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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 23.03.2006
Aktenzeichen: OVG 10 S 21.05
Rechtsgebiete: VwGO, BauGB, BauNVO


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 5 Satz 3
BauGB § 34 Abs. 1
BauGB § 34 Abs. 2
BauGB § 212a Abs. 1
BauNVO § 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 10 S 21.05

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 10. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Krüger, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Scheerhorn und die Richterin am Oberverwaltungsgericht Dr. Bumke am 23. März 2006 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 27. Oktober 2005 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens, mit Ausnahme außergerichtlicher Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt, werden der Antragstellerin auferlegt.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 3.750,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde mit dem sinngemäßen Antrag, Nr. 1 des angefochtenen Beschlusses zu ändern und - wie bereits im ersten Rechtszug sinngemäß beantragt - die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die durch den Antragsgegner der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 22. September 2005 anzuordnen, ist zulässig, aber nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag jedenfalls im Ergebnis zu Recht abgelehnt.

I. Soweit die Antragstellerin mit dem Antrag das Ziel verfolgt, sie beeinträchtigende und ihrer Ansicht nach in ihren Rechten verletzende Wirkungen der genehmigten Bausubstanz als solcher abzuwehren, ist der Antrag unzulässig geworden.

Gegen den ihr am 2. November 2005 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 9. November 2005, fristgemäß, Beschwerde eingelegt. Die erforderliche (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) Begründung der Beschwerde hat sie gleichfalls fristgemäß am 28. November 2005 eingereicht. Frühestens in diesem Zeitpunkt hätte der angerufene Senat über die Beschwerde und damit auch über den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Baugenehmigung entscheiden können. Wenn nicht schon zuvor, so war aber spätestens in diesem Zeitpunkt für den auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gerichteten Antrag, soweit die Antragstellerin damit Wirkungen der genehmigten Bausubstanz abwehren wollte, das Rechtsschutzbedürfnis entfallen. Darauf, ob die von der Antragstellerin insoweit dargelegten Gründe eine Abänderung des angefochtenen Beschlusses veranlassen würden, kam und kommt es demnach nicht mehr an.

1. Für den Antrag eines Dritten, insbesondere Nachbarn, der auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen eine bauaufsichtliche Genehmigung abzielt, entfällt das Rechtsschutzbedürfnis jedenfalls dann, wenn die begehrte Entscheidung dem Antragsteller keinerlei rechtlichen Vorteil (mehr) verschaffen könnte. So verhält es sich hier, soweit mit dem Antrag Wirkungen der Bausubstanz abgewehrt werden sollten. Insoweit würde eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs zwar der Beigeladenen rechtliche Nachteile zufügen, aber nicht (mehr) dazu beitragen, der Antragstellerin einen rechtlichen Vorteil zu verschaffen.

