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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 03.04.2008
Aktenzeichen: OVG 11 L 2.07
Rechtsgebiete: BImSchG, VwGO


Vorschriften:

BImSchG § 5 Abs. 3
BImSchG § 17 Abs. 4 a S. 2
BImSchG § 20
VwGO § 146 Abs. 4 Satz 6
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 11 S 6.07 OVG 11 L 2.07

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 11. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Laudemann, den Richter am Oberverwaltungsgericht Fieting und die Richterin am Oberverwaltungsgericht Apel am 3. April 2008 beschlossen:

Tenor:

1. Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 7. Dezember 2006 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Beschwerde trägt der Antragsgegner.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 600.000,-- EUR festgesetzt.

2. Auf die Beschwerde der Bevollmächtigten der Antragstellerin werden die Streitwertfestsetzung in dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 7. Dezember 2006 geändert und der Wert des Streitgegenstandes für den ersten Rechtszug ebenfalls auf 600.000,-- EUR festgesetzt. Im Übrigen wird die Streitwertbeschwerde zurückgewiesen.

Das die erstinstanzliche Streitwertfestsetzung betreffende Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin wendet sich gegen eine immissionsschutzrechtliche Ordnungsverfügung, mit der ihr die Beräumung von Abfällen auf einem Gelände in Pinnow aufgegeben worden ist. Auf den Flurstücken 80 bis 82 der dortigen Flur 2 betrieb zuletzt die PS Wertstoffrecycling GmbH Angermünde eine Recyclinganlage zur Behandlung von Bauabfällen und gemischten Siedlungsabfällen durch Sortieren, Brechen, Klassieren und Zwischenlagern, für die eine bestandskräftige immissionsschutzrechtliche Genehmigung des zuständigen Amtes für Immissionsschutz Schwedt (Oder) vom 5. Februar 1998 vorliegt. Diese Gesellschaft ist genauso wie die Grundstückseigentümerin der hier in Rede stehenden Flächen seit einiger Zeit in Liquidation.

Mit Schreiben vom 13. Juli 2006 ließ die Antragstellerin dem Antragsgegner mitteilen, zukünftig die genehmigten Betriebseinheiten 1, 3, 4, 6 und 8 "auf der Grundlage der Genehmigung vom 5. Februar 1998 ausschließlich auf den Flurstücken 80 (vollständig), 81 und 82 (jeweils teilweise ...)" zu betreiben. Ausdrücklich nicht betrieben werden sollten die Betriebseinheit 2 (Sortieranlage) und die Betriebseinheit 5 (Shredderanlage) sowie alle damit im Zusammenhang stehenden genehmigten und/oder tatsächlich genutzten Lagerflächen für gemischte Abfälle, Holz und andere, nicht mineralische Fraktionen.

Der Antragsgegner wertete diese Anzeige als vollständige Übernahme der Anlage verbunden mit der Anzeige der Stilllegung bestimmter Anlagenteile. Er stellte mit der hier streitgegenständlichen Ordnungsverfügung vom 25. Juli 2006 zunächst fest, dass die insbesondere für die Betriebseinheiten 2 und 5 sich ergebenden Stilllegungen keines Genehmigungsverfahrens bedürften, und verfügte unter Bezugnahme auf § 17 Abs. 4 a S. 2 BImSchG sowie unter Anordnung der sofortigen Vollziehung u.a., dass die auf den in Betracht kommenden Teilflächen der Flurstücke 81 und 82 noch vorhandenen Abfälle des letzten Betreibers sowie Abfälle, die von diesen Flächen im Rahmen einer Brandbekämpfung auf das Flurstück 83 umgelagert worden seien, ordnungsgemäß zu beräumen seien. Zur Begründung führte der Antragsgegner aus, ein teilweiser Betreiberwechsel sei rechtlich nicht möglich, so dass der Wunsch der Antragstellerin, nur einen Teil der übernommenen Anlage betreiben zu wollen, in zwei Schritten zu denken sei. Die hier abgegebene Anzeige des Betreiberwechsels sei daher so zu verstehen, dass in einem ersten Schritt ein Eintritt in alle Rechte und Pflichten der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung und der dazu ergangenen nachträglichen Anordnung erfolge und in einem zweiten Schritt die Änderung des Genehmigungsumfangs vorgenommen werde, der die verfügten Nachwirkungspflichten begründe.

Mit Beschluss vom 7. Dezember 2006 hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 25. Juli 2006 wiederhergestellt bzw. hinsichtlich des Gebührenausspruchs angeordnet. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners. Darüber hinaus haben die Bevollmächtigten der Antragstellerin gegen die auf 100.000 € lautende Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts ebenfalls Beschwerde eingelegt.

