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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 06.07.2007
Aktenzeichen: OVG 11 S 21.07
Rechtsgebiete: BImSchG, VwGO, EEG, LEPro, BbgBO


Vorschriften:

BImSchG § 4
VwGO § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4
VwGO § 80 Abs. 3 Satz 1
VwGO § 80 Abs. 5 Satz 1
VwGO § 80a Abs. 1
VwGO § 80a Abs. 3
VwGO § 146 Abs. 4 Satz 6
EEG § 1 Abs. 2
EEG § 10 Abs. 5
LEPro § 24 Abs. 4
BbgBO § 6
BbgBO § 60
BbgBO § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 11 S 21.07

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 11. Senat durch den Richter am Oberverwaltungsgericht Fieting, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Apel und den Richter am Verwaltungsgericht Kaufhold am 6. Juli 2007 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 29. Januar 2007 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 3750,- Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Flurstücks 52 der Flur __ der Gemarkung W_____ Auf diesem Grundstück beabsichtigt die Firma E_____ aufgrund eines mit der Antragstellerin geschlossenen Nutzungsvertrages eine von insgesamt acht geplanten Windenergieanlagen zu errichten und zu betreiben. Durch Bescheid vom 12. Juni 2006 erteilte der Antragsgegner der Beigeladenen die Genehmigung nach § 4 BImSchG, insgesamt 11 Windkraftanlagen zu errichten und zu betreiben, davon 2 Windkraftanlagen auf dem nördlich an das Grundstück der Antragsstellerin anschließenden Flurstück 53 der Flur __ der Gemarkung W_____ (WKA 8 und WKA 9). Durch Bescheid vom 24. Juli 2006 erteilte der Antragsgegner der Beigeladenen die Nachtragsgenehmigung, für 10 Windkraftanlagen, darunter WKA 8 und WKA 9, den Anlagentyp zu ändern. Ferner ordnete der Antragsgegner auf Antrag der Beigeladenen durch Bescheid vom 18. August 2006 die sofortige Vollziehung der Bescheide vom 12. Juni und 24. Juli 2006 an.

Durch Beschluss vom 29. Januar 2007 hat es das Verwaltungsgericht abgelehnt, festzustellen, dass der Widerspruch der Antragstellerin gegen die der Beigeladenen erteilten Bescheide vom 12. Juni und 24. Juli 2006 aufschiebende Wirkung entfaltet, hilfsweise, die aufschiebende Wirkung dieses Widerspruchs wiederherzustellen. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin, mit der sie nur noch ihren erstinstanzlichen Hilfsantrag weiter verfolgt.

II.

Die Beschwerde ist nicht begründet. Das gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu berücksichtigende Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine Änderung des angefochtenen Beschlusses.

1. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin genügt die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung im Bescheid des Antragsgegners vom 18. August 2006 den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Daher mag dahinstehen, ob ein Verstoß gegen das Begründungserfordernis die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin oder lediglich die Aufhebung der Vollziehbarkeitsanordnung rechtfertigen würde (für Letzteres: VGH München, Beschluss vom 23. Dezember 1996 - 26 CS 96.2760 -, NVwZ-RR 1998, 278, m. w. N.).

§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO verlangt eine gesonderte schriftliche Begründung für die behördliche Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsakts, die bestimmte Mindestanforderungen erfüllen muss: Die Behörde hat die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe darzulegen, die im konkreten Fall ein Vollziehungsinteresse ergeben und die zu ihrer Entscheidung, wegen dieses Interesses von der Anordnungsmöglichkeit des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO Gebrauch zu machen, geführt haben (vgl. Senatsbeschluss vom 14. Mai 2007 -OVG 11 S 83.06-; OVG Brandenburg, Beschluss vom 14. Oktober 2004 - 4 B 228.04 -, ZfB 2005, 20). Ist dies der Fall, so kommt es für die Frage der ordnungsgemäßen Begründung gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO nicht darauf an, ob die Annahme des Überwiegens des sofortigen Vollzugsinteresses aus den angegebenen Gründen bereits voll zu überzeugen vermag. Hieraus ergibt sich, dass dem - formellen - Begründungserfordernis bei einem Verwaltungsakt mit Drittwirkung bereits dann genügt ist, wenn die Behörde mit einer auf den Einzelfall abstellenden, nicht lediglich formelhaften Begründung das von ihr angenommene besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung dargelegt hat.

Hiernach ist dem Begründungserfordernis hinreichend entsprochen worden. Der Antragsgegner hat die Anordnung der sofortigen Vollziehung in seinem Bescheid vom 18. August 2006 in erster Linie mit dem aus § 1 Abs. 2 EEG und § 24 Abs. 4 LEPro hergeleiteten besonderen öffentlichen Interesse begründet, den Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung innerhalb der gesetzlichen Fristvorgaben zu erhöhen und die Nutzung erneuerbarer Energien vorrangig zu fördern. Darüber hinaus hat er auf ein überwiegendes wirtschaftliches Interesse der Beigeladenen abgestellt, die gemäß § 10 Abs. 5 EEG jährlich sinkende Stromeinspeisungsvergütung durch eine frühzeitige Inbetriebnahme möglichst auszuschöpfen.

