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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 30.05.2006
Aktenzeichen: OVG 10 B 3.05
Rechtsgebiete: GG, AufenthG


Vorschriften:

GG Art. 16 a
AufenthG § 60 Abs. 1 = AuslG § 51 Abs. 1
1. Es ist davon auszugehen, dass die für die Einreisekontrolle zuständigen türkischen Stellen auf Grund der übermittelten Strafnachricht und der Registrierung im zentralen Fahndungscomputer sich mit Blick auf die abstrakte Deliktsbezeichnung erschließen können und insoweit Kenntnis davon haben, dass ein wegen eines Verstoßes gegen das Vereinsgesetz Verurteilter in Deutschland eine Tat mit exilpolitischem Hintergrund begangen hat.

2. Der Umstand, dass die türkischen Stellen Kenntnis von der Verurteilung im Wege des Strafnachrichtenaustausches erlangt hat, begründet jedoch für sich genommen, wenn keine weiteren besondere Umstände zu Tage treten, kein asyl- bzw. abschiebungsschutzrechtlich relevantes Gefährdungsrisiko.

3. Der mitgeteilten Strafnachricht kommt zwar eine gewisse "Signalwirkung" dergestalt zu, dass die für die Einreise zuständigen Stellen Anlass für eine auch eingehende Befragung sehen werden.

4. Eine niedrig profilierte exilpolitische Betätigung erlangt jedoch nicht allein deshalb ein die Schwelle der Exponiertheit überschreitendes Gewicht, weil sie den türkischen Stellen im Wege des Strafnachrichtenaustausches bekannt wird.


OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN-BRANDENBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

OVG 10 B 3.05

Verkündet am 30. Mai 2006

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 10. Senat auf die mündliche Verhandlung vom 30. Mai 2006 durch ... für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 10. April 2003 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kostenschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der am 1_____ im Kreis, Provinz, geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit.

Am 13. Juni 1994 wurde der Kläger, der nach seinen Angaben auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist, von der Polizei wegen unerlaubten Aufenthalts und Beschäftigung ohne erforderliche Arbeitserlaubnis aufgegriffen; er wurde auf der Grundlage des Beschlusses des Amtsgerichts Schöneberg vom 14. Juni 1994 in Abschiebehaft genommen. Nachdem sein Verfahrensbevollmächtigter mit Schriftsatz vom 15. Juni 1994 einen Asylantrag gestellt hatte, wurde der Kläger aus der Abschiebehaft entlassen; er stellte persönlich am 20. Juni 1994 beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge - nun: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - (Bundesamt) einen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter.

Nach Anhörung des Klägers am 20. Juni 1994 lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 11. Juli 1994 den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab, stellte fest, dass weder die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG noch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorlägen, und forderte den Kläger zur Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland binnen einen Monats nach Bekanntgabe bzw. nach Unanfechtbarkeit des Bescheides auf. Zugleich wurde dem Kläger für den Fall, dass er seiner Ausreisepflicht nicht freiwillig nachkommen sollte, die Abschiebung in die Türkei angedroht.

Der Kläger hat am 27. Juli 1994 Klage erhoben, ohne diese jedoch zunächst zu begründen.

Mit rechtskräftigem Urteil vom 20. Februar 1997 wurde der Kläger vom Landgericht Berlin - (502) 81 Js 575/96 Kls (11/96) - wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Monaten auf Bewährung verurteilt, weil er im Januar 1996 zum einen zwei Wandkalender sowie zwei Bücher, auf deren Einband das Emblem der PKK abgebildet war, zum anderen ein Exemplar der Zeitschrift "Serxwebun" erwarb, wobei er wusste, dass der Erlös der PKK zugute kommen sollte. Der Kläger hat im Strafverfahren die Taten eingeräumt.

Mit Schriftsatz vom 30. Oktober 2000 - nach Erlass einer Betreibensaufforderung - trug der Kläger zur Begründung seiner Klage im Wesentlichen vor: Er beziehe sich zunächst auf die Angaben, die er bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt gemacht habe, müsse dazu aber einschränkend klarstellen, dass er sich nicht von der PKK, sondern von den türkischen Sicherheitskräften wegen des Engagements seines Bruders und dessen Tochter für die PKK verfolgt gefühlt habe. Sein 1948 geborener und 1993 verstorbener Bruder sei 1983 vom 1. Militärgericht in Adana wegen staatsfeindlicher Aktivitäten verurteilt worden. Die 1974 geborene Tochter seines Bruders habe der PKK angehört und sei im Juli 1994 bei Kämpfen mit türkischen Sicherheitskräften umgekommen.

Auf Nachfrage des Verwaltungsgerichts vom 18. November 2002 teilte das Bundesministerium für Justiz mit Schreiben vom 28. November 2002 mit, dass die Verurteilung des Klägers durch das Landgericht Berlin vom 20. Februar 1997 der Türkei im Wege des Strafnachrichtenaustausches mitgeteilt worden sei. Der Eingang eines türkischen Ersuchens um Übermittlung einer Abschrift des Urteils oder anderer Aktenbestandteile sei bisher nicht in der EDV-Datei der Registratur des Bundesministeriums der Justiz feststellbar.

Mit Urteil vom 10. April 2003 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Kläger habe der Kammer nicht ansatzweise die Überzeugung vermitteln können, dass er sein Heimatland unter dem Druck erlittener oder unmittelbar bevorstehender politischer Verfolgung verlassen musste. Seine Behauptung gegenüber der PKK und den türkischen Sicherheitskräften zwischen "zwei Fronten" geraten zu sein, sei als frei erfunden anzusehen. Bei dem behaupteten Vorfall im Jahre 1989/90, wonach die Mutter des Klägers durch Detonation einer Handgranate schwer verletzt worden sein soll, sei nicht nachvollziehbar, dass der Kläger, der zum damaligen Zeitpunkt 17 Jahre alt gewesen sei, sich nicht an weitere Einzelheiten habe erinnern können. Im Übrigen sei dieses Ereignis nicht Flucht bestimmend gewesen. Hinsichtlich des vagen Vortrags, dass man von ihm Dorfschützerdienste und Informationen über die PKK verlangt habe, sei - ungeachtet der mangelnden Substantiierung - nicht erkennbar, dass es zu staatlichen Maßnahmen gegenüber dem Kläger gekommen sei. Da sowohl der Bruder des Klägers als auch dessen Tochter verstorben seien, sei bereits zum Zeitpunkt der Ausreise des Klägers im Jahr 1994 ein Fortbestehen des Ermittlungsinteresses der türkischen Behörden nicht erkennbar.

Es sei auch nicht davon auszugehen, dass der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei Rückkehr eine asylerhebliche Gefährdung wegen individueller Umstände zu befürchten habe. Der allein ersichtliche Umstand der strafgerichtlichen Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen das Vereinsgesetz begründe keine asylerhebliche Rückkehrgefahr. Türkische Staatsangehörige seien nicht allein deshalb einem höheren Verfolgungsrisiko ausgesetzt, weil sie wegen einer auf deutschem Boden begangenen Straftat mit exilpolitischem Hintergrund durch ein deutsches Strafgericht verurteilt worden seien. Zwar würden dem türkischen Justizministerium im Rahmen des Strafnachrichtenaustausches die im Bundeszentralregister eingetragenen persönlichen Daten des Betroffenen, Urteils- und Tatzeit, Gerichtsbezeichnung, Aktenzeichen, Datenbezeichnung, Rechtsgrundlage, Art und Höhe der Strafe bekannt gegeben. Da nach der eingeholten Auskunft des Bundesministeriums der Justiz vom 28. November 2002 jedoch nicht davon ausgegangen werden könne, dass die türkische Seite um Übermittlung zusätzlicher Informationen ersucht habe und sich auch aus den beigezogenen Strafakten keine Anhaltspunkte für die Einschaltung türkischer Stellen entnehmen ließen, sei davon auszugehen, dass der türkische Staat kein Interesse an einer Verfolgung der im Bundesgebiet strafbaren Handlungen des Klägers habe.

