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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 08.03.2006
Aktenzeichen: OVG 11 N 66.05
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO


Vorschriften:

VwGO § 60 Abs. 1
VwGO § 60 Abs. 2
VwGO § 60 Abs. 2 Satz 1
VwGO § 67 Abs. 1 Satz 3
VwGO § 124 a Abs. 4 Satz 1
VwGO § 173
ZPO § 85 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 11 N 66.05

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 11. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Laudemann, den Richter am Oberverwaltungsgericht Fieting und die Richterin am Oberverwaltungsgericht Apel am 8. März 2006 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 29. April 2003 wird verworfen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 1.675,29 Euro festgesetzt.

Gründe:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unzulässig, weil er nicht fristgerecht gestellt worden ist. Gemäß § 124 a Abs. 4 Satz 1 VwGO ist die Zulassung der Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist dem Beklagten am 23. Mai 2003 zugestellt worden. Folglich lief die bezeichnete Antragsfrist am Montag, dem 23. Juni 2003 ab. Dem gegenüber ist der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung erst am 26. Juni 2003 und damit verspätet bei dem Verwaltungsgericht eingegangen.

Dem Beklagten ist auch nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 60 VwGO). Zwar sind die formellen Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung nach § 60 Abs. 2 VwGO erfüllt, denn der Beklagte hat den Wiedereinsetzungsantrag fristgerecht, nämlich binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses gestellt; auch war zu diesem Zeitpunkt die versäumte Rechtshandlung bereits nachgeholt worden. Der Wiedereinsetzungsantrag ist aber nicht begründet, weil der Beklagte nicht glaubhaft gemacht hat, an der Einhaltung der Frist des § 124 a Abs. 4 Satz 1 VwGO ohne Verschulden gehindert gewesen zu sein. Mit seinem innerhalb der Antragsfrist des § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO eingegangenen Wiedereinsetzungsantrag hat er hierzu im Wesentlichen vorgetragen: Der Zulassungsantrag vom 18. Juni 2003 sei ausweislich des Postausgangsvermerks am 19. Juni 2003 zur Post gegeben worden, so dass kein Anlass zum Zweifel daran bestanden habe, dass der Antrag innerhalb der üblichen Postlaufzeiten bis zum 23. Juni 2003 beim Verwaltungsgericht eingehen werde. Der Antrag auf Zulassung der Berufung sei am 18. Juni 2003 durch den Vertreter des Beklagten unterzeichnet und am 19. Juni 2003 durch die Bürosachbearbeiterin des Rechtsamtes nach Fertigung eines entsprechenden Vermerks zur Ausgangspost gegeben worden. Diese habe den Schriftsatz mit dem hausinternen üblichen Klebezettel und mit dem Hinweis, dass der Schriftsatz über die normale ("gelbe") Post und nicht über den Kurierdienst des Landes Brandenburg dem Verwaltungsgericht zugesandt werden sollte, über die Postabholung an die Poststelle der Kreisverwaltung weitergeleitet. An diesem Tag sei bedingt durch die zahlreichen Vorgänge im Rechtsamt sehr viel Post zu transportieren gewesen und dabei habe sich wohl der Klebezettel vom Schriftsatz gelöst. Jedenfalls habe der Schriftsatz ohne diesen Klebezettel in der Poststelle nicht der normalen Post zugeordnet werden können und sei irrtümlich zur Kurierpost gegeben worden. Da der Kurier die Post am 19. Juni 2003 bereits abgeholt gehabt habe, habe er die in Rede stehende Sendung erst bei seinem nächsten Besuch am 24. Juni 2003 mitgenommen. Das erkläre, dass der Antrag auf Zulassung der Berufung erst am 26. Juni 2003 bei dem Verwaltungsgericht eingegangen ist. Die für den irrtümlichen Transportweg alleinige Ursache, dass sich der gelbe Klebezettel (Haftnotiz) vom Schriftsatz gelöst habe, habe weder die Bürosachbearbeiterin noch die Poststelle erahnen können. Es liege daher kein Verschulden der mit der Versendung von Schriftsätzen betrauten Personen vor und auch kein Organisationsmangel, der anderen Personen anzulasten wäre. Zur Glaubhaftmachung hat der Beklagte eine eidesstattliche Versicherung der genannten Bürosachbearbeiterin eingereicht, die den von ihm vorgetragenen Sachverhalt bestätigt.

Unter Zugrundelegung dieses Vortrags kann nicht von einer unverschuldeten Fristversäumnis des Beklagten ausgegangen werden. Verschulden im Sinne von § 60 Abs. 1 VwGO ist anzunehmen, wenn der Betroffene diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden geboten ist und die ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war. Dabei sind an eine Behörde wie den Beklagten zwar keine strengeren, aber auch keine geringeren Anforderungen zu stellen als an einen Rechtsanwalt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. Juni 1995 - 6 C 13/93 -, NvWZ-RR 1996, 60, m. w. N. vgl. auch OVG Brandenburg, Urteil vom 12 August 1999 - 4 A 8/99 -, LKV 2000, 406 f. = FEVS 51, 235 f.). Dies gilt insbesondere für Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht, für die prinzipiell Vertretungszwang besteht, in denen sich juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden aber auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt vertreten lassen können, denn § 67 Abs. 1 Satz 3 VwGO (so genanntes Behördenprivileg) bezweckt keine Besserstellung der Behörde gegenüber einer anwaltlich vertretenen Privatperson (vgl. VGH Kassel, Beschluss vom 29. Juli 2005, - 6 UZ 255/05 -, JMBl HE 2005, 471, sowie bei Juris). Zwar ist dem Rechtsträger der Behörden gemäß § 173 VwGO in Verbindung mit § 85 Abs. 2 ZPO grundsätzlich nicht das Verschulden ihrer selbst nicht vertretungsberechtigten Bediensteten zuzurechnen. Das setzt jedoch voraus, dass diese mit der gebotenen Sorgfalt ausgewählt, angeleitet und überwacht werden und dass durch eine zweckmäßige Organisation das Notwendige zur Verhinderung von Fristversäumnissen geschieht (vgl. Schoch, VwGO, § 60, Rdziff. 47, m.w.N.).

