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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 24.08.2005
Aktenzeichen: OVG 11 B 4.05
Rechtsgebiete: BVFG, VwGO


Vorschriften:

BVFG § 4
BVFG § 4 Abs. 1
BVFG § 6
BVFG § 6 Abs. 2
BVFG § 6 Abs. 2 Satz 1
BVFG § 6 Abs. 2 Satz 1, 2. Var.
BVFG § 6 Abs. 2 Satz 2
BVFG § 6 Abs. 2 Satz 3
BVFG § 6 Abs. 2 Satz 5
BVFG § 15 Abs. 1
BVFG § 15 Abs. 1 Satz 1
BVFG § 100a
VwGO § 86 Abs. 1 Satz 1
VwGO § 154 Abs. 1
VwGO § 167 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN-BRANDENBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

11 B 4/05

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 11. Senat aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 24. August 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Laudemann, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Apel, die Richterin am Verwaltungsgericht Hoock und die ehrenamtlichen Richter Chrapary und Gängler für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 2. Juli 2003 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin geändert und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin, die vom Beklagten die Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung begehrt, wurde 1942 in Kischtim in der ehemaligen Sowjetunion geboren. Ihr Vater war deutscher Volkszugehöriger und stammte von einem Vater deutscher und einer Mutter russischer Nationalität ab. In der Zeit von März 1942 bis Dezember 1945 wurde er als Angehöriger der sog. Trud-Armee zur Zwangsarbeit herangezogen. Gemeinsam mit der Klägerin stand er von August 1948 bis Februar 1956 unter sog. Kommandanturaufsicht. Er verstarb 1965 in Leninabad; 1992 wurde er rehabilitiert. Die Mutter der Klägerin stammt von einem Vater lettischer und einer Mutter deutscher Nationalität ab. In ihrem sowjetischen Inlandspass aus dem Jahr 1980 ist ihre Nationalität mit "deutsch" angegeben. Am 6. Oktober 1997 stellte ihr das Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben Berlin eine Bescheinigung für Spätaussiedler aus, in der ihre Eigenschaft als Spätaussiedlerin festgestellt wurde.

Seit 1948 lebte die Klägerin mit ihrer Familie in Tadschikistan. Sie beendete 1959 ihre Schulausbildung, besuchte bis 1962 die Musikschule und erwarb 1966 nach vierjährigem Studium an der Pädagogischen Hochschule die Qualifikation als Lehrerin für die Mittelschule mit den Fächern Russische Sprache und Literatur. Ein weiteres Studium in den Jahren 1969 bis 1974 beendete die Klägerin mit der Qualifikation als Musikpädagogin und Solistin in einem Kammerensemble (Klavier). Von 1962 bis 1978 war sie an verschiedenen Musikschulen als Musiklehrerin tätig, anschließend war sie für ein Promotionsstudium von der Arbeit freigestellt; 1985 erwarb sie den akademischen Titel einer "Kandidatin der Wissenschaft". In der Zeit von 1981 bis zu ihrer Ausreise war die Klägerin als Musikwissenschaftlerin am Institut für Geschichte der Kunst in Duschanbe/Tadschikistan beschäftigt. Seit 1991 war sie Mitglied der Deutschen Gesellschaft "Wiedergeburt"; von März 1994 bis Februar 1996 war sie Vorsitzende dieser Vereinigung in Tadschikistan.

Während sich in der Geburtsurkunde der Klägerin aus dem Jahr 1942 keine Angaben zur Nationalität ihrer Eltern befinden, ist in einer im Jahr 1991 ausgestellten Geburtsurkunde der Klägerin die Nationalität ihres Vaters ebenso wie die ihrer Mutter mit "deutsch" angegeben. Im ersten sowjetischen Inlandspass der Klägerin aus dem Jahr 1958 war - ihren eigenen Angaben zufolge - als Nationalität "lettisch" eingetragen. Zum Zustandekommen dieser Eintragung gab die Klägerin an, sie beruhe auf Willkür der Passbeamten bzw. darauf, dass sie sich unter Druck der Passbeamten für die Eintragung der lettischen Nationalität entschieden habe, weil sie andernfalls nicht hätte studieren dürfen. In einem 1977 ausgestellten sowjetischen Inlandspass der Klägerin ist ihre Nationalität ebenfalls mit "lettisch" angegeben. In der Zeit nach 1958/59 will sich die Klägerin mehrfach vergeblich um eine Änderung der Eintragung der lettischen Nationalität in ihrem Inlandspass bemüht haben. In zwei 1993 und 1995 in Duschanbe/Tadschikistan ausgestellten Pässen ist als Nationalität der Klägerin "deutsch" eingetragen. Im Mai 1992 beantragte die Klägerin bei der Deutschen Botschaft in Moskau die Aufnahme als Aussiedler. Dabei gab sie an, dass ihre Muttersprache Deutsch sei, sie deutsch verstehe, spreche und schreibe. Sie habe sich mit ihren Eltern und der tauben Großmutter väterlicherseits auf deutsch verständigt; auch mit ihrem tadschikischen Ehemann unterhalte sie sich auf deutsch. Der Sachbearbeiter der Deutschen Botschaft in Moskau vermerkte bei Abgabe des Antrags am 13. Mai 1992, dass die Klägerin nur einige Worte deutsch spreche und bewertete ihre Sprachfertigkeit als mangelhaft.

Mit Bescheid vom 12. Oktober 1995 bezog das Bundesverwaltungsamt die Klägerin in den Aufnahmebescheid ihrer Mutter als Abkömmling eines Spätaussiedlers ein, lehnte jedoch den eigenen Antrag der Klägerin mit Bescheid vom selben Tage unter anderem unter Bezugnahme auf den lettischen Nationalitätenvermerk im Inlandspass 1977 ab. Im Februar 1996 reiste die Klägerin in die Bundesrepublik Deutschland ein.