Soweit eine Verletzung von Rechten des Antragstellers allein durch die Bausubstanz als solche in Rede steht, ist in aller Regel jedenfalls nach Erstellung des Rohbaus die etwaige Verletzung der Rechte des Antragstellers bereits eingetreten (vgl. Beschlüsse des OVG für das Land Brandenburg vom 17. Februar 2000 - 3 B 85/99 - und vom 8. September 2000 - 3 B 122/00 - sowie OVG Berlin, zuletzt Beschluss vom 28. August 2001 - 2 SN 11.01 - DÖV 2001, 1055). Eine Einstellung der Bauarbeiten, die der Antragsteller infolge einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs gemäß § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO erreichen könnte, würde insoweit nur noch dazu nütze sein, den Innenausbau (vorläufig) zu verhindern. Dies würde dem Antragsteller jedoch keinen rechtlichen Vorteil verschaffen. Denn die Vornahme des Innenausbaus hat nicht einmal zur Folge, dass im Falle einer Aufhebung der angefochtenen Baugenehmigung im Verfahren zur Hauptsache die Durchsetzung der Rechte des Nachbarn vereitelt oder wesentlich erschwert würde. Führt der Bauherr nämlich das Vorhaben zu Ende, so geschieht dies auf sein Risiko (hierauf weisen insbesondere das OVG Berlin, Beschluss vom 29. Juni 1989 - 2 S 13.89 - BRS 49 Nr. 232, sowie Ortloff in: Finkelnburg/Ortloff, Öffentliches Baurecht, Band II, 5. Aufl. 2005 § 21 III 2 Buchst. b) bb), insbesondere Fußn. 105, hin). Die gegenteilige Ansicht, die auch in Fällen, in denen eine Verletzung von Rechten des Nachbarn allein durch die Bausubstanz als solche in Rede steht, das Rechtsschutzinteresse erst ab weitgehender Fertigstellung des Bauvorhabens (VGH Mannheim, Beschluss vom 7. März 1995 - 3 S 174/95 - NVwZ-RR 1995, 488; OVG Münster, Beschluss vom 17. Oktober 2000 - 10 B 1053/00 - BRS 63 Nr. 198) bzw. ab dessen Bezugsfertigkeit (OVG Bautzen, Beschluss vom 9. September 1994 - 1 S 259/94 - BRS 56 Nr. 115; Schoch in: Schoch/ Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, Kommentar, § 80a Rdn. 67) verneint, teilt der Senat nicht. Denn diese Ansicht berücksichtigt nicht, dass ein Bauherr, der das im Rohbau fertig gestellte Bauvorhaben weiter durchführt, insbesondere den Innenausbau vornimmt, den Umstand, weitere Bausubstanz geschaffen zu haben, einem künftigen Beseitigungsverlangen der Bauaufsichtsbehörde nicht entgegenhalten kann, diese den genannten Umstand ferner nicht im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens bezüglich des Erlasses einer Beseitigungsverfügung berücksichtigen darf. Sollte die Baugenehmigung sich in einem Verfahren zur Hauptsache als rechtswidrig erweisen und wegen einer Verletzung von Rechten des Nachbarn aufzuheben sein (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), so sind - materiell-rechtlich gesehen - die Bauarbeiten zur Vornahme des Innenausbaus nicht legalisiert, hierdurch geschaffene Werte somit als illegal anzusehen.

2. Spätestens Ende November 2005, in dem Zeitpunkt, in dem die Antragstellerin ihre Beschwerde begründet hat, war das angegriffene Bauvorhaben im Rohbau erstellt. Bereits in der Antragsschrift vom 19. Oktober 2005 hatte die Antragstellerin selbst hervorgehoben, dass mit dem Bau der Halle (der genehmigten "P_____ Autoservice Station") begonnen worden sei "und die Bauausführung ... fortschreitend forciert" werde. Auf Anfrage des Verwaltungsgerichts vom 20. Oktober 2005 hatte der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 24. Oktober 2005 mitgeteilt, dass nach Angabe des Bauleiters vom selben Tage der Rohbau "voraussichtlich Ende der 44. Kalenderwoche fertiggestellt" werde, also bereits in der mit dem 6. November 2005 endenden Woche. Den raschen Fortschritt der zur Erstellung des Rohbaus dienenden Arbeiten verdeutlichen nicht nur die vom Antragsgegner in einer beigefügten Fotodokumentation übersandten Aufnahmen, sondern auch die von der Antragstellerin selbst mit Schriftsatz vom 25. Oktober 2005 übermittelten Fotos. Aus den beiden von der Antragstellerin in der Anlage 1 zu ihrem Schriftsatz vom 28. November 2005 jeweils in Kopie vorgelegten Bildern B 1 und B 2 ergibt sich, dass spätestens bei Absendung dieser Anlage die fragliche Halle jedenfalls im Rohbau fertiggestellt worden war. Dies wird dadurch erhärtet, dass ausweislich der Mitteilung des Antragsgegners in seinem Schriftsatz vom 12. Januar 2006, an deren Richtigkeit zu zweifeln weder nach dem Vorbringen der Antragstellerin noch sonst Anlass besteht, bereits am 7. Dezember 2005 sogar die Schlussabnahme und auch die Nutzungsfreigabe stattgefunden hat. Der von dem Antragsgegner daraus gezogenen Folgerung, für das von der Antragstellerin im vorliegenden Verfahren verfolgte Begehren sei das Rechtsschutzbedürfnis entfallen, ist diese insbesondere in tatsächlicher Hinsicht nicht ansatzweise entgegen getreten.