Zur Begründung der mit Beschluss des 6. Senats des früheren Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 8. September 2004 zugelassenen Berufung macht der Kläger im Wesentlichen geltend: Er berufe sich (nur noch) auf so genannte Nachfluchtgründe. Bei einer Rückkehr sei er der Gefahr asylerheblicher Übergriffe ausgesetzt. Denn bereits aus der bloßen Mitteilung einer Verurteilung eines türkischen Staatsangehörigen kurdischer Volkszugehörigkeit zu einer Freiheitsstrafe wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz könnten die türkischen Stellen auch ohne zusätzliche Informationen sich erschließen, dass der Kläger die in der Bundesrepublik Deutschland verbotene PKK unterstützt habe oder für diese tätig gewesen sei. Bei der anlässlich der Einreise durchgeführten Personenkontrolle würden Betroffene der Abteilung für Terrorbekämpfung überstellt, wenn bei der Befragung oder auf Grund von Auskünften Anhaltspunkte für den Verdacht der Mitgliedschaft in oder Unterstützung der PKK oder anderer illegalen Organisationen bestünden. Im Rahmen der von der Abteilung für Terrorbekämpfung durchgeführten Ermittlungsverfahren könne nicht ausgeschlossen werden, dass es zu menschenrechtswidrigen Übergriffen, etwa durch Anwendung von Folter, komme. Bei dem Kläger müsse zudem berücksichtigt werden, dass sein (verstorbener) Bruder wegen staatsfeindlicher Aktivitäten verurteilt und die (ebenfalls verstorbene) Nichte des Klägers als PKK-Kämpferin bei Gefechten mit türkischen Sicherheitskräften getötet worden sei. Die verwandtschaftlichen Beziehungen würden die türkischen Sicherheitsbehörden in dem Verdacht bestärken, dass es sich bei dem Kläger um einen aktiven Unterstützer der PKK handele. Angesichts der neusten Entwicklungen im Südosten der Türkei ergebe sich eine gesteigerte Gefahr bei der Rückkehr in die Türkei verfolgt zu werden. Auch der Fall der Ermordung eines türkischen Richters, über den in der Presse berichtet worden sei, belege die angespannte Lage. Auf Grund seiner Erfahrungen als ehemaliger Soldat wisse er, wozu die türkische Armee fähig sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 10. April 2003 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 11. Juli 1994 zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (jetzt: § 60 Abs. 1 AufenthG) vorliegen,

hilfsweise,

festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG (jetzt: § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG) vorliegen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beteiligte hat keinen Antrag gestellt.

Unter dem 16. Juni 2005 hat der 6. Senat des früheren Oberverwaltungsgerichts Berlin beschlossen, Beweis zu erheben durch Einholung von Auskünften des Auswärtigen Amtes, von amnesty international und des Sachverständigen Herrn Serafettin Kaya zu (sieben) Fragen im Zusammenhang mit dem Strafnachrichtenaustausch, dem Datenaustausch zwischen den zuständigen Behörden und zu Erkenntnissen zur Rückkehrsituation von Personen, die in Deutschland wegen eines Verstoßes gegen das Vereinsgesetz verurteilt worden sind. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beweisbeschluss vom 16. Juni 2005 verwiesen und Bezug genommen auf die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 7. Oktober 2005, auf die Stellungnahme von amnesty international vom 21. Dezember 2005 sowie auf das Gutachten des Sachverständigen Herrn Serafettin Kaya vom 14. August 2005, das der Sachverständige mit Stellungnahme vom 26. August 2005 ergänzt hat (Erkenntnismittelliste A XII 15 a - d).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Streitakte, den Verwaltungsvorgang der Beklagten, die den Kläger betreffenden Ausländerakten des Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten sowie die Strafakten des Landgerichts Berlin Bezug genommen. Die Akten lagen vor und sind - soweit wesentlich - Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen.

Des Weiteren wird Bezug genommen auf die den Verfahrensbeteiligten übersandte Erkenntnismittelliste des Senates (Stand März 2006) und die weiteren mit der Ladung bzw. mit gerichtlichen Schreiben vom 9. , 23. und 24. Mai 2006 eingeführten Erkenntnismittel und asylrechtlichen Entscheidungen.

Entscheidungsgründe:

Die zugelassene und auch sonst zulässige Berufung ist unbegründet. Der Kläger hat bereits deswegen keinen Anspruch darauf, als politisch Verfolgter im Sinne von Art. 16 a Abs. 1 GG anerkannt zu werden, weil er nach seinen eigenen Angaben auf dem Landweg, mithin aus einem so genannten sicheren Drittstaat i.S.d. § 26 a Abs. 2 AsylVfG i.V.m. Anlage 1 zu § 26 a AsylVfG eingereist ist (vgl. dazu BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 -, BVerfGE 94, 49).

Der Kläger kann auch nicht die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG (früher: § 51 Abs. 1 AuslG) verlangen. Ebenso wenig bestehen Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG (früher: § 53 AuslG). Diese Vorschriften kommen mit Blick auf den maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im vorliegenden Fall zur Anwendung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. Art. 15 Abs. 3 Zuwanderungsgesetz vom 30. Juli 2004 - BGBl I S. 1950).

I.

Nach § 60 Abs. 1 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 1 AufenthG schützt - ebenso wie Art. 16a Abs. 1 GG - den Personenkreis der politisch Verfolgten und dient der Umsetzung des Art. 33 Nr. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention) vom 28. Juli 1951 (BGBl. II 1953 S. 559). Seine Voraussetzungen sind mit den Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter deckungsgleich, soweit es um die Verfolgungshandlung, die geschützten Rechtsgüter und den politischen Charakter der Verfolgung geht (zu § 51 Abs. 1 AuslG: BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 1993 - 9 C 50.92 -, NVwZ 1994, 500). Auch gilt für die Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG derselbe Prognosemaßstab wie nach Art. 16 a Abs. 1 GG (zu § 51 Abs. 1 AuslG: BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 1.94 -, NVwZ 1995, 391; Urteil vom 3. November 1992 - 9 C 21.92 -, BVerwGE 91, 150).

Soweit der Schutzbereich des § 60 Abs. 1 AufenthG über den des Art. 16 a GG hinausgeht - indem nach Maßgabe des § 28 AsylVfG auch selbst geschaffene Nachfluchtgründe, gemäß § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG eine Verfolgung durch nichtstaatliche "Akteure", etwa in Bürgerkriegssituationen ein Abschiebungsverbot begründen bzw. gemäß § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG eine Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe auch dann vorliegen kann, wenn Anknüpfungspunkt allein das Geschlecht ist - liegen die hierfür maßgeblichen Voraussetzungen im vorliegenden Fall ersichtlich nicht vor.

Eine politische Verfolgung i.S.d. Art. 16 a Abs. 1 GG bzw. § 60 Abs. 1 AufenthG liegt dann vor, wenn der Asylsuchende bei einem Verbleib in seiner Heimat oder bei einer Rückkehr dorthin in Anknüpfung an seine politische Überzeugung, seine Volkszugehörigkeit, seine religiöse Grundentscheidung oder an für ihn unverfügbare Merkmale, die sein Anderssein prägen, Verfolgungsmaßnahmen zu erwarten hat, die ihn ihrer Intensität nach aus der Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen. Der eingetretenen Verfolgung steht die unmittelbar drohende Gefahr der Verfolgung gleich (BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 1980 - 1 BvR 147/80 u. a. -, BVerfGE 54, 341, 367 und Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315, 343f). Das Asylgrundrecht des Art. 16 a GG ist seinem Ansatz nach darauf gerichtet, vor politischer Verfolgung Flüchtenden Zuflucht und Schutz zu gewähren. Es setzt daher einen kausalen Zusammenhang zwischen (drohender) Verfolgung und Flucht voraus (BVerfG, Beschluss vom 26. November 1986 - 2 BvR 1058/85 -, BVerfGE 74, 51, 64). Die Ausreise muss sich als eine unter dem Druck politischer Verfolgung stattfindende Flucht darstellen (BVerwG, Urteil vom 15. Mai 1990 - 9 C 17.89 -; BVerwGE 85, 139, 140).