Es führt nicht zu einem Begründungsmangel, dass der Antragsgegner bei der Abwägung dieser besonderen Sofortvollzugsinteressen nicht ausdrücklich auf das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin eingegangen ist. Denn zum einen lag der Widerspruch der Antragstellerin, anders als derjenige der _____, deren Suspensivinteresse der Antragsgegner eingehend gewürdigt hat, der für die Bearbeitung zuständigen Stelle am 18. August 2006 offenbar noch nicht vor (vgl. Eingangsbestätigung des Antragsgegners vom 8. September 2006). Zum anderen ist davon auszugehen, dass dem Antragsgegner das potenzielle Suspensivinteresse der Eigentümer benachbarter Flurstücke gleichwohl bewusst gewesen und auch ohne ausdrückliche Würdigung von ihm berücksichtigt worden ist. Denn die Beigeladene hatte in ihrem Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung vom 26. Juni 2006 selbst auf mögliche Widersprüche von Grundstückseigentümern wegen der zugelassenen Abweichung von den Abstandsflächenregelungen und deren ihres Erachtens geringe Erfolgsaussichten hingewiesen. Zudem lag das Hauptinteresse der Antragstellerin ersichtlich darin, der E_____ die, wie angenommen werden darf, entgeltliche Nutzung des Grundstücks zum Zwecke der Errichtung und des Betriebs einer Windkraftanlage zu ermöglichen, so dass deren - vom Antragsgegner ausdrücklich abgewogene - Interessen im Wesentlichen auch den Interessen der Antragstellerin entsprachen. Dass die Antragstellerin durch die zeitnahe Verwirklichung des Vorhabens der Beigeladenen anderweitige Nutzungen ihres Grundstücks nachhaltig gefährdet sieht, war zum Zeitpunkt der Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht ersichtlich und wird im Übrigen auch gegenwärtig nicht geltend gemacht.

2. Auch die mit der Beschwerde geltend gemachten materiellrechtlichen Erwägungen der Antragstellerin rechtfertigen nicht die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs. Inhaltlicher Maßstab der hier gemäß § 80a Abs. 1 und 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu treffenden gerichtlichen Entscheidung im Eilverfahren ist eine umfassende Interessenabwägung. Gegenstand der Abwägung sind das private Aufschubinteresse der Antragstellerin einerseits und das öffentliche Interesse sowie das Interesse der durch die Genehmigungen begünstigten Beigeladenen an der Vollziehung dieser Verwaltungsakte andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung haben auch Erkenntnisse über die Rechtmäßigkeit oder die Rechtswidrigkeit der Verwaltungsakte Bedeutung; allerdings nicht als unmittelbare Entscheidungsgrundlage, sondern als bei Gewichtung des Sofortvollzugsinteresses in die Abwägung einzustellende Gesichtspunkte (vgl. Senatsbeschluss vom 15. September 2006 - OVG 11 S 57.06 -; vgl. auch BVerfG <Vorprüfungsausschuss>, Beschluss vom 11. Februar 1982 - 2 BvR 77/82 -, NVwZ 1982, 241; BVerfG, Beschluss vom 12. September 1995 - 2 BvR 1179/95 -, DVBl. 1995, 1297 f.).

a) Die für die WKA 8 und WKA 9 der Beigeladenen zugelassenen Abweichungen von den Abstandsflächenvorgaben des § 6 BbgBO erweisen sich im Rahmen der hier nur möglichen summarischen Prüfung jedenfalls nicht als offensichtlich rechtswidrig. Gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BbgBO, dessen Erfüllung die Antragstellerin in Abrede stellt, setzt die Zulassung von Abweichungen unter anderem voraus, dass diese die öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Interessen nicht beeinträchtigen. Von einer solchen Beeinträchtigung kann auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens nicht ohne Weiteres ausgegangen werden.

