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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 03.04.2009
Aktenzeichen: OVG 10 S 5.09
Rechtsgebiete: VwGO, BauOBln, BauGB


Vorschriften:

VwGO § 57
VwGO § 58 Abs. 2
VwGO § 70
VwGO § 146 Abs. 4 Satz 6
BauOBln § 71 Abs. 2 Satz 1
BauGB § 212 a Abs. 1
Sind die Nachbarn vor der Erteilung einer ihnen nicht bekannt gegebenen Baugenehmigung unter Anhörung und Fristsetzung mit Gelegenheit zur Stellungnahme sowie der Ankündigung der Erteilung der Befreiung schon in das Verwaltungsverfahren mit einbezogen worden, spricht viel dafür, dass dadurch der maßgebende Zeitpunkt für die mögliche Erkennbarkeit der geltend zu machenden Beeinträchtigungen und damit für den Beginn der für die Verwirkung des Widerspruchsrechts in der Regel maßgebenden Jahresfrist (§ 58 Abs. 2 VwGO) gewissermaßen auf den Erteilungszeitpunkt "vorverlegt" wird.
OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN-BRANDENBURG BESCHLUSS

OVG 10 S 5.09

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 10. Senat durch den Vizepräsidenten des Oberverwaltungsgerichts Krüger, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Dr. Broy-Bülow und den Richter am Oberverwaltungsgericht Seiler am 3. April 2009 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 18. Dezember 2008 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen den Antragstellern als Gesamtschuldnern auferlegt.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 3 750 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragsteller sind Eigentümer des mit einem viergeschossigen, überwiegend als Wohnhaus genutzten Gebäude bebauten Grundstücks B_____ Straße 3_____ in Berlin-K_____. Sie wehren sich im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gegen die der Beigeladenen mit Bescheiden vom 29. und 30. Mai 2006 sowie mit Bescheiden vom 22. Juli 2008 erteilte Baugenehmigung bzw. Nachtragsgenehmigung mit Befreiungen für die Errichtung eines neungeschossigen Büro- und Geschäftshauskomplexes mit Tiefgarage auf dem gegenüberliegenden Eckgrundstück B_____ Straße 1_____ / A_____ / S_____. Gegenstand der mit Bescheid vom 29. Mai 2006 erteilten bauplanungsrechtlichen Befreiung waren unter anderem die Zulassung der Überschreitung der im Bebauungsplan VI-95 vom 1. Dezember 1969 im Kerngebiet festgesetzten Baugrenzen sowie der Geschossflächenzahl und der Zahl der Vollgeschosse, die ein Überschreiten der Abstandsflächen über die Mitte der öffentlichen Verkehrsfläche hinaus - auch zum Grundstück der Antragsteller hin - zur Folge hat, für die der Beigeladenen eine bauordnungsrechtliche Befreiung erteilt worden ist. Für die Möglichkeit der baulichen Inanspruchnahme auch eines Teils der im Bebauungsplan für das westlich an das Vorhabengrundstück angrenzende Grundstück der Kirchengemeinde festgesetzten Gemeinbedarfsfläche erteilte der Antragsgegner der Beigeladenen mit den Bescheiden vom 22. Juli 2008 eine Nachtragsgenehmigung mit einer entsprechenden bauplanungsrechtlichen Befreiung.

Gegen diese Befreiungen, die Bau- und die Nachtragsgenehmigung legten die Antragsteller mit Schreiben vom 29. August 2008 Widerspruch ein, der am 1. September 2008 beim Antragsgegner einging und durch Widerspruchsbescheid vom 17. November 2008 als verfristet zurückgewiesen wurde. Zur Begründung führte er aus, dass die Antragsteller trotz Kenntnis von dem Bauvorhaben dessen Verwirklichung und die damit zusammenhängenden Investitionen der Beigeladenen in einem Zeitraum von (über) zwei Jahren widerspruchslos hingenommen hätten. Ab dem Zeitpunkt, von dem an sich einem Nachbarn das Vorliegen einer Baugenehmigung aufdrängen muss, sei es diesem jedoch möglich und zumutbar, sich über deren Inhalt durch Anfrage beim Bauherrn oder der Baugenehmigungsbehörde Gewissheit zu verschaffen, um gegebenenfalls unverzüglich Einwendungen zu erheben und den wirtschaftlichen Schaden des Bauherrn möglichst gering zu halten. Ein solches zumutbares aktives Handeln und Mitwirken sei Teil des durch Treu und Glauben geprägten nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses. An solcher Mitwirkung fehle es. Hiergegen haben die Antragsteller Klage erhoben (VG 13 A 223.08).