Gemessen an der oben genannten Begründung des Wiedereinsetzungsantrags liegt hier ein Organisationsverschulden des Beklagten vor. Sendet der vertretungsberechtigte Bedienstete fristwahrende Schriftsätze nicht persönlich ab, so bedarf es geeigneter organisatorischer Vorkehrungen, die eine ordnungsgemäße und fristgerechte Absendung sicherstellen (vgl. BVerwG, a.a.O.). Das ist unter Zugrundelegung des oben genannten Vortrags des Beklagten hier nicht geschehen, denn danach "konnte" der Schriftsatz in der Poststelle nur mit Hilfe des gelben Klebezettels der hier richtigen Versendungsart zugeordnet werden. Es liegt in der Zweckbestimmung so genannter Haftzettel, dass sie von dem jeweiligen Trägerobjekt mühelos und rückstandsfrei wieder entfernt werden können. Da sie nur an einem Randstreifen mit Klebstoff versehen sind, ist es nach der Lebenserfahrung gerade nicht auszuschließen, dass sie auch durch geringere mechanische Einwirkungen ungewollt entfernt werden und verloren gehen. Das gilt insbesondere, wenn wie vom Beklagten vorgetragen, eine Vielzahl von Briefsendungen übereinander gelegt und gemeinsam transportiert werden. Schon durch entsprechende Stapelbildung beim Abtrag kann es z. B. leicht zur Entfernung eines Notizzettels kommen. Daher hätte es weiterer organisatorischer Vorkehrungen bedurft, um die Unterscheidbarkeit der für die normale Post bestimmten Sendungen von denjenigen, die über den Kurierdienst transportiert werden sollten, zu gewährleisten. So hätten etwa die für den landeseigenen Kurierdienst bestimmten Sendungen mit einem auffälligen Stempel oder einem verlässlich haftenden Aufkleber versehen werden können (vgl. BVerwG, a.a.O.). Auch wäre es möglich gewesen, beide Arten von Sendungen von vornherein getrennt zu sammeln und zu transportieren, so dass die Poststelle schon anhand der Behältnisse der jeweiligen Sendungen deren Versendungsart erkennen kann.

Zu keinem anderen Ergebnis führt der Vortrag des Beklagten in seinem Schriftsatz vom 5. September 2003. Danach erfolge die Einordnung der externen Briefe zur Kurier- oder Normalpost unabhängig von der Markierung durch den Haftzettel schon dadurch, dass sie beim Postausgang in verschiedene Kästen eingelegt würden. In der Poststelle sei angenommen worden, dass der (den Zulassungsantrag enthaltende) Brief irrtümlich zur Normalpost gelegt worden sei, dass er aber eigentlich in die Kurierpost gehöre. Auch habe die Poststelle nicht anhand eines einzelnen gelben Zettels erkennen können, dass ein Fehler bei der Zuordnung nicht ausgeschlossen werden könne, da der Zettel anscheinend in der Aktentasche oder an der Transportkiste angehaftet geblieben sei, was übrigens für eine noch ziemlich gute Haftfähigkeit spreche.

Es ist schon zweifelhaft, ob dieser Vortrag berücksichtigt werden kann. Denn innerhalb der zweiwöchigen Antragsfrist des § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO sind alle maßgeblichen Tatsachen zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags darzulegen. Das Nachschieben neuer selbständiger Wiedereinsetzungsgründe nach Fristablauf ist unzulässig. Nachträglich dürfen Tatsachen lediglich noch ergänzt und verdeutlicht werden, soweit sich solches späteres Vorbringen auf den fristgerecht bereits geltend gemachten Wiedereinsetzungsgrund beschränkt (vgl. Schoch, a.a.O., Rdziff. 60, m.w.N.). Insoweit mag schon bezweifelt werden, ob es sich bei dem erstmaligen Vortrag einer bereits beim Sachbearbeiter getrennten Sammlung der jeweiligen Briefsendungen noch um die bloße Ergänzung eines fristgerecht vorgetragenen Wiedereinsetzungsgrundes handelt. Dies kann jedoch dahinstehen. Denn auch der nachträgliche Vortrag zeigt keine hinreichenden organisatorischen Vorkehrungen des Beklagten auf. So hat er weder vorgetragen, dass beide Arten von Briefsendungen in getrennten Behältnissen zur Poststelle transportiert wurden, noch, dass er die Poststelle angewiesen habe, in Zweifelsfällen bei der zuständigen Stelle nachzufragen, auf welchem Wege die betreffende Sendung transportiert werden soll. Insoweit beruft sich der Beklagte auch nicht einmal darauf, dass die betreffenden Mitarbeiter der Poststelle lediglich in diesem Einzelfall einen Fehler gemacht hätten, der dem Beklagten nach den oben genannten Grundsätzen dann ggf. auch nicht zuzurechnen gewesen wäre. Von alledem abgesehen, fehlt es auch an der Glaubhaftmachung der vom Beklagten in seinem Schriftsatz vom 5. September 2003 erstmals aufgestellten Behauptung (§ 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren ergibt sich aus § 72 Nr. 1 GKG in Verbindung mit §§ 13 Abs. 2, 14 Abs. 1 und 3 des Gerichtskostengesetzes in der bis zum 30. Juni 2004 geltenden Fassung.

Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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