II.

Die gegen die erstinstanzliche Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gerichtete Beschwerde des Antragsgegners hat keinen Erfolg.

Der vom Antragsgegner mit der Beschwerdebegründung - nach entsprechender Korrektur - ausdrücklich gestellte Antrag, "die sofortige Vollziehbarkeit des Bescheides vom 25. Juli 2006 wieder herzustellen", ist zwar unzulässig, weil die Verwaltungsgerichtsordnung eine entsprechende Tenorierung allenfalls für die Konstellation eines Verwaltungsakts mit Doppelwirkung vorsieht (§ 80 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 VwGO), die hier nicht gegeben ist. Mit dem verfehlten Antrag kommt allerdings das mit einem schlichten Antragsabweisungsantrag zu verfolgende Begehren hinreichend zum Ausdruck.

Jedenfalls bleibt die Beschwerde in der Sache ohne Erfolg, weil ihre gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO vom Senat allein zu prüfende Begründung keine Änderung des angefochtenen Beschlusses rechtfertigt. Der Antragsgegner hat die hier angegriffene Beräumungsanordnung auf § 17 Abs. 4 a Satz 2 i.V.m. § 5 Abs. 3 BImSchG gestützt. Eine solche Nachsorgeanordnung kann nur gegen den nach § 5 Abs. 3 BImSchG Verpflichteten, also denjenigen gerichtet werden, der die Anlage im Zeitpunkt ihrer Betriebseinstellung oder früher betrieben hat. Diesen rechtlichen Ansatz des Verwaltungsgerichts stellt auch das Beschwerdevorbringen des Antragsgegners nicht in Frage. Es rechtfertigt allerdings auch nicht die Annahme, dass die Antragstellerin jemals Betreiberin des Teils der Anlage geworden ist, an dessen früheren Betrieb die Beräumungsverfügung anknüpft. Der vom Antragsgegner vertretenen Auffassung, die Antragstellerin habe den Betrieb der gesamten Anlage übernommen und sodann seinen Umfang eingeschränkt, kann bei summarischer Prüfung nicht gefolgt werden. Betreiber einer Anlage ist derjenige, der unter Berücksichtigung sämtlicher konkreten rechtlichen, wirtschaftlichen und tatsächlichen Gegebenheiten bestimmenden Einfluss auf die Errichtung, Beschaffenheit und den Betrieb der Anlage ausübt. Meist richtet sich die Möglichkeit zur Ausübung des bestimmenden Einflusses nach den privatrechtlichen Verhältnissen an der Anlage, also danach, wer nach den zu Grunde liegenden Verhältnissen weisungsfrei und selbstständig entscheiden kann. Indiz für den bestimmenden Einfluss können die Tätigkeit in eigenem Namen, auf eigene Rechnung und in eigener Verantwortung sein. Eine Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse orientiert sich daran, wer berechtigt ist, aus der Anlage wirtschaftliche Nutzungen zu ziehen und wer das wirtschaftliche Risiko trägt. Betreiber ist bei rechtlicher und wirtschaftlicher Betrachtungsweise folglich derjenige, dem die Entscheidung über die für die Erfüllung umweltrechtlicher Pflichten relevanten Umstände obliegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Oktober 1998 - BVerwG 7 C 38.97 -, NJW 1999, 1416; VGH Mannheim, Urteil vom 15. Dezember 1987 - 10 S 240/86 -, NVwZ, 1988, 562; Friedrich: Umweltrechtliche Folgen einer Aufteilung bestehender Anlagen auf mehrere Betreiber - Der Anlagen- und Betreiberbegriff im Immissionsschutzrecht, der Betriebsbereich, NVwZ 2002, 1174; Schmidt-Kötters, BeckŽscher Online-Kommentar, Umweltrecht, § 4 BImSchG, Rdnr. 115; jeweils m.w.N.). Hiernach hat die Antragstellerin gerade nicht den gesamten Anlagenbetrieb übernommen. Denn sie hat mit ihrer Anzeige vom 13. Juli 2006, an die der Antragsgegner mit dem angefochtenen Bescheid anknüpft, ausdrücklich klargestellt, die Betriebseinheiten 2 (Sortieranlage) und 5 (Shredderanlage) sowie alle damit in Zusammenhang stehenden genehmigten und/oder tatsächlich genutzten Lagerflächen für gemischte Abfälle, Holz und andere, nicht mineralische Fraktionen nicht betreiben zu wollen und die auf den angrenzenden Flurstücken vorhandenen Lagerflächen des ehemaligen Betreibers und die darauf lagernden Abfälle nicht zu übernehmen. Dass sich die Antragstellerin später dieser Ankündigung zuwider verhalten hätte, legt auch der Antragsgegner nicht dar. Anders als von ihm geltend gemacht, steht es einem eingeschränkten Anlagenbetrieb nicht entgegen, dass die Antragstellerin auf Schildern auf die Annahme von Bauschutt hinweist und auch tatsächlich Betonbruch angenommen hat. Dies deutet nämlich nicht schon darauf hin, dass die Betriebseinheiten 2 (Sortieranlage) und 5 (Shredderanlage) wieder in Funktion gesetzt werden sollten.