Als sie am 26. März 1996 die Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung beantragte, vermerkte der Sachbearbeiter beim Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben Berlin, die Klägerin spreche recht gut deutsch, ein einfaches Gespräch auf deutsch ohne Dolmetscher sei gut möglich. Anlässlich einer Befragung zur Feststellung der deutschen Volkszugehörigkeit im Juni 1996 gab die Klägerin an, bis zum Tod ihres Vaters 1965 in der Familie überwiegend deutsch gesprochen zu haben. 1981 habe sie einen fünfmonatigen privaten Sprachkurs besucht und 1995 drei Monate lang zweimal wöchentlich an einem Sprachkurs der Deutschen Botschaft in Tadschikistan teilgenommen. Das Gespräch mit dem Mitarbeiter der Behörde konnte ohne Dolmetscher geführt werden. Die Klägerin zeigte sich in der Lage, flüssig ein deutsches Märchen zu erzählen; ihre aktiven und passiven Sprachkenntnisse wurden mit "zusammenhängende Sätze" und "hochdeutsch" bewertet.

Auf die Frage, warum anlässlich ihrer Vorsprache bei der Deutschen Botschaft Moskau im Jahr 1992 eine Verständigung in deutscher Sprache mit ihr nicht möglich gewesen sei, gab die Klägerin an, dass sie zu jenem Zeitpunkt wegen der bürgerkriegsähnlichen Zustände in Tadschikistan, die sie habe mit ansehen müssen, gar nichts habe sagen können, weder auf Russisch noch auf Deutsch.

Mit Bescheid vom 17. Oktober 1997 lehnte das Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben Berlin - Landesversorgungsamt - den Antrag der Klägerin ab und führte zur Begründung aus, dass die Klägerin ausweislich ihres Nationalitäteneintrags im ersten sowjetischen Inlandspass auf eigenen Wunsch ein Gegenbekenntnis zum lettischen Volkstum abgegeben und zur Erklärung dieses Umstands widersprüchliche und unwahrscheinliche Angaben gemacht habe. Die Änderung des Nationalitäteneintrages bei Neuausstellung des Inlandspasses 1993 führe zu keiner anderen Bewertung, weil dies nur zum Zwecke der Aussiedlung vorgenommen worden sei, es sich mithin um ein Lippenbekenntnis handele. Es habe auch nicht festgestellt werden können, dass sich die Klägerin bis zum Verlassen des Aussiedlungsgebietes auf andere Weise zum deutschen Volkstum bekannt habe.

In ihrem hiergegen erhobenen Widerspruch führte die Klägerin mit Schreiben vom 4. Dezember 1997 unter anderem aus, dass sie mehrmals erfolglos versucht habe, in ihrem Inlandspass eine Eintragung der deutschen Nationalität zu erreichen. So habe sie 1979 die Passabteilung gemeinsam mit ihrer Freundin V. S. aufgesucht, die gehört habe, dass ihrer Forderung nicht nachgekommen worden sei. Zudem habe sie zweimal absichtlich ihren Pass "verloren", beide Male habe sie aber einen neuen Pass mit derselben (lettischen) Nationalitäteneintragung erhalten. Das Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin wies den Widerspruch mit Bescheid vom 24. November 1999 zurück und verwies zur Begründung auf Widersprüchlichkeiten hinsichtlich der lettischen Nationalitäteneintragung im ersten Inlandspass.

Zur Begründung ihrer am 10. Januar 2000 beim Verwaltungsgericht Berlin erhobenen Klage hat die Klägerin ausgeführt: Der lettische Nationalitäteneintrag sei gegen ihren Willen und auf Druck der Behörden erfolgt; ein Wahlrecht habe sie nicht gehabt. Bei der Passausstellung sei die damalige Gesetzeslage ignoriert worden; für die Passbehörde habe damals keine (rechtliche) Möglichkeit bestanden, eine andere als die deutsche Nationalität einzutragen, weil sowohl ihr Vater als auch ihre Mutter deutsche Volkszugehörige gewesen seien. Sie habe keine gegensätzlichen Äußerungen zum Zustandekommen der Eintragung gemacht. Selbst wenn man ihr gedroht hätte, bei Eintragung der deutschen Nationalität nicht studieren zu können, stehe dies nicht im Widerspruch dazu, dass sie sich nicht frei habe entscheiden können. Nach 1958 habe sie anlässlich von Personenstandsänderungen und nach absichtlichem Verlust des Passes mehrmals vergeblich versucht, die Eintragung der lettischen Nationalität ändern zu lassen; erst 1993 habe sie eine Änderung durchsetzen können. Bei ihrer Ankunft in der Aufnahmestelle des Landes Berlin im Juni 1996 habe sie ausreichend Sprachkenntnisse gehabt, um sich aktiv und passiv deutsch verständigen zu können. In einer informatorischen Befragung vor dem Berichterstatter am 13. Januar 2003 gab die Klägerin an, bereits 1961 einen Antrag auf Änderung der Nationalitäteneintragung gestellt zu haben, der ebenso wie ein etwa zehn Jahre später gestellter Antrag abgelehnt worden sei.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides des Landesamts für Zentrale Soziale Aufgaben vom 17. Oktober 1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landesamts für Gesundheit und Soziales vom 24. November 1999 zu verpflichten, ihr eine Bescheinigung für Spätaussiedler auszustellen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat er ausgeführt: Die Klägerin habe in ihrem ersten Inlandspass ein Gegenbekenntnis zur lettischen Nationalität abgegeben, das auch unter Berücksichtigung ihres Vorbringens, die Eintragung nur im Hinblick auf ein beabsichtigtes Studium vorgenommen zu haben, nicht unbeachtlich sei. Denn einen schwerwiegenden beruflichen Nachteil habe die Klägerin nicht zu befürchten gehabt, vielmehr sei ein Bekenntnis zur deutschen Volkszugehörigkeit in der ehemaligen Sowjetunion regelmäßig zumutbar gewesen. Soweit die Klägerin behaupte, sie habe bei der Eintragung der Nationalität kein Wahlrecht gehabt, die Eintragung sei vielmehr gegen ihren Willen erfolgt, stehe dies im Widerspruch zu ihren Angaben, wonach sie nur wegen des Studiums die lettische Nationalität habe eintragen lassen. Die Klägerin habe auch keinen Beweis für die Behauptung erbracht, dass sie sich ernsthaft um eine Änderung der Nationalitäteneintragung bemüht habe. Im Übrigen sei die Vermittlung der deutschen Sprache nicht in dem erforderlichen Maße erfolgt, weil in der Deutschen Botschaft in Moskau im Mai 1992 festgestellt worden sei, dass die Klägerin damals nur wenige Worte Deutsch gesprochen habe.

