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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 30.05.2006
Aktenzeichen: OVG 10 B 5.05
Rechtsgebiete: GG, AufenthG


Vorschriften:

GG Art. 16 a
AufenthG § 60 Abs. 1 = AuslG § 51 Abs. 1
1. Es ist davon auszugehen, dass die für die Einreisekontrolle zuständigen türkischen Stellen auf Grund der übermittelten Strafnachricht und der Registrierung im zentralen Fahndungscomputer sich mit Blick auf die abstrakte Deliktsbezeichnung erschließen können und insoweit Kenntnis davon haben, dass ein wegen eines Verstoßes gegen das Vereinsgesetz Verurteilter in Deutschland eine Tat mit exilpolitischem Hintergrund begangen hat.

2. Der Umstand, dass die türkischen Stellen Kenntnis von der Verurteilung im Wege des Strafnachrichtenaustausches erlangt hat, begründet jedoch für sich genommen, wenn keine weiteren besondere Umstände zu Tage treten, kein asyl- bzw. abschiebungsschutzrechtlich relevantes Gefährdungsrisiko.

3. Der mitgeteilten Strafnachricht kommt zwar eine gewisse "Signalwirkung" dergestalt zu, dass die für die Einreise zuständigen Stellen Anlass für eine auch eingehende Befragung sehen werden.

4. Eine niedrig profilierte exilpolitische Betätigung erlangt jedoch nicht allein deshalb ein die Schwelle der Exponiertheit überschreitendes Gewicht, weil sie den türkischen Stellen im Wege des Strafnachrichtenaustausches bekannt wird.


OVG 10 B 5.05

Verkündet am 30. Mai 2006

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 10. Senat auf die mündliche Verhandlung vom 30. Mai 2006 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 7. Juli 2004 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kostenschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der am 1_____ im Kreis M_____, Provinz M_____, geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Seinen Angaben zufolge reiste er im März 1996 auf dem Landweg in einem Reisebus in die Bundesrepublik Deutschland ein.

Am 1. April 1996 stellte der Kläger beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge - jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - (Bundesamt) einen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter und wies unter Vorlage einer Heiratsurkunde darauf hin, dass seine Ehefrau N_____ - Berufungsklägerin im Verfahren OVG 10 B 4.05 - in Berlin lebe.

Im Rahmen seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 3. April 1996 trug der Kläger zur Begründung seines Asylantrags im Wesentlichen vor: Abgesehen von seiner Frau, die nach ihm ausgereist, aber vor ihm in der Bundesrepublik Deutschland angekommen sei, lebten zwei Onkel von ihm in Berlin, während seine Eltern und viele seiner Verwandten in M_____ lebten. Vor seiner Ausreise sei er nicht politisch aktiv gewesen, sondern habe als Hirte gearbeitet. Sicherheitskräfte hätten ihm beim Hüten aufgegriffen und ihm (und den anderen Hirten) vorgehalten, die PKK mit Nahrungsmitteln zu unterstützen, ihn gefesselt, die Augen verbunden und misshandelt. Als er wieder zu Bewusstsein gekommen sei, habe er feststellen müssen, dass die 200 Tiere und auch sein Kollege, der andere Hirte, getötet worden seien. Dieses Ereignis habe ungefähr zwei Monate vor seiner Ausreise stattgefunden. Als er nach diesem Überfall nach Hause zurückgekehrt sei, sei er von Sicherheitskräften festgenommen und für ungefähr zwei Wochen in einem Dorf in Gewahrsam gehalten worden. Die Festnahme sei ungefähr zehn Tage nach dem Ereignis mit den Tieren erfolgt. Man habe ihm die Augen verbunden, er habe aber erkennen können, dass er mit einem Fahrzeug transportiert worden sei. An dem Ankunftsort habe man ihn in einen Raum gebracht, in dem kaltes Wasser gestanden habe. Man habe ihn ausgezogen und ins Wasser gestoßen. Das Wasser habe ihm bis zum Hals gestanden. Dort habe er zwei Tage bleiben müssen. Dann habe man ihn mit Elektroschocks behandelt und danach in einen Raum verbracht, in dem Fäkalien waren. In der Zeit seiner Festnahme sei er nicht verhört worden. Kontakte zur PKK habe er nicht gehabt. Seine Frau sei zum Zeitpunkt der Festnahme zwar anwesend gewesen, sei aber von den Sicherheitskräften nicht beachtet worden. Nach seiner Freilassung nach ungefähr zwei Wochen sei er nach Istanbul gefahren. Während dieser Zeit sei seine Frau von Sicherheitskräften nach seinem Aufenthaltsort befragt worden. Weil sie keine Auskunft habe geben wollen, sei ihr mit Vergewaltigung gedroht worden. Sicherheitskräfte hätten auch die Schwiegertochter eines in der Nachbarschaft wohnenden Onkels seiner Ehefrau mit Vergewaltigung bedroht. Daraufhin hätten sich die Schwiegertochter wie auch der Onkel das Leben genommen. Das habe ihm seine Frau telefonisch mitgeteilt, woraufhin er sie gebeten habe, nach Istanbul zu kommen. Seinen Wehrdienst habe er noch nicht absolviert; die Einberufung sei erst für 1996 angesetzt gewesen.

Mit Bescheid vom 10. Juli 1996 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab, stellte fest, dass weder die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG noch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorlägen, und forderte den Kläger zur Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland binnen eines Monats nach Bekanntgabe bzw. Unanfechtbarkeit des Bescheides auf. Zugleich wurde dem Kläger für den Fall, dass er seiner Ausreisepflicht nicht freiwillig nachkommen sollte, die Abschiebung in die Türkei angedroht.

Der Kläger hat am 24. Juli 1996 Klage erhoben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Im Winter 1995/1996 sei er zusammen mit einem weiteren Dorfbewohner beim Hüten der Tiere von Dorfschützern und Soldaten überfallen worden, die ihm vorgeworfen hätten, die Guerilla mit Nahrungsmitteln zu unterstützen. Ihm seien die Augen verbunden worden und er sei bis zur Bewusstlosigkeit geschlagen worden. Nach Wiedererlangung des Bewusstseins habe er festgestellt, dass alle Tiere und auch der Kollege getötet worden seien. Dem Kollegen sei der Kopf abgeschlagen worden. Ungefähr zehn Tage nach diesem Ereignis sei er festgenommen, in ein dunkles Verlies gebracht und wegen des Vorwurfs der Unterstützung der PKK zwei Wochen schwerst gefoltert worden. Nach seiner Freilassung sei er nach Istanbul geflohen. Nach seiner Flucht hätten Sicherheitskräfte seine Frau nach ihm befragt und ihr mit Vergewaltigung gedroht.

Nach seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland habe er sich exilpolitisch engagiert:

Am 20. März 1997 habe er an einer kurdischen Demonstration zum Newroz-Fest teilgenommen und sei festgenommen worden. Weil der Kläger am 20. März 1997 gemeinsam mit anderen ein etwa 5 x 2 m großes Transparent hochgehalten hat, auf dem das Symbol der durch das Bundesministerium des Innern im November 1993 verbotenen ERNK abgebildet war, wurde er mit rechtskräftigem Strafbefehl des Amtsgerichts Tiergarten vom 17. Juni 1997 - 424 Cs 42/97.Jug - wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 15,- DM verurteilt.

Am 3. und 16. Juli 1999 habe er an Demonstrationen zur Freilassung von Abdullah Öcalan teilgenommen. Über diese Demonstrationen sei am 4. Juli 1999 und am 17. Juli 1999 jeweils in der Zeitung "Özgür Politika" unter Abdruck eines Fotos auf dem Titelblatt, auf dem auch er, der Kläger, zu sehen ist, berichtet worden. Auf Grund der Zeitungsartikel sei sein Vater in der Türkei für 15 Tage verhaftet und nach ihm befragt worden.

Er sei aber auch deswegen bei Rückkehr gefährdet, weil er als Militärflüchtiger bekannt sei; sein Name sei auf der im Internet veröffentlichten Liste des türkischen Militärs unter Nr. 264 aufgeführt. Ihm drohe die Aberkennung der türkischen Staatsangehörigkeit, weil er nicht innerhalb von drei Monaten seit dem Erscheinen der Liste seinen Militärdienst angetreten habe.

Abgesehen davon drohe ihm auf Grund der politischen Aktivitäten seiner Frau politische Verfolgung in Form von Sippen- und Geiselhaft. Im Verfahren OVG 10 B 4.05 / VG 36 X 617.96 hat Frau N_____ als eigene exilpolitische Aktivitäten geltend gemacht: Am 8. März 1998 habe sie an einer Demonstration anlässlich des Frauentags teilgenommen. Ihre Festnahme durch die Polizei sei in der Zeitschrift "Kurden in Berlin" mit einem Bild, auf dem sie zu erkennen sei, dokumentiert worden. Weil Frau E_____ bei der Demonstration am 8. März 1998 eine etwa 50 x 100 cm große Fahne zeigte, auf der das Symbol der durch das Bundesministerium des Innern im November 1993 verbotenen ERNK abgebildet war, wurde sie mit Strafbefehl des Amtsgerichts Tiergarten vom 17. Juni 1999 (- 272 Cs 548/99 -) wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 50,- DM verurteilt, wobei die Höhe des Tagessatzes nach Einspruch mit Urteil vom 4. Juli 2000 auf 10,- DM reduziert wurde.

Am 1. Mai 1998 habe sie an einer Mai-Demonstation in Kreuzberg teilgenommen, über die in der Zeitung "Sabah Avrupa" vom 3. Mai 1998 unter Verwendung eines Bilds, auf dem Frau E_____ zu sehen ist, berichtet worden ist. Am 19. Februar 1999 habe sie an einer Demonstration nach der Besetzung des Israelischen Generalkonsulats teilgenommen und sei auch festgenommen worden. Am 28. März 1999 habe sie an einer Demonstration für den kurdischen Fernsehsender Med TV teilgenommen, über die in der Zeitung "Özgür Politika" vom 29. März 1999 unter Verwendung eines Bilds, auf dem Frau E_____ zu sehen ist, berichtet worden ist. Am 8. März 2001 habe sie an der Veranstaltung der kurdischen Vereine Yek-Kom anlässlich des Frauentags teilgenommen, über die in der Zeitung "Özgür Politika" vom 12. März 2001 unter Verwendung eines Bilds, auf dem Frau E_____ zu sehen ist, berichtet worden ist. Am 13. September 2003 habe sie am kurdischen Kulturfestival auf der Gelsenkirchener Trabrennbahn teilgenommen, über das in einem Live-Bericht im kurdischen Fernsehsender MedTV berichtet worden ist. Der Video-Mitschnitt wurde in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 18. Mai 2004 ausschnittweise in Augenschein genommen.

Auf Nachfrage des Verwaltungsgerichts vom 24. Mai 2004 teilte das Bundesministerium für Justiz mit Schreiben vom 21. Juni 2004 mit, dass die Verurteilung des Klägers durch das Amtsgericht Tiergarten im Zentralregister nicht mehr verzeichnet, aber davon auszugehen sei, dass die Verurteilung der Türkei im Wege des Strafnachrichtenaustausches mitgeteilt worden sei. Der Eingang eines türkischen Ersuchens um Übermittlung einer Abschrift des Strafbefehls oder anderer Aktenbestandteile sei bisher nicht feststellbar.

In der mündlichen Verhandlung am 18. Mai 2004, in der dieses Verfahren gemeinsam mit dem Verfahren seiner Ehefrau N_____ (VG 36 X 617.96/OVG 10 B 4.05) verhandelt wurde, trug der Kläger vor: In der Heimat sei ihnen vorgeworfen worden, die PKK mit Lebensmitteln zu unterstützen. Sein Vater sei bedrängt worden. Sie hätten ihn immer wieder in Berge mitgenommen und wie immer in den Bergen gefoltert und (zuletzt) getötet. Er, der Kläger, sei als Schäfer tätig gewesen und habe zusammen mit zwei Freunden auf 200 Schafe aufgepasst. Eines Tages seien Soldaten auf die Weide gekommen und hätten ihn zusammengeschlagen. Nach Wiedererlangung des Bewusstseins habe er festgestellt, dass sein Schäferhund, die beiden anderen Schäfer und auch die Schafe getötet worden seien. Er habe einen Beinbruch durch die Schläge erlitten und habe einen Arzt aufsuchen müssen. Danach sei er zu Hause aufgegriffen und in die Berge mitgenommen worden. Er sei in einen Raum, in dem Wasser gestanden habe, gestellt worden und habe auch Stromstöße bekommen. Vor seiner Ausreise habe er sich drei Jahre in Istanbul aufgehalten. Sein Vater sei nach Angaben seiner Mutter am 6. Dezember 2003 tot aufgefunden worden.