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz mit Beschluss vom 18. Dezember 2008 zurückgewiesen. Hierbei hat es die Frage, ob die Antragsteller ihr Widerspruchsrecht durch zu langes Zuwarten verwirkt haben könnten, dahinstehen lassen und den Antrag unter Prüfung möglicher Verstöße gegen abstandsflächenrechtliche und planungsrechtliche Vorschriften sowie gegen das Rücksichtnahmegebot mangels Verletzung von Nachbarrechten zurückgewiesen.

Hiergegen richtet sich die vorliegende Beschwerde. In dem Beschwerdeverfahren haben sowohl der Antragsgegner als auch die Beigeladene in ihren jeweiligen Beschwerdeerwiderungen die Frage der Unzulässigkeit des Antrags wegen Verwirkung des Widerspruchsrechts der Antragsteller wieder aufgegriffen haben und die Baugenehmigung als bestandskräftig angesehen.

II.

Die Beschwerde der Antragsteller hat keinen Erfolg.

Das Vorbringen der Antragsteller im Beschwerdeverfahren rechtfertigt es nicht, den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts im Ergebnis zu ändern. Hierbei ist vorauszuschicken, dass der Gesetzgeber mit § 212 a Abs. 1 BauGB bereits eine Interessenwertung für den Fall vorgenommen hat, dass ein Dritter mit Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens vorgeht, indem er die aufschiebende Wirkung ausgeschlossen und die sofortige Vollziehung als Regelfall vorgesehen hat. Soll der Antrag dennoch Erfolg haben, erfordert dies bei der nach § 80 a Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmenden Abwägung der widerstreitenden privaten und öffentlichen Interessen, dass das Interesse der Antragsteller, von der sofortigen Vollziehung der Baugenehmigung vorerst verschont zu bleiben, das Interesse der Allgemeinheit und der Beigeladenen an der unverzüglichen Ausnutzung der Baugenehmigung ausnahmsweise überwiegen müsste. Dies setzt bei der durch § 212 a Abs. 1 BauGB getroffenen Wertentscheidung des Gesetzgebers einen offensichtlich gegebenen Abwehranspruch des Dritten voraus, der hier nicht erkennbar ist.

1. Vielmehr kommt eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage schon deshalb nicht in Betracht, weil alles dafür spricht, dass einem möglichen Erfolg des Rechtsmittels schon die Bestandskraft der unter Befreiungen erteilten Baugenehmigung entgegen steht. Denn das Widerspruchsrecht der Antragsteller dürfte verwirkt und der Widerspruch der Antragsteller gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung und Befreiung vom 29. und 30. Mai 2006 damit verfristet gewesen sein.

a) Dass das Verwaltungsgericht die Zurückweisung des vorläufigen Rechtsschutzantrags nicht auf diesen rechtlichen Aspekt gestützt hat, stellt kein prozessuales Hindernis im Beschwerdeverfahren dar. Zwar ist das Oberverwaltungsgericht gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO grundsätzlich auf die Prüfung der mit der Beschwerde dargelegten Gründe beschränkt. Es ist aber nicht gehindert, die Entscheidung zu Lasten eines Antragstellers auch auf andere rechtliche Gesichtspunkte zu stützen, die einem Erfolg der Beschwerde erkennbar entgegenstehen. Dies gilt unabhängig davon, ob diese rechtlichen Aspekte vom Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung - aus welchen Gründen auch immer - (letztlich) nicht berücksichtigt worden sind. Insoweit bleibt es für das Beschwerdegericht bei den Prüfungselementen, wie sie bei einer uneingeschränkten Beschwerdemöglichkeit gegeben wären (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 15. Auflage 2007, § 146 RNr. 43; OVG Münster, Beschluss vom 18. März 2002, NVwZ 2002,1390).

