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Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 07.10.2009
Aktenzeichen: OVG 10 S 23.09
Rechtsgebiete: VwGO, RPO FHTW 1999, Prüfungsordnung Wirtschaftsinformatik (Bachelor)
Vorschriften:
VwGO § 123 Abs. 1 | |
RPO FHTW 1999 § 8 Abs. 1 | |
RPO FHTW 1999 § 10 Abs. 1 | |
RPO FHTW 1999 § 10 Abs. 3 | |
Prüfungsordnung Wirtschaftsinformatik (Bachelor) |
OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN-BRANDENBURG BESCHLUSS
OVG 10 S 23.09
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 10. Senat durch die Vizepräsidentin des Oberverwaltungsgerichts Fitzner-Steinmann, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Sieveking und die Richterin am Verwaltungsgericht Engel am 7. Oktober 2009 beschlossen:
Tenor:
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 8. Juni 2009 wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig einen weiteren Prüfungsversuch im Modul Informationswirtschaft einzuräumen.
Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt die Antragsgegnerin.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500 EUR festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin möchte im Wege der einstweiligen Anordnung die Möglichkeit erhalten, vorläufig erneut die Prüfung im Studienfach Informationswirtschaft abzulegen.
Die Antragstellerin ist seit dem Sommersemester (SS) 2004 im Studiengang Wirtschaftsinformatik (Bachelor) an der Antragsgegnerin immatrikuliert. Mit Bescheid vom 19. Januar 2009 stellte die Antragsgegnerin fest, die Antragstellerin habe das Studienfach Informationswirtschaft endgültig nicht bestanden und könne das Studium im gewählten Studiengang daher nicht fortsetzen, und exmatrikulierte die Antragstellerin. Dem lag die Auffassung zugrunde, die Antragstellerin habe im SS 2007, Wintersemester (WS) 2007/2008 und SS 2008 die Prüfung in dem genannten Studienfach jeweils nicht bestanden. Mit ihrer gegen diesen Bescheid erhobenen Klage macht die Antragstellerin im Wesentlichen geltend, ihre Anmeldung zur Prüfung im SS 2007 könne nicht als erfolgloser Prüfungsversuch gewertet werden.
Mit Bescheid vom 4. März 2009 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, sie könne unter Vorbehalt ihr Studium fortsetzten und Prüfungen ablegen, sei jedoch nicht berechtigt, die Prüfung im Modul Informationswirtschaft abzulegen. Daraufhin hat die Antragstellerin den vorliegenden Antrag gestellt, ihr im Wege der einstweiligen Anordnung einen weiteren Prüfungsversuch im Studienfach Informationswirtschaft einzuräumen, und geltend gemacht, ihr fehle zum erfolgreichen Abschluss des Studiums neben der Verteidigung der Abschlussarbeit nur diese Prüfung. Es sei ihr nicht zuzumuten, bis zum Abschluss der Hauptsache ihr Fachwissen präsent zu halten. Diesen Antrag hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 8. Juni 2009 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Antragstellerin könne zwar einen Anordnungsgrund, nicht jedoch einen Anordnungsanspruch geltend machen. Es könne dahinstehen, ob der für das SS 2007 registrierte erfolglose Prüfungsversuch als solcher gewertet werden dürfe, weil der Antragstellerin jedenfalls im WS 2008/2009 ein weiterer Prüfungsversuch eingeräumt worden sei, den sie jedoch nicht wahrgenommen habe. Damit habe sie drei erfolglose Prüfungsversuche unternommen; außerdem sei die Frist abgelaufen, in der die Prüfung wiederholt werden könne.
Hiergegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der die Antragstellerin insbesondere geltend macht, ihr Verhalten im WS 2008/2009 dürfe nicht als erfolgloser Prüfungsversuch bewertet werden, weil die Antragsgegnerin selbst ihr zuvor untersagt habe, im Studienfach Informationswirtschaft eine weitere Prüfung abzulegen.
II.
Die Beschwerde hat Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, das nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein Gegenstand der Prüfung des Oberverwaltungsgerichts ist, rechtfertigt eine Änderung des angefochtenen Beschlusses. Die Antragstellerin hat bei summarischer Prüfung glaubhaft gemacht, dass ihr noch ein weiterer Prüfungsversuch im Modul Informationswirtschaft zusteht und ihr ein Abwarten auf den Ausgang des anhängigen Klageverfahrens nicht zuzumuten ist.