Das Verwaltungsgericht hat - mit Einverständnis der Beteiligten im Wege schriftlicher Entscheidung - mit Urteil vom 7. Juli 2004, dem Kläger am 16. Juli 2004 zugestellt, die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Angaben des Klägers zu den Gründen der Ausreise ergäben kein schlüssiges, für die Ausreise ursächliches individuelles Verfolgungsschicksal und seien darüber hinaus unglaubhaft. Die Einlassung des Klägers in der mündlichen Verhandlung, dass er sich drei Jahre in Istanbul aufgehalten und im Schneiderbetrieb seines Bruders gearbeitet habe, belege, dass die behaupteten Ereignisse ungeachtet der Glaubhaftigkeit des Vortrags jedenfalls nicht kausal für die Ausreise gewesen seien. Es sei auch nicht davon auszugehen, dass der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei Rückkehr eine asylerhebliche Gefährdung wegen individueller Umstände zu befürchten hätte.

Weder Maßnahmen im Zusammenhang mit der Nichtableistung des Wehdienstes noch die vom Kläger befürchtete Ausbürgerung seien als asylerhebliche Verfolgung anzusehen. Dem Kläger drohe auch keine Gefahr wegen verwandtschaftlicher Beziehungen, da hier nicht enge verwandtschaftliche Beziehungen in Rede stünden bzw. die exilpolitischen Aktivitäten seiner Frau - ausweislich des dem Verfahrensbevollmächtigten des Klägers bekannten Urteil vom selben Tag (Urteil vom 7. Juli 2004 - VG 36 X 617.96/OVG 10 B 4.05 -) als niedrigschwellig einzustufen seien. Der Kläger selbst habe sich durch die vorgetragenen Aktivitäten nicht in besonderer Weise exilpolitisch profiliert. Das gelte auch, wenn man berücksichtige, dass der Kläger bei einer Demonstration Symbole der PKK/ERNK verwendet habe.

Der Umstand der strafgerichtlichen Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen das Vereinsgesetz begründe ebenfalls keine Rückkehrgefährdung. Türkische Staatsangehörige seien nicht allein deshalb einem höheren Verfolgungsrisiko ausgesetzt, weil sie wegen einer auf deutschem Boden begangenen Straftat mit exilpolitischem Hintergrund durch ein deutsches Strafgericht verurteilt worden seien. Zwar würden dem türkischen Justizministerium im Rahmen des Strafnachrichtenaustausches die im Bundeszentralregister eingetragenen persönlichen Daten des Betroffenen, Urteils- und Tatzeit, Aktenzeichen, Tatbezeichnung, Rechtsgrundlage, Art und Höhe der Strafe, bekannt gegeben. Angesichts der Masse der im Wege des Strafnachrichtenaustausches übermittelten Daten und des Umstands, dass das Interesse des türkischen Staates grundsätzlich nur dem Personenkreis gelte, der als Auslöser bzw. Anstifter oder Aufwiegler separatistischer Aktivitäten angesehen wird, sei der Schluss gerechtfertigt, dass der türkische Staat trotz des erfolgten Strafnachrichtenaustausches die diesbezüglichen Aktivitäten des Klägers als asyltypisch und daher nicht von besonderem Interesse ansehe. Das gelte jedenfalls dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - sich beim Bundesjustizministerium kein individuelles Auskunftsersuchen feststellen lasse.

Zur Begründung der mit Beschluss des 6. Senats des früheren Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 11. Oktober 2004 zugelassenen Berufung macht der Kläger im Wesentlichen geltend: Es sei davon auszugehen, dass die örtlich zuständige Polizei von dem Inhalt des Strafnachrichtenaustausches Kenntnis erlange und sich aus der abstrakten Deliktsbezeichnung wie auch den benannten Strafvorschriften für die türkischen Behörden Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Betroffene im Bundesgebiet sich für die "kurdische Sache" eingesetzt habe und zumindest in Kontakt mit entsprechenden illegalen Organisationen getreten sei. Dieser Umstand bewirke, dass der Kläger in erheblicher Weise aus der Gruppe kurdischer Rückkehrer hervortrete und in das Blickfeld der Sicherheitsbehörden gerate. Darüber hinaus sei - wie bereits vorgetragen - der Kläger wegen exilpolitischer Aktivitäten von nahen Angehörigen mit demselben Familiennamen gefährdet: So seien die Wohnungen seines Cousins F_____, seines Schwagers R_____, seiner Tante M_____ und seiner Schwester A_____ am 6. November 1998 wegen des Vorwurfs des Mitgliedschaft bzw. Unterstützung der PKK durch Spendensammlungen durchsucht und darüber am 7. November 1998 in der Zeitung "Özgür Politika" berichtet worden. Seine Cousine S_____ habe 1999 in Kopenhagen versucht, sich selbst zu verbrennen und nur schwer verletzt überlebt. Im Übrigen ergebe sich eine asylerhebliche Gefährdung unter dem Gesichtspunkt der Kumulation. Auch stehe zu befürchten, dass gegen den Kläger ein Strafverfahren eingeleitet werde.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 7. Juli 2004 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 10. Juli 1996 zu verpflichten festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (jetzt: § 60 Abs. 1 AufenthG) vorliegen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beteiligte hat keinen Antrag gestellt.

Unter dem 16. Juni 2005 hat der 6. Senat des früheren Oberverwaltungsgerichts Berlin beschlossen, Beweis zu erheben durch Einholung von Auskünften des Auswärtigen Amtes, von amnesty international und des Sachverständigen Herrn Serafettin Kaya zu (sieben) Fragen im Zusammenhang mit dem Strafnachrichtenaustausch, dem Datenaustausch zwischen den zuständigen Behörden und zu Erkenntnissen zur Rückkehrsituation von Personen, die in Deutschland wegen eines Verstoßes gegen das Vereinsgesetz verurteilt worden sind. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beweisbeschluss vom 16. Juni 2005 verwiesen und Bezug genommen auf die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 7. Oktober 2005, auf die Stellungnahme von amnesty international vom 21. Dezember 2005 sowie auf das Gutachten des Sachverständigen Herrn Serafettin Kaya vom 14. August 2005, das der Sachverständige mit Stellungnahme vom 26. August 2005 ergänzt hat.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Streitakte, den Verwaltungsvorgang der Beklagten, die den Kläger betreffenden Ausländerakten des Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten, die Strafakte des Amtsgerichts Tiergarten sowie die die Ehefrau des Klägers, Frau N_____, betreffende Streitakte VG 36 X 617.96/OVG 10 B 4.05 einschließlich der in diesem Verfahren vorgelegten Beiakten (Asylakte und Ausländerakte) und des Videobandes sowie die den Onkel des Klägers, Herrn M_____, betreffende Asylakte Bezug genommen. Die Akten lagen vor und sind - soweit wesentlich - Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen.

Des Weiteren wird Bezug genommen auf die den Verfahrensbeteiligten übersandte Erkenntnismittelliste des Senats (Stand März 2006) und die weiteren mit der Ladung bzw. mit gerichtlichem Schreiben vom 9., 23. und 24. Mai 2006 eingeführten Erkenntnismittel, Mitteilungen und asylrechtlichen Entscheidungen.

Entscheidungsgründe:

Die zugelassene und auch sonst zulässige Berufung ist unbegründet. Der Kläger kann nicht die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG (früher: § 51 Abs. 1 AuslG) verlangen. Diese Vorschrift kommt mit Blick auf den maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im vorliegenden Fall zur Anwendung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. Art. 15 Abs. 3 Zuwanderungsgesetz vom 30. Juli 2004 - BGBl I S. 1950).

I.

Nach § 60 Abs. 1 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 1 AufenthG schützt - ebenso wie Art. 16a Abs. 1 GG - den Personenkreis der politisch Verfolgten und dient der Umsetzung des Art. 33 Nr. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention) vom 28. Juli 1951 (BGBl. II 1953 S. 559). Seine Voraussetzungen sind mit den Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter deckungsgleich, soweit es um die Verfolgungshandlung, die geschützten Rechtsgüter und den politischen Charakter der Verfolgung geht (zu § 51 Abs. 1 AuslG: BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 1993 - 9 C 50.92 -, NVwZ 1994, 500). Auch gilt für die Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG derselbe Prognosemaßstab wie nach Art. 16 a Abs. 1 GG (zu § 51 Abs. 1 AuslG: BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 1.94 -, NVwZ 1995, 391; Urteil vom 3. November 1992 - 9 C 21.92 -, BVerwGE 91, 150).

Soweit der Schutzbereich des § 60 Abs. 1 AufenthG über den des Art. 16 a GG hinausgeht - indem nach Maßgabe des § 28 AsylVfG auch selbst geschaffene Nachfluchtgründe, gemäß § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG eine Verfolgung durch nichtstaatliche "Akteure", etwa in Bürgerkriegssituationen ein Abschiebungsverbot begründen bzw. gemäß § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG eine Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe auch dann vorliegen kann, wenn Anknüpfungspunkt allein das Geschlecht ist - liegen die hierfür maßgeblichen Voraussetzungen im vorliegenden Fall ersichtlich nicht vor.

Eine politische Verfolgung i.S.d. Art. 16 a Abs. 1 GG bzw. § 60 Abs. 1 AufenthG liegt dann vor, wenn der Asylsuchende bei einem Verbleib in seiner Heimat oder bei einer Rückkehr dorthin in Anknüpfung an seine politische Überzeugung, seine Volkszugehörigkeit, seine religiöse Grundentscheidung oder an für ihn unverfügbare Merkmale, die sein Anderssein prägen, Verfolgungsmaßnahmen zu erwarten hat, die ihn ihrer Intensität nach aus der Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen. Der eingetretenen Verfolgung steht die unmittelbar drohende Gefahr der Verfolgung gleich (BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 1980 - 1 BvR 147/80 u.a. -, BVerfGE 54, 341, 367 und Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315, 343f). Das Asylgrundrecht des Art. 16 a GG ist seinem Ansatz nach darauf gerichtet, vor politischer Verfolgung Flüchtenden Zuflucht und Schutz zu gewähren. Es setzt daher einen kausalen Zusammenhang zwischen (drohender) Verfolgung und Flucht voraus (BVerfG, Beschluss vom 26. November 1986 - 2 BvR 1058/85 -, BVerfGE 74, 51, 64). Die Ausreise muss sich als eine unter dem Druck politischer Verfolgung stattfindende Flucht darstellen (BVerwG, Urteil vom 15. Mai 1990 - 9 C 17.89 -; BVerwGE 85, 139, 140).

Die Asylberechtigung setzt eine individuelle Verfolgungsbetroffenheit des Flüchtlings voraus. Die Gefahr eigener politischer Verfolgung des Asylbewerbers kann sich allerdings auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen ergeben, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungswahrscheinlichkeit vergleichbaren Lage befindet (BVerfG, Beschluss vom 23. Januar 1991 - 2 BvR 902/85 u.a. -, BVerfGE 83, 216, 231ff; BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200, 202, 206f).

Eine solche so genannte Gruppenverfolgung hat - wie jede politische Verfolgung - zur Voraussetzung, dass die festgestellten asylrelevanten Maßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Hinzu kommen muss eine bestimmte Verfolgungsdichte, die die "Regelvermutung" eigener Verfolgung jedes einzelnen Gruppenmitglieds rechtfertigt. Hierfür genügt es nicht, dass jedes Gruppenmitglied nur möglicherweise latent oder potenziell gefährdet ist. Die Gefährdung auf Grund der Gruppenzugehörigkeit muss vielmehr aktuell sein. Hierfür ist eine so große Zahl von Eingriffshandlungen in asylrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine bloße Vielzahl solcher Übergriffe handelt (BVerwG, Urteil vom 15. Mai 1990 - 9 C 17.89 -, BVerwGE 85, 139, 142f; Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200).

Die Anerkennung als Asylberechtigter setzt weiter voraus, dass dem Betroffenen bei einer Rückkehr in seinem Heimatland bei verständiger Würdigung aller Umstände seines Falles politische Verfolgung im oben beschriebenen Sinne droht, wobei die insoweit erforderliche Prognose auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abstellen und auf einen absehbaren Zeitraum ausgerichtet sein muss (BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 1985 - 9 C 22.85 -, NVwZ 1986, 760).

Hinsichtlich der Rückkehrgefahr ist zu unterscheiden je nachdem, ob ein Asylbewerber seinen Heimatstaat auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar bevorstehender Verfolgung verlassen hat oder ob er unverfolgt ausgereist ist. Einem Asylbewerber, der als Verfolgter aus seinem Heimatland ausgereist ist, kann eine Rückkehr nur zugemutet werden, wenn die Gefahr, erneut Opfer von Verfolgung zu werden, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist, mit anderen Worten der Betroffene vor erneuter politischer Verfolgung hinreichend sicher ist (BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 1980 - 1 BvR 147/80 u.a. -, BVerfGE 54, 341, 360; Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315, 344ff). Insoweit ist bei vorverfolgten Asylbewerbern ein herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab anzulegen. Dieser gilt auch für die Beantwortung der Frage, ob ein Asylsuchender vor erneuter Verfolgung auf eine inländische Fluchtalternative verwiesen werden kann.