b) Im Einzelnen: Die Antragsteller haben erst mit dem am 1. September 2008 bei dem Antragsgegner eingegangenen Schreiben vom 29. August 2008 Widerspruch gegen die Baugenehmigung erhoben. Zu diesem Zeitpunkt war ihr Recht zum Widerspruch bereits verwirkt. Zwar setzte der nur an die Beigeladene übersandte Baugenehmigungsbescheid gegenüber den Antragstellern mangels Bekanntgabe durch die Behörde zunächst keinen regulären Fristenlauf für die Einlegung eines Widerspruchs in unmittelbarer Anwendung der §§ 57, 58 und 70 VwGO in Gang, weil dies wegen des Schriftformerfordernisses für Baugenehmigungen (§ 71 Abs. 2 Satz 1 BauOBln) die Übergabe einer Ausfertigung des Bescheids auch an diese als betroffene Nachbarn erfordert hätte. Von dem Zeitpunkt an, von dem ab anzunehmen ist, dass der Nachbar sichere Kenntnis von der erteilten Baugenehmigung erlangt hat oder zumindest hätte erlangen müssen, hat er sich jedoch in aller Regel nach Treu und Glauben so behandeln zu lassen, als sei ihm die Baugenehmigung im Zeitpunkt der zuverlässigen Kenntniserlangung bzw. in demjenigen Zeitpunkt amtlich bekannt gegeben worden, in dem er diese Kenntnis hätte erlangen müssen. Maßgebend ist insoweit nicht der Zeitpunkt des Erkennens, sondern der Erkennbarkeit der (später) geltend gemachten Beeinträchtigung (vgl. OVG Bln-Bbg, Urteil vom 20. Dezember 2005 - OVG 10 B 10.05 - sowie Beschluss vom 15. Mai 2008 - OVG 10 N 21.06 -). Von diesem Zeitpunkt an läuft im Hinblick auf die Regelung des § 58 Abs. 2 VwGO, wonach bei unterbliebener oder unrichtig erteilter Rechtsbehelfsbelehrung für die Einlegung des Rechtsbehelfs die Jahresfrist gilt, auch in diesen Fällen eine einjährige Widerspruchsfrist. Mit Ablauf der Jahresfrist ist dann nach ständiger Rechtsprechung regelmäßig Verwirkung anzunehmen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Januar 1988, BRS 48 Nr. 180; Urteil vom 25. Januar 1974, BVerwGE 44, 294).

Im vorliegenden Fall wurden die Antragsteller mit dem als "Anhörung" überschriebenen Schreiben des Antragsgegners vom 12. April 2006 auf das Bauvorhaben aufmerksam gemacht, das Ihnen unter Beifügung des Lageplans vom 22. (gemeint: 21.) November 2005 am 18. April 2006 persönlich von einem Mitarbeiter des Antragsgegners ausgehändigt wurde, worüber ein handschriftlicher Vermerk gefertigt worden ist. In dem Anhörungsschreiben wurde auf den beabsichtigten Neubau eines Büro- und Geschäftshauses mit Tiefgarage (64 PKW-Stellplätze) hingewiesen und es wurden alle beabsichtigten bauplanungsrechtlichen und bauordnungsrechtlichen Befreiungen als rechtliche Voraussetzung für die Erteilung der Baugenehmigung aufgeführt. Es sei beabsichtigt, diese Befreiungen zu erteilen. Den Antragstellern wurde Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von drei Wochen mit folgendem Hinweis gegeben: "Sollten Sie sich innerhalb dieser genannten Frist nicht schriftlich geäußert haben, ist davon auszugehen, dass Sie keine Einwendungen gegen das o. g. Vorhaben haben." Zusätzlich sollen nach dem handschriftlichen Vermerk bei der Übergabe der Unterlagen an die Antragsteller von dem Behördenmitarbeiter "kurze Erläuterungen zu den planungsrechtlichen und bauordnungsrechtlichen Belangen / Befreiungen abgegeben" worden sein, der darüber hinaus geäußert haben soll, dass "Abstandsflächen, die über die gesetzliche nachbarschützende Wirkung hinausgehen, ... nicht betroffen" sind. Auf dem Schriftstück befindet sich zudem der spätere handschriftliche Vermerk: "bis zum 17.5.06 ist keine schriftliche Äußerung beim BWA eingegangen". Unter diesen Umständen durfte die Baugenehmigungsbehörde nach Ablauf der Stellungnahmefrist aufgrund des passiven Verhaltens der Antragsteller auf deren Einverständnis mit dem Bauvorhaben schließen (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 16. April 2002, BRS 65 Nr. 195) und die Baugenehmigung vom 30. Mai 2006 mit der Befreiung vom 29. Mai 2006 erteilen. Hiermit hätten die Antragsteller bereits nach Ablauf der 3-Wochen-Frist, also ab dem 9. Mai 2006, rechnen müssen, da sie sich nicht innerhalb der ihnen eingeräumten Stellungnahmefrist geäußert haben. Dieses Unterlassen geht nach dieser Vorbereitung der Baugenehmigung durch die Behörde, die unter ausdrücklicher Einbeziehung der Nachbarn in das Verfahren erfolgt ist, zu Lasten der Antragsteller, so dass jedenfalls spätestens ab der Erteilung der Baugenehmigung und Befreiung vom 29. und 30. Mai 2006 die Jahresfrist für den Widerspruch lief. In dieser Zeit hätte es den Antragstellern oblegen, sich nach der zwischenzeitlichen Erteilung der Baugenehmigung zu erkundigen und ggf. ohne Säumen ihre nachbarlichen Einwendungen geltend zu machen, um durch ein solches zumutbares aktives Handeln einen wirtschaftlichen Schaden des Bauherrn zu vermeiden oder dessen Vermögensverlust so gering wie möglich zu halten (vgl. OVG Bln-Bbg, Urteil vom 20. Dezember 2005 - OVG 10 B 10.05 -, m. w. N.). Bei Einlegung des Widerspruchs am 1. September 2008 - also nach 2 1/4 Jahren - war die Widerspruchsfrist jedenfalls verstrichen.