Die Asylberechtigung setzt eine individuelle Verfolgungsbetroffenheit des Flüchtlings voraus. Die Gefahr eigener politischer Verfolgung des Asylbewerbers kann sich allerdings auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen ergeben, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungswahrscheinlichkeit vergleichbaren Lage befindet (BVerfG, Beschluss vom 23. Januar 1991 - 2 BvR 902/85 u.a. -, BVerfGE 83, 216, 231ff; BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200, 202, 206f).

Eine solche so genannte Gruppenverfolgung hat - wie jede politische Verfolgung - zur Voraussetzung, dass die festgestellten asylrelevanten Maßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Hinzu kommen muss eine bestimmte Verfolgungsdichte, die die "Regelvermutung" eigener Verfolgung jedes einzelnen Gruppenmitglieds rechtfertigt. Hierfür genügt es nicht, dass jedes Gruppenmitglied nur möglicherweise latent oder potenziell gefährdet ist. Die Gefährdung auf Grund der Gruppenzugehörigkeit muss vielmehr aktuell sein. Hierfür ist eine so große Zahl von Eingriffshandlungen in asylrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine bloße Vielzahl solcher Übergriffe handelt (BVerwG, Urteil vom 15. Mai 1990 - 9 C 17.89 -, BVerwGE 85, 139, 142f; Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200).

Die Anerkennung als Asylberechtigter setzt weiter voraus, dass dem Betroffenen bei einer Rückkehr in seinem Heimatland bei verständiger Würdigung aller Umstände seines Falles politische Verfolgung im oben beschriebenen Sinne droht, wobei die insoweit erforderliche Prognose auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abstellen und auf einen absehbaren Zeitraum ausgerichtet sein muss (BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 1985 - 9 C 22.85 -, NVwZ 1986, 760).

Hinsichtlich der Rückkehrgefahr ist zu unterscheiden je nachdem, ob ein Asylbewerber seinen Heimatstaat auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar bevorstehender Verfolgung verlassen hat oder ob er unverfolgt ausgereist ist. Einem Asylbewerber, der als Verfolgter aus seinem Heimatland ausgereist ist, kann eine Rückkehr nur zugemutet werden, wenn die Gefahr, erneut Opfer von Verfolgung zu werden, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist, mit anderen Worten der Betroffene vor erneuter politischer Verfolgung hinreichend sicher ist (BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 1980 - 1 BvR 147/80 u.a. -, BVerfGE 54, 341, 360; Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315, 344ff). Insoweit ist bei vorverfolgten Asylbewerbern ein herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab anzulegen. Dieser gilt auch für die Beantwortung der Frage, ob ein Asylsuchender vor erneuter Verfolgung auf eine inländische Fluchtalternative verwiesen werden kann.

Asylsuchende hingegen, die ihr Heimatland unverfolgt verlassen haben, können sich auf Art. 16 a GG bzw. § 60 Abs. 1 AufenthG nur berufen, wenn ihnen bei Zugrundelegung des gewöhnlichen Prognosemaßstabs mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auf Grund von Nachfluchttatbeständen politische Verfolgung droht (BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315, 345f). II. Gemessen an diesen Maßstäben hat der Kläger keinen Anspruch auf abschiebungsrechtlichen Schutz gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG.

1. Der Kläger ist in seiner Heimat vor seiner Ausreise von keiner individuellen asylerheblichen Verfolgung betroffen oder bedroht gewesen. Er hat ein individuelles politisches Verfolgungsschicksal, das Anlass war, seine Heimat zu verlassen und Zuflucht in Deutschland zu suchen, nicht glaubhaft dargelegt. Insofern kann zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Begründung des Verwaltungsgerichts verwiesen werden, zumal sich der Kläger in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich nur noch auf so genannte Nachfluchtgründe berufen hat (Sitzungsniederschrift S. 2). Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf den Vorfall im Jahr 1989/90 (Verletzung der Mutter durch eine Handgranate) hingewiesen hat, kann dahingestellt bleiben, ob der Vortrag - wofür angesichts der Substanzlosigkeit des Vortrags wenig spricht - glaubhaft ist. Denn es fehlt - wie bereits das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat - bereits der erforderliche kausale Zusammenhang zwischen diesem Ereignis und der mehrere Jahre später erfolgten Ausreise im Jahr 1994.

2. Dem Kläger drohte im Zeitpunkt seiner Ausreise auch keine gruppengerichtete staatliche Verfolgung. Der Senat muss im vorliegenden Fall nicht klären, ob Kurden im Zeitpunkt der Ausreise des Klägers (1994) in den östlichen und südöstlichen Landesteilen wegen ihres Volkstums als Gruppe verfolgt wurden. Denn selbst wenn dies der Fall gewesen wäre - wofür nach Auffassung des Senats allerdings nicht viel spricht - hätte der Kläger die Möglichkeit gehabt, in der Westtürkei, namentlich den dortigen Großstädten, verfolgungsfrei zu leben und hat sie übrigens auch heute. Der Senat schließt sich insoweit der Rechtsprechung des früheren 6. Senats des Oberverwaltungsgerichts Berlin zur inländischen Fluchtalternative zu Beginn der 1990er Jahre an (vgl. grundlegend m.w.N. OVG Berlin, Urteil vom 14. Oktober 2003 - OVG 6 B 7.03 -).

III.

Der danach unverfolgt ausgereiste Kläger muss auch bei einer Rückkehr in die Türkei zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung befürchten. Es liegen weder objektive noch subjektive - asylrechtlich bzw. im Rahmen des § 60 Abs. 1 AufenthG relevante - Nachfluchtgründe vor.

1. Türkische Staatsangehörige werden allein wegen ihrer kurdischen Volkszugehörigkeit nicht verfolgt. Dies gilt uneingeschränkt auch für Kurden aus den traditionellen kurdischen Siedlungsgebieten. Der Senat schließt sich auch insoweit der Rechtsprechung des früheren 6. Senats des Oberverwaltungsgerichts Berlin an (vgl. grundlegend m.w.N. OVG Berlin, Urteil vom 23. Oktober 2003 - OVG 6 B 18.03 - UA S. 12). Auch unter Berücksichtigung der aktuellen Entwicklungen - insbesondere der Aufkündigung des sog. "Waffenstillstands" im Juni 2004 (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 24. November 2004 an OVG Münster - A XI 55 c; amnesty international, Stellungnahme vom 17. Dezember 2004 an OVG Münster - A XI 55 d) und der gewalttätigen Auseinandersetzungen in jüngster Zeit im Südosten der Türkei mit Todesfällen (vgl. nur Süddeutsche Zeitung vom 4. April 2006) - ist davon auszugehen, dass Kurden in der Türkei keiner Gruppenverfolgung unterliegen. Wie das Auswärtige Amt auf gerichtliche Anfrage anlässlich dieses Verfahrens am 24. Mai 2006 mitgeteilt hat, bietet die "derzeit angespanntere Lage im Südosten der Türkei ... aus Sicht des Auswärtigen Amtes keinen Anlass zu einer grundsätzlichen Neubewertung der asylrelevanten Lage". Auch den - den Beteiligten übermittelten - so genannten briefing notes des Bundesamtes lassen sich keine Anhaltspunkte entnehmen, die auf eine aktuelle Gefährdung auf Grund der Gruppenzugehörigkeit hindeuten.