Asylsuchende hingegen, die ihr Heimatland unverfolgt verlassen haben, können sich auf Art. 16 a GG bzw. § 60 Abs. 1 AufenthG nur berufen, wenn ihnen bei Zugrundelegung des gewöhnlichen Prognosemaßstabs mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auf Grund von Nachfluchttatbeständen politische Verfolgung droht (BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315, 345f).

II.

Gemessen an diesen Maßstäben hat der Kläger keinen Anspruch auf abschiebungsrechtlichen Schutz gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG.

1. Der Kläger ist in seiner Heimat vor seiner Ausreise von keiner individuellen asylerheblichen Verfolgung betroffen oder bedroht gewesen. Er hat ein individuelles politisches Verfolgungsschicksal, das Anlass war, seine Heimat zu verlassen und Zuflucht in Deutschland zu suchen, nicht glaubhaft dargelegt. Insofern kann zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Begründung des Verwaltungsgerichts verwiesen werden, zumal sich der Kläger in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich nur noch auf so genannte Nachfluchtgründe berufen hat (Sitzungsniederschrift S. 3). Abgesehen davon hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf Vorhalt und Nachfrage bestätigt, dass er sich vor seiner Ausreise drei Jahre in Istanbul aufgehalten hat, so dass - wie auch das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat (UA S. 11) - der erforderliche kausale Zusammenhang zwischen den behaupteten Ereignissen und Ausreise im Jahr 1996 fehlt.

2. Dem Kläger drohte im Zeitpunkt seiner Ausreise auch keine gruppengerichtete staatliche Verfolgung. Der Senat muss im vorliegenden Fall nicht klären, ob Kurden im Zeitpunkt der Ausreise des Klägers (1996) in den östlichen und südöstlichen Landesteilen wegen ihres Volkstums als Gruppe verfolgt wurden. Denn selbst wenn dies der Fall gewesen wäre - wofür nach Auffassung des Senats allerdings nicht viel spricht - hätte der Kläger die Möglichkeit gehabt, in der Westtürkei, namentlich den dortigen Großstädten, verfolgungsfrei zu leben und hat diese Möglichkeit auch genutzt - wie der vom Kläger eingeräumte Aufenthalt über 3 Jahre bei seinem Bruder in Istanbul belegt und hat sie übrigens auch heute. Der Senat schließt sich insoweit der Rechtsprechung des früheren 6. Senats des Oberverwaltungsgerichts Berlin zur inländischen Fluchtalternative zu Beginn der 1990er Jahre an (vgl. grundlegend m.w.N. OVG Berlin, Urteil vom 14. Oktober 2003 - OVG 6 B 7.03 -).

III.

Der danach unverfolgt ausgereiste Kläger muss auch bei einer Rückkehr in die Türkei zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung befürchten. Es liegen weder objektive noch subjektive - asylrechtlich bzw. im Rahmen des § 60 Abs. 1 AufenthG relevante - Nachfluchtgründe vor.

1. Türkische Staatsangehörige werden allein wegen ihrer kurdischen Volkszugehörigkeit nicht verfolgt. Dies gilt uneingeschränkt auch für Kurden aus den traditionellen kurdischen Siedlungsgebieten. Der Senat schließt sich auch insoweit der Rechtsprechung des früheren 6. Senats des Oberverwaltungsgerichts Berlin an (vgl. grundlegend m.w.N. OVG Berlin, Urteil vom 23. Oktober 2003 - OVG 6 B 18.03 - UA S. 12). Auch unter Berücksichtigung der aktuellen Entwicklungen - insbesondere der Aufkündigung des sog. "Waffenstillstands" im Juni 2004 (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 24. November 2004 an OVG Münster - A XI 55 c; amnesty international, Stellungnahme vom 17. Dezember 2004 an OVG Münster - A XI 55 d) und der gewalttätigen Auseinandersetzungen in jüngster Zeit im Südosten der Türkei mit Todesfällen (vgl. nur Süddeutsche Zeitung vom 4. April 2006) - ist davon auszugehen, dass Kurden in der Türkei keiner Gruppenverfolgung unterliegen. Wie das Auswärtige Amt auf gerichtliche Anfrage anlässlich dieses Verfahrens am 24. Mai 2006 mitgeteilt hat, bietet die "derzeit angespanntere Lage im Südosten der Türkei ... aus Sicht des Auswärtigen Amtes keinen Anlass zu einer grundsätzlichen Neubewertung der asylrelevanten Lage". Auch den - den Beteiligten übermittelten - so genannten briefing notes des Bundesamtes lassen sich keine Anhaltspunkte entnehmen, die auf eine aktuelle Gefährdung auf Grund der Gruppenzugehörigkeit hindeuten.

2. Der Kläger muss nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit befürchten, bei einer Rückkehr in die Türkei in Anknüpfung an individuelle Merkmale oder Aktivitäten in asylerheblicher Weise verfolgt zu werden. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die im Wege des Strafnachrichtenaustausches übermittelte Verurteilung des Klägers wegen eines Verstoßes gegen das Vereinsgesetz und die weiteren vorgetragenen exilpolitischen Aktivitäten (a). Ebenso wenig ist von einer Rückkehrgefährdung des Klägers unter dem Gesichtspunkt der verwandtschaftlichen Beziehung (Sippenhaft) zu exilpolitisch aktiven, exponierten türkischen Staatsangehörigen kurdischer Volkszugehörigkeit auszugehen (b). Der Kläger hat auch keine asyl- bzw. abschiebungsschutzrechtlich relevante Verfolgung für den Fall einer etwa noch bestehenden Wehrpflicht in der Türkei zu befürchten (c). Es sind auch keine anderen Gründe vorgetragen oder zu erkennen, die bei einer Einreise in die Türkei eine asylerhebliche Gefährdung bewirken könnten (d).

a) Für den Kläger ergibt sich kein Nachfluchtgrund daraus, dass er mit rechtskräftigem Strafbefehl des Amtsgerichts Tiergarten vom 17. Juni 1997 verurteilt worden ist und türkische Behörden im Wege des Strafnachrichtenaustausches von der Verurteilung Kenntnis erlangt haben. Zwar ist davon auszugehen, dass den türkischen Stellen auf Grund des Strafnachrichtenaustausches bekannt ist, dass der Kläger wegen einer Straftat mit exilpolitischem Hintergrund rechtskräftig verurteilt worden ist. Unter Auswertung eingeführten Erkenntnismittel, insbesondere der in diesem Verfahren eingeholten Auskünfte und Gutachten erscheint es dem Senat jedoch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass dem Kläger bei Rückkehr deswegen asyl- bzw. abschiebungsschutzrechtlich relevante Verfolgungsmaßnahmen drohen.

aa) Der zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei praktizierte Strafnachrichtenaustausch findet statt auf der Grundlage des Art. 22 des für die Türkei am 22. September 1969 und für die Bundesrepublik Deutschland am 1. Januar 1977 in Kraft getretenen Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen (EuRHÜbk) vom 20. April 1959 (BGBl. 1964 II S. 1369, 1386; BGBl. 1976 II S. 1799). Im Rahmen des Strafnachrichtenaustausches unterrichtet jede Vertragspartei die andere Vertragspartei von allen, deren Staatsangehörige betreffenden strafrechtlichen (rechtskräftigen) Verurteilungen und nachfolgenden Maßnahmen, die in das Strafregister eingetragen worden sind. Inhalt der Strafnachricht sind neben den persönlichen Daten des Betroffenen das Datum der Verurteilung und der (letzten) Straftat, die Bezeichnung des erkennenden Gerichts sowie das Aktenzeichen des Verfahrens, die zur Verurteilung gelangte Straftat nebst der entsprechenden Vorschriften des Strafgesetzbuches und sonstiger strafrechtlicher Nebengesetze, Art und Höhe der verhängten Strafe und eventuelle Nebenfolgen oder Nebenstrafen (Bundesministerium der Justiz, Auskunft vom 12. März 1998 an VG Berlin - A VIII 10 b; Auskunft vom 2. März 1998 an VG Wiesbaden).

Die im Zentralregister eingetragenen Verurteilungen werden in regelmäßigen zeitlichen Abständen im Zentralrechner der Dienststelle Bundeszentralregister gesammelt und auf einem hierfür vorgesehenen Formblatt für jede einzelne Verurteilung ausgedruckt und mit einer zeitlichen Verzögerung von ca. neun bis zwölf Monaten dem zuständigen Bundesministerium der Justiz zur weiteren Abwicklung des Strafnachrichtenaustausches vorgelegt (Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, Auskunft vom 6. August 2001). Die Übermittlung der Strafnachrichten an die Türkei erfolgt mit Sammelbericht (Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, Auskunft vom 16. April 1998 an VG Freiburg - A VIII 18 b) und automatisch (Bundesministerium der Justiz, Auskunft vom 22. Mai 1998 an VG Freiburg - A VIII 18 d).

Die übermittelten Strafnachrichten werden von der Generalsicherheitsdirektion in Ankara erfasst, und die örtlich zuständige Polizeibehörde wird benachrichtigt (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 15. Mai 1998 an VG Freiburg - A VIII 18 c). Im Zusammenhang mit einem Strafnachrichtenaustausch wird eine Fahndung im zentralen Fahndungscomputer (GTB - "Zentrum zur Informationssammlung", vgl. amnesty international, Stellungnahme vom 21. Dezember 2005, S. 1 - A XII 15 d) registriert, wobei aber Auslandsvorstrafen in das türkische Vorstrafenregister nicht übernommen werden (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 7. Oktober 2005, S. 2 - A XII 15 c). Bei einer Ausschreibung zur Fahndung im Fahndungscomputer erfolgt auch eine Benachrichtigung des örtlich zuständigen Personenstandsamtes (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 15. Mai 1998 an VG Freiburg - A VIII 18 c). Die im Wege des Strafnachrichtenaustausches übermittelten Informationen werden gelöscht, wenn die vorbereitenden Ermittlungen gegen eine Person eingestellt wurden, das Strafverfahren mit einem Freispruch oder Einstellungsbeschluss endete oder die amtlich zuständige Stelle mit Blick auf die Verjährung, deren Frist abhängig von der Straftat ist, die Anweisung zur Löschung einer Fahndung erteilt (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 7. Oktober 2005, S. 3 - A XII 15 c).

Nur wenn das türkische Justizministerium ein Ersuchen gemäß Art. 4 des Zusatzprotokolls zum Europäischen Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 17. März 1978 (BGBl. 1990 II S. 124, 125; BGBl. 1991 II S. 909) an die Bundesrepublik Deutschland richtet, werden zusätzliche Informationen, z.B. Abschriften des Urteils oder der Anklageschrift übermittelt. In der Praxis der Bundesregierung werden solche Ersuchen auf der Grundlage des Art. 2 Buchst. a EuRHÜbk aber regelmäßig abgelehnt, wenn sich das Ersuchen auf strafbare Handlungen bezieht, die vom ersuchenden Staat als politische oder als mit solchen zusammenhängende strafbare Handlungen angesehen werden (Bundesministerium der Justiz, Auskunft vom 22. Mai 1998 an VG Freiburg - A VIII 18 d; Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, Auskunft vom 16. April 1998 an VG Freiburg - A VIII 18 b; Bundesministerium der Justiz, Auskunft vom 8. August 1997 an VG Gießen - A VII 48 d; Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, Auskunft vom 27. Juni 1997 an VG Gießen - A VII 48 b).

bb) Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die für die Einreisekontrolle zuständigen türkischen Stellen auf Grund der übermittelten Strafnachricht und der Registrierung im zentralen Fahndungscomputer sich mit Blick auf die abstrakte Deliktsbezeichnung erschließen können und insoweit Kenntnis davon haben, dass der Kläger in Deutschland eine Tat mit exilpolitischem Hintergrund begangen hat. Eine Rückkehrgefährdung des Klägers erscheint jedoch auch mit Blick auf die konkrete Ausgestaltung der türkischen Grenzkontrollen bei der Einreise nicht beachtlich wahrscheinlich.

(1) Bei der Einreise in die Türkei hat sich jeder türkische Staatsangehörige - wie jede andere in die Türkei einreisende Person auch - an der Grenze einer Personenkontrolle zu unterziehen. Ein türkischer Staatsangehöriger, der über ein gültiges türkisches, zur Einreise berechtigendes Reisedokument verfügt, kann die Grenzkontrolle, insbesondere am Flughafen im Normalfall ungehindert passieren.