Soweit die Antragsteller ihr zögerliches Verhalten damit erklären wollen, dass im März 2008 die Baustelleneinrichtung erfolgt und erst damit für sie der Baubeginn erkennbar geworden sei, steht dies der Verwirkung nicht entgegen. Solche tatsächlichen Vorgänge im Rahmen eines Baugeschehens, wie der Beginn der Bauarbeiten, die auf eine vorangegangene Erteilung einer Baugenehmigung schließen lassen, sind in der Regel für einen möglichen Fristbeginn relevant (vgl. hierzu OVG Bln-Bbg, a. a. O.). Sind die Nachbarn jedoch - wie hier - zuvor unter Anhörung und Fristsetzung mit Gelegenheit zur Stellungnahme schon in das Verwaltungsverfahren einbezogen worden, spricht viel dafür, dass dadurch der maßgebende Zeitpunkt für eine mögliche Erkennbarkeit der geltend zu machenden Beeinträchtigungen gewissermaßen auf den Erteilungszeitpunkt "vorverlegt" wird, zumal ihnen für den Fall der Nichtäußerung angekündigt worden ist, dass von ihrem Einverständnis ausgegangen, und die Befreiung sodann erteilt werden würde. Unter diesen Umständen durfte die Beigeladene als Bauherrin darauf vertrauen, dass jedenfalls nach Ablauf der Jahresfrist von der Erteilung der Baugenehmigung an kein Rechtsbehelf mehr eingelegt wird und Bestandskraft im Interesse allseitiger Rechtssicherheit eintritt. In der Folgezeit hatte die Beigeladene dann auch weiteren Planungsaufwand für eine Änderungsplanung und tätigte Investitionen, indem sie einen am 29. Juni 2006 geschlossenen Grundstückstauschvertrag mit der benachbarten Kirchengemeinde später erfüllte, wie sich dem Vermerk vom 4. Juli 2008 (Bl. 78 VV) entnehmen lässt, so dass auch diese Voraussetzungen für eine Verwirkung des Rechts auf Einlegung des Widerspruchs erfüllt sind (vgl. OVG Bln-Bbg, Urteil vom 20. Dezember 2005, a. a. O.).