2. Der Kläger muss nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit befürchten, bei einer Rückkehr in die Türkei in Anknüpfung an individuelle Merkmale oder Aktivitäten in asylerheblicher Weise verfolgt zu werden. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die im Wege des Strafnachrichtenaustausches übermittelte Verurteilung des Klägers wegen eines Verstoßes gegen das Vereinsgesetz (a). Es sind auch keine anderen Gründe vorgetragen oder zu erkennen, die bei einer Einreise in die Türkei eine asylerhebliche Gefährdung bewirken könnten (b).

a) Für den Kläger ergibt sich kein Nachfluchtgrund daraus, dass er vom Landgericht Berlin durch Urteil vom 20. Februar 1997 verurteilt worden ist und türkische Behörden im Wege des Strafnachrichtenaustausches von der Verurteilung Kenntnis erlangt haben. Zwar ist davon auszugehen, dass den türkischen Stellen auf Grund des Strafnachrichtenaustausches bekannt ist, dass der Kläger wegen einer Straftat mit exilpolitischem Hintergrund rechtskräftig verurteilt worden ist. Unter Auswertung der eingeführten Erkenntnismittel, insbesondere der in diesem Verfahren eingeholten Auskünfte und Gutachten erscheint es dem Senat jedoch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass dem Kläger bei Rückkehr deswegen asyl- bzw. abschiebungsschutzrechtlich relevante Verfolgungsmaßnahmen drohen.

aa) Der zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei praktizierte Strafnachrichtenaustausch findet statt auf der Grundlage des Art. 22 des für die Türkei am 22. September 1969 und für die Bundesrepublik Deutschland am 1. Januar 1977 in Kraft getretenen Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen (EuRHÜbk) vom 20. April 1959 (BGBl. 1964 II S. 1369, 1386; BGBl. 1976 II S. 1799). Im Rahmen des Strafnachrichtenaustausches unterrichtet jede Vertragspartei die andere Vertragspartei von allen, deren Staatsangehörige betreffenden strafrechtlichen (rechtskräftigen) Verurteilungen und nachfolgenden Maßnahmen, die in das Strafregister eingetragen worden sind. Inhalt der Strafnachricht sind neben den persönlichen Daten des Betroffenen das Datum der Verurteilung und der (letzten) Straftat, die Bezeichnung des erkennenden Gerichts sowie das Aktenzeichen des Verfahrens, die zur Verurteilung gelangte Straftat nebst der entsprechenden Vorschriften des Strafgesetzbuches und sonstiger strafrechtlicher Nebengesetze, Art und Höhe der verhängten Strafe und eventuelle Nebenfolgen oder Nebenstrafen (Bundesministerium der Justiz, Auskunft vom 12. März 1998 an VG Berlin - A VIII 10 b; Auskunft vom 2. März 1998 an VG Wiesbaden).

Die im Zentralregister eingetragenen Verurteilungen werden in regelmäßigen zeitlichen Abständen im Zentralrechner der Dienststelle Bundeszentralregister gesammelt und auf einem hierfür vorgesehenen Formblatt für jede einzelne Verurteilung ausgedruckt und mit einer zeitlichen Verzögerung von ca. neun bis zwölf Monaten dem zuständigen Bundesministerium der Justiz zur weiteren Abwicklung des Strafnachrichtenaustausches vorgelegt (Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, Auskunft vom 6. August 2001). Die Übermittlung der Strafnachrichten an die Türkei erfolgt mit Sammelbericht (Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, Auskunft vom 16. April 1998 an VG Freiburg - A VIII 18 b) und automatisch (Bundesministerium der Justiz, Auskunft vom 22. Mai 1998 an VG Freiburg - A VIII 18 d).

Die übermittelten Strafnachrichten werden von der Generalsicherheitsdirektion in Ankara erfasst, und die örtlich zuständige Polizeibehörde wird benachrichtigt (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 15. Mai 1998 an VG Freiburg - A VIII 18 c). Im Zusammenhang mit einem Strafnachrichtenaustausch wird eine Fahndung im zentralen Fahndungscomputer (GTB - "Zentrum zur Informationssammlung", vgl. amnesty international, Stellungnahme vom 21. Dezember 2005, S. 1 - A XII 15 d) registriert, wobei aber Auslandsvorstrafen in das türkische Vorstrafenregister nicht übernommen werden (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 7. Oktober 2005, S. 2 - A XII 15 c). Bei einer Ausschreibung zur Fahndung im Fahndungscomputer erfolgt auch eine Benachrichtigung des örtlich zuständigen Personenstandsamtes (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 15. Mai 1998 an VG Freiburg - A VIII 18 c). Die im Wege des Strafnachrichtenaustausches übermittelten Informationen werden gelöscht, wenn die vorbereitenden Ermittlungen gegen eine Person eingestellt wurden, das Strafverfahren mit einem Freispruch oder Einstellungsbeschluss endete oder die amtlich zuständige Stelle mit Blick auf die Verjährung, deren Frist abhängig von der Straftat ist, die Anweisung zur Löschung einer Fahndung erteilt (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 7. Oktober 2005, S. 3 - A XII 15 c).

Nur wenn das türkische Justizministerium ein Ersuchen gemäß Art. 4 des Zusatzprotokolls zum Europäischen Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 17. März 1978 (BGBl. 1990 II S. 124, 125; BGBl. 1991 II S. 909) an die Bundesrepublik Deutschland richtet, werden zusätzliche Informationen, z.B. Abschriften des Urteils oder der Anklageschrift übermittelt. In der Praxis der Bundesregierung werden solche Ersuchen auf der Grundlage des Art. 2 Buchst. a EuRHÜbk aber regelmäßig abgelehnt, wenn sich das Ersuchen auf strafbare Handlungen bezieht, die vom ersuchenden Staat als politische oder als mit solchen zusammenhängende strafbare Handlungen angesehen werden (Bundesministerium der Justiz, Auskunft vom 22. Mai 1998 an VG Freiburg - A VIII 18 d; Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, Auskunft vom 16. April 1998 an VG Freiburg - A VIII 18 b; Bundesministerium der Justiz, Auskunft vom 8. August 1997 an VG Gießen - A VII 48 d; Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, Auskunft vom 27. Juni 1997 an VG Gießen - A VII 48 b).

bb) Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die für die Einreisekontrolle zuständigen türkischen Stellen auf Grund der übermittelten Strafnachricht und der Registrierung im zentralen Fahndungscomputer sich mit Blick auf die abstrakte Deliktsbezeichnung erschließen können und insoweit Kenntnis davon haben, dass der Kläger in Deutschland eine Tat mit exilpolitischem Hintergrund begangen hat. Eine Rückkehrgefährdung des Klägers erscheint jedoch auch mit Blick auf die konkrete Ausgestaltung der türkischen Grenzkontrollen bei der Einreise nicht beachtlich wahrscheinlich.

(1) Bei der Einreise in die Türkei hat sich jeder türkische Staatsangehörige - wie jede andere in die Türkei einreisende Person auch - an der Grenze einer Personenkontrolle zu unterziehen. Ein türkischer Staatsangehöriger, der über ein gültiges türkisches, zur Einreise berechtigendes Reisedokument verfügt, kann die Grenzkontrolle, insbesondere am Flughafen im Normalfall ungehindert passieren.