Wird den für die Einreisekontrolle zuständigen Stellen bei der Personenüberprüfung bekannt, dass es sich um eine abgeschobene Person handelt, so wird der Betroffene einer Routinekontrolle unterzogen, die einen Abgleich mit dem Fahndungsregister nach strafrechtlich relevanten Umständen und eine eingehende Befragung beinhalten kann (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 11. November 2005, S. 36 - C I 38). Die Fragen der Vernehmungsbeamten beziehen sich regelmäßig auf Personalienfeststellung unter Abgleich mit der Personenstandsbehörde und dem Fahndungsregister, Grund und Zeitpunkt der Ausreise aus der Türkei, Grund der Abschiebung, eventuelle Vorstrafen in Deutschland, Asylantragstellung und Kontakte zu illegalen türkischen Organisationen. Die betroffene Person wird während dieser Zeit in den Diensträumen der jeweiligen Polizeiwache festgehalten (Kaya, Gutachten vom 17. März 1997 an VG Stuttgart, S. 6 - A VII 25; Oberdiek, Gutachten vom 5. Mai 1999 an VG Stuttgart, S. 3 - A IX 26 a; Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 19. Mai 2004, S. 44 - C I 36). Die Ermittlungen dienen der Feststellung nicht nur der Personalien des Rückkehrers, sondern auch seiner politischen Einstellung. Wenn sich bei der Befragung Anhaltspunkte für eine Unterstützung der PKK bzw. ihrer Nachfolgeorganisationen oder anderer illegaler Organisationen ergeben, wird die betreffende Person den zuständigen Sicherheitsbehörden übergeben (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 20. März 2002, S. 43f - C I 33). Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass der Kläger bei der Einreise in die Türkei einer eingehenden Kontrolle seitens der für die Einreise zuständigen Stellen unterzogen werden wird.

(2) Der Umstand, dass die türkischen Stellen Kenntnis von der Verurteilung des Klägers im Wege des Strafnachrichtenaustausches erlangt hat, begründet jedoch für sich genommen, wenn keine weiteren besonderen Umstände zu Tage treten, kein asyl- bzw. abschiebungsschutzrechtlich relevantes Gefährdungsrisiko (OVG Koblenz, Urteil vom 18. Februar 2000 - 10 A 11821.98 -, NVwZ-Beilage 2000, 84, juris-Ausdruck S. 7ff; so wohl auch OVG Koblenz, Urteil vom 19. Februar 1999 - 10 A 10408.98 -, juris-Ausdruck S. 5f; vgl. zum Strafnachrichtenaustausch auch OVG Münster, Urteil vom 12. Juli 2005 - 8 A 780/04.A -, UA S. 36; Urteil vom 19. April 2005 - 8 A 273/04.A -, UA S. 85f; Urteil vom 31. März 1998 - 25 A 5198/96.A -, NVwZ-Beilage 1998, 93; VGH Mannheim, Urteil vom 5. April 2001 - A 12 S 198.00 -, juris-Ausdruck S. 16f; VGH Kassel, Beschluss vom 21. März 2001 - 12 UZ 602.01.A -, juris-Ausdruck S. 2; Urteil vom 13. Dezember 1999 - 12 UE 2984.97.A -, juris-Ausdruck S. 52ff; OVG Lüneburg, Urteil vom 17. März 1998 - 11 L 2203.96 -, juris-Ausdruck S. 3).

Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Weimar (Urteil vom 18. Dezember 2003 - 3 KO 275/01 -, ThürVGRspr 2005, 98 - UA S. 18ff unter ausdrücklichen Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung [Urteil vom 29. Mai 2002 - 3 KO 540/97 -]) folgt allein aus der Kenntnis "vom gesamten Inhalt der Strafnachricht" (UA S. 22) nicht, dass der Kläger von den zuständigen türkischen Stellen als ernst zu nehmender Regimegegner angesehen wird und er - mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit - nach der Einreise asylerheblichen Übergriffen aus ausgesetzt wäre. Übrigens ist in der Sache am 25. April 2006 vor dem Oberverwaltungsgericht Weimar - nach Zurückverweisung (BVerwG, Beschluss vom 22. Dezember 2004 - 1 B 83.04 -, Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 59) - ein Vergleich geschlossen worden ist, wonach die bisherigen Entscheidungen "gegenstandslos" sind, "soweit das Verfahren noch anhängig ist" (- 3 KO 90/05 -).

Die Fallkonstellationen erscheinen nicht vergleichbar, da sich der Kläger in dem seinerzeit vom Oberverwaltungsgericht Weimar entschiedenen Fall "exilpolitisch in nicht nur untergeordneter Weise betätigt hat" (UA S. 23), mithin - anders als im vorliegenden Fall (dazu unter [3]) - weitere besondere Umstände bei der Beurteilung der Rückkehrgefährdung zu berücksichtigen waren. Soweit das Oberverwaltungsgericht Weimar, das ausdrücklich offen ließ, ob bei der Einreise mit über eine Routinekontrolle hinausgehenden Maßnahmen zu rechnen ist, als allein entscheidungserheblich darauf abstellte, dass der Betroffene im Falle seiner Rückkehr "nach Istanbul, an seinen letzten Wohnort in der Türkei, dort Verfolgungsmaßnahmen durch die türkischen Sicherheitsbehörden ausgesetzt sein würde" (UA S. 22), überzeugt diese Einschätzung angesichts der zu dem hiesigen Verfahren eingeholten Stellungnahme von amnesty international nicht. Zwar hält amnesty international im Fall der unbehelligten Einreise eine Verfolgung nicht für ausgeschlossen, sieht eine solche Gefahr aber als "geringer" an und meint darüber hinaus, dass die Gefahr, dass der Kläger "landesweit in das Fadenkreuz von Polizei und Geheimdienst gerät ... aber wahrscheinlich eher" auf "ein Zusammentreffen unglücklicher Umstände" zurückzuführen sei "und nicht das Ergebnis einer systematischen Fahndung" (amnesty international, Stellungnahme vom 21. Dezember 2005, S. 2 und 3 - A XII 15 d). Im Übrigen unterscheiden sich die Fallkonstellationen auch, weil es dem aus der Provinz M_____ stammenden Kläger grundsätzlich zumutbar ist, erneut im Westen der Türkei seinen Aufenthalt zu nehmen, so dass er nicht dem unmittelbaren Zugriff der (ursprünglich) örtlich zuständigen Polizeibehörde ausgesetzt wäre.

Zwar ist davon auszugehen, dass der Kläger bei der Einreise aufgrund der mitgeteilten Strafnachricht Nachfragen zum Hintergrund der Straftat zu gegenwärtigen hat. Sofern sich der türkischen Grenzpolizei aufgrund der Befragung Anhaltspunkte hinsichtlich des Tatgeschehens erschließen, ist auch davon auszugehen, dass dem Kläger eine gewisse Nähe zur PKK unterstellt und er als (ehemaliger) Sympathisant der PKK angesehen werden könnte. Bei Würdigung der Gesamtumstände des Falls kann jedoch nicht - mit der gebotenen beachtlichen Wahrscheinlichkeit - davon ausgegangen werden, dass sich ein solcher allgemeiner Verdachtsmoment aus Sicht der türkischen Stellen dahingehend "verdichtet", dass der Kläger als ernst zu nehmender und zu bekämpfender Gegner des türkischen Staates angesehen würde.

Der mitgeteilten Strafnachricht dürfte jedenfalls eine gewisse "Signalwirkung" dergestalt zukommen, dass die für die Einreise zuständigen Stellen Anlass für eine auch eingehende Befragung sehen werden. Die türkischen Stellen haben jedoch zum Zeitpunkt der Befragung keine konkreten Informationen über das der Verurteilung zugrunde liegende Tatgeschehen, da - wie sich aus der vom Verwaltungsgericht eingeholten Auskunft des Bundesministeriums für Justiz vom 21. Juni 2004 ergibt - nicht davon ausgegangen werden kann, dass von türkischer Seite ein Ersuchen gestellt worden ist. Rückschlüsse über eine "staatsschutzbezogene" Gefährlichkeit der Tathandlung lassen sich auf der Grundlage des Inhalts der Strafnachricht nicht ziehen (OVG Münster, Urteil vom 19. April 2005 - 8 A 273/04.A -, UA S. 86).

Vor allem aber ist für die Prognose einer beachtlich wahrscheinlichen Verfolgungsgefahr aufgrund von Auslandsaktivitäten zu beachten, dass das Interesse des türkischen Staats nicht der Masse der Teilnehmer und Mitläufer exilpolitischer Aktivitäten gilt, sondern dem Personenkreis, der als Auslöser solcher Aktivitäten und als Organisator von derartigen Veranstaltungen und als Anstifter und Aufwiegler angesehen wird (OVG Berlin, Urteil vom 25. September 2003 - OVG 6 B 8.03 -, UA S. 16). Nur türkische Staatsangehörige, die im Ausland in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der Türkei verbotene Organisation tätig sind und sich nach türkischen Gesetzen strafbar gemacht haben, laufen Gefahr, dass sich die türkischen Behörden und die Justiz mit ihnen befassen (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 11. November 2005, S. 27 - C I 38).

Das bedeutet zugleich, dass eine niedrig profilierte exilpolitische Betätigung nicht allein deshalb ein die Schwelle der Exponiertheit überschreitendes Gewicht erlangt, weil sie den türkischen Stellen im Wege des Strafnachrichtenaustausches bekannt wird (OVG Münster, Urteil vom 27. Juni 2002 - 8 A 4782/99.A -, UA S. 66ff; Urteil vom 12. Juli 2005 - 8 A 780/04.A -, UA S. 36).

Anhaltspunkte für die Annahme einer - mit der beachtlichen Verfolgungsgefahr verbundenen - exilpolitischen Exponiertheit bilden im Fall von Informationen im Wege des Strafnachrichtenaustausches mangels Kenntnis des zugrunde liegenden Tatvorwurfs die in der Strafnachricht mitgeteilte Art und Höhe der Strafe und der Zeitpunkt der Tat.

Es liegt dabei auf der Hand, dass die zuständigen türkischen Stellen bei einer über viele Jahre zurückliegenden Tat - sofern keine zusätzlichen Umstände hinzutreten - die Notwendigkeit einer eingehenden Überprüfung geringer einschätzen, als wenn es sich um eine zeitlich aktuelle Tat handelt. Dass sich das Interesse der türkischen Stellen mit Blick auf den Zeitpunkt der Tat verändert, erscheint dem Senat auch deswegen nahe liegend, weil insoweit auch Verjährungsfristen als Strafverfolgungshindernisse greifen können. Dabei geht der Senat im vorliegenden Fall - mangels anderer Anhaltspunkte - zugunsten des Klägers davon aus, dass die Mitteilung über die Verurteilung im Computer noch nicht gelöscht worden ist. Es dürfte für die für die Einreisekontrolle zuständigen Stellen jedoch ohne weiteres erkennbar sein, dass die Tat inzwischen verjährt ist, da seit dem Zeitpunkt der Tat gut neun Jahre vergangen sind. Denn selbst wenn der Verstoß gegen das Vereinsgesetz - bei Kenntnis des zugrunde liegenden Tatvorwurfs und ungeachtet der Frage, ob überhaupt gemäß Art. 11, 13 tStGB n.F. ein Strafverfahren in der Türkei eingeleitet werden könnte - als Straftat gemäß Art. 7 Abs. 2 ATG (Antiterrorgesetz = Gesetz Nr. 3713) angesehen würde, wäre die Tat, da sie vor 2005 begangen wurde, gemäß der insoweit anwendbaren alten Fassung des türkischen Strafgesetzbuches nach fünf Jahren verjährt (Kaya, Gutachten vom 14. August 2005, S. 6 - A XII 15 a - und 26. August 2005, S. 2 - A XII 15 b). Angesichts des Strafrahmens gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG, wonach die Tat mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bestraft werden kann, dürfte der Umstand, dass lediglich im Wege eines Strafbefehls eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen verhängt worden ist, es auch aus Sicht der türkischen Stellen nahe legen, dass es sich bei dem Kläger nicht um einen exponierten "Rädelsführer" handelt.

(3) Es sind auch keine weiteren besonderen Umstände zutage getreten, die das mit der abstrakten Deliktsbezeichnung verbundene Verdachtsmoment in jüngerer Zeit aktualisiert hätten. Zwar hat der Kläger im Juli 1999 an zwei Demonstrationen teilgenommen, über die in der Presse unter Verwendung eines Gruppenbilds, auf dem unter anderem auch der Kläger abgebildet ist, berichtet worden ist. Eine Gefährdung wegen exilpolitischer Betätigung bei einer Rückkehr in die Türkei kommt jedoch nur bei politisch exponierten Personen in Betracht. Von einer solchen Exponiertheit ist im Fall des Klägers nicht auszugehen.

Dabei ist weiterhin davon auszugehen, dass die türkischen Sicherheitskräfte die exilpolitischen Aktivitäten türkischer Staatsangehöriger in Deutschland und im übrigen Europa mit großer Aufmerksamkeit verfolgen (OVG Berlin, Urteil vom 25. September 2003 - OVG 6 B 8.03 -, UA S. 16; OVG Münster, Urteil vom 19. April 2005 - 8 A 273/04.A -, UA S. 81f).

