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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 23.11.2006
Aktenzeichen: OVG 10 L 3.06
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO, BbgBO 1998, BbgBO 2003


Vorschriften:

VwGO § 161 Abs. 2
VwGO § 172
ZPO § 887
BbgBO 1998 § 86 Abs. 1
BbgBO 2003 § 78 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 10 L 3.06

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 10. Senat durch den Vizepräsidenten des Oberverwaltungsgerichts und die Richterinnen am Oberverwaltungsgericht und am 23. November 2006 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Vollstreckungsgläubiger gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 18. Mai 2006 wird zurückgewiesen.

Der Antrag der Vollstreckungsgläubiger auf gerichtliche Auferlegung eines Zwangsgeldes wird abgelehnt.

Die Vollstreckungsgläubiger tragen die Kosten des Beschwerde- und des Antragsverfahrens als Gesamtschuldner.

Gründe:

I.

Die Beteiligten hatten zur Beendigung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens 3 L 869/00, mit welchem sich die Vollstreckungsgläubiger als Nachbarn gegen die Baugenehmigung für die auf dem Grundstück S_____ in E_____ belegene Sporthalle gewandt hatten, einen gerichtlichen Vergleich - unter Einbeziehung der Gemeinde E_____ - geschlossen. In dem Vergleich ist unter Ziffer 1 und 3 vereinbart worden:

"1. Die Gemeinde E_____ verpflichtet sich, den hinteren Bereich des Grundstücks S_____ ... in Höhe der südlichen Wand des Schulhortes durch einen Zaun vom übrigen bzw. südlichen Teil des vorgenannten Grundstücks abzutrennen. Für die Errichtung des hieran anschließenden Zaunes im Bereich zwischen der westlichen Wand des streitgegenständlichen Vorhabens und der westlichen Grenze des Grundstücks S_____ zeichnet der Antragsgegner im Einvernehmen mit der Gemeinde E_____ verantwortlich. Es wird bei der Erstellung des Zaunes sichergestellt, dass die Hortkinder den Schulhort erreichen können.

...

3. Der Antragsgegner verpflichtet sich, nach Fertigstellung der Doppelsporthalle auf dem Grundstück S_____ und Realisierung der begleitenden Maßnahmen der Gemeinde E_____ (vgl. Ziffer 1.), die Lärmbelastung auf dem Grundstück der Antragsteller fachkundig zu überprüfen (Messungen) und für den Fall, dass hierbei unzumutbare Lärmbelastungen in Form der Überschreitung der maßgeblichen Grenzwerte (18. Bundesimmissionsschutzverordnung - Sportstättenlärmschutzverordnung im Bereich reiner Wohngebiete) festgestellt werden, geeignete Lärmschutzmaßnahmen in Absprache mit den Antragstellern zu realisieren."

Den am 31. März 2005 erhobenen Antrag der Vollstreckungsgläubiger, den das Verwaltungsgericht sinngemäß umformuliert hat,

"sie gemäß Ziffer 3 des Vergleichs ... zu ermächtigen, auf Kosten des Vollstreckungsschuldners durch fachkundige Messungen auf ihrem Grundstück überprüfen zu lassen, ob durch den Betrieb der Doppelsporthalle sowie der Schule auf dem Nachbargrundstück die Lärmgrenzwerte gemäß der 18. Bundesimmissionsschutzverordnung ... überschritten werden und ggf. entsprechende Lärmschutzmaßnahmen zu realisieren,

den Vollstreckungsschuldner zu einer Vorauszahlung in Höhe von mindestens 1 500 Euro auf die voraussichtlichen Kosten zu verpflichten,

hilfsweise,

den Vollstreckungsschuldner nach Fristsetzung durch Auferlegung eines Zwangsgeldes zur Durchführung der Pflichten aus Ziffer 3 des oben genannten Vergleichs zu zwingen,"

hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 18. Mai 2006 abgelehnt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der Vollstreckungsschuldner sei der Verpflichtung aus Ziffer 3 des Vergleichs mittlerweile nachgekommen, indem er im November 2005 eine Schallmessung habe vornehmen lassen. Entgegen der Auffassung der Vollstreckungsgläubiger beschränke sich die Verpflichtung aus Ziffer 3 des Vergleiches auf die Ermittlung der Schallimmissionen hinsichtlich der Sporthalle und - gegebenenfalls - die Umsetzung von Maßnahmen hinsichtlich dieser Lärmquelle. Lärmbelästigungen, die vom Schulgebäude oder von dem Pausenhof der Schule und des Hortes ausgingen, seien nicht von dem Vergleich erfasst.

Gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts haben die Vollstreckungsgläubiger fristgerecht am 31. Mai 2006 Beschwerde erhoben, mit der sie - unter 2. - zugleich den Antrag verbunden haben,

"den Antragsgegner unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 18. Mai 2006 ... nach Fristsetzung durch Auferlegung eines Zwangsgeldes zur Durchführung der Pflichten gemäß Ziffer 3 des Vergleichs vom 9. November 2000 ... zu zwingen".

II.

Der Senat versteht den mit der Beschwerde verbundenen Antrag als einen selbständigen Antrag in entsprechender Anwendung des § 172 VwGO, für den das Beschwerdegericht kraft des so genannten Devolutiveffektes auch zuständig ist (vgl. dazu Pietzner, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand 2006, § 172 Rn. 40). Zwar ist strittig, ob § 172 VwGO nur dann Anwendung findet, wenn im Wege der Verwaltungsvollstreckung gegen die öffentliche Hand ein behördliches Verhalten erzwungen werden soll, das in der Rechtsform eines Verwaltungsaktes ergehen kann (für Anwendbarkeit des § 887 ZPO i.V.m. § 167 Abs. 1 VwGO in anderen Fällen OVG Berlin, Beschluss vom 29. August 2000 - 8 L 25.99 -, NVwZ-RR 2001, 99; VGH München, Beschluss vom 2. April 2001 - 8 C 01.587 -, NVwZ 2001, 822; a.A. OVG Saarland, Beschluss vom 22. Februar 2001 - 2 Y 8.00 - ; vgl. auch Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl. 2005, § 172 Rn. 1; Pietzner, a.a.O., § 172 Rn. 18). Zumindest im vorliegenden Fall erscheint der Anwendungsbereich des § 172 VwGO jedoch eröffnet und damit auch die Zuständigkeit des Beschwerdegerichts als "Gericht des ersten Rechtzuges" gegeben. Denn Ziffer 3 des Vergleichs enthält nicht nur die schlicht-hoheitliche und im Sinne des § 887 ZPO vertretbare Handlung "Veranlassung einer Lärmmessung", die der Vollstreckungsschuldner auch nach Auffassung der Vollstreckungsgläubiger zwischenzeitlich vorgenommen hat, sondern der Vollstreckungsschuldner hat sich auch verpflichtet, gegebenenfalls "geeignete Lärmschutzmaßnahmen in Absprache mit den Antragstellern zu realisieren", die rechtlich mit Verbindlichkeitsanspruch nur als nachträgliche Auflage(n), d.h. in der Rechtsform eines Verwaltungsakts umgesetzt werden könnten.

Der mit der Beschwerde verbundene Antrag auf gerichtliche Festsetzung eines Zwangsgeldes hat jedoch aus den gleichen Gründen wie die Beschwerde keinen Erfolg. Die Voraussetzungen für eine Vollstreckung liegen nicht vor. Die vom Antragsteller mit der Beschwerde vorgetragenen Gründe, auf deren Prüfung das Oberverwaltungsgericht beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Änderung des angefochtenen Beschlusses.

