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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 10.07.2008
Aktenzeichen: OVG 10 S 31.07
Rechtsgebiete: VwGO, BbgBO


Vorschriften:

VwGO § 123 Abs. 1
VwGO § 146
VwGO § 147
BbgBO § 54
BbgBO § 73 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 10 S 31.07

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 10. Senat durch den Vizepräsidenten des Oberverwaltungsgerichts Krüger und die Richterin am Oberverwaltungsgericht Gaube und den Richter am Oberverwaltungsgericht Seiler am 10. Juli 2008 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 28. November 2007 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 3.750,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die nach §§ 146, 147 VwGO eingelegte Beschwerde ist unbegründet.

Mit dem angegriffenen Beschluss hat das Verwaltungsgericht im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO dem Antragsgegner aufgegeben, "der Beigeladenen die Durchführung von mehr als zwölf Discothekenveranstaltungen im Jahr in der Gaststätte ,Zum D_____ in W_____/OT P_____ zu untersagen", und im Übrigen den auf vollständige Nutzungsuntersagung gerichteten Antrag abgelehnt. Die hiergegen vorgebrachten Beschwerdegründe (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO) rechtfertigen es nicht, den Beschluss des Verwaltungsgerichts zu ändern.

Die Rüge des Antragstellers, dass der Tenor des Beschlusses unklar sei, geht ins Leere. Dies gilt unabhängig von der Frage, ob bei - etwaiger - Nichtigkeit eines Beschlusses wegen eines nicht vollstreckungsfähigen Tenors die Beschwerde der statthafte Rechtsbehelf ist, insbesondere dann, wenn das Beschwerdebegehren, wie hier, nicht auf vollständige Aufhebung, sondern nur auf Änderung des angefochtenen Beschlusses gerichtet ist. Denn es lässt sich vorliegend durch Auslegung des Tenors anhand der Beschlussgründe ermitteln, dass das Verwaltungsgericht den Antragsgegner verpflichtet hat, der Beigeladenen die Durchführung von mehr als einer Diskothekenveranstaltung im Monat zu untersagen. Dies ergibt sich aus Seite 5 des Beschlussabdrucks. Dort hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass "... allenfalls die Abhaltung von zwölf Discoveranstaltungen im Jahr gerechtfertigt" sei, "wobei dem zugrunde" liege, "dass - grundsätzlich - die Durchführung einer Jugendtanzveranstaltung im Monat der Üblichkeit" entsprochen habe.

In der Sache wendet sich die Beschwerde gegen die Ansicht des Verwaltungsgerichts, dass ein Anordnungsanspruch für die auf der Grundlage des § 73 Abs. 3 BbgBO begehrte vollständige Untersagung der Nutzung der "Gaststätte" als Diskothek nicht vorliege. Das Beschwerdevorbringen stellt indes die Begründung des Verwaltungsgerichts, dass ein monatliches Veranstalten von Diskotheken keine Nutzungsänderung i.S.d. § 54 BbgBO und deshalb durch die Baugenehmigung vom 6. Mai 1965 legalisiert sei, nicht schlüssig in Frage.

Der Antragsteller meint, dass die Nutzung der als Kulturhaus [s. hierzu: Anordnung über die Aufgaben und die Arbeitsweise der Kreiskulturhäuser und der Kulturhäuser in den Städten und auf dem Lande vom 31. März 1965 (GBl. der ehemaligen DDR II S. 323), geändert durch Anordnung vom 2. April 1971 (GBl. der ehemaligen DDR II S. 315) sowie die bis zur Wiedervereinigung geltende Anordnung über die Aufgaben und die Arbeitsweise der Kulturhäuser vom 20. Oktober 1977 (GBl. der ehemaligen DDR I S. 350) - Kulturhausanordnung -] errichteten und als solches auch bis zur Wiedervereinigung betriebenen "Gaststätte" für Diskothekenveranstaltungen die von der Baugenehmigung legalisierte Variationsbreite verlasse. Denn zum Nutzungsspektrum von Kulturhäusern hätten lediglich "Jugendtanzveranstaltungen" - und nicht "Diskothekenveranstaltungen in ihrer konkreten nachgewiesenen Ausgestaltung durch die Beigeladene" - gehört.

