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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 09.08.2005
Aktenzeichen: OVG 10 N 63.05
Rechtsgebiete: AsylVfG, VwGO


Vorschriften:

AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 2
AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 3
AsylVfG § 78 Abs. 4 Satz 4
VwGO § 86 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN-BRANDENBURG Beschluss

Aktenzeichen: OVG 10 N 63.05

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 10. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht , die Richterin am Oberverwaltungsgericht und die Richterin am Oberverwaltungsgericht am 9. August 2005 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das ihnen am 23. Dezember 2002 zugestellte Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam wird abgelehnt.

Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe:

Der auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) und die Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) gestützte Antrag hat keinen Erfolg.

1. Die als grundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfene Frage, "inwieweit der Tatrichter nach einem Vortrag über erlittene Misshandlungen und einem Beweisangebot nicht verpflichtet ist, einen Fachpsychologen hinzuzuziehen, um die Glaubwürdigkeit des Betroffenen zu beurteilen", rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung.

Wie die Kläger sich ohne weiteres - mit Blick auf die von ihnen in Bezug genommene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts - selbst erschließen können, ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt, welcher Maßstab grundsätzlich an die richterliche Überzeugungsbildung anzulegen ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. Mai 1999 - 9 B 264.99 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 3; BVerwG, Beschluss vom 18. Juli 2001 - 1 B 118.01 - NVwZ-Beilage 2003, 41 = DVBl. 2002, 53; vgl. auch OVG Berlin, Beschluss vom 23. August 2004 - OVG 6 N 2.03 -; Beschluss vom 8. Oktober 2004 - OVG 3 N 105.02 -; Beschluss vom 11. November 2004 - OVG 6 N 83.03 -; OVG für das Land Brandenburg, Beschluss vom 15. Juni 2004 - 2 A 224/04.AZ -): Die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Asylbewerbers gehört - auch in schwierigen Fällen - zum Wesen der richterlichen Rechtsfindung, vor allem der freien Beweiswürdigung. Ob sich das Gericht dabei der sachverständigen Hilfe Fachkundiger bedienen will, hat es nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. In aller Regel wird kein Ermessensfehler vorliegen, wenn das Gericht sich die zur Glaubwürdigkeitsbeurteilung notwendige Sachkunde selbst zutraut und auf die Hinzuziehung eines Fachpsychologen verzichtet. Etwas anderes gilt nur dann, wenn im Verfahren besondere Umstände in der Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen hervortreten, die in erheblicher Weise von den Normalfällen abweichen.

Einen darüber hinausgehenden Klärungsbedarf zeigen die Kläger mit der Grundsatzrüge nicht auf. Sie beschränken sich vielmehr auf den Einwand, das Gericht habe es im konkreten Fall der Kläger nicht erwogen, einen Fachpsychologen hinzuzuziehen. Damit lässt sich eine Grundsatzrüge nicht begründen.

2. Soweit die Kläger in diesem Zusammenhang mit dem Hinweis, die angefochtene Entscheidung widerspreche der höchstrichterlichen Rechtsprechung, und mit der Anmerkung "Insofern wird auch auf § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG Bezug genommen", eine Divergenzrüge geltend machen wollten, genügt der Vortrag nicht den Darlegungsanforderungen. Die Darlegung einer Divergenz i.S.d. § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG setzt voraus, dass zum einen der abstrakte Rechtssatz dargestellt wird, auf welchen das erstinstanzliche Gericht die angegriffene Entscheidung gestützt hat, und dass zum anderen ein dem widersprechender Rechtssatz eines der gesetzlich benannten Obergerichte zu der gleichen Frage aufgezeigt wird. Der Sache nach beschränken sich die Kläger auf den Vorwurf, das Verwaltungsgericht habe bei seiner Glaubwürdigkeitsbeurteilung die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts unzutreffend angewandt. Damit lässt sich eine Divergenzrüge nicht begründen.