Wird den für die Einreisekontrolle zuständigen Stellen bei der Personenüberprüfung bekannt, dass es sich um eine abgeschobene Person handelt, so wird der Betroffene einer Routinekontrolle unterzogen, die einen Abgleich mit dem Fahndungsregister nach strafrechtlich relevanten Umständen und eine eingehende Befragung beinhalten kann (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 11. November 2005, S. 36 - C I 38). Die Fragen der Vernehmungsbeamten beziehen sich regelmäßig auf Personalienfeststellung unter Abgleich mit der Personenstandsbehörde und dem Fahndungsregister, Grund und Zeitpunkt der Ausreise aus der Türkei, Grund der Abschiebung, eventuelle Vorstrafen in Deutschland, Asylantragstellung und Kontakte zu illegalen türkischen Organisationen. Die betroffene Person wird während dieser Zeit in den Diensträumen der jeweiligen Polizeiwache festgehalten (Kaya, Gutachten vom 17. März 1997 an VG Stuttgart, S. 6 - A VII 25; Oberdiek, Gutachten vom 5. Mai 1999 an VG Stuttgart, S. 3 - A IX 26 a; Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 19. Mai 2004, S. 44 - C I 36). Die Ermittlungen dienen der Feststellung nicht nur der Personalien des Rückkehrers, sondern auch seiner politischen Einstellung. Wenn sich bei der Befragung Anhaltspunkte für eine Unterstützung der PKK bzw. ihrer Nachfolgeorganisationen oder anderer illegaler Organisationen ergeben, wird die betreffende Person den zuständigen Sicherheitsbehörden übergeben (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 20. März 2002, S. 43f - C I 33). Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass der Kläger bei der Einreise in die Türkei einer eingehenden Kontrolle seitens der für die Einreise zuständigen Stellen unterzogen werden wird.

(2) Der Umstand, dass die türkischen Stellen Kenntnis von der Verurteilung des Klägers im Wege des Strafnachrichtenaustausches erlangt hat, begründet jedoch für sich genommen, wenn keine weiteren besonderen Umstände zu Tage treten, kein asyl- bzw. abschiebungsschutzrechtlich relevantes Gefährdungsrisiko (OVG Koblenz, Urteil vom 18. Februar 2000 - 10 A 11821.98 -, NVwZ-Beilage 2000, 84, juris-Ausdruck S. 7ff; so wohl auch OVG Koblenz, Urteil vom 19. Februar 1999 - 10 A 10408.98 -, juris-Ausdruck S. 5f; vgl. zum Strafnachrichtenaustausch auch OVG Münster, Urteil vom 12. Juli 2005 - 8 A 780/04.A -, UA S. 36; Urteil vom 19. April 2005 - 8 A 273/04.A -, UA S. 85f; Urteil vom 31. März 1998 - 25 A 5198/96.A -, NVwZ-Beilage 1998, 93; VGH Mannheim, Urteil vom 5. April 2001 - A 12 S 198.00 -, juris-Ausdruck S. 16f; VGH Kassel, Beschluss vom 21. März 2001 - 12 UZ 602.01.A -, juris-Ausdruck S. 2; Urteil vom 13. Dezember 1999 - 12 UE 2984.97.A -, juris-Ausdruck S. 52ff; OVG Lüneburg, Urteil vom 17. März 1998 - 11 L 2203.96 -, juris-Ausdruck S. 3).

Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Weimar (Urteil vom 18. Dezember 2003 - 3 KO 275/01 -, ThürVGRspr 2005, 98 - UA S. 18ff unter ausdrücklichen Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung [Urteil vom 29. Mai 2002 - 3 KO 540/97 -]) folgt allein aus der Kenntnis "vom gesamten Inhalt der Strafnachricht" (UA S. 22) nicht, dass der Kläger von den zuständigen türkischen Stellen als ernst zu nehmender Regimegegner angesehen wird und er - mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit - nach der Einreise asylerheblichen Übergriffen aus ausgesetzt wäre. Übrigens ist in der Sache am 25. April 2006 vor dem Oberverwaltungsgericht Weimar - nach Zurückverweisung (BVerwG, Beschluss vom 22. Dezember 2004 - 1 B 83.04 -, Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 59) - ein Vergleich geschlossen worden ist, wonach die bisherigen Entscheidungen "gegenstandslos" sind, "soweit das Verfahren noch anhängig ist" (- 3 KO 90/05 -).

Die Fallkonstellationen erscheinen nicht vergleichbar, da sich der Kläger in dem seinerzeit vom Oberverwaltungsgericht Weimar entschiedenen Fall "exilpolitisch in nicht nur untergeordneter Weise betätigt hat" (UA S. 23), mithin - anders als im vorliegenden Fall (dazu unter [3]) - weitere besondere Umstände bei der Beurteilung der Rückkehrgefährdung zu berücksichtigen waren. Soweit das Oberverwaltungsgericht Weimar, das ausdrücklich offen ließ, ob bei der Einreise mit über eine Routinekontrolle hinausgehenden Maßnahmen zu rechnen ist, als allein entscheidungserheblich darauf abstellte, dass der Betroffene im Falle seiner Rückkehr "nach Istanbul, an seinen letzten Wohnort in der Türkei, dort Verfolgungsmaßnahmen durch die türkischen Sicherheitsbehörden ausgesetzt sein würde" (UA S. 22), überzeugt diese Einschätzung angesichts der zu dem hiesigen Verfahren eingeholten Stellungnahme von amnesty international nicht. Zwar hält amnesty international im Fall der unbehelligten Einreise eine Verfolgung nicht für ausgeschlossen, sieht eine solche Gefahr aber als "geringer" an und meint darüber hinaus, dass die Gefahr, dass der Kläger "landesweit in das Fadenkreuz von Polizei und Geheimdienst gerät ... aber wahrscheinlich eher" auf "ein Zusammentreffen unglücklicher Umstände" zurückzuführen sei "und nicht das Ergebnis einer systematischen Fahndung" (amnesty international, Stellungnahme vom 21. Dezember 2005, S. 2 und 3 - A XII 15 d). Im Übrigen unterscheiden sich die Fallkonstellationen auch, weil es dem aus der Provinz K_____ stammenden Kläger grundsätzlich zumutbar ist, im Westen der Türkei seinen Aufenthalt zu nehmen, so dass er nicht dem unmittelbaren Zugriff der (ursprünglich) örtlich zuständigen Polizeibehörde ausgesetzt wäre.

Zwar ist davon auszugehen, dass der Kläger bei der Einreise aufgrund der mitgeteilten Strafnachricht Nachfragen zum Hintergrund der Straftat zu gegenwärtigen hat. Sofern sich der türkischen Grenzpolizei aufgrund der Befragung Anhaltspunkte hinsichtlich des Tatgeschehens erschließen, ist auch davon auszugehen, dass dem Kläger eine gewisse Nähe zur PKK unterstellt und er als (ehemaliger) Sympathisant der PKK angesehen werden könnte. Bei Würdigung der Gesamtumstände des Falls kann jedoch nicht - mit der gebotenen beachtlichen Wahrscheinlichkeit - davon ausgegangen werden, dass sich ein solcher allgemeiner Verdachtsmoment aus Sicht der türkischen Stellen dahingehend "verdichtet", dass der Kläger als ernst zu nehmender und zu bekämpfender Gegner des türkischen Staates angesehen würde.

Der mitgeteilten Strafnachricht dürfte jedenfalls eine gewisse "Signalwirkung" dergestalt zukommen, dass die für die Einreise zuständigen Stellen Anlass für eine auch eingehende Befragung sehen werden. Die türkischen Stellen haben jedoch zum Zeitpunkt der Befragung keine konkreten Informationen über das der Verurteilung zugrunde liegende Tatgeschehen, da - wie sich aus der vom Verwaltungsgericht eingeholten Auskunft des Bundesministeriums für Justiz vom 28. November 2002 ergibt - nicht davon ausgegangen werden kann, dass von türkischer Seite ein Ersuchen gestellt worden ist. Rückschlüsse über die "staatsschutzbezogene" Gefährlichkeit der Tathandlung lassen sich auf der Grundlage des Inhalts der Strafnachricht nicht ziehen (OVG Münster, Urteil vom 19. April 2005 - 8 A 273/04.A -, UA S. 86).