Mit dieser - auf die individuelle Bewirtschaftungsweise und Bewirtschaftungsintensität durch die Beigeladene abhebenden - Behauptung stellt der Antragsteller nicht in Abrede, dass "Diskothekveranstaltungen" i.S.d. Anordnung über Diskothekveranstaltungen vom 15. August 1973 (GBl. der ehemaligen DDR I S. 401), geändert durch Anordnung Nr. 2 über Diskothekveranstaltungen vom 24. Mai 1976 (GBl. der ehemaligen DDR I S. 309) - Diskothekordnung - in der ehemaligen DDR übliche Tanz- und Unterhaltungsveranstaltungen waren (s. den Vorspruch und § 1 Abs. 1 der Diskothekordnung), die auch zum Nutzungsspektrum von Kulturhäusern gehörten [§ 4 Abs. 2 der Diskothekordnung i.V.m. § 1 Abs. 4 der Anordnung über die Ausübung von Tanz- und Unterhaltungsmusik vom 15. Juni 1964 (GBl. der ehemaligen DDR II S. 597), zuletzt ergänzt durch Anordnung vom 1. November 1965 (GBl. der ehemaligen DDR II S. 777); § 3 Abs. 2 g der Kulturhausanordnung vom 31. März 1965; § 3 Abs. 1, 4 und 6 der Kulturhausanordnung vom 20. Oktober 1977]. Dementsprechend wurden auch in dem streitgegenständlichen Kulturhaus zu Zeiten der ehemaligen DDR "Diskothekveranstaltungen" durchgeführt, wie der Antragsgegner unter Hinweis auf die in Kopie im Verwaltungsvorgang enthaltenen Anmeldungen bzw. Erlaubnisanträge und Erlaubnisse nach § 4 Abs. 3 Satz 2 Diskothekordnung i.V.m. §§ 3, 4 Abs. 3, 6 Abs. 1 der Verordnung über die Durchführung von Veranstaltungen vom 26. November 1970 (GBl. der ehemaligen DDR II S. 69) zu Recht vorträgt.

Angesichts dieser Sach- und Rechtslage bedurfte es auch keiner allgemeinen Abgrenzung von "Jugendtanzveranstaltungen" und "Diskothekenveranstaltungen" durch das Verwaltungsgericht. Soweit der Antragsteller darüber hinausgehend meint, dass das Verwaltungsgericht es zu Unrecht unterlassen habe, "den Begriff Jugendtanzveranstaltungen in Abgrenzung zu den ... inkriminierten Diskothekenveranstaltungen, welche er - veranstaltet durch die Beigeladene - im Einzelnen konkret beschrieben" habe "zu definieren bzw. insoweit einem Beweise zugängliche Anknüpfungstatsachen festzustellen", geht sein Vorbringen in zweifacher Hinsicht fehl. Ein auf "Jugendtanzveranstaltungen" beschränkter Vergleich mit den von der Beigeladenen nach 1990 veranstalteten Diskotheken wäre unvollständig, da er die in dem Kulturhaus durchgeführten Diskotheken i.S.d. Diskothekordnung jedenfalls nicht vollständig erfassen würde. Zudem hat das Verwaltungsgericht auf Seite 3 unten bis Seite 5, 1. Absatz des Beschlussabdrucks die seit 1990 aufgetretenen Veränderungen von "Jugendtanzveranstaltungen" in Bezug gesetzt zu der für Kulturhäuser im ländlichen Bereich typischen Nutzung. In diesen Vergleich hat es auch die von dem Antragsteller vorgetragene Nutzungsintensivierung der "Gaststätte" "Zum D_____" durch einen vergrößerten Einzugsbereich und ein späteres Veranstaltungsende einbezogen. Dies übersieht der Antragsteller.

Auch soweit sich dem Vorbringen des Antragstellers jedenfalls sinngemäß die Ansicht entnehmen lässt, dass sich der Einzugsbereich des von der Beigeladenen betriebenen ehemaligen Kulturhauses derart vergrößert habe, dass die der genehmigten Nutzung eigene Variationsbreite verlassen werde, wird eine Nutzungsänderung nicht dargetan. Der Antragsteller geht nicht einmal ansatzweise auf das insoweit von dem Verwaltungsgericht angeführte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Oktober 1998 - 4 C 9.97 - (NVwZ 1999, S. 417) ein. Nach diesem Urteil muss ein Vorgang von dem Nutzer veranlasst, ihm zuzuordnen sein, um als Nutzungsänderung qualifiziert zu werden. Deshalb stellt eine Nutzungsintensivierung, die lediglich auf einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse beruht, ohne dass der Betreiber etwas an den für die Bestimmung der Nutzungsart maßgebenden Merkmalen ändert, keine Nutzungsänderung dar. Um eine derartige bloße Nutzungsintensivierung handelt es sich aber auch nach dem Beschwerdevorbringen. Denn der behauptete Wegfall von Kulturhäusern, kulturellen Zentren und ähnlichen Einrichtungen in den umliegenden Orten seit 1990 ist von der Beigeladenen weder veranlasst noch ihr zuzuordnen. Auch ist die für die Besucherzahl maßgebende Größe des Veranstaltungsraumes mit einem Fassungsvermögen von 250 Plätzen - die ohnehin auf einen überörtlichen Einzugsbereich hindeutet - unverändert geblieben.