Soweit das bereits im März 2006 aufgestellte und von den Antragstellern offenbar auch wahrgenommene Baustellenschild mit einer bildlichen Darstellung des Bauvorhabens (Blatt 60 d. A.) dessen tatsächliche Dimensionen nicht zutreffend wiedergegeben haben soll, kommt es hierauf angesichts des nachfolgenden detaillierten Anhörungsschreibens vom 12. April 2006 nicht an. Diesem Schild kann jedoch zumindest eine zusätzliche "Anstoßfunktion" in dem Sinne beigemessen werden, dass sich auf dem gegenüberliegenden Grundstück demnächst eine Bautätigkeit entfalten würde. Unter diesen Umständen konnte das nachfolgende Anhörungsschreiben vom 12. April 2006 die Antragsteller jedenfalls nicht überraschen, wobei die im Einzelnen zwischen den Beteiligten umstrittenen Umstände bei der persönlichen Übergabe der Unterlagen und der Erläuterung des Bauvorhabens durch den Behördenmitarbeiter keiner Klärung bedürfen. Dies gilt insbesondere für die Frage, ob der Antragsteller zu 1) bei der Übergabe des Lageplans "zugegen" gewesen ist. Denn entscheidend ist, dass den Antragstellern mit der Übergabe des Anhörungsschreibens am 18. April 2006 unter schriftlicher Darstellung der rechtlichen Rahmenbedingungen des Bauvorhabens Gelegenheit gegeben worden ist, sich innerhalb von drei Wochen hierzu zu äußern. Hierzu hätte es genügt, einen Fachmann mit der Angelegenheit zu betrauen, oder zumindest zu erkennen zu geben, dass eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung beabsichtigt ist, um so rechtzeitig die notwendigen Signale für die Behörde und die Beigeladene für eine entsprechend zurückhaltende Disposition zu setzen.

Soweit die Antragsteller mit der Beschwerde sinngemäß vortragen, gewissermaßen "arglistig" durch den Behördenmitarbeiter über die Regelungen des Abstandsflächenrechts getäuscht und damit zu einem Absehen von der Widerspruchseinlegung veranlasst worden zu sein, bestehen hierfür keine Anhaltspunkte. Dass die Behörde in Kenntnis eines Baurechtsverstoßes den Antragstellern zugeraten haben könnte, keinen Widerspruch einzulegen, ist nicht glaubhaft gemacht. Zwar hat der das Anhörungsschreiben aushändigende Behördenmitarbeiter den behördlichen Rechtsstandpunkt gegenüber den Antragstellern formuliert und dies auch dokumentiert, wie aus dem handschriftlichen Vermerk auf dem Schreiben vom 12. April 2006 ersichtlich ist. Selbst wenn diese Rechtsauffassung möglicherweise falsch gewesen sein sollte, wogegen jedenfalls die Ausführungen des Verwaltungsgerichts in dem angefochtenen Beschluss vom 18. Dezember 2008 sprechen, könnte hieraus kein arglistiges Handeln der Behörde zu Lasten der Antragsteller hergeleitet werden. Diese waren nicht gehindert, Rechtsrat einzuholen und sich sachkundig zu machen, wie sie es später auch getan haben (vgl. OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 13. März 2008 - OVG 2 S 104.07 -). Hierzu ist ihnen schriftlich unter Fristsetzung Gelegenheit gegeben worden, ohne dass ihnen nach Ablauf der dreiwöchigen Frist schon das Widerspruchsrecht genommen wäre. Soweit die Antragsteller möglicherweise aus der von ihrem Prozessbevollmächtigten im Beschwerdeverfahren behaupteten grundsätzlichen Vertrauenshaltung gegenüber Behördenmitarbeitern und Verwaltungen von Einwendungen abgesehen haben sollten, kann ihnen das Risiko einer möglichen behördlichen Fehlbeurteilung der Rechtslage, zu deren Überprüfung die Gerichte berufen sind, nicht abgenommen werden, wenn sie es versäumen, zumindest ihre verfahrensmäßigen Rechte zu wahren.