Der unter militärischer Leitung stehende Nationale Nachrichtendienst der Türkei (Milli Istihbarat Teskilati - MIT) (vgl. nur Kaya, Gutachten vom 18. März 1998 an VG Frankfurt (Oder), S. 1f - A VIII 11 b; ders., Gutachten vom 18. November 1998 an VG Sigmaringen, S. 2 - A VIII 65 b; ders., Gutachten vom 15. Mai 2001 an VG Schleswig-Holstein, S. 4 - A X 11 c; Rumpf, Gutachten vom 18. Februar 1999 an VG Ansbach, S. 48ff - A IX 6) ist nach wie vor in Deutschland aktiv und sammelt insbesondere über die türkischen Auslandsvertretungen und andere Gewährspersonen sowie durch die Auswertung von Publikationen und Bildmaterial Informationen über die politischen Aktivitäten türkischer Staatsangehöriger. Es ist jedoch davon auszugehen, dass angesichts der Vielzahl von Veranstaltungen, Demonstrationen und weiteren Aktionen, des breiten Spektrums der verschiedenen Gruppierungen sowie der zum Teil großen Anzahl der jeweils beteiligten Personen nicht angenommen werden kann, dass eine lückenlose Erfassung aller exilpolitische Aktivitäten erfolgt oder auch nur angestrebt wird. Die Aufklärungsarbeit türkischer Nachrichtendienste in Deutschland konzentriert sich vielmehr auf exilpolitische Aktivitäten, die nach türkischem Recht strafbar sind und beschränkt sich - schon wegen der Vielzahl solcher Aktivitäten - auf die Personen, die sich dabei profiliert exponiert haben: Nur derjenige, der politische Ideen und Strategien entwickelt oder zu deren Umsetzung mit Worten oder Taten von Deutschland aus hinwirkt und damit Einfluss insbesondere auf seine hier lebenden Landsleute zu nehmen versucht, ist aus der Sicht des türkischen Staates ein ernstzunehmender politischer Gegner, den es zu beobachten und gegebenenfalls zu bekämpfen gilt. Es muss sich mithin um eine mit einer gewissen Regelmäßigkeit und Intensität agierende Person handeln, die darüber hinaus entweder eine gewisse organisatorische Verantwortung besitzt oder in der Agitation nach außen einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt hat. Eine solche exponierte Stellung fehlt bei massenhaft vorkommenden pro-kurdischen Aktivitäten. Bei derartigen Massenphänomenen tritt der Beitrag des Einzelnen in den Hintergrund. Dementsprechend ist davon auszugehen, dass die Teilnahme an gering profilierten exilpolitischen Aktivitäten den türkischen Behörden in der Regel nicht bekannt wird und selbst im Falle ihres Bekanntwerdens keine Verfolgungsmaßnahmen auslöst. Dazu gehören alle Tätigkeiten von untergeordneter Bedeutung. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass der Beitrag des Einzelnen entweder - wie bei Großveranstaltungen - kaum sichtbar oder zwar noch individualisierbar ist, aber hinter den zahllosen deckungsgleichen Beiträgen anderer Personen zurück tritt. Als Beispiele für exilpolitische Tätigkeiten, die nicht geeignet sind, die Aufmerksamkeit staatlicher türkischer Stellen zu erregen und den Asylbewerber zu gefährden (exilpolitische Tätigkeiten niedrigen Profils) sind zu nennen die schlichte Mitgliedschaft in kurdischen Vereinen und die damit verbundene Teilnahme an Vereinsveranstaltungen, die Zahlung von Mitgliedsbeiträgen und Spenden, die einfache Teilnahme an Demonstrationen, Hungerstreiks, Autobahnblockaden, Informationsveranstaltungen oder Schulungsseminaren, die Verteilung von Flugblättern und der Verkauf von Zeitschriften, die Betreuung von Informationsständen und das Verfassen von namentlich gezeichneten Artikeln und Leserbriefen in türkischsprachigen Zeitungen (vgl. Rumpf, Gutachten vom 18. Februar 1999 an VG Ansbach, S. 49 - A IX 6; Auswärtiges Amt, Auskunft vom 2. September 1999 an VG Kassel, S. 2 - A IX 47 b; Auswärtiges Amt, Auskunft vom 4. Juni 1999 an VG Bremen, S. 2 - A IX 32 b; Kaya, Gutachten vom 24. April 2003 an VG Wiesbaden, S. 1f - A XI 13).

Von der Differenzierung, dass im Fall von nicht exponierten exilpolitischen Aktivitäten keine asylerhebliche Rückkehrgefährdung besteht, geht auch die gefestigte obergerichtliche Rechtsprechung aus (OVG Berlin, Urteil vom 20. November 2003 - OVG 6 B 11.03 -, UA S. 24f; Urteil vom 14. Oktober 2003 - OVG 6 B 7.03 -, UA S. 30ff; OVG Koblenz, Urteil vom 18. November 2005 - 10 A 10580.05 -, juris-Ausdruck S. 9f; OVG Saarland, Urteil vom 28. September 2005 - 2 R 2.05 -, juris-Ausdruck S. 8; OVG Münster, Urteil vom 19. April 2005 - 8 A 273/04.A -, UA S. 79ff; Urteil vom 12. Juli 2005 - 8 A 780/04.A -, UA S. 19ff; Urteil vom 3. Dezember 2003 - 8 A 451/02.A -, juris-Ausdruck S. 5ff; OVG Greifswald, Urteil vom 29. November 2004 - 3 L 66.00 -, UA S. 7f; VGH Mannheim, Urteil vom 22. März 2001 - A 12 S 280/00 -, UA S. 24f; OVG Bremen, Urteil vom 17. März 1999 - OVG 2 BA 118/94 -, UA S. 94f; OVG Hamburg, Urteil vom 19. März 1997 - Bf V 10/91 -, juris-Ausdruck S. 18ff).

Gemessen an diesem Maßstab liegen die vom Kläger vorgetragenen Aktivitäten weit unterhalb der Gefährdungsschwelle. Das gilt sowohl für die Teilnahme an den zwei Demonstrationen im Juli 1999 und die Berichte mit Abbildung des Klägers in der Zeitung "Özgür Politika" als auch für die Verurteilung des Klägers wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz vom 17. Juni 1997 durch das Amtsgericht Tiergarten. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist die bloße Teilnahme an Demonstrationen - auch wenn sie unter Verwendung von Symbolen der PKK/ERNK erfolgt - als niedrigschwellige exilpolitische Aktivität einzustufen. Von weiteren exilpolitischen Aktivitäten hat der Kläger weder in der mündlichen Verhandlung vom 18. Mai 2004 berichtet, noch in der Folgezeit dem Senat dazu vorgetragen. Angesichts des Umstands, dass der Kläger nur ganz vereinzelt aktiv war und jedenfalls in den letzten sieben Jahren - nach seinen eigenen Angaben - keine weiteren Aktivitäten entfaltet hat, erscheint es fern liegend, dass er im Rahmen der türkischen Auslandsbeobachtung aufgefallen sein könnte bzw. dass die hier ansässigen türkischen Stellen den Kläger als einen ernstzunehmenden Verfechter der kurdischen Sache oder als Informationsträger in Bezug auf die im Bundesgebiet agierenden pro-kurdischen Organisationen ansehen und ihn den entsprechenden Stellen in der Türkei "gemeldet" haben könnten.

Verfolgungshandlungen gegenüber kurdischen Rückkehrern erfassen zwar im Einzelfall auch einfache Anhänger und Mitglieder der PKK oder vergleichbarer Organisationen. Dem Auswärtigen Amt ist jedoch seit fast vier Jahren kein einziger Fall bekannt, in dem ein aus der Bundesrepublik Deutschland in die Türkei zurückgekehrter abgelehnter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt wurde (Lagebericht vom 11. November 2005, S. 36f - C I 38; vgl. auch Lagebericht vom 3. Mai 2005, S. 33f - C I 37; Lagebericht vom 19. Mai 2004, S. 44f - C I 36). Das deckt sich mit der Auskunft von amnesty international, wonach bis ungefähr zum Jahre 2000 mehrfach kurdische Rückkehrer, selbst wenn sie nur auf sehr niedrigem Niveau politisch aktiv gewesen seien, nach ihrer Abschiebung in die Türkei festgenommen und gefoltert worden seien, in den letzten Jahren derartige Fälle aber nicht mehr bekannt geworden seien (amnesty international, Stellungnahme vom 21. Dezember 2005, S. 2f - A XII 15 d). Auch Kaya bestätigt die Feststellungen des Auswärtigen Amtes (Kaya, Gutachten vom 8. August 2005 an VG Sigmaringen, S. 9f - A XII 13 d).

Der Gutachter Kaya geht zwar davon aus, dass wenn den türkischen Sicherheitskräften der Hintergrund der im Wege des Strafnachrichtenaustausches mitgeteilten Tat bekannt wird, die betroffene Person auch festgenommen und verhört wird (Kaya, Gutachten vom 14. August 2005, S. 6 - A XII 15 a). Auch ist zu beachten, dass nach Auskunft des Auswärtigen Amtes eine im Ausland verurteilte Person, auch wenn die Strafe im Ausland schon vollstreckt wurde, bei der Einreise in die Türkei festgenommen und der Staatsanwaltschaft vorgeführt wird (Auskunft vom 7. Oktober 2005, S. 2 - A XII 15 c); wobei in der Auskunft nicht nach Art der Straftat differenziert wird.

Bezogen auf die konkrete Fallkonstellation hat Kaya jedoch weiter berichtet, dass er in der Presse keine Fallbeispiele habe recherchieren können, in denen eine Person, die in Deutschland verurteilt wurde, bei der Einreise in die Türkei auf den Verdacht hin, dass sie Mitglied in einer illegalen Organisation sei, festgenommen und verhört worden wäre (Kaya, Gutachten vom 14. August 2005, S. 6 - A XII 15 a). Auch amnesty international liegen hinsichtlich des Falls einer Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen das Vereinsgesetz keine Beispiele für das Schicksal abgeschobener Personen in die Türkei vor (amnesty international, Stellungnahme vom 21. Dezember 2005, S. 2 - A XII 15 d).

Auch der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung überreichte Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (<Zeynel Aydin / Michael Kirschner>, Türkei: Rückkehr eines ehemaligen PKK-Aktivisten, der aufgrund der politischen Tätigkeiten, Unterstützung und vermuteten Mitgliedschaft bei der PKK angeklagt, verurteilt und inhaftiert wurde, Gutachten der SFH-Länderanalyse, Bern, 23. Februar 2006) belegt keine beachtliche Rückkehrgefährdung. Denn die in dem Bericht beschriebenen Gefährdungslagen beziehen sich im Wesentlichen auf ehemalige Mitglieder bzw. "Aktivisten" der PKK bzw. ihrer Nachfolgeorganisationen und Personen, die wegen früherer Aktivitäten verurteilt wurden. Zu diesem Personenkreis gehört der Kläger nicht. Im Übrigen wird ausdrücklich in der Zusammenfassung festgehalten: "Für PKK-SympathisantInnen besteht keine allgemeine Gefahr bei einer Rückkehr", wobei es im Einzelfall "aber auch zu Problemen (Verhaftung, Verhöre, Observierung) kommen kann" (S. 11).

Es ist auch davon auszugehen, dass Fälle, in denen es zu Festnahmen und asylrelevanten Übergriffen im Anschluss an die Einreisekontrolle gekommen ist, (inzwischen) bekannt werden. Denn wenn eine Person bei der Einreise festgenommen werden soll, bedarf es - den neuen gesetzlichen Bestimmungen zufolge - der Zustimmung der Republikanischen Staatsanwaltschaft, und die Angehörigen der Person müssen über die Festnahme informiert werden (Kaya, Gutachten vom 14. August 2005, S. 8 - A XII 15 a; ders., Gutachten vom 8. August 2005 an VG Sigmaringen, S. 9f - A XII 13 d). Die betroffene Person hat das Recht, bei den Verhören einen Rechtsanwalt beizuziehen. Ist ein Rechtsanwalt zugegen, so ist es nach Einschätzung des Gutachters Kaya "nicht denkbar, dass diese Person unter Folter verhört wird", auch wenn es möglich sei, "dass psychischer Druck auf sie ausgeübt wird und dass sie nicht nach zivilisierten Maßstäben behandelt wird" (Kaya, Gutachten vom 14. August 2005, S. 8 - A XII 15 a). Die Benachrichtigung von Angehörigen und der Zugang zu einem Rechtsanwalt sollen nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen mittlerweile in aller Regel gewährleistet sein (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 11. November 2005, S. 32 - C I 38).