Zu Recht hat das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss festgestellt, dass der Vollstreckungsschuldner der in Ziffer 3 des Vergleichs enthaltenen Verpflichtung zur Lärmmessung nachgekommen ist. Dass zwischenzeitlich Lärmmessungen durchgeführt wurden, bestreiten auch die Vollstreckungsgläubiger nicht; sie räumen in der Beschwerde ausdrücklich die "teilweise" Erledigung ein. Soweit sie mit Blick auf die "teilweise" Erledigung vortragen, dass die Kosten des Vollstreckungsverfahrens dem Vollstreckungsschuldner aufzuerlegen gewesen wären und die Entscheidung aus diesem Grunde keinen Bestand habe, verkennen sie indes, dass es in ihrer Hand gelegen hätte, insoweit die Erledigung des Verfahrens mit der Folge einer Kostenentscheidung gemäß § 161 Abs. 2 VwGO zu erklären (vgl. dazu Pietzner, a.a.O., § 172 Rn. 31). Vor diesem Hintergrund bedarf es auch keiner Klärung, ob der Vollstreckungsschuldner bereits vor Anhängigkeit dieses Verfahrens - durch die in seinem an die Vollstreckungsgläubiger gerichteten Schreiben vom 16. Februar 2005 genannte Schallschutzmessung im Frühjahr 2004 - seiner Pflicht zur Messung, nachgekommen war. Da in dem - nach Anhängigkeit dieses Verfahrens erstellten - Messbericht vom 11. September 2005 mit Ergänzung vom 21. März 2006 Lärmmessungen bzw. -berechnungen sowohl hinsichtlich der Sporthalle als auch hinsichtlich des Schulhofgeländes vorgenommen worden sind, kann an der Erfüllung dieser Verpflichtung gemäß Ziffer 3 des Vergleichs kein Zweifel bestehen, zumal Einwände gegen die Messergebnisse nicht erhoben werden und Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit sich dem Senat ebenso wenig wie dem Verwaltungsgericht aufdrängen.

Zu Recht hat das Verwaltungsgericht die weitere in Ziffer 3 des Vergleichs enthaltene Pflicht, dass bei Überschreitung der maßgeblichen Immissionsrichtwerte gemäß der Achtzehnten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (18. BImSchV) geeignete Lärmschutzmaßnahmen zu realisieren sind, beschränkt auf die Frage, ob die von dem Betrieb der Sporthalle ausgehenden Schallimmissionen dem Vollstreckungsschuldner hätten Anlass sein müssen, geeignete Lärmschutzmaßnahmen zu ergreifen. Die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Auslegung des Vergleichs, dass Belästigungen, die vom Schulgebäude oder dem Pausenhof ausgehen und die ausweislich des Messberichts die Immissionsrichtwerte nach der 18. BImSchV überschreiten, außer Betracht zu bleiben haben, begegnet im Ergebnis keinen rechtlichen Bedenken.

Den Vollstreckungsgläubigern ist zwar zuzugestehen, dass sich nicht allein durch die Bezugnahme auf die 18. BImSchV eine Beschränkung der in Ziffer 3 des Vergleichs vereinbarten Maßnahmen auf die Sporthalle ergibt. Denn es spricht vieles dafür, dass mit der Bezugnahme auf die Immissionsrichtwerte der 18. BImSchV lediglich mit dem Ziel der Verbindlichkeit die maßgeblichen Immissionsrichtwerte konkretisiert, nicht jedoch die sachliche Reichweite der im Vergleich vereinbarten Pflichten festgelegt werden sollten.

Entscheidend für die im Wege der Auslegung festzustellende Reichweite der in Ziffer 3 des Vergleichs enthaltene Verpflichtung ist vielmehr der - vom Verwaltungsgericht ebenfalls herangezogene - Umstand, dass Streitgegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens 3 L 869/00 die Baugenehmigung für die Sporthalle war.