Vor allem aber ist für die Prognose einer beachtlich wahrscheinlichen Verfolgungsgefahr aufgrund von Auslandsaktivitäten zu beachten, dass das Interesse des türkischen Staats nicht der Masse der Teilnehmer und Mitläufer exilpolitischer Aktivitäten gilt, sondern dem Personenkreis, der als Auslöser solcher Aktivitäten und als Organisator von derartigen Veranstaltungen und als Anstifter und Aufwiegler angesehen wird (OVG Berlin, Urteil vom 25. September 2003 - OVG 6 B 8.03 -, UA S. 16). Nur türkische Staatsangehörige, die im Ausland in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der Türkei verbotene Organisation tätig sind und sich nach türkischen Gesetzen strafbar gemacht haben, laufen Gefahr, dass sich die türkischen Behörden und die Justiz mit ihnen befassen (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 11. November 2005, S. 27 - C I 38).

Das bedeutet zugleich, dass eine niedrig profilierte exilpolitische Betätigung nicht allein deshalb ein die Schwelle der Exponiertheit überschreitendes Gewicht erlangt, weil sie den türkischen Stellen im Wege des Strafnachrichtenaustausches bekannt wird (OVG Münster, Urteil vom 27. Juni 2002 - 8 A 4782/99.A -, UA S. 66ff; Urteil vom 12. Juli 2005 - 8 A 780/04.A -, UA S. 36).

Anhaltspunkte für die Annahme einer - mit der beachtlichen Verfolgungsgefahr verbundenen - exilpolitischen Exponiertheit bilden im Fall von Informationen im Wege des Strafnachrichtenaustausches mangels Kenntnis des zugrunde liegenden Tatvorwurfs die in der Strafnachricht mitgeteilte Art und Höhe der Strafe und der Zeitpunkt der Tat.

Es liegt dabei auf der Hand, dass die zuständigen türkischen Stellen bei einer über viele Jahre zurückliegenden Tat - sofern keine zusätzlichen Umstände hinzutreten - die Notwendigkeit einer eingehenden Überprüfung geringer einschätzen, als wenn es sich um eine zeitlich aktuelle Tat handelt. Dass sich das Interesse der türkischen Stellen mit Blick auf den Zeitpunkt der Tat verändert, erscheint dem Senat auch deswegen nahe liegend, weil insoweit auch Verjährungsfristen als Strafverfolgungshindernisse greifen können. Dabei geht der Senat im vorliegenden Fall - mangels anderer Anhaltspunkte - zugunsten des Klägers davon aus, dass die Mitteilung über die Verurteilung im Computer noch nicht gelöscht worden ist. Es dürfte für die für die Einreisekontrolle zuständigen Stellen jedoch ohne weiteres erkennbar sein, dass die Tat inzwischen verjährt ist, da seit dem Zeitpunkt der Tat gut zehn Jahre vergangen sind. Denn selbst wenn der Verstoß gegen das Vereinsgesetz - bei Kenntnis des zugrunde liegenden Tatvorwurfs und ungeachtet der Frage, ob überhaupt gemäß Art. 11, 13 tStGB n.F. ein Strafverfahren in der Türkei eingeleitet werden könnte - als Straftat gemäß Art. 7 Abs. 2 ATG (Antiterrorgesetz = Gesetz Nr. 3713) angesehen würde, wäre die Tat, da sie vor 2005 begangen wurde, gemäß der insoweit anwendbaren alten Fassung des türkischen Strafgesetzbuches nach fünf Jahren verjährt (Kaya, Gutachten vom 14. August 2005, S. 6 - A XII 15 a - und 26. August 2005, S. 2 - A XII 15 b). Angesichts des Strafrahmens gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG, wonach die Tat mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bestraft werden kann, dürfte der Umstand, dass zwar eine Freiheitsstrafe von drei Monaten verhängt worden ist, diese aber zur Bewährung ausgesetzt worden ist, es auch aus Sicht der türkischen Stellen nahe legen, dass es sich bei dem Kläger nicht um einen exponierten "Rädelsführer" handelt.

(3) Abgesehen von der zeitlich weit zurückliegenden Tat sind auch keine weiteren besonderen Umstände zutage getreten, die das mit der abstrakten Deliktsbezeichnung verbundene Verdachtsmoment in jüngerer Zeit aktualisiert hätten.

Dabei ist weiterhin davon auszugehen, dass die türkischen Sicherheitskräfte die exilpolitischen Aktivitäten türkischer Staatsangehöriger in Deutschland und im übrigen Europa mit großer Aufmerksamkeit verfolgen (OVG Berlin, Urteil vom 25. September 2003 - OVG 6 B 8.03 -, UA S. 15f; OVG Münster, Urteil vom 19. April 2005 - 8 A 273/04.A -, UA S. 81f; vgl. auch Urteil des Senats vom heutigen Tag - OVG 10 B 5.05 - m.w.N.).

Es ist jedoch weder vorgetragen noch ersichtlich, dass sich der Kläger mit exilpolitischen Aktivitäten in besonderer Weise exponiert hätte. Im Übrigen hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung die Auffassung des Senats geteilt, dass es im vorliegenden Verfahren allein um die Frage geht, ob ihm wegen der Verurteilung wegen des Verstoßes gegen das Vereinsgesetz mit Blick auf den Strafnachrichtenaustausch mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht.

Da der Kläger nach eigenen Angaben während seines nunmehr knapp zwölf Jahre dauernden Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland - abgesehen von dem Verstoß gegen das Vereinsgesetz - keinerlei exilpolitische Aktivitäten entfaltet hat, erscheint es ausgeschlossen, dass er im Rahmen der türkischen Auslandsbeobachtung aufgefallen sein könnte bzw. dass die hier ansässigen türkischen Stellen den Kläger als einen ernstzunehmenden Verfechter der kurdischen Sache oder als Informationsträger in Bezug auf die im Bundesgebiet agierenden pro-kurdischen Organisationen ansehen und ihn den entsprechenden Stellen in der Türkei "gemeldet" haben könnten.

Verfolgungshandlungen gegenüber kurdischen Rückkehrern erfassen zwar im Einzelfall auch einfache Anhänger und Mitglieder der PKK oder vergleichbarer Organisationen. Dem Auswärtigen Amt ist jedoch seit fast vier Jahren kein einziger Fall bekannt, in dem ein aus der Bundesrepublik Deutschland in die Türkei zurückgekehrter abgelehnter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt wurde (Lagebericht vom 11. November 2005, S. 36f - C I 38; vgl. auch Lagebericht vom 3. Mai 2005, S. 33f - C I 37; Lagebericht vom 19. Mai 2004, S. 44f - C I 36). Das deckt sich mit der Auskunft von amnesty international, wonach bis ungefähr zum Jahre 2000 mehrfach kurdische Rückkehrer, selbst wenn sie nur auf sehr niedrigem Niveau politisch aktiv gewesen seien, nach ihrer Abschiebung in die Türkei festgenommen und gefoltert worden seien, in den letzten Jahren derartige Fälle aber nicht mehr bekannt geworden seien (amnesty international, Stellungnahme vom 21. Dezember 2005, S. 2f - A XII 15 d). Auch Kaya bestätigt die Feststellungen des Auswärtigen Amtes (Kaya, Gutachten vom 8. August 2005 an VG Sigmaringen, S. 9f - A XII 13 d).