Der Antragstellerin stehen insgesamt drei Prüfungsversuche im Modul Informationswirtschaft zu, die sie noch nicht ausgeschöpft haben dürfte. Maßgeblich ist für sie die Prüfungsordnung für den Bachelorstudiengang Wirtschaftsinformatik vom 18. Juli 2001 (AMBl. FHTW Berlin Nr. 21/2002), zuletzt geändert am 20. Oktober 2006 (AMBl. FHTW Berlin Nr. 59/06) - künftig: PO - i.V.m. den Grundsätzen für Prüfungsordnungen der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (Rahmenprüfungsordnung - RPO), wobei hier nach § 2 Abs. 1 PO die RPO in der Fassung vom 14. Juni 1999 (AMBl. FHTW Berlin Nr. 22/99), zuletzt geändert am 6. Februar 2002 (AMBl. FHTW Berlin Nr. 09/02), anzuwenden sein dürfte. Die Neufassung der RPO vom 5. Juli 2004 (AMBl. FHTW Berlin 17/04) dürfte erst für Studierende gelten, die Wirtschaftsinformatik nach der ab dem SS 2007 geltenden neuen Prüfungsordnung (AMBl. FHTW Berlin 08/07) studieren (vgl. § 30 RPO 2004). Nach § 10 Abs. 1 RPO 1999 können nicht bestandene Fachprüfungen oder Prüfungsleistungen höchstens zweimal wiederholt werden, wobei dies innerhalb der auf die Erstbelegung folgenden zwei Semester erfolgen muss (§ 10 Abs. 3 RPO 1999). Das Verwaltungsgericht hat offen gelassen, ob die Prüfungsanmeldung im SS 2007 als erster Prüfungsversuch zählt, und maßgeblich darauf abgestellt, dass die Antragstellerin neben den zwischen den Beteiligten unstreitigen erfolglosen Prüfungen im WS 2007/2008 und SS 2008 jedenfalls auch im WS 2008/2009 eine Prüfungsmöglichkeit erhalten habe, die sie jedoch nicht wahrgenommen habe und daher als weiteren Fehlversuch gegen sich gelten lassen müsse. Diese Argumentation hat die Beschwerde erfolgreich unter Hinweis auf den Bescheid vom 4. März 2009 entkräftet, mit dem die Antragsgegnerin der Antragstellerin eine weitere Prüfungsmöglichkeit im Modul Informationswirtschaft versagt hat.
Nach § 8 Abs. 1 RPO 1999 gilt eine Prüfungsleistung als mit "nicht ausreichend" bewertet, wenn der Kandidat einen für ihn bindenden Prüfungstermin ohne triftigen Grund versäumt, wobei triftige Gründe solche sind, die er nicht zu vertreten hat. Aus der Stellungnahme des verantwortlichen Dozenten und Prüfers Prof. P_____ vom 6. Mai 2009 ergibt sich, dass er der Antragstellerin im WS 2008/2009 die Möglichkeit eingeräumt hat, zur Erbringung der Prüfungsleistung ihre schriftliche Dokumentation in seiner Sprechstunde am 11. März 2009 vorzulegen und das Ergebnis zu besprechen. Der genaue Zeitpunkt dieser Vereinbarung wird zwar nicht mitgeteilt, jedoch ist davon auszugehen, dass er geraume Zeit vor dem 11. März 2009 lag, da die Antragstellerin "viel Zeit für die schriftliche Bearbeitung" haben sollte. Mit Bescheid vom 4. März 2009 - und damit zu einem späteren Zeitpunkt - hat die Antragsgegnerin der Antragstellerin die vorläufige Fortsetzung ihres Studiums gestattet und auf die Möglichkeit der Ablegung von Prüfungen unter Vorbehalt hingewiesen. Zugleich wurde der Antragstellerin jedoch ausdrücklich mitgeteilt, dass sie nicht berechtigt sei, die Prüfung im Modul Informationswirtschaft abzulegen. Dass sie dies als Untersagung der ihr zuvor in Aussicht gestellten Prüfungsteilnahme verstanden hat, wird aus ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und der beigefügten eidesstattlichen Versicherung deutlich, wonach der Professor die nochmalige Abnahme der Prüfung "offensichtlich nach Einreichung der Klage untersagt" bekommen habe bzw. die Verwaltung ihr nach dem Gespräch mit dem Prüfer mitgeteilt habe, für eine neue Prüfungsabnahme sei es zu spät. Danach dürfte es von der Antragstellerin nicht zu vertreten sein, wenn sie die zuvor mit dem Dozenten getroffene Vereinbarung für hinfällig erachtet und die erwartete Leistung nicht erbracht hat, zumal sie zum vereinbarten Termin - wenn auch nach der Sprechstunde - mit dem Dozenten gesprochen und auf das Verwaltungsstreitverfahren hingewiesen hat. Die Gleichstellung einer Nichtleistung mit einer nicht bestandenen Prüfung ist mit Art. 12 Abs. 1 GG nur dann vereinbar, wenn zum Zeitpunkt der Prüfung eine Pflicht des Prüflings zur Teilnahme an der Prüfung bestand. Daran fehlt es jedoch, wenn die Prüfungsbehörde selbst zuvor ein Ablegen der Prüfung untersagt hat.
Da für die Antragstellerin mit dem Bescheid vom 4. März 2009 die Möglichkeit entfallen ist, eine Prüfungsleistung im Modul Informationswirtschaft im Wintersemester 2008/2009 zu erbringen, ist auch die Wiederholbarkeitsfrist des § 10 Abs. 3 RPO 1999 noch nicht abgelaufen, da hierfür - auch im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG - nur Semester zählen können, in denen das Ablegen der Prüfung überhaupt (objektiv) möglich ist. Nur ein Versäumen der Wiederholungsfrist, das der Kandidat zu vertreten hat, führt nach § 10 Abs. 3 Satz 3 RPO 1999 zum Erlöschen des Prüfungsanspruchs.