Die Tatsache, dass von keinen Referenzfällen berichtet wird, ist für die Frage der beachtlichen Wahrscheinlichkeit auch insofern bedeutsam, als angesichts der bis zu der - bereits genannten - Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Weimar vom 18. Dezember 2003 (- 3 KO 275/01 -, ThürVGRspr 2005, 98) einheitlichen obergerichtlichen Rechtsprechung, wonach aus der Übermittlung einer Strafnachricht nicht auf ein beachtliches Verfolgungsrisiko geschlossen werden könne, eine Vielzahl von abgelehnten Asylbewerbern, die wegen eines Verstoßes gegen das Vereinsgesetz verurteilt worden sind, in die Türkei zurückgekehrt bzw. abgeschoben worden sein dürften. Zahlenmaterial liegt hierzu zwar nicht vor. Aber bereits der Umstand, dass beim Senat fünf (zugelassene) Berufungsverfahren zu dieser Fallkonstellation anhängig sind, legt es nahe, dass es sich jedenfalls hierbei nicht um eine ungewöhnliche und vereinzelt gebliebene Rückkehrkonstellation handelt. Wenn jedoch von einer nicht zu vernachlässigen Anzahl solcher Rückkehrfälle ausgegangen werden muss, spricht - auch unter Berücksichtigung der von amnesty international angeführten allgemeinen Dunkelziffer - der Umstand, dass keine Referenzfälle bekannt sind, gegen die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer asylerheblichen Gefährdung bei der Einreise.

Hinzu kommt, dass - wie dargelegt - die Tat wie auch die exilpolitischen Aktivitäten im Jahr 1999 lediglich Ausdruck einer niedrig profilierten exilpolitischen Aktivität ist. Das rechtfertigt - mit Blick auf den Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit - die Annahme, dass das Interesse der zuständigen türkischen Stellen an der Person des Klägers eher niedrig sein dürfte. Insofern unterscheidet sich der Kläger nicht von der Masse der Rückkehrer, denen regelmäßig ein exilpolitisches, wenn auch untergeordnetes Engagement unterstellt wird.

b) Eine Rückkehrgefährdung des Klägers ergibt sich auch nicht aus dem Gesichtspunkt der verwandtschaftlichen Beziehung (Sippenhaft) zu exilpolitisch aktiven Kurden.

Der Senat schließt sich insoweit der Rechtsprechung des früheren 6. Senats des Oberverwaltungsgerichts Berlin an, der in dem - dem Verfahrensbevollmächtigten des Klägers bekannten - Urteil vom 20. November 2003 (- OVG 6 B 11.03 -), das Herrn M_____ betraf und der als "Sippenhaftvermittler" ebenfalls Herrn F_____, Herrn R_____ und Frau S_____ genannt hatte (UA. S. 26), zur Frage der Sippenhaft grundsätzlich ausgeführt hat:

"Eine Sippenhaft findet in Form strafrechtlicher Verfolgung in der Türkei nicht statt (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 7. September 1999, C I 30; Auswärtiges Amt, Auskunft vom 31. März 1999 an VG Mainz, A IX 10 b; amnesty international, Gutachten vom 22. Juli 1996 an VG Stuttgart, A V 41 b; VGH Mannheim, Urteil vom 24. Februar 2000 - A 12 S 1825/97 -, S. 32). Die Gefahr von asylerheblichen Repressalien in Anknüpfung an verwandtschaftliche Beziehungen kann allerdings für nahe Angehörige von in der Türkei landesweit per Haftbefehl gesuchten Aktivisten militanter und staatsfeindlicher Organisationen bestehen (Kaya, Gutachten vom 27. Januar 1999 an VG Mainz, A IX 10 a; Rumpf, Gutachten vom 24. Juli 1998 an VG Berlin S. 18 ff., A VIII 8 d.; ders. Gutachten an VG Hamburg vom 15. Mai 1997, A VI 39 d; Vernehmung des eheml. Bundesvorsitzenden der Kurdischen Gemeinde in Deutschland, Verhandlungsniederschrift vom 15. Januar 2003 des VG Gießen, A XI 1). Zu den von den türkischen Sicherheitskräften Gesuchten können auch im Ausland lebende, exilpolitisch in zentraler Leitungsfunktion tätige Ausländer gehören. Der Kreis der in diesem Sinne von einer "Sippenverfolgung" bedrohten Personen ist dabei nach Überzeugung des Senats auch unter Berücksichtigung der vereinzelt anzutreffenden abweichenden Rechtsprechung einzelner Verwaltungsgerichte in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung der übrigen Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe bei der Einreise in die Türkei auf Ehegatten, Kinder und Geschwister der Gesuchten, deren verwandtschaftliche Beziehungen mit den Gesuchten aufgrund der Eintragungen im Personalausweis erkenntlich sind, beschränkt (vgl. OVG Bautzen, Urteil vom 27. Februar 1997 - A 4 S 293/96; OVG Bremen, Urteil vom 13. Juni 2001 - 2 A 17/95.A; VGH Kassel, Urteil vom 29. November 2002 - 6 UE 2235/98.A -; OVG Lüneburg, Urteil vom 11. Oktober 2000 - 2 L 4591/94; VGH Mannheim, Urteil vom 24. Februar 2000 - A 12 S 1825/97; OVG Münster, Urteil vom 27. Juni 2002 - 8 A 4782/99.A). Bei weitläufigeren Verwandten können hingegen die Verwandtschaftsverhältnisse nicht so leicht über Eintragungen im Personalausweis oder im Personenstandsregister in Erfahrung gebracht werden (Kaya, Gutachten vom 16. März 1997 an VG Gießen, A VII 24; Taylan, Gutachten vom 15. Mai 1997 an VG Gießen, A VII 90). Um derartige Verwandtschaftsverhältnisse festzustellen, müssen aufwändige Nachforschungen bis "hinunter" zum Heimatort angestellt werden (Kaya, Gutachten vom 16. März 1997, a.a.O; Taylan, Gutachten vom 15. Mai 1997, a.a.O.). Eine systematische Kontrolle unter dem Gesichtspunkt der "Sippenhaft" ist daher schon aus praktischen Gründen allenfalls eingeschränkt möglich. Eine solche Praxis ist auch nach dem dem Senat vorliegenden Erkenntnismaterial nicht bekannt. Die Einreisekontrollen beschränken sich auf die Prüfung von Einreiseverboten oder Fahndungsersuchen, die den Rückkehrer selbst betreffen. So besteht nach Einschätzung von Kaya nur eine "geringe Wahrscheinlichkeit", dass Verwandte zweiten und dritten Grades bei den Einreisekontrollen unter Druck gesetzt werden (Gutachten vom 16. März 1997, ebenso Taylan, Gutachten vom 15. Mai 1997, jeweils a.a.O). Sogar für die engsten Verwandten einer exilpolitisch tätigen Person, deren exponiertes Engagement auf eine Gefährdung der eigenen Person bei einer Wiedereinreise schließen lässt, besteht nach dem vorliegenden Erkenntnismaterial keine Gefährdung bei der Einreise (Kaya, Gutachten vom 15. Dezember 2001 an VG Berlin, A X 25 für Ehefrau und Kinder). Dies gilt auch bei Anerkennung naher Angehöriger in Deutschland als Asylberechtigte oder der Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG (Taylan, Gutachten vom 20. Mai 1995 an VG Mainz, A V 18 b; Kaya, Gutachten vom 10. Mai 1995 an VG Mainz, A V 18 c; vgl. OVG Münster, Urteil vom 27. Juni 2002 - 8 A 4782/99.A S. 83; ebenso: VGH Mannheim, Urteil vom 10. November 1999 - A 12 S 2013/97, S. 30; VGH Kassel, Urteil vom 29. November 2002 - 6 UE 2235/98.A). Insbesondere kann in diesen Fällen nicht regelmäßig vom Vorliegen gezielter polizeilicher oder staatsanwaltlicher Ermittlungen gegen den betreffenden Angehörigen ausgegangen werden. Dies gilt zumal dann, wenn die Ausreise bereits längere Zeit zurückliegt und sich der Angehörige auf Dauer in Deutschland niedergelassen hat. Ein Angehöriger ist auch nicht von vornherein und zwangsläufig dem Verdacht ausgesetzt, er teile die politischen Auffassungen naher Angehöriger oder habe sich an dessen Aktionen beteiligt (Kaya, Gutachten vom 22. Juni 1994 an VG Regensburg, A IV 12 a; Auswärtiges Amt, Auskunft vom 16. August 1994 an VG Regensburg, A IV 12 d)."

Gemessen an diesem Maßstab muss der Kläger weder bei seiner Einreise noch bei einer Aufenthaltsnahme in der Westtürkei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit politischer Verfolgung unter dem Gesichtspunkt der "Sippenhaft" rechnen. Die vom Kläger als "Sippenhaftvermittler" genannten Verwandten, der Cousin F_____, der Schwager R_____, die Tante M_____ und die Cousine S_____, gehören schon nicht zum Personenkreis der nahen Angehörigen. Wie bereits der frühere 6. Senats des Oberverwaltungsgerichts Berlin mit Urteil vom 20. November 2003 festgestellt hat (- OVG 6 B 11.03 -, UA 29), dürfte der vorgelegte Bericht in der "Özgür Politika" vom 7. November 1998 über eine Durchsuchung bei den Genannten F_____ und der Schwester A_____ wegen des Verdachts der Unterstützung der PKK schon nicht genügen, um eine Rückkehrgefährdung der Betroffenen selbst zu begründen, geschweige denn vermag er nach dem dargelegten Maßstab die Annahme einer Sippenhaftgefährdung für nahe stehende oder gar für nicht nahe stehende Verwandte zu begründen. Der Selbstverbrennungsversuch von Frau S_____ in Kopenhagen ist ebenfalls nicht geeignet, den Kläger zu gefährden. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zur weiteren Begründung auf das Urteil vom 20. November 2003 verwiesen (- OVG 6 B 11.03 -, UA S. 29). Im Übrigen sind - ungeachtet des Verwandtschaftsgrades - Übergriffe jedenfalls auch dann nicht beachtlich wahrscheinlich, wenn sich der "Sippenhaftvermittler" dauerhaft mit einem gesicherten Aufenthaltsstatus - wie im Fall des Cousins F_____ und des Schwagers R_____- im Ausland aufhält (VGH Kassel, Urteil vom 29. November 2002 - 6 UE 2235/98.A -, juris-Ausdruck S. 21).

Ob sich die Praxis des Zugriffs auf nahe Angehörige von landesweit gesuchten Aktivisten einer militanten staatsfeindlichen Organisation zwischenzeitlich geändert hat und auch nicht mehr von der beachtlichen Wahrscheinlichkeit asylerheblicher Übergriffe auf nahe Verwandte ausgegangen werden kann (so OVG Münster, Urteil vom 19. April 2005 - 8 A 273/04.A -, UA S. 99-103 unter ausdrücklicher Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung), kann dahin gestellt bleiben.

Denn die Ehefrau kommt nur dann als "Sippenhaftvermittler" in Betracht, wenn die von ihr vorgetragenen exilpolitischen Aktivitäten bei einer Gesamtwürdigung von vergleichbarem politischen Gewicht sind wie eine militante und staatsfeindliche Betätigung in der Türkei selbst (OVG Münster, Urteil vom 27. Juni 2002 - 8 A 4782/99.A -, UA S. 83; vgl. auch VGH Mannheim, Urteil vom 24. Februar 2000 - A 12 S 1825.97 -, UA S. 34). Sogar für die engsten Verwandten einer exilpolitisch tätigen Person, deren exponiertes Engagement auf eine Gefährdung der eigenen Person bei einer Wiedereinreise schließen lässt, besteht nach dem vorliegenden Erkenntnismaterial keine Gefährdung bei der Einreise (OVG Berlin, Urteil vom 20. November 2003 - OVG 6 B 11.03 -, UA S. 28).

Die Ehefrau des Kläger behauptet selbst nicht, dass es sich bei ihr um eine landesweit gesuchte Aktivistin einer militanten staatsfeindlichen Organisation handelt. Ebenso wenig ist zu erkennen, dass die von ihr vorgetragenen exilpolitischen Aktivitäten von vergleichbarem politischen Gewicht sind wie eine militante und staatsfeindliche Betätigung in der Türkei selbst. Abgesehen davon erscheint es nahe liegend, dass eine Rückkehr in die Türkei im Familienverbund erfolgen dürfte und Frau E_____ dann den für die Einreisekontrolle zuständigen Stellen selbst für eine Befragung zur Verfügung stehen würde (vgl. dazu auch OVG Saarland, Urteil vom 28. September 2005 - 2 R 2.05 -, juris-Ausdruck S. 8), so dass auch ein besonderes "Informationsinteresse" hinsichtlich der Person des Klägers fern liegend erscheint.