3. Zu Recht rügen die Kläger allerdings, dass die Einzelrichterin es entgegen der zwingenden Vorschrift des § 86 Abs. 2 VwGO versäumt hat, über die in der (gemeinsamen) mündlichen Verhandlung zu diesem Verfahren und dem das weitere Kind der Kläger zu 1) und 2) betreffenden Verfahren VG 13 K 530/00.A - ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 11. November 2002 - unbedingt gestellten Beweisanträge zu entscheiden. Das Verwaltungsgericht hat ersichtlich verkannt, dass der zu begründende Beschluss über die Ablehnung eines in der mündlichen Verhandlung gestellten unbedingten Beweisantrags nach § 86 Abs. 2 VwGO den Beteiligten so eröffnet werden muss, dass sie noch die Möglichkeit haben, sich vor der abschließenden Entscheidung hierzu zu äußern. Denn Sinn und Zweck der Regelung ist es, dem Kläger, der einen Beweisantrag gestellt hat, Gelegenheit zu geben, sich auf die durch die Ablehnung entstandene Verfahrenslage einzustellen (BVerfG, Beschluss vom 25. August 1986 - 2 BvR 823/86 -, NVwZ 1987, 785; BVerwG, Beschluss vom 23. Februar 2005 - 1 B 102.04 -, in: juris; VGH Kassel, Beschluss vom 22. November 1999 - 9 UZ 2504.98.A -, NVwZ 2000, 1432; OVG für das Land Brandenburg, Beschluss vom 9. Februar 2005 - 5 A 232/04.AZ -; OVG Berlin, Beschluss vom 8. Juni 2005 - OVG 3 N 97.04 -). Es ist daher insbesondere unzulässig, den Beschluss gleichzeitig mit dem Urteil zu verkünden oder - wie im vorliegenden Fall - die mündliche Verhandlung mit der Verkündung, eine Entscheidung werde zugestellt, zu schließen und lediglich im (zugestellten) Urteil - mit kurzer Begründung - anzumerken, dass die "beantragten Beweiserhebungen ... nicht durchzuführen" waren (UA S. 6).

Gleichwohl führt der geltend gemachte Gehörsverstoß nicht zur Zulassung der Berufung.

Zwar ist den Klägern nicht entgegenzuhalten, dass ihre Verfahrensbevollmächtigte es versäumt hat, eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts über die zu Protokoll genommenen Beweisanträge noch vor Schluss der mündlichen Verhandlung herbeizuführen, mithin dass sie nicht der prozessualen Obliegenheit (vgl. dazu VGH Kassel, Beschluss vom 22. November 1999, a.a.O.; Beschluss vom 3. März 1997 - 12 UZ 4835.96.A -, AuAS 1997, 163) genügt hätten, alle zur Verfügung stehenden tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten zu nutzen, um sich selbst vor Gericht Gehör zu verschaffen. Denn im vorliegenden Fall waren angesichts des am Schluss der mündlichen Verhandlung verkündeten Beschlusses, eine Entscheidung werde zugestellt, keine greifbaren Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass eine Entscheidung über die Beweisanträge nach Verkündung des vorgenannten Beschlusses offensichtlich nicht mehr zu erwarten war. Unter diesen Umständen kann von einem Beteiligten nicht verlangt werden, das Gericht auf Verfahrensverstöße aufmerksam zu machen. Insoweit kann jeder Beteiligte zunächst einmal darauf vertrauen, dass das Gericht sich prozessordnungsgemäß verhält und rechtliches Gehör gewährt (BVerfG, Beschluss vom 15. März 1999 - 2 BvR 243/96 -, InfAuslR 1999, 260).

Die Gehörsverletzung ist jedoch nicht in einer Weise bezeichnet, die den gesetzlichen Darlegungsanforderungen gemäß § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG entspricht. Denn die Kläger legen nicht - wie dies bei einer derartigen Gehörsrüge regelmäßig erforderlich ist - hinreichend dar, was sie bei ausreichender Gehörsgewährung nach Ablehnung ihrer Beweisanträge mit den aus dem angefochtenen Urteil ersichtlichen Gründen noch vorgetragen hätten, etwa welche weiteren Beweisanträge sie ergänzend gestellt hätten und inwiefern dieser weitere Vortrag ihrer Klage hätte zum Erfolg verhelfen können (BVerwG, Beschluss vom 23. Februar 2005, a.a.O.; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 13. September 1977 - V CB 68.74 -, Buchholz 310 § 86 Abs. 2 Nr. 20). Der pauschale Hinweis, die erst in dem Urteil selbst ausgesprochene Ablehnung der Anträge habe sie der Möglichkeit beraubt, neue Beweisanträge zu stellen, und stelle eine Überraschungsentscheidung und unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung dar, genügt nicht zur Darlegung, "wie" die Kläger reagiert hätten, wenn ihnen die Ablehnungsgründe prozessordnungsgemäß i.S.d. § 86 Abs. 2 VwGO bekannt gegeben worden wären.

Ebenso wenig genügt es, zur Darlegung einer Verletzung des rechtlichen Gehörs - in jeweils ein bis zwei Sätzen - die jeweiligen Ablehnungsgründe als "fehlerhaft" anzugreifen. Das nunmehr auf die Ablehnung "als solche" gestützte Zulassungsvorbringen genügt den Darlegungsanforderungen bereits deswegen nicht, weil in der Antragsschrift nicht der Inhalt der abgelehnten Beweisanträge mitgeteilt wird (BVerwG, Beschluss vom 24. März 2000 - 9 B 530.99 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 308; OVG Berlin, Beschluss vom 1. Juni 2005 - OVG 3 N 91.03 -). Darüber hinaus setzen sich die Kläger nicht substanziiert mit den im Urteil angeführten Ablehnungsgründen auseinander.