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts ist auch nicht deshalb im Ergebnis richtig, weil bereits die Anmeldung zur Prüfung im Modul Informationswirtschaft im SS 2007 als erster erfolgloser Prüfungsversuch der Antragstellerin zu bewerten wäre. Nach Aktenlage bleibt allerdings unklar, wann genau diese Anmeldung erfolgt ist. Das von der Antragstellerin angegebene Datum 16. März 2007 dürfte nicht zutreffend sein, da dieser Termin noch vor Beginn des fraglichen Semesters lag. Auch die Einschätzung von Prof. P_____, die Anmeldung sei im Juni 2007 erfolgt, erscheint zweifelhaft, da dies die Anmeldefrist für den ersten Prüfungszeitraum gewesen sein dürfte und die Beteiligten vorgetragen hatten, die Antragstellerin habe sich für den zweiten Prüfungszeitraum angemeldet. Dies kann hier aber letztlich offen bleiben, denn jedenfalls besteht zwischen den Beteiligten Einigkeit, dass sich die Antragstellerin innerhalb des allgemein verbindlichen Anmeldezeitraums im Wege der vorgeschriebenen Online-Anmeldung angemeldet hat, ein Ablegen der Prüfung aber wegen der vom Dozenten vorgegebenen Modalitäten zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich war. Insoweit hat Prof. P_____ erläutert, dass die Lehrveranstaltung Informationswirtschaft nur in den ersten beiden Monaten eines Semesters angeboten und innerhalb dieser Zeit die Prüfungsleistung durch schriftliche Ausarbeitung und Präsentation erbracht werde. Die Online-Anmeldung zur Prüfung erfolge dann nachträglich. Da die Antragstellerin die Lehrveranstaltung nicht besucht hatte, kannte sie diese Modalitäten nicht, so dass ihre Prüfungsanmeldung faktisch einen bereits abgelaufenen Prüfungszeitraum betraf. Nach Auffassung der Antragsgegnerin hat allein diese Anmeldung, die die Antragsgegnerin durch Bereitstellung eines entsprechenden Onlineformulars ohne Hinweis auf die Prüfungsmodalitäten ermöglicht hat, dazu geführt, dass die Antragstellerin einen erfolglosen Prüfungsversuch in Informationswirtschaft gegen sich gelten lassen muss und die Wiederholbarkeitsfrist in Gang gesetzt worden ist. Eine derartig weitreichende Rechtsfolge ist in der Prüfungsordnung jedoch nicht ausdrücklich geregelt und dürfte mit Art. 12 Abs. 1 GG kaum vereinbar sein. Wie dargelegt, setzt der Verlust eines Prüfungsanspruchs voraus, dass der Kandidat überhaupt die Möglichkeit zum Ablegen der Prüfung hatte. Die Nichtbestehensregelung des § 8 Abs. 1 RPO 1999 knüpft daran an, dass der Kandidat einen für ihn bindenden Prüfungstermin versäumt. Diese Bindungswirkung muss jedoch zum Zeitpunkt der Prüfung selbst bestehen, um die einschneidende Folge des Nichtbestehens der Prüfung bei Nichterscheinen zu rechtfertigen. Dies war hier nicht der Fall, da für die Antragstellerin keine Pflicht bestand, das Modul Informationswirtschaft im SS 2007 zu belegen. Ihre Prüfungsanmeldung kann daher nicht als erfolgloser Prüfungsversuch bewertet werden. Da somit erst die erfolglose Teilnahme an diesem Modul im WS 2007/2008 die Wiederholbarkeitsfrist des § 10 Abs. 3 RPO 1999 in Gang gesetzt hat und die Antragstellerin seit dem WS 2008/2009 objektiv keine Möglichkeit zur Prüfungsteilnahme mehr hatte, ist auch die Frist zur Wiederholung des Moduls noch nicht abgelaufen.
Die Antragstellerin hat - wie schon das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Denn es ist ihr nicht zuzumuten, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten und während dieser Zeit trotz der Ungewissheit über ihren weiteren beruflichen Werdegang ihre prüfungsrelevanten Kenntnisse und Fähigkeiten auf dem aktuellen Stand zu halten, zumal ihr neben der Verteidigung ihrer Abschlussarbeit nur dieser eine Leistungsnachweis noch fehlt (vgl. zu den Anforderungen eines effektiven vorläufigen Rechtsschutzes bei berufsbezogenen Prüfungen BVerfG, Beschluss vom 25. Juli 1996 - 1 BvR 638/96 -, zitiert nach juris, Rn. 19 und Beschluss vom 12. März 1999 - 1 BvR 355/99 -, zitiert nach juris, Rn. 5).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
Ende der Entscheidung
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