Der Gutachter Kaya geht zwar davon aus, dass wenn den türkischen Sicherheitskräften der Hintergrund der im Wege des Strafnachrichtenaustausches mitgeteilten Tat bekannt wird, die betroffene Person auch festgenommen und verhört wird (Kaya, Gutachten vom 14. August 2005, S. 6 - A XII 15 a). Auch ist zu beachten, dass nach Auskunft des Auswärtigen Amtes eine im Ausland verurteilte Person, auch wenn die Strafe im Ausland schon vollstreckt wurde, bei der Einreise in die Türkei festgenommen und der Staatsanwaltschaft vorgeführt wird (Auskunft vom 7. Oktober 2005, S. 2 - A XII 15 c); wobei in der Auskunft nicht nach Art der Straftat differenziert wird.

Bezogen auf die konkrete Fallkonstellation hat Kaya jedoch weiter berichtet, dass er in der Presse keine Fallbeispiele habe recherchieren können, in denen eine Person, die in Deutschland verurteilt wurde, bei der Einreise in die Türkei auf den Verdacht hin, dass sie Mitglied in einer illegalen Organisation sei, festgenommen und verhört worden wäre (Kaya, Gutachten vom 14. August 2005, S. 6 - A XII 15 a). Auch amnesty international liegen hinsichtlich des Falls einer Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen das Vereinsgesetz keine Beispiele für das Schicksal abgeschobener Personen in die Türkei vor (amnesty international, Stellungnahme vom 21. Dezember 2005, S. 2 - A XII 15 d).

Es ist auch davon auszugehen, dass Fälle, in denen es zu Festnahmen und asylrelevanten Übergriffen im Anschluss an die Einreisekontrolle gekommen ist, (inzwischen) bekannt werden. Denn wenn eine Person bei der Einreise festgenommen werden soll, bedarf es - den neuen gesetzlichen Bestimmungen zufolge - der Zustimmung der Republikanischen Staatsanwaltschaft, und die Angehörigen der Person müssen über die Festnahme informiert werden (Kaya, Gutachten vom 14. August 2005, S. 8 - A XII 15 a; ders., Gutachten vom 8. August 2005 an VG Sigmaringen, S. 9f - A XII 13 d). Die betroffene Person hat das Recht, bei den Verhören einen Rechtsanwalt beizuziehen. Ist ein Rechtsanwalt zugegen, so ist es nach Einschätzung des Gutachters Kaya "nicht denkbar, dass diese Person unter Folter verhört wird", auch wenn es möglich sei, "dass psychischer Druck auf sie ausgeübt wird und dass sie nicht nach zivilisierten Maßstäben behandelt wird" (Kaya, Gutachten vom 14. August 2005, S. 8 - A XII 15 a). Die Benachrichtigung von Angehörigen und der Zugang zu einem Rechtsanwalt sollen nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen mittlerweile in aller Regel gewährleistet sein (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 11. November 2005, S. 32 - C I 38).

Die Tatsache, dass von keinen Referenzfällen berichtet wird, ist für die Frage der beachtlichen Wahrscheinlichkeit auch insofern bedeutsam, als angesichts der bis zu der - bereits genannten - Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Weimar vom 18. Dezember 2003 (- 3 KO 275/01 -, ThürVGRspr 2005, 98) einheitlichen obergerichtlichen Rechtsprechung, wonach aus der Übermittlung einer Strafnachricht nicht auf ein beachtliches Verfolgungsrisiko geschlossen werden könne, eine Vielzahl von abgelehnten Asylbewerbern, die wegen eines Verstoßes gegen das Vereinsgesetz verurteilt worden sind, in die Türkei zurückgekehrt bzw. abgeschoben worden sein dürften. Zahlenmaterial liegt hierzu zwar nicht vor. Aber bereits der Umstand, dass beim Senat fünf (zugelassene) Berufungsverfahren zu dieser Fallkonstellation anhängig sind, legt es nahe, dass es sich jedenfalls hierbei nicht um eine ungewöhnliche und vereinzelt gebliebene Rückkehrkonstellation handelt. Wenn jedoch von einer nicht zu vernachlässigen Anzahl solcher Rückkehrfälle ausgegangen werden muss, spricht - auch unter Berücksichtigung der von amnesty international angeführten allgemeinen Dunkelziffer - der Umstand, dass keine Referenzfälle bekannt sind, gegen die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer asylerheblichen Gefährdung bei der Einreise.

Hinzu kommt, dass - wie dargelegt - die Tat lediglich Ausdruck einer niedrig profilierten exilpolitischen Aktivität ist. Das rechtfertigt - mit Blick auf den Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit - die Annahme, dass das Interesse der zuständigen türkischen Stellen an der Person des Klägers eher niedrig sein dürfte (vgl. auch OVG Koblenz, Urteil vom 18. Februar 2000 - 10 A 11821.98 -, NVwZ-Beilage 2000, 84), zumal mangels exilpolitischer Aktivitäten in den letzten zehn Jahren keine nachrichtendienstlichen Erkenntnisse - auf Grund der Überwachung in Deutschland - vorliegen können. Insofern unterscheidet sich der Kläger nicht von der Masse der Rückkehrer, denen regelmäßig ein exilpolitisches, wenn auch untergeordnetes Engagement unterstellt wird.

b) Es sind auch keine anderen Gründe vorgetragen oder zu erkennen, die bei einer Einreise in die Türkei eine asylerhebliche Gefährdung bewirken könnten.

aa) Die Tatsache der Asylantragstellung, die nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes bei der Einreise regelmäßig nicht verborgen bleibt und im vorliegenden Fall auch im Rahmen der eingehenden Befragung zu Tage treten dürfte, ist als solche kein Umstand, der geeignet wäre, bei den türkischen Stellen Argwohn gegen den Betreffenden zu erwecken. Den türkischen Behörden ist bekannt, dass viele ihrer Landsleute aus wirtschaftlichen Gründen einen Asylantrag stellen, um in den Genuss eines sonst nicht gegebenen Aufenthaltsrechts in Deutschland zu kommen. Die Behauptung angeblicher politischer Verfolgung ist ebenfalls bekannt und grenzt den Betroffenen noch nicht als illoyal aus (OVG Berlin, Urteil vom 25. September 2003 - OVG 6 B 8.03 -, UA S. 19). Weitere, über die aufgezeigten Gründe hinausgehende Gesichtspunkte, die für die Frage der Rückkehrgefährdung relevant sein könnten, sind weder vorgetragen noch zu erkennen.

bb) Ebenso wenig ergibt sich aus den verwandtschaftlichen Beziehungen - mit Blick auf die Verurteilung seines (verstorbenen) Bruders wegen staatsfeindlicher Aktivitäten und die Tötung der Tochter des Bruders als PKK-Kämpferin bei Gefechten mit türkischen Sicherheitskräften - ein Anhaltspunkt für eine Rückkehrgefährdung. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist ein fortbestehendes Ermittlungsinteresse der türkischen Behörden nicht erkennbar (UA S. 8). Auf die Begründung des Verwaltungsgerichts wird Bezug genommen.

cc) Auch bei einer Gesamtschau lassen sich Besonderheiten im Fall des Klägers, die zur beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer abschiebungsschutzrechtlich relevanten Rückkehrgefährdung führen könnten, nicht feststellen.

Die Frage der Rückkehrgefährdung ist regelmäßig umfassend und unter Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalles, also auch im Hinblick darauf zu überprüfen, ob sich aus verschiedenen unterschiedlichen Aktivitäten des Asylbewerbers oder sonstigen Gründen bei einer Gesamtbetrachtung eine Rückkehrgefährdung ergibt. Das bedeutet jedoch nicht, dass die demnach notwendige Gesamtschau des jeweiligen Lebenssachverhalts im Sinne einer Addition mehrerer, im einzelnen jeweils asylrechtlich nicht beachtlicher Gründe "automatisch" zur Anerkennung als Asylberechtigter führt. Eine Zwangsläufigkeit dahingehend, dass sich aus der bloßen Summierung mehrerer nur möglicher Verfolgungsgründe die beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung ergibt, besteht nicht (BVerwG, Urteil vom 27. Juni 1989 - 9 C 1.89 -, BVerwGE 82, 171).

