Noch-Eigentümers schützt, spricht alles. Vormerkungswidrig ist - im öffentlichen Recht - unter anderem die Mitwirkung des Noch-Eigentümers an der Bestellung einer Baulast (VGH Mannheim, Urteil vom 13. Juli 1992 - 8 S 588/92 - NJW 1993, 678; OVG Bautzen, Beschluss vom 9. September 1994 - 1 S 259/94 - NVwZ-RR 1995, 251).

Ist die Feststellung der fraglichen Grenze den Klägerinnen gegenüber nicht wirksam, so sind die Verwaltungsakte, die in der gleichwohl getroffenen Grenzfeststellung und in der auf dieser Feststellung beruhenden Abmarkung liegen, rechtwidrig und verletzen die Klägerinnen in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Keiner Entscheidung bedarf in diesem Verfahren, ob in der Zeitspanne zwischen der Eintragung einer Auflassungsvormerkung und dem Übergang des Eigentums auf den Käufer eine wirksame Anerkennung des Ergebnisses der Grenzermittlung im Sinne des § 18 Abs. 1 VermLiegG ausgeschlossen oder - wofür vieles spricht - in der Weise möglich ist, dass der Noch-Eigentümer das Ergebnis mit Zustimmung oder Genehmigung des Vormerkungsberechtigten anerkennt. Übrigens hat ein Noch-Eigentümer kein erkennbares schützenswertes Interesse mehr daran, auf den Verlauf der Grenze ohne Mitwirkung des Vormerkungsberechtigten einzuwirken.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO; die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen dem Beklagten aufzuerlegen, entsprach schon deshalb nicht der Billigkeit, weil der Beklagte mit der Berufung in der Sache zugleich auch deren Belange wahrgenommen hat. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 und Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil keine der dafür maßgeblichen Voraussetzungen erfüllt ist, insbesondere auch die Rechtssache nicht im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO grundsätzliche Bedeutung hat. Nach Auffassung des Senats steht inmitten des Rechtsstreits die dem Vermessungs- und Liegenschaftsrecht des Landes Brandenburg zuzuordnende Frage, ob die auf Anerkennung des Ergebnisses der Grenzermittlung gerichtete Erklärung des Eigentümers ungeachtet einer bereits zugunsten eines Käufers eingetragenen Auflassungsvormerkung als uneingeschränkt wirksame Erklärung eines Eigentümers im Sinne des § 20 Abs. 1 Satz 1 VermLiegG anzusehen ist.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 4.090,34 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 2, § 14 Abs. 1 und 3 des Gerichtskostengesetzes (GKG) in der hier noch anwendbaren, bis zum 30. Juni 2004 geltenden Fassung (§ 72 Nr. 1 GKG i.d.F. des Art. 1 des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts vom 5. Mai 2004, BGBl. I S. 718). Der Senat macht sich die Begründung des Verwaltungsgerichts zu eigen.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 25 Abs. 3 Satz 2 GKG a.F.).

Ende der Entscheidung

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