Das Verwaltungsgericht Berlin hat mit Urteil vom 2. Juli 2003, verkündet am 11. Juli 2003, den Beklagten unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verpflichtet, der Klägerin eine Bescheinigung als Spätaussiedlerin auszustellen, und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin habe als deutsche Volkszugehörige einen Anspruch auf Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung. Sie stamme von einem deutschen Volkszugehörigen ab, denn ihr Vater sei Volksdeutscher gewesen. Aufgrund familiärer Vermittlung der deutschen Sprache habe sie im Zeitpunkt der Aussiedlung ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen können. Die mangelnde Sprachfertigkeit der Klägerin bei der Deutschen Botschaft in Moskau im Mai 1992 stehe der Annahme der familiären Vermittlung der deutschen Sprache nicht entgegen. Die Kammer gehe davon aus, dass es aufgrund der Bürgerkriegsereignisse in Tadschikistan bei der Klägerin zu schockbedingten Sprachausfällen gekommen sei. Die Klägerin habe sich auch nur zum deutschen Volkstum bekannt, insbesondere habe sie kein Gegenbekenntnis zum lettischen Volkstum abgelegt. Die Eintragung im ersten Inlandspass sei nur damit begründet, dass die Klägerin habe studieren wollen. Die diesbezügliche Aussage der Klägerin sei glaubhaft. Im Kern habe sie stets wiederholt, dass die lettische Nationalität gegen ihren Willen eingetragen worden sei. Die Klägerin habe sich zum deutschen Volkstum bekannt. Durch die nachträglich erfolgte Eintragung der lettischen Nationalität sei der nach außen hervorgetretene Teil des Bekenntnisses zum deutschen Volkstum zwar beseitigt worden; die Klägerin habe sich jedoch in der auf die erstmalige Eintragung der lettischen Nationalität im sowjetischen Inlandspass folgenden Zeit nach außen als deutsche Volkszugehörige ausgegeben. So habe sie mehrfach versucht, statt der lettischen die deutsche Nationalität eintragen zu lassen. Außerdem habe sie überzeugend geschildert, von ihrer Umwelt stets als Deutsche angesehen und benachteiligt worden zu sein, was nur den Rückschluss auf das nach außen getretene Bekenntnis zum Deutschtum zulasse.

Auf Antrag des Beklagten hat der 6. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin mit Beschluss vom 27. Januar 2005 die Berufung zugelassen.

Der Beklagte macht zur Begründung der Berufung geltend: Die Klägerin habe sich freiwillig zum lettischen Volkstum bekannt; dass sie dies getan habe, um studieren zu können, schließe die Freiwilligkeit ihres Bekenntnisses nicht aus. Das Gegenbekenntnis sei auch nicht unbeachtlich. Denn es sei nicht ersichtlich, dass der Klägerin bei Eintragung der deutschen Nationalität im Inlandspass der Zugang zum Hochschulstudium versagt worden wäre. Das Gegenbekenntnis der Klägerin zum lettischen Volkstum habe bis zum Verlassen des Aussiedlungsgebiets nicht mehr korrigiert werden können.

Der Beklagte beantragt,

unter Abänderung des aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 2. Juli 2003 ergangenen Urteils des Verwaltungsgerichts Berlin die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und führt weiterhin aus: Sie habe sich als junges Mädchen wegen ihres Studienwunsches in einer psychischen Zwangssituation zur Eintragung der lettischen Nationalität im ersten Inlandspass überreden lassen; 1959 habe es in der Sowjetunion noch Studienbeschränkungen für Russlanddeutsche gegeben. Mit der Eintragung der lettischen Nationalität im Inlandspass habe sie sich nicht zur lettischen Nationalität bekannt, denn in ihrem Umfeld sei sie immer als Deutsche gesehen worden; sie habe sich auch so gefühlt. Dass ihr Vortrag möglicherweise in bestimmten Details nicht ganz widerspruchsfrei sei, sei darauf zurückzuführen, dass der Sachverhalt 40 Jahre zurückliege.