Ebensowenig setzt sich die Beschwerde mit der Ansicht des Verwaltungsgerichts auseinander, dass auch die Dauer der von der Beigeladenen veranstalteten Diskotheken bis in die frühen Morgenstunden Ausdruck einer der Beigeladenen nicht zuzurechnenden Änderung "der gesellschaftlichen Entwicklung" sei und (u.a.) dem hierdurch hervorgerufenem "Störpotential" durch die Beschränkung auf eine Veranstaltung pro Monat hinreichend Rechnung getragen werde. Angesichts des vorgenannten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts - demzufolge eine Nutzungsänderung jedenfalls grundsätzlich eine (durch den Vorhabenträger veranlasste) Änderung objektiver, vor allem in Maß und Zahl ausdrückbarer Merkmale baulicher Anlagen voraussetzt - genügt der Hinweis des Antragstellers auf "die seinerzeit gültige Sperrzeitenregelung" nicht dem Darlegungserfordernis. Eine gewerberechtliche (s. hierzu das von dem Antragsteller in Bezug genommene Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 29. August 2006 - 1 R 21.06 -, juris) Sperrzeitenregelung ist kein objektives Merkmal einer baulichen Anlage. Es ist auch weder dargetan noch sonst ersichtlich, dass die Baugenehmigung vom 6. Mai 1965 mit einer entsprechenden Nebenbestimmung versehen ist. Vielmehr lässt sich den bereits genannten und von dem Verwaltungsgericht in Bezug genommenen Kopien von Anmeldungen bzw. Erlaubnisanträgen und Erlaubnissen entnehmen, dass "Polizeistunden" existierten, die auf Antrag verkürzt oder aufgehoben werden konnten. Unabhängig davon hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO), dass durch die im Beschwerdeverfahren allein in Rede stehenden zwölf, in monatlichen Abständen durchführbaren Tanz- oder Musikveranstaltungen die Variationsbreite der Baugenehmigung überschritten wird, wenn diese über 24.00 Uhr hinaus andauern. Zwar endeten nach der von dem Antragsgegner und der Beigeladenen (deren Stellungnahme entgegen der Ansicht des Antragstellers jedenfalls im Wege des Freibeweises, hier zugunsten des Antragstellers, verwertbar ist) unbestrittenen Feststellung des Verwaltungsgerichts "Jugendtanzveranstaltungen" vor 1990 "regelmäßig gegen Mitternacht". Auch können erhöhte Belastungen der Nachbarschaft dann eine Nutzungsänderung begründen, wenn sie ein Ausmaß erreichen, welches eine andere baurechtliche Beurteilung erfordert (vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. November 2002 - 4 B 64.02 -, juris; Beschluss des Senats vom 21. März 2006 - 10 S 3.06). Jedoch ergibt sich aus den oben genannten Anmeldungen bzw. Erlaubnisanträgen und Erlaubnissen, dass Tanz- oder Musikveranstaltungen durchaus auch bis weit nach Mitternacht - teilweise nach ausdrücklich beantragter Verkürzung oder Aufhebung der "Polizeistunde" - durchgeführt bzw. erlaubt wurden. So fanden beispielsweise - über die zahlreichen um 1.00 Uhr schließenden Tanz- und sonstigen allgemeinen Unterhaltungsveranstaltungen mit Musik hinaus - am 22. Oktober 1988 und am 17. Juni 1989 "Mitternachtsdiscos" sowie am 20. August 1983 und 21. Juli 1984 "Sommernachtsbälle" statt, die jeweils erst um 2.00 Uhr endeten. Auch die aktenkundigen zwei- bis viertägigen Karnevalsveranstaltungen dauerten in der Regel bis 2.00 Uhr, während Silvesterverantaltungen bis 3.00 Uhr oder sogar 4.00 Uhr erlaubt wurden. Dass die beiden letztgenannten Veranstaltungsarten von ihrem Zweck her nicht auf Tanz oder das Hören von Musik beschränkt waren, ist unerheblich. Denn es kommt nicht auf den Veranstaltungszweck sondern auf die Vergleichbarkeit der nach 24.00 Uhr aufgetretenen Immissionen zu Zeiten der ehemaligen DDR an.

Da der Antragsteller nach alledem nicht glaubhaft gemacht hat, dass bis1990 nur um 24.00 Uhr endende Tanz- und Musikveranstaltungen der Üblichkeit entsprachen und damit von der Baugenehmigung gedeckt sind, ist auch der sinngemäße (entgegen der Ansicht des Antragsgegners in dem Hauptantrag als Minus enthaltene) Antrag, den Antragsgegner zu verpflichten, der Beigeladenen aufzugeben, die monatlich durchführbaren "Diskothekenveranstaltungen" um 24.00 Uhr zu beenden, unbegründet.

Schließlich ist jedenfalls nicht ausreichend dargetan, was der Ausbau eines 35 qm umfassenden Kellerraums zu einer Bar, der nach den unbestrittenen Angaben des Antragsgegners und der Beigeladenen zudem bereits Ende der 1960er Jahre stattfand, mit der Nutzung des 250 Plätze umfassenden Veranstaltungsraumes im Erdgeschoss als Diskothek zu tun hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Dem Antragsteller auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, entspricht nicht der Billigkeit, weil die Beigeladene keinen Antrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1, § 47 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes - GKG -. Der Senat geht hierbei von der Empfehlung der Ziffer 9.7.1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit Fassung 7/2004 (NVwZ 2004, 1327) aus, die für Nachbarstreitigkeiten pauschalierend einen Betrag von 7.500,00 € vorsieht. Diesen Betrag hat der Senat in Anlehnung an Ziffer 1.5 Satz 1, 1. Alternative des genannten Streitwertkataloges halbiert.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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