Unter Zugrundelegung des bereits aufgezeigten Maßstabs zur Differenzierung zwischen profilierten und nicht exponierten exilpolitischen Aktivitäten ist schon nicht zu erkennen, dass die von Frau E_____ - im Verfahren OVG 10 B 4.05 / VG 36 X 617.96 - vorgetragenen Aktivitäten einschließlich ihrer Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen das Vereinsgesetz aus Sicht der türkischen Stellen den Schluss nahe legen könnten, dass es sich bei ihr um eine ernst zu nehmende politische Gegnerin handelt, die es zu beobachten und bekämpfen gilt. Die Ehefrau des Klägers, auf deren Vernehmung als präsente Zeugin die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung verzichtet haben, hat sich weder durch die Teilnahme an den - über die Jahre 1998, 1999, 2001 und 2003 verteilten - Demonstrationen noch durch die diesbezüglichen, mit Fotografien von ihr versehenen Presseberichte bzw. auf Grund des Berichts im Fernsehsender Med-TV über das kurdische Kulturfestival auf der Gelsenkirchener Trabrennbahn am 13. September 2003 in besonderer Weise profiliert. Diese Aktivitäten sind - wie bereits das Verwaltungsgericht im Verfahren VG 36 X 617.96 festgestellt hat - als exilpolitische Tätigkeiten anzusehen, die nicht geeignet sind, die Aufmerksamkeit staatlicher türkischer Stellen zu erregen. Der Senat war auch nicht gehalten, den Video-Mitschnitt in Augenschein zu nehmen, da das Verwaltungsgericht nach Inaugenscheinnahme in der mündlichen Verhandlung ausweislich der Sitzungsniederschrift die Aufnahmen - soweit sie Frau E_____ betreffen - anschaulich zusammengefasst hat.

Der Umstand, dass die für die Einreisekontrollen zuständigen türkischen Stellen Kenntnis von der Verurteilung der Ehefrau wegen eines Verstoßes gegen das Vereinsgesetz im Wege des Strafnachrichtenaustausches haben, dürfte ebenso wie im Fall des Klägers zwar dazu führen, dass sich auch Frau E_____ einer eingehenden Befragung ausgesetzt sehen dürfte. Ebenso wie im Fall des Klägers kann jedoch mit Blick auf den Strafrahmen (Geldstrafe von 20 Tagessätzen), den Zeitpunkt der Tat wie auch den Umstand, dass keine weiteren besonderen Umstände zutage getreten sind, die das mit der abstrakten Deliktsbezeichnung verbundene Verdachtsmoment in jüngerer Zeit aktualisiert hätten, da sich Frau E_____ - wie ausgeführt - nicht erkennbar exilpolitisch profiliert hat, davon ausgegangen werden, dass das Interesse der zuständigen türkischen Stellen an der Person von Frau E_____ eher niedrig sein dürfte und sie nicht als ernst zu nehmende Gegnerin und "Rädelsführerin" angesehen wird.

c) Der Kläger hat keine asyl- bzw. abschiebungsschutzrechtlich relevante Verfolgung im Zusammenhang mit der Erfüllung der allgemeinen Wehrpflicht zu befürchten.

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass in der Heranziehung zum Wehrdienst nicht schon für sich allein politische Verfolgung liegt und dies auch für den Wehrdienst in weltanschaulich totalitären Staaten gilt. Eine politische Verfolgung kann nur dann angenommen werden, wenn besondere Umstände hinzutreten, aus denen sich ergibt, dass mit der Heranziehung zum Wehrdienst auch beabsichtigt ist, Wehrpflichtige wegen asylerheblicher Merkmale, insbesondere wegen einer wirklichen oder vermuteten, von der herrschenden Staatsdoktrin abweichenden politischen Überzeugung zu treffen (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Dezember 1988 - 9 C 22.88 - BVerwGE 81, 41, 42ff). Die Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung ist ebenfalls asylrechtlich neutral und schlägt erst dann in eine politische Verfolgung um, wenn sie nicht nur der Durchsetzung einer gesetzlich allgemein festgelegten staatsbürgerlichen Pflicht und Sicherung der Wehrfähigkeit dienen, sondern ihrer objektiven Gerichtetheit nach an ein asylerhebliches Persönlichkeitsmerkmal anknüpft oder aber die Anwendung einer Strafvorschrift in der Praxis zum Anlass genommen wird, auf derartige asylerhebliche Merkmale zuzugreifen (vgl. dazu nur BVerwG, Urteil vom 24. November 1992 - 9 C 70.91 - NVwZ 1993, 789, 790).

Türkischen Staatsangehörigen kurdischer Volkszugehörigkeit droht weder bei der Ableistung des Wehrdienstes noch mit Blick auf eine Festnahme und mögliche Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung politische Verfolgung in der Türkei (OVG Berlin, Urteil vom 6. April 2005 - OVG 6 B 3.04 -, UA S. 31-34; OVG Münster, Urteil vom 19. April 2005 - 8 A 273/04.A -, UA S. 74ff; VGH Kassel, Urteil vom 29. November 2002 - 6 UE 2235/98.A -, juris-Ausdruck S. 17ff; VGH Kassel, Beschluss vom 14. Dezember 2001 - 6 UE 3681/98.A -, juris-Ausdruck S. 12f; OVG Münster, Urteil vom 27. Juni 2002 - 8 A 4782/99.A -, UA S. 55ff; VGH Mannheim, Urteil vom 17. Juli 2001 - A 12 S 199.00 -, juris-Ausdruck S. 11f; OVG Bremen, Urteil vom 30. Mai 2001 - 2 A 346/99.A -, UA S. 14ff; OVG Koblenz, Urteil vom 26. Januar 2001 - 10 A 11907/00 -, juris-Ausdruck S. 8f; OVG Saarland, Beschluss vom 22. November 2000 - 9 Q 231.99 -, juris-Ausdruck S. 1f; OVG Greifswald, Urteil vom 22. April 1999 - 3 L 3/95 -, juris-Ausdruck S. 25; OVG Lüneburg; Urteil vom 22. Januar 1998 - 11 L 4300.96 -, juris-Ausdruck S. 4ff; OVG Bautzen, Urteile vom 27. Februar 1997 - A 4 S 434.96 und A 4 S 293.96 -). Bei der Heranziehung zum Wehrdienst handelt es sich um eine allgemeine staatsbürgerliche Pflicht, der alle männlichen türkischen Staatsangehörigen ungeachtet ihrer ethnischen Zugehörigkeit in gleicher Weise unterworfen werden.

Der Wehrpflicht unterliegen Männer vom Beginn des Jahres, in dem sie das 20. Lebensjahr vollenden, bis zum Beginn des Jahres, in dem sie das 38. Lebensjahr vollenden. Die Wehrpflichtzeit endet jedoch nicht, solange der Wehrdienst noch nicht angetreten worden ist. Nach dem Wehrpflichtgesetz (Gesetz Nr. 1111 vom 12. Juni 1927, vgl. Rumpf, Gutachten vom 23. Januar 2001 an VG Augsburg, S. 41f - A X 4 b; BAFl, Militärdienst in der Türkei, August 1997, S. 4ff - B III) gibt es Rückstellungsmöglichkeiten aus verschiedensten Gründen (Auswärtiges Amt, Auskünfte vom 8. Dezember 2005 an VG Berlin - A XII 22 und an das VG Freiburg - A XII 23). Ein Recht zur Verweigerung des Wehrdienstes besteht nicht. Für Wehrpflichtige im Ausland gibt es die Möglichkeit, nach Ableistung einer dreiwöchigen Grundausbildung von der Ableistung des restlichen Wehrdienstes gegen Bezahlung eines Betrages in Höhe von umgerechnet 5.112,- € befreit zu werden. Ab einem Lebensalter vom 39 Jahren erhöht sich der Betrag auf umgerechnet 7.668,- € und die Pflicht zur Ableistung der Grundausbildung entfällt (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 11. November 2005, S. 25 - C I 38).

Das unentschuldigte Nichterscheinen zur Musterung oder zum Wehrdienst wird nach Art. 63 des türkischen Militärstrafgesetzbuches bestraft (Rumpf, Gutachten vom 6. Juli 2001 an das VG Gießen, S. 1f - A X 19; ders. Gutachten vom 23. Januar 2001 an VG Augsburg, S. 43f - A X 4 b). Bei Wehrdienstentziehung wird von der Wehrbehörde die Eintragung eines Suchvermerks veranlasst (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 11. August 2004 an VG Freiburg, S. 3 - A XI 47), wobei solche Suchvermerke seit Ende 2004 nicht mehr im Personenstandsregister eingetragen werden (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 11. November 2005, S. 25 - C I 38). Nach Einschätzung von Oberdiek wird "(d)iese Strafbestimmung aber kaum angewandt, d.h. wenn der Kläger sich nicht als beharrlicher Kriegsdienstverweigerer verhält, der ins Ausland ging, um seinen Wehrdienst nicht ableisten zu müssen, wird es wohl kaum zur Eröffnung des Verfahrens kommen" (Oberdiek, Gutachten vom 6. Juni 2004 an das VG Weimar, S. 4 - A XI 41 a; vgl. auch Schweizerische Flüchtlingshilfe <Regula Kienholz>, Türkei: Zur aktuellen Situation, Mai 2005, S. 17 - B V). Nach Auskunft der Schweizerische Flüchtlingshilfe "ist niemand bei der Rückkehr in die Türkei sofort verhaftet und an ein Militärgericht überwiesen oder sogleich in den Militärdienst geschickt worden" (Schweizerische Flüchtlingshilfe <Denise Graf>, Türkei: Zur aktuellen Situation, Juni 2003, S. 38 - B V). Ein Betroffener muss jedoch davon ausgehen, wegen der Wehrdienstentziehung vorübergehend festgehalten zu werden (Schweizerische Flüchtlingshilfe <Regula Kienholz>, Türkei: Zur aktuellen Situation, Mai 2005, S. 17 - B V; Oberdiek, Gutachten vom 6. Juni 2004 an VG Weimar, S. 3 - A XI 41 a; Kaya Gutachten vom 20. Juli 2004 an VG Weimar, S. 1ff - A XI 41 b; Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 11. November 2005, S. 36 - C I 38). In der Regel werden diese Personen aber nach höchstens 24 Stunden entlassen und ihnen wird eine kurze Frist gewährt, um sich bei der zuständigen Militärbehörde zu melden und ihre militärische Situation zu regeln (Schweizerische Flüchtlingshilfe <Denise Graf>, Türkei: Zur aktuellen Situation, Juni 2003, S. 38 - B V). Zwar berichtet die Schweizerische Flüchtlingshilfe davon, dass für Wehrdienstflüchtlinge innerhalb der Türkei ein Risiko von Menschenrechtsverletzungen bestehe, wenn sie zuerst von der politischen Polizei aufgegriffen werden (Schweizerische Flüchtlingshilfe <Denise Graf>, Türkei: Zur aktuellen Situation, Juni 2003, S. 38 - B V). Fälle von asylrelevanten Übergriffen bei Wehrdienstflüchtlingen, die in die Türkei zurückkehren oder abgeschoben werden und keine Besonderheiten aufweisen, sind dagegen auch nach dieser Quelle in der jüngeren Vergangenheit nicht bekannt geworden. Der von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe berichtete (eine) Fall, "wo eine Person allein aufgrund ihrer Herkunft aus einer bestimmten Provinz ... gefoltert" worden ist, zeichnet sich durch die Besonderheit aus, dass die Person "in ein Verfahren wegen PKK-Unterstützung im Militärdienst involviert worden ist" (Schweizerische Flüchtlingshilfe <Denise Graf>, Türkei: Zur aktuellen Situation, Juni 2003, S. 38 - B V). Das deckt sich mit der Einschätzung von amnesty international, dass in Fällen, "in denen Wehrdienstentzug das einzige Verdachtsmoment einer möglichen oppositionellen Tätigkeit kurdischer Volkszugehöriger darstellt ... die Einleitung von Verfolgungsmaßnahmen ...weniger wahrscheinlich" erscheint (amnesty international, Auskunft vom 23. November 2000 an VG Augsburg, S. 3 - A X 4 a).

Vor diesem Hintergrund ist zwar davon auszugehen, dass eine Bestrafung des Klägers, dessen Name auf der Internet-Liste vom 2. Mai 1998 aufgeführt ist, wegen Wehrdienstentziehung in Betracht kommt. Es ist jedoch nicht zu erkennen, dass bei einer etwaigen Bestrafung (allein) an die kurdische Volkszugehörigkeit angeknüpft würde. Ebenso wenig lassen sich den Erkenntnismitteln Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der Kläger bei der Einreise wegen Wehrdienstentziehung asyl- bzw. abschiebungsschutzrechtlich relevanten Übergriffen ausgesetzt wäre. Insbesondere ist der Kläger - wie dargelegt - auch nicht durch das vorgetragene exilpolitische Engagement bzw. die Verurteilung in Deutschland in besonderer Weise "aufgefallen".

Dem Kläger droht auch im Fall der Einberufung zum Wehrdienst nach Rückkehr keine politische Verfolgung.