Der Senat hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 24. August 2005 informatorisch gehört. Dabei hat sie angegeben, dass sie sich schon vor 1993 bemüht habe, einen Pass mit der Eintragung der deutschen Nationalität zu erhalten; zu diesem Zweck sei sie einmal Ende der sechziger oder Anfang der siebziger Jahre mit ihrer Freundin V. S. bei dem Passamt gewesen. Anfang und Mitte der sechziger Jahre habe sie zweimal einen Inlandspass absichtlich weggeworfen, aber ihr sei jeweils wieder ein Pass mit lettischer Nationalitäteneintragung ausgestellt worden. Außerdem habe sie anlässlich ihrer beiden Eheschließungen jeweils einen neuen Pass mit lettischer Nationalitäteneintragung erhalten. Hinsichtlich der Anhörung der Klägerin im Einzelnen wird auf die Sitzungsniederschrift vom 24. August 2005 verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge (2 Hefte) ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Bescheinigung für Spätaussiedler gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juni 1993 (BGBl I S. 829), zuletzt geändert durch Art. 6 des Gesetzes vom 30. Juli 2004 (BGBl I S. 1950) - BVFG -. Sie besitzt die Spätaussiedlereigenschaft nach § 4 Abs. 1 BVFG nicht, weil sie die hierfür erforderliche Voraussetzung der deutschen Volkszugehörigkeit gemäß § 6 Abs. 2 BVFG nicht erfüllt. Die Eigenschaft einer deutschen Volkszugehörigen ist in der Person der Klägerin jedenfalls deshalb nicht gegeben, weil sie sich bis zum Verlassen des Aussiedlungsgebietes nicht durchgängig ("nur") zum deutschen Volkstum bekannt hat (vgl. § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG).

1. § 6 Abs. 2 BVFG findet vorliegend in der Fassung des am 7. September 2001 in Kraft getretenen Gesetzes zur Klarstellung des Spätaussiedlerstatus (Spätaussiedlerstatusgesetz - SpStatG) vom 30. August 2001 (BGBl I S. 2266) Anwendung. Denn aus der Übergangsregelung des § 100a BVFG ergibt sich, dass Anträge nach § 15 Absatz 1 nach dem Recht zu bescheiden sind, das nach dem 7. September 2001 gilt. Dies gilt auch für das gerichtliche Verfahren mit Blick auf die hier begehrte Verpflichtung des Beklagten zur Ausstellung der Spätaussiedlerbescheinigung und den maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Tatsacheninstanz. Da § 15 Abs. 1 BVFG auf den Begriff des Spätaussiedlers in §§ 4 und 6 BVFG Bezug nimmt, bedeutet dies, dass auch für die Frage, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Ausstellung der Bescheinigung vorliegen, von der Neufassung des § 6 Abs. 2 BVFG auszugehen ist, selbst wenn der Antrag auf Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung - wie vorliegend - mehrere Jahre vor Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung gestellt worden ist. Die Übergangsregelung des § 100a BVFG steht mit höherrangigem Recht in Einklang. Sie verletzt insbesondere das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot nicht. Jedenfalls in Fällen der Aufnahme als Abkömmling eines Spätaussiedlers - wie hier - konnte kein schutzwürdiges Vertrauen entstehen. Denn die Klägerin ist nicht aufgrund eines Verfahrens, in dem ihre deutsche Volkszugehörigkeit bereits bejaht worden wäre, in das Bundesgebiet aufgenommen worden, sondern auf Grund einer Einbeziehung als Angehörige einer deutschen Volkszugehörigen in den ihrer Mutter erteilten Aufnahmebescheid. Aber auch im Übrigen dürfte ein Vertrauen darauf, dass die deutsche Volkszugehörigkeit in dem Verfahren zur Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG nach denselben Kriterien beurteilt wird, wie sie im Zeitpunkt der Aufnahme in den Geltungsbereich des Gesetzes für Spätaussiedlerbewerber gegolten haben, nicht schutzwürdig sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. November 2003 - 5 C 14.03 -, BVerwGE 119, 188, 190; zur Rückwirkungsproblematik vgl. auch: BVerwG, Urteile vom 12. März 2002 - 5 C 2.01 -, BVerwGE 116, 114, 115 f., sowie vom 22. April 2004 - 5 C 27.02 - NVwZ-RR 2005, 67 ff.; OVG Frankfurt (Oder), Urteil vom 26. Mai 2005 - 4 A 391/03 -, UA S. 8-10, nicht rechtskräftig; VGH Mannheim, Urteil vom 20. Dezember 2001 - 6 S 747/00 -, zit. n. juris; VGH München, Beschluss vom 11. April 2005 - 11 B 03.609 -).

2. Die Klägerin hat sich nicht gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG durchgängig zum deutschen Volkstum bekannt, weil sich in ihrem sowjetischen Inlandspass von 1958 bis 1993 die Nationalitäteneintragung "lettisch" befand. Das sich hieraus ergebende Gegenbekenntnis der Klägerin zum lettischen Volkstum ist nicht unbeachtlich und wurde erst 1993 geändert. Im Einzelnen:

a) Ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum setzt neben einer äußeren Erklärung auch ein inneres, hinter dieser Erklärung stehendes Bewusstsein voraus (vgl. BVerwG, Urteile vom 13. November 2003 - 5 C 40.03 -, BVerwGE 119, 192, 196; vom 23. März 2000 - 5 C 25.99 -, DVBl 2000, 1533, und vom 17. Juni 1997 - 9 C 10.96 -, BVerwGE 105, 60, 64). § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG in der hier maßgeblichen Fassung verlangt ein durchgängiges positives Bekenntnis ausschließlich zum deutschen Volkstum, das bei Personen im bekenntnisfähigen Alter grundsätzlich für den gesamten Zeitraum zwischen Eintritt der Bekenntnisfähigkeit und Ausreise feststellbar sein muss. Es ist also eine zeitraumbezogene Betrachtung anzustellen; zwischen Bekenntnisfähigkeit und Ausreise muss - positiv - ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum erfolgt sein und darf - negativ - kein Gegenbekenntnis vorliegen. Denn die Möglichkeit der Revidierung eines Gegenbekenntnisses sollte - abweichend von der früheren Rechtslage - mit der Neufassung der Vorschrift ausgeschlossen werden (vgl. BTDrucks 14/6310 S. 6; BVerwG, Urteil vom 13. November 2003 - 5 C 40.03 -, BVerwGE 119, 192, 195 mit zahlr. Nachw. zur Entstehungsgeschichte).