Der einer Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt lässt sich allerdings nicht in einzelne Bestandteile zerlegen, weil sich die meisten miteinander verwobenen Bestandteile in der Lebenswirklichkeit weitgehend gegenseitig bedingen und ergänzen. Die Risiken, bei einer Rückkehr durch Maßnahmen verschiedener Art verfolgt zu werden, dürfen daher nicht - nur - isoliert voneinander im Hinblick darauf beurteilt werden, ob jede der in Betracht kommenden - politisch motivierten - Maßnahmen für sich allein mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Maßgebend ist letztlich nicht, mit welchem Wahrscheinlichkeitsgrad der Herkunftsstaat des Asylsuchenden sich des einen oder des anderen der ihm wahlweise zur Verfügung stehenden Verfolgungsmittel bedienen wird. Entscheidend ist vielmehr, dass der Betroffene nach der mit der notwendigen richterlichen Überzeugungsgewissheit zu treffenden Gefahrenprognose mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit durch eine oder mehrere dieser Maßnahmen getroffen werden wird (BVerwG, Urteil vom 27. Juni 1989 - 9 C 1.89 -, BVerwGE 82, 171).

Dabei ist zunächst festzuhalten, dass es einem türkischen Asylbewerber nach unanfechtbarer Ablehnung seines Asylantrags zumutbar ist, sich einen türkischen Nationalpass ausstellen oder verlängern zu lassen und damit freiwillig auszureisen (OVG Berlin, Urteil vom 25. September 2003 - OVG 6 B 8.03 -, UA S. 21; OVG Münster, Urteil vom 19. April 2005 - 8 A 273/04.A -, UA S. 107; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 3. November 1992 - 9 C 21.92 -, BVerwGE 91, 150). Wird ein Pass vom türkischen Generalkonsulat erteilt, bedeutet das, dass keine aktuelle Fahndung vorliegt und die betreffende Person nicht für verdächtig erachtet wird (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 11. November 2005, S. 36 - C I 38; Kaya, Gutachten vom 17. Dezember 2002 an VG Berlin, S. 7f - A X 33 b; Taylan, Gutachten vom 20. November 2002 an VG Berlin, S. 4 - A X 33 a). Denn die Auslandsvertretungen der Türkei stellen bei Passbeantragung bezüglich der betreffenden Person bei den Heimatbehörden (zuständiges Gouverneursamt, Personenstandsamt, Polizei und Staatsanwaltschaft) Nachforschungen hinsichtlich der Identität und des Vorliegens von Hindernissen für die Ausstellung eines Passes an. Bei der Ausstellung eines Reisepasses achten die Auslandsvertretungen auch darauf, ob nachrichtendienstliche Informationen vorliegen. Wird ein Pass ausgestellt, kann daher mit Sicherheit geschlossen werden, dass der Betreffende weder wegen eines Strafverfahrens noch wegen seiner politischen Aktivität gesucht wird (Kaya, Gutachten vom 17. Dezember 2002 an VG Berlin, S. 7 - A X 33 b).

Zwar kommt - wie festgestellt - der mitgeteilten Strafnachricht eine gewisse "Signalwirkung" zu, die es selbst dann, wenn der Kläger freiwillig ausreist und sich bei der Einreise mit einem gültigen Pass ausweist, nicht ausgeschlossen erscheinen lässt, dass die türkische Grenzpolizei die (noch) im Computer gespeicherte Strafnachricht zum Anlass für eine "vorsorgliche" Befragung des Kläger nehmen könnte.

Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass sich nach dem Wiederaufflammen der Kämpfe im Südosten der Türkei die Sicherheitslage verschärft hat, was zu einer erhöhten Aufmerksamkeit auch bei der Einreise seitens der Grenzpolizei führen mag. Es ist jedoch nicht zu erkennen, dass die Verschärfung des Konflikts etwa zu einer veränderten Handhabung der Einreisekontrolle geführt hat.

Über die Auseinandersetzungen ist breit in der aktuellen Presse berichtet worden. Die Presseberichte enthalten keine Anhaltspunkte dafür, dass es über die Kampfhandlungen und Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten und damit verbunden der allgemein angespannten Lage hinaus zu einer Zunahme asylrelevanter Vorfälle gekommen ist. Den vom Bundesamt erstellten so genannten briefing notes von März und April 2006 lassen sich - ungeachtet ihrer Qualität als schlaglichtartige Zusammenfassung - ebenfalls keine Anhaltspunkte für eine Zunahme asylrelevanter Vorfälle entnehmen.

Auch der Umstand, dass das Auswärtige Amt keinen Anlass gesehen hat - wie nach der Festnahme Öcalans im Februar 1999 -, kurzfristig einen ad-hoc-Bericht zur aktuellen Lageentwicklung zu erstellen, spricht gegen die Annahme, dass es zwischenzeitlich zu einer grundlegenden Änderung des "Sicherheitskonzepts" bei der Einreise gekommen sein könnte. Das Auswärtige Amt hat vielmehr - wie bereits ausgeführt - mitgeteilt, dass die "derzeit angespanntere Lage im Südosten der Türkei aus Sicht des Auswärtigen Amts keinen Anlass zu einer grundsätzlichen Neubewertung der asylrelevanten Lage" biete. Soweit der Kläger einwendet, bei Auskünften des Auswärtigen Amtes sei deren "interessengeleitete" Ausrichtung zu beachten, bleibt der Vorwurf völlig pauschal. Anhaltspunkte dafür, dass die Auskunft nicht ordnungsgemäß abgegeben worden ist (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 29. November 1989 - 9 B 404.89 -; vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29. August 2006 - OVG 10 N 67.05 -), bestehen nicht, zumal das Auswärtige Amt zu diesem Zeitpunkt auch damit befasst war, den halbjährlichen Lagebericht zu aktualisieren und für die Veröffentlichung vorzubereiten, mithin gerade im Hinblick auf die (asylrelevanten) Konsequenzen aus den jüngsten Auseinandersetzungen im Südosten der Türkei besonders sensibilisiert war. Vor diesem Hintergrund besteht auch kein Anlass, von Amts wegen weitere Auskünfte zur aktuellen Lage bzw. die Praxis der Einreisekontrolle einzuholen.

Die Möglichkeit der "Individualisierbarkeit" bei Einreise allein auf Grund der mitgeteilten Strafnachricht genügt - wie ausgeführt - jedoch nicht, um eine beachtlich wahrscheinliche Gefahr von asylrelevanten Übergriffen zu begründen. Ebenso wenig sind die weiteren aufgezeigten Umstände - die kurdische Volkszugehörigkeit und die Asylantragstellung und damit verbunden die Behauptung angeblicher politischer Verfolgung sowie die vorgetragenen verwandtschaftlichen Beziehungen - bei einer Gesamtschau als besondere, Gefahr erhöhende Umstände anzusehen. Denn diese Umstände liegen bei einer Vielzahl von in die Türkei zurückkehrenden abgelehnten kurdischen Asylbewerbern vor. Insofern unterscheidet sich der Kläger nicht von der Masse der kurdischen Rückkehrer aus Deutschland.

IV.

Zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse im Sinne des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG (früher § 53 AuslG) sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

V.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83 b Abs. 1 AsylVfG a.F. (= § 83 b AsylVfG i.d.F. des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 5. Mai 2004). Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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