Männliche türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit werden im Allgemeinen nicht anders behandelt als andere Wehrpflichtige, auch wenn im Laufe der Auseinandersetzungen mit der PKK kurdenkritische Tendenzen im Militär aufgetreten sein mögen (BAFl, Militärdienst in der Türkei, August 1997, S. 11 - B III). Zwar ist der Dienst in den türkischen Streitkräften hart und schließt auch körperliche Züchtigungen ein, deren konkretes Ausmaß letztlich davon abhängt, in welcher Einheit und unter welchem Vorgesetzten der Dienst zu leisten ist (OVG Münster, Urteil vom 19. April 2005 - 8 A 273/04.A -, UA S. 76). Diese Unwägbarkeiten betreffen jedoch alle Wehrpflichtigen unabhängig von ihrer Volkszugehörigkeit. Es ist nicht zu erkennen, dass Kurden während der Ableistung ihres Wehrdienstes in der türkischen Armee generell schlechter behandelt würden als nichtkurdische Soldaten und in nennenswertem Umfang Maßnahmen ausgesetzt seien, die über das beim türkischen Militär Übliche hinausgehen (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 11. November 2005, S. 25 - C I 38). Der Umstand, dass wehrpflichtige Kurden nach Änderung der früheren Praxis auch im Osten der Türkei eingesetzt werden können, ist ebenfalls nicht asylerheblich. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sie gegen ihren Willen und gerade in Anknüpfung an ihre ethnische Zugehörigkeit gezielt im Kampf gegen Kurden eingesetzt werden (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 11. November 1998 an VG Gelsenkirchen, S. 1f - A VIII 74; amnesty international, Stellungnahme vom 24. Juli 1998 an VG Wiesbaden, S. 2ff - A VII 75 b; OVG Münster, Urteil vom 27. Juni 2002 - 8 A 4782/99.A -, UA S. 57ff).

Ebenso wenig wäre die vom Kläger befürchtete Ausbürgerung wegen der Wehrdienstentziehung als ein Akt der politische Verfolgung anzusehen.

Nach Art. 25 c des Türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes (Gesetz Nr. 403 - tStAG -) kann einer Person, die sich im Ausland aufhält und ihrer Wehrpflicht trotz veröffentlichter Aufforderung nicht nachkommt, auf Antrag des zuständigen Ministeriums durch den Ministerrat die Staatsangehörigkeit aberkannt werden (Kaya, Gutachten vom 30. Januar 2004 an VG Freiburg, S. 12 - A XI 30). Das betrifft nach neuerer Praxis die Wehrpflichtigen, die - anders als der Kläger - das 38. Lebensjahr vollendet haben (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 11. November 2005, S. 25 - C I 38). Eine Anknüpfung an ein asylerhebliches Merkmal ist ebenso wenig wie bei der Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung erkennbar (OVG Münster, Urteil vom 19. April 2005 - 8 A 273/04.A -, UA S. 78; OVG Saarland, Urteil vom 1. Dezember 2004 - 2 R 15/03 -, juris-Ausdruck S. 6, 9f; OVG Lüneburg, Urteil vom 26. November 2002 - 2 L 7632.94 -, juris-Ausdruck S. 7f; vgl. zur Ausbürgerung als Maßnahme politischer Verfolgung: BVerwG, Urteil vom 24. Oktober 1995 - 9 C 3.95 -, AuAS 1996, 44). Art. 25 c tStAG stellt eine ordnungsrechtliche Sanktion für die Verletzung der alle türkischen Wehrpflichtigen gleichermaßen treffende Pflicht zur Ableistung des Militärdienstes dar. Abgesehen davon, dass nach der Ausbürgerung eine Wiedereinbürgerung nach der Regelung über den Freikauf möglich ist, sollen im Übrigen - einem aktuellen Pressebericht zufolge - im Rahmen einer Reform des Staatsangehörigkeitsrechts Wehrdienstverweigerer "künftig nicht mehr automatisch ausgebürgert werden" (taz vom 15. März 2006), was dafür spricht, dass die angekündigte Novellierung (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 11. November 2005, S. 25 - C I 38) nunmehr zu "gesetzgeberische Aktivitäten" führt.

d) Es sind auch keine anderen Gründe vorgetragen oder zu erkennen, die bei einer Einreise in die Türkei eine asylerhebliche Gefährdung bewirken könnten.

aa) Die Tatsache der Asylantragstellung, die nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes bei der Einreise regelmäßig nicht verborgen bleibt und im vorliegenden Fall auch im Rahmen der eingehenden Befragung zu Tage treten dürfte, ist als solche kein Umstand, der geeignet wäre, bei den türkischen Stellen Argwohn gegen den Betreffenden zu erwecken. Den türkischen Behörden ist bekannt, dass viele ihrer Landsleute aus wirtschaftlichen Gründen einen Asylantrag stellen, um in den Genuss eines sonst nicht gegebenen Aufenthaltsrechts in Deutschland zu kommen. Die Behauptung angeblicher politischer Verfolgung ist ebenfalls bekannt und grenzt den Betroffenen noch nicht als illoyal aus (OVG Berlin, Urteil vom 25. September 2003 - OVG 6 B 8.03 -, UA S. 19). Weitere, über die aufgezeigten Gründe hinausgehende Gesichtspunkte, die für die Frage der Rückkehrgefährdung relevant sein könnten, sind weder vorgetragen noch zu erkennen.

bb) Auch bei einer Gesamtschau aller geltend gemachten bzw. aufgezeigten Gründe individueller Art lassen sich Besonderheiten im Fall des Klägers, die zur beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer abschiebungsschutzrechtlich relevanten Rückkehrgefährdung führen könnten, nicht feststellen.

Die Frage der Rückkehrgefährdung ist regelmäßig umfassend und unter Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalles, also auch im Hinblick darauf zu überprüfen, ob sich aus verschiedenen unterschiedlichen Aktivitäten des Asylbewerbers oder sonstigen Gründen bei einer Gesamtbetrachtung eine Rückkehrgefährdung ergibt. Das bedeutet jedoch nicht, dass die demnach notwendige Gesamtschau des jeweiligen Lebenssachverhalts im Sinne einer Addition mehrerer, im einzelnen jeweils asylrechtlich nicht beachtlicher Gründe "automatisch" zur Anerkennung als Asylberechtigter führt. Eine Zwangsläufigkeit dahingehend, dass sich aus der bloßen Summierung mehrerer nur möglicher Verfolgungsgründe die beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung ergibt, besteht nicht (BVerwG, Urteil vom 27. Juni 1989 - 9 C 1.89 -, BVerwGE 82, 171).

Der einer Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt lässt sich allerdings nicht in einzelne Bestandteile zerlegen, weil sich die meisten miteinander verwobenen Bestandteile in der Lebenswirklichkeit weitgehend gegenseitig bedingen und ergänzen. Die Risiken, bei einer Rückkehr durch Maßnahmen verschiedener Art verfolgt zu werden, dürfen daher nicht - nur - isoliert voneinander im Hinblick darauf beurteilt werden, ob jede der in Betracht kommenden - politisch motivierten - Maßnahmen für sich allein mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Maßgebend ist letztlich nicht, mit welchem Wahrscheinlichkeitsgrad der Herkunftsstaat des Asylsuchenden sich des einen oder des anderen der ihm wahlweise zur Verfügung stehenden Verfolgungsmittel bedienen wird. Entscheidend ist vielmehr, dass der Betroffene nach der mit der notwendigen richterlichen Überzeugungsgewissheit zu treffenden Gefahrenprognose mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit durch eine oder mehrere dieser Maßnahmen getroffen werden wird (BVerwG, Urteil vom 27. Juni 1989 - 9 C 1.89 -, BVerwGE 82, 171).

Dabei ist zunächst festzuhalten, dass es einem türkischen Asylbewerber nach unanfechtbarer Ablehnung seines Asylantrags zumutbar ist, sich einen türkischen Nationalpass ausstellen oder verlängern zu lassen und damit freiwillig auszureisen (OVG Berlin, Urteil vom 25. September 2003 - OVG 6 B 8.03 -, UA S. 21; OVG Münster, Urteil vom 19. April 2005 - 8 A 273/04.A -, UA S. 107; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 3. November 1992 - 9 C 21.92 -, BVerwGE 91, 150). Wird ein Pass vom türkischen Generalkonsulat erteilt, bedeutet das, dass keine aktuelle Fahndung vorliegt und die betreffende Person nicht für verdächtig erachtet wird (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 11. November 2005, S. 36 - C I 38; Kaya, Gutachten vom 17. Dezember 2002 an VG Berlin, S. 7f - A X 33 b; Taylan, Gutachten vom 20. November 2002 an VG Berlin, S. 4 - A X 33 a). Denn die Auslandsvertretungen der Türkei stellen bei Passbeantragung bezüglich der betreffenden Person bei den Heimatbehörden (zuständiges Gouverneursamt, Personenstandsamt, Polizei und Staatsanwaltschaft) Nachforschungen hinsichtlich der Identität und des Vorliegens von Hindernissen für die Ausstellung eines Passes an. Bei der Ausstellung eines Reisepasses achten die Auslandsvertretungen auch darauf, ob nachrichtendienstliche Informationen vorliegen. Wird ein Pass ausgestellt, kann daher mit Sicherheit geschlossen werden, dass der Betreffende weder wegen eines Strafverfahrens noch wegen seiner politischen Aktivität gesucht wird (Kaya, Gutachten vom 17. Dezember 2002 an VG Berlin, S. 7 - A X 33 b).

Zwar kommt - wie festgestellt - der mitgeteilten Strafnachricht eine gewisse "Signalwirkung" zu, die es selbst dann, wenn der Kläger freiwillig ausreist und sich bei der Einreise mit einem gültigen Pass ausweist, nicht ausgeschlossen erscheinen lässt, dass die türkische Grenzpolizei die (noch) im Computer gespeicherte Strafnachricht zum Anlass für eine "vorsorgliche" Befragung des Kläger nehmen könnte.

Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass sich nach dem Wiederaufflammen der Kämpfe im Südosten der Türkei die Sicherheitslage verschärft hat, was zu einer erhöhten Aufmerksamkeit auch bei der Einreise seitens der Grenzpolizei führen mag. Es ist jedoch nicht zu erkennen, dass die Verschärfung des Konflikts etwa zu einer veränderten Handhabung der Einreisekontrolle geführt hat.

Über die Auseinandersetzungen ist breit in der aktuellen Presse berichtet worden. Die Presseberichte enthalten keine Anhaltspunkte dafür, dass es über die Kampfhandlungen und Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten und damit verbunden der allgemein angespannten Lage hinaus zu einer Zunahme asylrelevanter Vorfälle gekommen ist. Den vom Bundesamt erstellten so genannten briefing notes von März und April 2006 lassen sich - ungeachtet ihrer Qualität als schlaglichtartige Zusammenfassung - ebenfalls keine Anhaltspunkte für eine Zunahme asylrelevanter Vorfälle entnehmen. Auch der Umstand, dass das Auswärtige Amt keinen Anlass gesehen hat - wie nach der Festnahme Öcalans im Februar 1999 -, kurzfristig einen ad-hoc-Bericht zur aktuellen Lageentwicklung zu erstellen, spricht gegen die Annahme, dass es zwischenzeitlich zu einer grundlegenden Änderung des "Sicherheitskonzepts" bei der Einreise gekommen sein könnte. Das Auswärtige Amt hat vielmehr - wie bereits ausgeführt - mitgeteilt, dass die "derzeit angespanntere Lage im Südosten der Türkei aus Sicht des Auswärtigen Amts keinen Anlass zu einer grundsätzlichen Neubewertung der asylrelevanten Lage" biete. Vor diesem Hintergrund besteht auch kein Anlass von Amts wegen weitere Auskünfte zur aktuellen Lage bzw. die Praxis der Einreisekontrolle einzuholen.

Die Möglichkeit der "Individualisierbarkeit" bei Einreise allein auf Grund der mitgeteilten Strafnachricht genügt - wie ausgeführt - jedoch nicht, um eine beachtlich wahrscheinliche Gefahr von asylrelevanten Übergriffen zu begründen. Ebenso wenig sind die weiteren aufgezeigten Umstände - die kurdische Volkszugehörigkeit, die niedrig profilierten exilpolitischen Aktivitäten des Klägers wie auch die seiner Ehefrau, die Wehrdienstentziehung, die Asylantragstellung und damit verbunden die Behauptung angeblicher politischer Verfolgung - bei einer Gesamtschau als besondere, Gefahr erhöhende Umstände anzusehen. Denn diese Umstände liegen bei einer Vielzahl von in die Türkei zurückkehrenden abgelehnten (männlichen) kurdischen Asylbewerbern vor. Insofern unterscheidet sich der Kläger nicht von der Masse der kurdischen Rückkehrer aus Deutschland.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83 b AsylVfG. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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