b) Die Klägerin war nach dem Recht des Herkunftsstaates im Alter von 16 Jahren bekenntnisfähig, so dass sie im Jahr 1958 ein wirksames Bekenntnis abgeben konnte (zur Frage der Bekenntnisfähigkeit vgl. BVerwG, Urteil vom 29. August 1995 - 9 C 391.94 -, BVerwGE 99, 133, 141). Sie hat durch die Eintragung der lettischen Nationalität in ihrem ersten Inlandspass 1958 eine Nationalitätenerklärung zugunsten des lettischen Volkstums, mithin ein Gegenbekenntnis abgegeben. Denn in der Angabe einer anderen als der deutschen Volkszugehörigkeit gegenüber amtlichen Stellen liegt grundsätzlich ein die deutsche Volkszugehörigkeit ausschließendes Gegenbekenntnis zu einem fremden Volkstum (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 29. August 1995 - 9 C 391.94 -, BVerwGE 99, 133, 140 f. m.w.N.). Im Gebiet der ehemaligen Sowjetunion ist die Nationalitätenerklärung bei der Eintragung in amtliche Dokumente grundsätzlich als äußerliche Manifestation des Bekenntnisses zu einer Nationalität zu werten (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. November 2003 - 5 C 40.03 -, BVerwGE 119, 192, 198).

Die Klägerin hat die Eintragung der lettischen Nationalität in ihrem ersten Inlandspass zunächst auf willkürliches Handeln der Passbeamten zurückgeführt; im späteren Verlauf des Verfahrens hat sie geltend gemacht, sie habe dem Druck der Passbeamten nachgegeben, weil diese ihr in Aussicht gestellt hätten, dass sie im Falle einer deutschen Nationalitäteneintragung nicht werde studieren dürfen. Beide Schilderungen stehen nach Auffassung des Senats miteinander nicht in unauflösbarem Widerspruch. Denn soweit die Klägerin in ihren ersten diesbezüglichen Äußerungen schlagwortartig ganz allgemein von Behördenwillkür gesprochen hat, kann hiermit auch das Einwirken auf die Klägerin unter Hinweis auf Schwierigkeiten für den weiteren Ausbildungsgang gemeint sein. In ihrer zweimaligen Anhörung vor dem Verwaltungsgericht sowie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Klägerin durchgehend und überzeugend bekräftigt, dass sie der Wunsch nach Verbesserung ihrer Studienmöglichkeiten veranlasst habe, der Eintragung der lettischen Nationalität in ihrem ersten Inlandspass zuzustimmen. Davon ausgehend war die erfolgte Nationalitäteneintragung letztlich aber auch von ihrem Willen getragen, da sie gerade die Vorteile der anderen Nationalität für sich in Anspruch nehmen wollte (vgl. hierzu auch BVerwG, Urteil vom 13. November 2003 - 5 C 40.03 -, BVerwGE 119, 192, 198).

3. Das Gegenbekenntnis der Klägerin zum lettischen Volkstum ist auch nicht gemäß § 6 Abs. 2 Satz 5 BVFG unbeachtlich. Danach wird zwar ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum unterstellt, wenn es unterblieben ist, weil es mit Gefahr für Leib oder Leben oder schwerwiegenden beruflichen oder wirtschaftlichen Nachteilen verbunden war, jedoch aufgrund der Gesamtumstände der Wille unzweifelhaft ist, der deutschen Volksgruppe und keiner anderen anzugehören. Die Klägerin hat es jedoch versäumt, sich bei der ersten sich ihr zumutbar bietenden Gelegenheit nach Beendigung der Gefahrenlage durch ein nach außen hin erkennbares Verhalten i.S.d. § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG zum deutschen Volkstum zu bekennen.

a) Die Nichtzulassung von Volksdeutschen zum Hochschulstudium wegen ihrer Nationalität ist grundsätzlich als schwerwiegender beruflicher Nachteil anzusehen, der zur Unbeachtlichkeit einer Erklärung zugunsten eines nichtdeutschen Volkstums führt (BVerwG, Urteil vom 29. August 1995, - 9 C 391.94 -, BVerwGE 99, 133, 141 f.). Zum Zeitpunkt der Erklärung muss allerdings ein bestimmtes Berufsziel wenigstens in Umrissen feststehen, um überhaupt prognostizieren zu können, ob die Angabe der deutschen Nationalität bei Ausstellung des ersten Inlandspasses zu schwerwiegenden beruflichen Nachteilen geführt hätte (BVerwG, Urteil vom 17. Juni 1997 - 9 C 10.96 -, BVerwGE 105, 60, 63 f.). Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung glaubhaft versichert, dass sie sich bereits im Jahr 1958 ernsthaft zu einem Studium im künstlerischen Bereich entschlossen hatte und bei Angabe der deutschen Nationalität Nachteile in ihrem weiteren Ausbildungsgang befürchtete. Es mag vorliegend einiges dafür sprechen, dass diese Befürchtungen objektiv gerechtfertigt waren. Denn der politische Status der Deutschen wurde zwar in rechtlicher Hinsicht mit dem Erlass "Über die Aufhebung der Beschränkungen in der Rechtsstellung der Deutschen und ihrer Familienangehörigen, die sich in den Sondersiedlungen befinden" vom 13. Dezember 1955 auf ein mit den sonstigen Sowjetbürgern vergleichbares Maß angehoben (vgl. OVG Münster, Urteil vom 21. Februar 2003 - 2 A 3340/01 -, zit. nach juris). Allerdings bestanden erst seit Beginn der sechziger Jahre, jedenfalls aber nach 1964 in der ehemaligen Sowjetunion keine speziell auf die deutsche Volksgruppe zugeschnittenen Zugangshindernisse zum Studium mehr (vgl. BVerwG, Urteile vom 29. August 1995 - 9 C 391.94 -, BVerwGE 99, 133, 142 ff. und vom 17. Juni 1997 - 9 C 10.96 -, BVerwGE 105, 60, 63). Ob in der Unionsrepublik Tadschikistan im hier maßgeblichen Zeitraum 1958/59 ein Bekenntnis zur deutschen Volkszugehörigkeit trotz des Erlasses vom 13. Dezember 1955 noch zu schwerwiegenden Nachteilen beim Zugang zur Hochschule geführt hätte, bedarf indes keiner abschließenden Klärung. Denn die Klägerin hat nicht zur Überzeugung des Senats darzulegen vermocht, dass sie sich nach der Beendigung einer etwaigen Gefahrenlage hinreichend um die Änderung ihrer lettischen Nationalitäteneintragung bemüht oder auf vergleichbare Weise staatlichen Stellen gegenüber ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum abgelegt hat.