c) Unabhängig davon dürften hier besondere Umstände gegeben sein, die es sogar geboten erscheinen lassen, eine Verwirkung des Rechts zur Einlegung des Widerspruchs noch deutlich vor Ablauf der regelmäßig zur Orientierung heranzuziehenden Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO anzunehmen. Die Antragsteller haben sich selbst darauf berufen, mit der im März 2008 erfolgten Baustelleneinrichtung und den damit zusammenhängenden tatsächlichen Vorgängen im Rahmen des Baugeschehens von dem Baubeginn Kenntnis erlangt zu haben. Hierbei dürfte ihnen anhand des Bauschilds der Umfang des Vorhabens deutlich geworden sein, dessen Verwirklichung demgemäß der Beigeladenen erhebliche Kosten verursachen würde. Daher liegt es nahe, die Frist, binnen derer gegen die Baugenehmigung ohne Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben Widerspruch hätte eingelegt werden müssen, hier deutlich kürzer zu bemessen, so dass sie jedenfalls am 1. September 2008, als der Widerspruch bei dem Antragsgegner einging und über 5 Monate seit der Baustelleneinrichtung im März 2008 vergangen waren, verstrichen war. Mit einer solchen Abkürzung der Frist wird ihnen auch nichts Unzumutbares abverlangt, da es ihnen freisteht, zunächst nur vorsorglich und sogar ohne Begründung Widerspruch einzulegen. Jedenfalls aber erscheint ein Zuwarten mit der Einlegung des Widerspruchs bei einem so umfangreichen und demgemäß kostspieligen Bauvorhaben wie dem vorliegenden offensichtlich mit dem berechtigten Interesse des Bauherrn unvereinbar, darüber alsbald Gewissheit zu erlangen, ob das Vorhaben irgendwelchen Angriffen ausgesetzt ist oder nicht (vgl. OVG Bln-Bbg, Urteil vom 20. Dezember 2005 - OVG 10 B 10.05 - m. w. N.).

2. Hinsichtlich der Nachtragsgenehmigung nebst Befreiung vom 22. Juli 2008 war der Widerspruch der Antragsteller vom 1. September 2008 nicht verfristet.

Die noch mögliche Anfechtung der Nachtragsgenehmigung vom 22. Juli 2008 schlägt jedoch nicht auf die Bestandskraft der Baugenehmigung vom 30. Mai 2006 durch. Eine Nachtragsgenehmigung tritt zwar in Bezug auf die zugelassenen Änderungen ergänzend an die Stelle der entsprechenden Regelungen in der ursprünglichen Baugenehmigung und bildet mit ihnen eine einheitliche Baugenehmigung. Kennzeichnend für eine Nachtragsgenehmigung ist jedoch, dass sie im Vergleich zum Gesamtvorhaben kleinere Änderungen eines bereits genehmigten, aber noch nicht (vollständig) ausgeführten Vorhabens zulässt und sich nur auf die Feststellung beschränkt, dass die zur Änderung vorgesehenen Teile des Vorhabens mit den im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften übereinstimmen (vgl. Knuth in: Wilke/Dageförde/Knuth/Meyer/Broy-Bülow, BauOBln, 6. Aufl. 2008, § 71 RNr. 7 m. w. N.), so dass im Falle ihrer Anfechtung die ursprüngliche Baugenehmigung davon nicht berührt wird. Nur im umgekehrten Fall besteht Akzessorietät, weil der Nachtragsgenehmigung mit dem Erlöschen der ursprünglichen Baugenehmigung die Grundlage entzogen wird (vgl. OVG Bln, Urteil vom 15. April 2005 - OVG 2 B 13.02 - m.w.N., Kerkmann/Sattler, Tektur-, Nachtrags- und Änderungsgenehmigung im Baurecht, BauR 2005, 47, 52).

Die Nachtragsgenehmigung vom 22. Juli 2008 betraf nur die Befreiung von der Ausweisung des von Westen her an das Grundstück der Beigeladenen angrenzenden Kirchengrundstücks als Gemeinbedarfsfläche, soweit die beiden nördlichen "Ecken" (Flurstücke 2349 und 2351) im Umfang von insgesamt 68 qm für die Begradigung des Grundstücks im Bereich der Tiefgarage unter dem Gelände in Anspruch genommen werden sollten (vgl. Lageplan vom 21. November 2005, zuletzt geändert am 27. März 2008). Rechtsverletzungen der Antragsteller sind hierdurch jedoch nicht ersichtlich, zumal in diesem Bereich der Müllraum in der Tiefgarage liegt, dem die Flächenübernahme diente. Dieser Bereich steht auch im Übrigen zu dem Grundstück der Antragsteller in keiner Beziehung. Die von ihnen vorgetragene Zunahme der Verkehrsbelastung durch die mit der Flächenerweiterung ermöglichte Vergrößerung der Tiefgarage und damit erhöhte Nutzung auch der ihrem Grundstück gegenüberliegenden Tiefgaragenausfahrt, bleibt insoweit unsubstanziiert.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen den Antragstellern aufzuerlegen, weil sich die Beigeladene im Beschwerdeverfahren mit der Stellung eines Zurückweisungsantrags im Schriftsatz vom 13. Februar 2009 einem Kostenrisiko ausgesetzt hat.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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