Dem entspricht, dass sich nach dem Wortlaut in Ziffer 3 des Vergleichs nur der Vollstreckungsschuldner verpflichtet, "nach Fertigstellung der Doppelsporthalle" Messungen durchzuführen und gegebenenfalls Maßnahmen zu ergreifen. Die Umschreibung "auf dem Grundstück S_____" macht zudem deutlich, dass die Verpflichtung sich gerade nicht erstreckt auf das in Ziffer 1 des Vergleichs genannte andere, nicht der Verfügungsbefugnis des Vollstreckungsschuldners unterliegende Grundstück S_____, auf dem sich das Schulgelände befindet. Hinzu kommt, dass nach der Systematik des Vergleichs ausdrücklich unterschieden wird nach den Pflichten hinsichtlich des Schulgeländes, die nur in Ziffer 1 - unter Einbeziehung der Gemeinde - festgelegt werden und lediglich - wie es in Ziffer 3 heißt - als "begleitende Maßnahmen" angesehen werden, und den Vollstreckungsschuldner treffenden Pflichten, die - wie auch Ziffern 2 a) und b) des Vergleichs zeigen - erkennbar nur auf den Betrieb der Sporthalle zielen. Mit Blick darauf, dass die Gemeinde in Ziffer 1 des Vergleichs sich nur bereit erklärt hat, "begleitende Maßnahmen" auf dem Grundstück S_____ vorzunehmen, hätte es der ausdrücklichen Vereinbarung einer Pflicht der Gemeinde zur Vornahme von Lärmschutzmaßnahmen hinsichtlich des Schulgeländes bedurft. Allein der Umstand, dass sich die Gemeinde mit der Verpflichtung in Ziffer 1 in den Vergleich hat einbeziehen lassen, genügt nicht. Soweit die Vollstreckungsgläubiger einwenden, die Vereinbarung in Ziffer 3, dass die Messungen erst nach Umsetzung der gemeindlichen Maßnahmen nach Ziffer 1 erfolgen sollten, sei nur sinnvoll, wenn der Schullärm in die Beurteilung einbezogen werden müsste, weil andernfalls die Messung unabhängig vom Schulbetrieb hätte erfolgen können, wird nicht beachtet, dass bei den Messungen und Berechnungen - wie sich auch der Tabelle 3 und 4 des Messberichts entnehmen lässt - nach den unterschiedlichen Lärmquellen zu unterscheiden war und es dabei gerade auch auf die jeweilige Wahrnehmbarkeit der einen Lärmquelle im Verhältnis zur anderen Lärmquelle ankam. Rechtlich tragbare Rückschlüsse auf die Reichweite der in Ziffer 3 enthaltenen Pflichten des Vollstreckungsschuldners lassen sich daraus nicht ziehen. Soweit die Vollstreckungsgläubiger einwenden, es wäre Sache des Vollstreckungsschuldners gewesen, "eine entsprechende Regelung im Innenverhältnis zur Gemeinde E_____ in den Vergleich einzubeziehen", verkennen sie, dass hierzu allenfalls Anlass gewesen wäre, wenn die in Ziffer 3 enthaltene Verpflichtung zur ggf. Realisierung "geeigneter Maßnahmen" ihnen selbst gegenüber gerade ein Einschreiten gegenüber dem Schulbetrieb, d.h. der Gemeinde umfasst hätte. Auch den bereits damals anwaltlich vertretenen Vollstreckungsgläubigern dürfte zudem bewusst gewesen sein, dass sie im damaligen Verwaltungsrechtsstreit um die Baugenehmigung für die Sporthalle ein Einschreiten der unteren Bauaufsichtsbehörde gemäß § 86 Abs. 1 BbgBO (1998) bzw. § 78 Abs. 1 BbgBO (2003) gegenüber dem Schulbetrieb nicht hätten erreichen können, sondern insoweit gegebenenfalls ein entsprechendes Verfahren auf Einschreiten der Bauaufsichtsbehörde hätten einleiten müssen, das jedoch - wie das Verwaltungsgericht angemerkt hat - wenig Erfolg versprechend gewesen wäre. Weil dem Vollstreckungsschuldner - wie das Verwaltungsgericht ausgeführt hat - erkennbar "jede Handhabe fehlt(e)", Schallschutzmaßnahmen in eigener Zuständigkeit gegenüber der Gemeinde anzuordnen, hätte es - wie dargelegt - in dem Vergleich der ausdrücklichen Einbeziehung durch Auferlegung von entsprechenden Pflichten der Gemeinde, die über den in Ziffer 1 festgestellten Maßnahmen hinausgehen, bedurft.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2 bzw. Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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