b) Bei dieser Beurteilung ist zu berücksichtigen, dass die Fiktionswirkung des § 6 Abs. 2 Satz 5 BVFG zeitlich auf die Dauer der Gefahrenlage beschränkt ist. Für eine zeitliche Erstreckung der Bekenntnisfiktion über das Ende der Gefährdungslage hinaus gibt es keine Rechtfertigung. Wird für die Dauer der Gefahrenlage über das Unterbleiben eines Bekenntnisses zum deutschen Volkstum und sogar über die Ablegung eines Gegenbekenntnisses hinweggesehen, muss der Betreffende alsbald nach Ende der Gefahrenlage durch ein nach außen wirkendes Verhalten seinen Willen, nur dem deutschen Volkstum zuzugehören, zum Ausdruck bringen; eine erst im Zusammenhang mit der Ausreise nach außen manifestierte Identifikation mit dem deutschen Volkstum genügt dem Bekenntniserfordernis des § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG nicht (BVerwG, Urteil vom 13. November 2003 - 5 C 14.03 -, BVerwGE 119, 188, 190 f.). Vielmehr muss sich der Betreffende bei der ersten sich ihm zumutbar bietenden Gelegenheit durch ein nach außen hin erkennbares Verhalten i.S.d. § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG zum deutschen Volkstum bekannt haben (BVerwG, Urteil vom 13. November 2003 - 5 C 40.03 -, BVerwGE 119, 192, 194). Daran fehlt es hier.

Soweit im Jahr 1959 in Tadschikistan Studienbeschränkungen für Bewerber deutscher Nationalität noch bestanden haben sollten - so der Vortrag der Klägerin -, waren diese jedenfalls ab dem Jahr 1964 beseitigt. Der Senat geht deshalb davon aus, dass nach 1964 keine Gefahrenlage mehr bestand (vgl. BVerwG, Urteile vom 29. August 1995 - 9 C 391.94 -, BVerwGE 99, 133, 142 ff. und vom 17. Juni 1997 - 9 C 10.96 -, BVerwGE 105, 60, 63). Spätestens ab diesem Zeitpunkt war der Klägerin ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum zumutbar, dessen Vorliegen indessen nicht festgestellt werden kann.

c) Die von der Klägerin vorgetragenen Bemühungen um eine Änderung der lettischen Nationalitäteneintragung in ihrem Inlandspass genügen dem Bekenntniserfordernis des § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG nicht.

Zwar war in der ehemaligen Sowjetunion eine einmal bei Eintritt der Bekenntnisfähigkeit gewählte Nationalität wohl grundsätzlich nicht mehr abänderbar (vgl. hierzu die vom Senat in das Verfahren eingeführte Stellungnahme des Göttinger Instituts für Deutschland- und Osteuropaforschung an das Bundesministerium des Innern vom 6. März 1997 sowie den Auszug aus dem Osteuropa-Archiv vom Mai 1977, A 249 - A 257), was unter Zugrundelegung der Bekenntnisfähigkeit bei Erstausstellung des Inlandspasses mit dem 16. Lebensjahr durchaus plausibel erscheint und der Grundvorstellung von § 6 Abs. 2 BVFG entspricht, wonach ein Bekenntnis grundsätzlich nicht revisibel ist. Im Fall der Klägerin bestand jedoch die Besonderheit, dass es sich bei der Eintragung der lettischen Volkszugehörigkeit in ihrem ersten Inlandspass nach ihrem eigenen Vorbringen gerade nicht um eine - nur bei verschiedenen Nationalitäten zugehörigen Elternteilen gesetzlich vorgesehene - Wahl der Nationalität eines dieser Elternteile als eigene gehandelt hatte, sondern dass die Eintragung der lettischen Nationalität erfolgt war, obwohl beide Eltern deutsche Volkszugehörige waren. Die Eintragung der lettischen Nationalität der Klägerin wäre danach also rechtswidrig gewesen. Spätestens ab 1980 verfügte die Mutter der Klägerin auch über einen Inlandspass, in dem sie als deutsche Volkszugehörige eingetragen war, und den die Klägerin zum Beweis der Unrichtigkeit ihrer Nationalitäteneintragung hätte vorlegen können. Den sich daraus ergebenden Möglichkeiten entsprechende Bemühungen der Klägerin zur Änderung der Nationalitäteneintragung in ihrem Inlandspass sind ebenso wenig feststellbar wie entspechende Änderungsversuche in der Zeit vor 1980.

Dies gilt zunächst, soweit das Verwaltungsgericht es der Einlassung der Klägerin folgend als glaubhaft angesehen hat, dass sie 1961 und etwa 10 Jahre später erneut erfolglos einen Antrag auf Änderung des Passes gestellt habe. Das diesbezügliche Vorbringen der Klägerin ist jedoch schon durch widersprüchliche und unsubstantiierte Angaben gekennzeichnet, von deren Glaubhaftigkeit sich der Senat nicht überzeugen konnte.