Auch der Erklärung des Liquidators der Grundstückseigentümerin vom 21. April 2006 lässt sich nicht entnehmen, dass die Antragstellerin Betreiberin der gesamten Anlage geworden wäre. Davon abgesehen, dass mit dieser Erklärung lediglich das Vorliegen eines Nutzungsrechts an dem Grundstück bestätigt wird, wird dieses ausdrücklich auf bestimmte Flurstücke bzw. Teile von Flurstücken eingeschränkt und umfasst diejenigen Flächen, auf denen die zu beräumenden Abfälle lagern, gerade nicht. Die von der Antragstellerin vorgenommene Einfriedung des von ihr genutzten Areals bringt den Willen, nur einen Teil der früheren Anlage betreiben zu wollen, ebenfalls zum Ausdruck und nicht, wie der Antragsgegner dies geltend macht, die Besitzergreifung des gesamten früheren Anlagengrundstücks. Selbst wenn dem Antragsgegner darin gefolgt werden könnte, dass damit gleichzeitig der Zugang zu den angrenzenden Flurstücken gesperrt worden wäre, kann daraus nicht die Absicht gefolgert werden, auch die restlichen Teile der ursprünglichen Anlage betreiben zu wollen.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist auch nicht deshalb "die gesamte Anlage auf die Antragstellerin übergegangen", weil die von der Antragstellerin zum Teil beanspruchte Genehmigung mangels "eigenständiger Anlagenteile" unteilbar sei. Denn diese Folgerung ist keineswegs zwingend, zumal der Antragsgegner mit dem angegriffenen Bescheid die von ihm angenommene Anlagenänderung nicht einmal für genehmigungsbedürftig gehalten hat. Sollte, wie der Antragsgegner nunmehr wegen der unterbliebenen Übernahme der Betriebseinheiten 2 und 5 erwägt, vorliegend von einem Betrieb auszugehen sein, "der mit der Genehmigung nichts zu tun hat", läge ein formell illegaler Betrieb vor. Dem könnte gegebenenfalls mit einer Stilllegungsanordnung nach § 20 BImSchG zu begegnen sein. Keinesfalls bildet dies die Grundlage für die angeordnete Beräumung in Bezug auf nicht zum Betrieb der Antragstellerin gehörende Anlagenteile des ehemaligen Betreibers.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG. Dabei geht der Senat unter Zugrungelegung der divergierenden Angaben der Beteiligten (27.000 t und mehr als 32.000 t) im Wege der Schätzung von einem Gesamtumfang des zu beräumenden Abfalls von ca. 30.000 t aus und setzt pauschalierend den für Baumischabfälle in Brandenburg üblichen Umrechnungsfaktor (Volumen zu Gewicht) von 0,6 an, was 50.000 m³ und unter Zugrundelegung von Nr. 2.4.1 des Streitwertkatalogs Entsorgungskosten von 20 EUR pro m³, insgesamt also 1.000.000,-- EUR ergibt. Mangels näherer Anhaltspunkte ebenfalls im Wege der Pauschalierung sind 200.000,-- EUR aufzuschlagen, weil ein Teil der zu beräumenden Abfälle unstreitig Brandreste darstellen und das Risiko einer ungleich kostspieligeren Sonderabfallentsorgung besteht. Unter weiterer Berücksichtigung der Vorläufigkeit des Rechtsschutzverfahrens gelangt der Senat zu einem Beschwerdewert von 600.000,-- EUR.

III.

Die gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG zulässige Streitwertbeschwerde der Bevollmächtigten der Antragstellerin ist in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang begründet. Der vom Verwaltungsgericht ohne nähere Begründung auf 100.000,-- EUR festgesetzte Streitwert war aus den oben genannten Gründen entsprechend zu erhöhen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 68 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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