II. Soweit die Antragstellerin mit dem Antrag - auch - das Ziel verfolgt, sie beeinträchtigende und ihrer Ansicht nach in ihren Rechten verletzende Wirkungen der genehmigten Nutzung abzuwehren, mag der Antrag zulässig geblieben sein. Insoweit ist er jedenfalls nicht begründet.

Dass die genehmigte Nutzung bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung das in dem Begriff des "Einfügens" nach § 34 Abs. 1 BauGB enthaltene Gebot der Rücksichtnahme verletzt, ist den allein maßgeblichen (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) Darlegungen in der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen, übrigens auch sonst nicht anzunehmen. Die nachvollziehbar begründete Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass sich die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens nach § 34 Abs. 1 BauGB richten dürfte, da die nähere Umgebung keine einheitliche Bebauung i.S.d. § 34 Abs. 2 BauGB aufweise (BA S. 5), wird zwar von der Antragstellerin mit dem Einwand angegriffen, sämtliche umliegenden Grundstücke seien mit Wohnbauten belegt. Abgesehen davon, dass sich die Antragstellerin bei ihren Beschreibungen ersichtlich nur auf die hier - mangels Zulässigkeit - nicht interessierende Frage der Einhaltung von Abstandsflächen bzw. der Grenzbebauung beschränkt, verweist sie selbst auf die "aktiven Gewerbegrundstücke", die "durchweg Handels- und Büroeinrichtungen oder Praxen" beinhalten und stellt auch weder in Abrede, dass - wie das Verwaltungsgericht festgestellt hat (BA S. 5) - ihr Grundstück gewerblich für einen Gebrauchtwarenhandel genutzt wird, noch dass beispielsweise auch das Bahngelände bei der Beurteilung der Umgebungsbebauung zu berücksichtigen ist. Bereits daraus ergibt sich, dass die - sinngemäße - Behauptung des Antragstellerin, dass Gebiet sei als ein allgemeines Wohngebiet i.S.d. § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 BauNVO anzusehen, fern liegend erscheint. Auch das im Verwaltungsvorgang und der Gerichtakte befindliche Kartenmaterial stützt die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass sich die näheren Umgebung als Gemengelage darstellt und sich das Vorhaben in diesen Rahmen einfügt.

Eine "konkrete" Rücksichtslosigkeit der genehmigten Nutzung macht die Antragstellerin in der Beschwerdebegründung ohnehin nur mit dem Einwand geltend, die Zahl der auf dem Grundstück der Beigeladenen anzulegenden Stellplätze sei viel zu niedrig mit der Folge, dass unter anderem ihr eigenes Grundstück "erheblichen Störungen durch Zu- und Abgangsverkehr und auch durch Parken von Pkw" ausgesetzt sein werde. Die Art solcher Störungen hat die Antragstellerin nicht näher bezeichnet. Der Antragsgegner hat, ohne dass die Antragstellerin dem etwas entgegengesetzt hätte, in der Beschwerdeerwiderung dargelegt, dass und warum die Zahl der auf dem Grundstück der Beigeladenen anzulegenden Stellplätze vollauf ausreiche. Welcher Art Störungen durch auf öffentlichen Verkehrsflächen zunehmenden fließenden und/oder ruhenden Kraftfahrzeugverkehr einen Nachbarn in seinen Rechten verletzen könnten, bedarf nach alledem schon keiner weiteren Erörterung. Jedenfalls aber geht insoweit die gebotene Interessenabwägung zu Lasten der Antragstellerin aus. Derartige Wirkungen sind zumindest nicht von einem solchen Gewicht, dass sie es sogar rechtfertigen würden, abweichend von der gesetzlichen Vorgabe des § 212a Abs. 1 BauGB ausnahmsweise die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs eines Nachbarn anzuordnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Der Antragstellerin auch außergerichtliche Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, entsprach nicht der Billigkeit, weil diese keinen Antrag gestellt und sich damit keinem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO).

Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 1, § 47 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG).

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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