Die Klägerin hat sich auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat dahin gehend eingelassen, dass sie sich schon vor 1993 darum bemüht habe, einen Pass mit deutscher Nationalitäteneintragung zu erlangen. Unsubstantiiert und nicht nachvollziehbar waren dabei die Angaben der Klägerin zu Anzahl und Zeitpunkt der ihr in der ehemaligen Sowjetunion ausgestellten Inlandspässe. Erst auf Vorhalt räumte sie ein, auch anlässlich ihrer ersten Eheschließung in den sechziger Jahren sowie der zweiten Eheschließung im Jahr 1974 jeweils einen neuen Inlandspass bekommen zu haben. In der mündlichen Verhandlung wiederholte sie zwar ihren bisherigen Vortrag, wonach sie zwischen 1958 und 1977 zweimal einen Pass absichtlich verloren und zwei neue Pässe mit lettischer Nationalitäteneintragung erhalten haben will. Ihre Angaben zum Vorgang der Passausstellung bei der Passbehörde blieben jedoch sehr pauschal und detailarm. So hat die Klägerin zwar angegeben, sie sei Ende der sechziger oder Anfang der siebziger Jahre mit ihrer Freundin V. S. beim Passamt gewesen, um einen Pass mit deutscher Nationalitäteneintragung zu bekommen. Auf die Frage, weshalb ihre Freundin sie zum Passamt begleitet habe, antwortete die Klägerin, dass sie sich mit ihrer Freundin auf einem Spaziergang befunden habe. Nähere Angaben zu dem genauen Verlauf der Vorsprache und insbesondere dazu, mit welchen Mitteln sie seinerzeit versucht hat, auf eine Richtigstellung ihrer Nationalitäteneintragung hinzuwirken, hat die Klägerin nicht gemacht. Ihr Vortrag blieb auch insoweit oberflächlich und ohne Substanz. Angesichts der Nachfragen des Senats nach dem Ablauf dieser wie auch behaupteter weiterer Vorsprache(n) sowie nach genaueren Einzelheiten (wie etwa den zu diesen Anlässen vorgelegten Urkunden) erklärte die Klägerin in der mündlichen Verhandlung lediglich, dass sie sich daran nicht erinnern könne, und begründete dies zum einen mit der seitdem vergangenen Zeit und zum anderen damit, dass sie - "wie alle damals" - eine apolitische Bürgerin gewesen sei und als Künstlerin kein Interesse an politischen Fragen, zu denen sie auch die Tätigkeit der Passbehörden rechnete, gehabt habe. Darüber hinaus stehen die Angaben, die die Klägerin in der mündlichen Verhandlung zu dieser Vorsprache gemacht hat, jedenfalls zeitlich im Widerspruch zu den Angaben in ihrem Widerspruchsschreiben vom 4. Dezember 1997, in dem sie ausgeführt hat, sie sei im Jahr 1979 mit ihrer Freundin V. S. beim Passamt gewesen, die gehört habe, "wie man [ihr] in [ihrer] gesetzmäßigen Forderung abgesagt" habe.

Einer Vernehmung der V. S. als Zeugin bedurfte es schon angesichts dieses unsubstantiierten und teilweise widersprüchlichen Vortrags der Klägerin nicht. Denn der Grundsatz der Amtsermittlung gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO wird durch die Mitwirkungspflicht der Beteiligten in der Weise begrenzt, dass die Tatsachengerichte nicht in Ermittlungen einzutreten brauchen, die durch das Vorbringen der Beteiligten nicht veranlasst sind (vgl. BVerwG, Urteile vom 23. November 1982 - 9 C 74.81 -, BVerwGE 66, 237, sowie vom 16. Oktober 1984 - 9 C 558.82 -, Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 164). Hier war dem Vorbringen der Klägerin trotz diesbezüglicher Nachfragen des Senats in der mündlichen Verhandlung nicht zu entnehmen, dass die Zeugin - über die hier als wahr unterstellte Tatsache einer Vorsprache der Klägerin beim Passamt hinaus - überhaupt irgend etwas Sachdienliches würde bekunden können. Auch die von der Zeugin im Verwaltungsverfahren abgegebene eidesstattliche Erklärung vom 11. Dezember 1997 gab dem Senat keinen Anlass zu weiteren Ermittlungen. Denn die Zeugin hat in dieser Erklärung lediglich Angaben zur willkürlichen Praxis der Passbehörden im Hinblick auf die Eintragung der Nationalität in den fünfziger und sechziger Jahren gemacht; zu dem von der Klägerin vorgetragenen gemeinsamen Besuch bei der Passbehörde verhält sich die Erklärung hingegen nicht.

In Anbetracht der objektiven Fehlerhaftigkeit der Nationalitäteneintragung und der daraus resultierenden realistischen Möglichkeit zur Änderung erscheinen die für den Zeitraum 1958 bis 1977 vorgetragenen, angesichts der völlig fehlenden Erinnerung an irgendwelche Einzelheiten offensichtlich nicht als echtes Anliegen begriffenen, sondern ohne besonderes Interesse und ohne Nachdruck erfolgten Ansätze der Klägerin, eine Änderung der lettischen Nationalitäteneintragung in ihrem Pass zu erreichen, als wenig ernsthaft und nicht geeignet, ein ernst gemeintes Bekenntnis zum deutschen Volkstum festzustellen.