Soweit die Kläger auf die Notwendigkeit der Einholung eines fachpsychologischen Gutachtens und ihren Beweisantrag verweisen, fehlt es - abgesehen von dem Hinweis auf die behauptete Folterung - an der Darlegung besonderer Umstände, die eine Beeinträchtigung belegen und eine Beeinflussung des Aussageverhaltens des Klägers zu 1) jedenfalls ernsthaft möglich erscheinen lassen. Allein der Hinweis, dem Gericht wäre durch eine fachpsychologische Begutachtung die Möglichkeit gegeben gewesen, Widersprüche im Vortrag aufzuklären, genügt nicht. Daran ändern auch die (erst) im Zulassungsverfahren vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen nichts. Weder dient das Zulassungsverfahren der weiteren Sachverhaltsaufklärung, noch wird erläutert, warum es den Klägern nicht möglich gewesen sein soll, entsprechende Gutachten bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorzulegen. Nur angemerkt sei in diesem Zusammenhang, dass in dem Attest vom 12. Februar 2003 nur von der "Folterhaft im Winter 1997", in dem Gutachten vom 10. Februar 2003 nur von Misshandlungen des Klägers zu 1) vor 1998 die Rede ist. Die (erste) Festnahme im Jahr 1997 ist jedoch nach den insoweit maßgeblichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht kausal für die Ausreise gewesen (UA S. 5). Auf den Gesichtspunkt der Kausalität stellt das Verwaltungsgericht - wie sich aus dem Gesamtzusammenhang ergibt - in der missverständlich knapp formulierten Ablehnungsbegründung ab, soweit es zunächst eine Wahrunterstellung vornimmt ("selbst wenn .."). Aus dem zweiten Teil der Begründung wird jedoch deutlich, dass das Gericht den Beweisantrag - soweit es um die vorgetragenen Misshandlungen kurz vor der Ausreise im Jahr 1999 geht - als nicht hinreichend substanziiert ansieht, weil sich aus dem Gesamtvortrag der Kläger keine tatsächlichen Anhaltspunkte für Misshandlungen zu diesem Zeitpunkt - unmittelbar vor der Ausreise - ergäben. Mit dieser Begründung durfte das Verwaltungsgericht den Beweisantrag ablehnen, der ausweislich der Sitzungsniederschrift auch lediglich - ohne jegliche weitere Substanziierung - darauf gerichtet war, "ein medizinisches Gutachten einzuholen zum Beweis dafür, dass die vom Kläger zu 1) geschilderten Narben durch Folter verursacht worden sind", also gerade den Zeitpunkt der Zufügung der Verletzungen nicht zum Thema hatte.

Hinsichtlich des Antrags, zum Beweis "des Vortrags" Familienangehörige als Zeugen zu hören, fehlt jegliche Präzisierung, welcher Zeuge zu welchem konkreten "Vortrag" der Kläger hätte Angaben machen sollen. Das Verwaltungsgericht hat diesen Beweisantrag im Übrigen nicht lediglich - insoweit möglicherweise in einer Fehldeutung des Beweisthemas - auf der Grundlage der Wahrunterstellung abgelehnt, dass die Angehörigen ihrerseits politisch verfolgt worden seien, sondern - hinsichtlich der behaupteten zweiten Verhaftung und Misshandlung des Klägers vor Ausreise - darauf abgestellt, dass nicht vorgetragen worden sei, dass eine der genannten Personen bei dieser Verhaftung zugegen gewesen sei, und damit den Antrag - sinngemäß jedenfalls auch - mit der zutreffenden, wenn auch äußerst knappen Begründung als unzulässigen Beweisermittlungsantrag angesehen. Eine unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung liegt darin nicht.

Soweit die Kläger die Ablehnung des Einholung von Auskünften zielenden Beweisantrags rügen, legen sie nicht ansatzweise dar, inwiefern die vom Verwaltungsgericht herangezogenen Erkenntnisse zur Rückkehrgefährdung nicht aussagekräftig bzw. inwieweit in den verwerteten Erkenntnisquellen keine, ungenügende oder widersprüchliche Aussagen zur Bewertung der aufgeworfenen Tatsachenfragen enthalten seien. Es genügt nicht, lediglich zu behaupten, die verwerteten Erkenntnismittel würden gerade nicht den Fall der Kläger betreffen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b AsylVfG nicht erhoben.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG, § 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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