Ungeachtet dessen hätte gerade ab dem Jahr 1980 für die Klägerin erneut Anlass bestanden, sich unter Vorlage des im Jahr 1980 ausgestellten Inlandspasses ihrer Mutter mit deutscher Nationalitäteneintragung um eine Korrektur der lettischen Nationalitäteneintragung in ihrem eigenen Inlandspass zu bemühen. Damit konnte die Klägerin spätestens zu diesem Zeitpunkt durch entsprechende Urkunden nachweisen, dass nicht nur ihr Vater, sondern auch ihre Mutter deutscher Volkszugehörigkeit war. Da nach damaligem sowjetischen Passrecht bei demselben Volkstum zugehörigen Elternteilen aber nur eine Eintragung der gemeinsamen Nationalität zulässig war (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Juni 1997 - 9 C 10.96 -, BVerwGE 105, 60, 62), ist auch nicht ersichtlich, dass derartige - notfalls auch gerichtliche - Bemühungen offensichtlich erfolglos geblieben wären oder aus anderen Gründen der Klägerin nicht zumutbar waren. Die Klägerin hat jedoch entsprechende Bemühungen gerade ab dieser Zeit bis zur Passneuausstellung im Jahr 1993 überhaupt nicht mehr geschildert und sich insoweit auch nicht auf das Zeugnis der V. S. berufen. Wegen des mit der Nationalitäteneintragung im Inlandspass der Mutter verfügbaren neuen Beweismittels waren jedoch gerade in diesem Zeitraum erneute Bemühungen der Klägerin um eine Änderung der Nationalitäteneintragung im eigenen Pass möglich und zu erwarten. Ist unter derartigen Umständen nicht einmal mehr ein ohne weiteres zumutbares Bemühen um eine Änderung der Nationalitäteneintragung im Pass feststellbar, so fehlt es bereits aus diesem Grund an dem erforderlichen durchgängigen Bekenntnis zum deutschen Volkstum. Auch deshalb bestand seitens des Senats keine Veranlassung zur weiteren Beweiserhebung durch Vernehmung der V. S. als Zeugin.

Es liegen ferner keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Klägerin die im Zusammenhang mit den in der Sowjetunion in den Jahren 1970, 1979 und 1989 durchgeführten Volkszählungen (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Juni 1995 - 9 C 293.94, Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 78) bestehende Gelegenheit, sich gegenüber amtlichen Stellen zum deutschen Volkstum zu bekennen, wahrgenommen hat. Auf die entsprechende Nachfrage in der mündlichen Verhandlung hat sich die Klägerin darauf zurückgezogen, dass es sicherlich ein- oder zweimal Volkszählungen gegeben habe, sie aber als Musikwissenschaftlerin damit nichts weiter zu tun gehabt habe, weil das nicht ihre Sphäre gewesen sei. Substantiierte Angaben zu ihrem persönlichen Verhalten anlässlich der Volkszählungen hat die Klägerin hingegen vermieden.

Die Mitgliedschaft der Klägerin in der seit 1989 in der ehemaligen Sowjetunion bestehenden Deutschen Gesellschaft "Wiedergeburt" ist für die Feststellung eines Bekenntnisses zum deutschen Volkstum im vorliegenden Zusammenhang ohne Bedeutung, weil die Klägerin dieser Vereinigung erst seit 1991 und damit lange nach der Beendigung einer etwaigen Gefahrenlage angehörte.

Schließlich ist auch der von der Klägerin geltend gemachte Umstand, in ihrem persönlichen und beruflichen Umfeld immer als Deutsche wahrgenommen und behandelt worden zu sein, nicht geeignet, die fehlende Nationalitätenerklärung zum deutschen Volkstum zu ersetzen. Da dieses Auftreten der Klägerin nicht darauf gerichtet war, vor amtlichen Stellen eine Nationalitätenerklärung abzugeben, könnte es sich allenfalls um ein Bekenntnis "auf vergleichbare Weise" gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1, 2. Var. BVFG handeln. Dabei müssen die Indizien für den Willen der Zugehörigkeit zur deutschen Volksgruppe nach Gewicht, Aussagekraft und Nachweisbarkeit der Nationalitätenerklärung entsprechen und in einer Weise - über das unmittelbare familiäre Umfeld hinaus - nach außen hin hervorgetreten sein, die der Nationalitätenerklärung nahe kommt (BVerwG, Urteil vom 13. November 2003 - 5 C 41.03 -, Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 104). Soweit die Klägerin darauf verwiesen hat, sie habe sich gegenüber der Akademie der Wissenschaften als Deutsche ausgegeben und daher berufliche Nachteile erlitten, erschöpft sich ihr Vortrag in äußerst pauschalen Angaben, die einer konkreten Nachprüfung nicht zugänglich sind. Bei den von der Klägerin geltend gemachten Umständen, dass sie innerhalb der Familie deutsche bzw. christliche Feste gefeiert und deutsche Zeitungen und Literatur gelesen habe, handelt es sich um keine Vorgänge, die über das unmittelbare familiäre Umfeld hinaus nach außen getreten sind, und die schon deshalb nicht geeignet sind, einer Nationalitätenerklärung nahe zu kommen. Soweit sich die Klägerin auf die Bescheinigung darüber berufen hat, dass sie gemeinsam mit ihrem Vater in der Zeit von 1948 bis 1956 unter Kommandaturaufsicht gestanden habe, kann dieser Umstand das erforderliche Bekenntnis nicht ersetzen, da er zeitlich vor Ausstellung ihres ersten Passes mit der Angabe der lettischen Nationalität lag. Weitere nachprüfbare Umstände, die ihren Willen, der deutschen Volksgruppe und keiner anderen anzugehören, nach außen hin unzweifelhaft haben zutage treten lassen und das geforderte Nationalitätenbekenntnis gegenüber staatlichen Stellen ausgedrückt hätten, hat die Klägerin nicht bezeichnet.

Da das erforderliche Bekenntnis nach § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG mithin nicht festgestellt werden kann, kommt es nicht weiter darauf an, ob bei der Klägerin vom Vorliegen des Bestätigungsmerkmals der familiären Vermittlung der deutschen Sprache i.S.v. § 6 Abs. 2 Satz 2, 3 BVFG auszugehen ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordnung.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.

Ende der Entscheidung

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