Das gilt zunächst im Hinblick auf die von der Antragstellerin beabsichtigte Nutzung ihres Grundstücks zur Gewinnung von Windenergie. Angesichts der vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegten und mit der Beschwerde nicht angezweifelten Abstände zwischen der auf dem Grundstück der Antragstellerin geplanten Anlage der E_____ und den von der Beigeladenen auf dem Flurstück 53 geplanten Anlagen WKA 8 und WKA 9 von ca. 450 m bzw. 380 m erscheint es bereits fern liegend, dass die Interessen der Antragstellerin durch die Abstandsflächenreduzierung überhaupt spürbar beeinträchtigt werden. Die Antragstellerin macht mit der Beschwerde selbst nicht mehr geltend, dass die Standsicherheit der auf ihrem Grundstück geplanten Windkraftanlage der E_____ durch von WKA 8 und WKA 9 verursachte Luftturbulenzen gefährdet sei. Soweit sie behauptet, die Abschattungswirkungen der WKA 8 und WKA 9 würden zu Energieertragseinbußen für die Anlage der E_____ führen, fehlt es schon an einer näheren Substanziierung und Glaubhaftmachung. Da von einer westlichen Hauptwindrichtung auszugehen sein dürfte (vgl. berechnete Windrichtungs- und Windgeschwindigkeitsrose im Turbulenzintensitätsgutachten Windenergieprojekt Windpark Werbig, Bl. 250 der Unterlagen der Beigeladenen zum Änderungsantrag vom 12. Juni 2006) erscheint zudem fraglich, ob der Windenergieertrag der auf dem Grundstück der Antragstellerin geplanten Anlage der E_____ durch die auf dem nördlich gelegenen Flurstück 53 geplanten Anlagen der Beigeladenen überhaupt nennenswert beeinträchtigt wird, was insbesondere für die am östlichen Rand des Flurstücks 53 geplante WKA 8 gilt.

Jedenfalls aber dürfte es insoweit an der Beeinträchtigung eines öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Interesses fehlen. Denn es ist nicht ersichtlich, dass es zu den Schutzzwecken der Abstandsflächenregelungen des § 6 BbgBO gehören sollte, den Energieertrag von Windkraftanlagen vor Windabschattungen durch benachbarte bauliche Anlagen zu schützen. Vielmehr dürften die Windverhältnisse einen Lagevorteil darstellen, dessen Beibehaltung keinen subjektiv-rechtlichen Schutz genießt (vgl. auch OVG Münster, Beschluss vom 24. Januar 2000 - 7 B 2180/99 -, NVwZ 2000, 1064).

Soweit die Antragstellerin ferner geltend macht, bereits ihr "Freihalteinteresse" stelle ein öffentlich-rechtlich geschütztes nachbarliches Interesse dar, verneint sie in der Konsequenz die Anwendbarkeit des § 60 BbgBO auf die Abstandsflächenregelungen des § 6 BbgBO. Dem vermag der Senat bei summarischer Prüfung nicht zu folgen. Zwar liegt der Neufassung der BbgBO das Ziel zugrunde, behördliche Abweichungsentscheidungen durch unmittelbare gesetzliche Regelungen weitgehend entbehrlich zu machen (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs zur BbgBO 2003, I. 2.5, LT-Drs. 3/5160, S. 4, 5). Dies mag dafür streiten, die Zulassung von Abweichungen restriktiv zu handhaben (vgl. auch Kaden, Abstandsflächenrecht nach der Brandenburgischen Bauordnung 2003, LKV 2004, 402, 405). Jedoch hätte es nahe gelegen, eine ausdrückliche Regelung zu treffen, wenn der Gesetzgeber Abstandsflächenregelungen von vornherein aus dem Anwendungsbereich des § 60 BbgBO hätte herausnehmen wollen.

Auch dürfte das bloße "Freihalteinteresse" bei privilegierten Vorhaben vorbehaltenen Außenbereichsgrundstücken im Ansatz anders zu beurteilen sein als im regelmäßig eng bebauten Innenbereich, den auch der von der Antragstellerin zitierte Beschluss des 10. Senats des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 14. März 2006 (OVG 10 S 7.05) betrifft. Da das im Außenbereich liegende Grundstück der Antragstellerin gegenwärtig nur landwirtschaftlich genutzt wird und die zugelassene Abweichung von den Abstandsflächenvorgaben die künftige Nutzung dieses Grundstücks für eine Windkraftanlage der E_____ jedenfalls nicht ausschließt, vermag der Senat nicht zu erkennen, welches rechtlich geschützte "Freihalteinteresse" der Antragstellerin der Zulassung der Abweichung entgegen stehen sollte (vgl. zur Zulassung von Abstandsflächenabweichungen im Außenbereich auch VGH München, Beschluss vom 22. Juli 2003, - 15 ZB 02.1223 -, bei Juris; Jäde/Dirnberger/Reimus, Bauordnungsrecht Brandenburg, Stand September 2006, § 60 BbgBauO, Rdnr. 24).

Ohne Erfolg rügt die Antragstellerin ferner, die Zulassung der Abweichung leide an einem Ermessensausfall. Liegen die engen Voraussetzungen für eine Abweichungsentscheidung vor, so führt dies zu einem intendierten Ermessen der Behörde, das heißt, diese hat die Abweichung zuzulassen, es sei denn, es lägen besondere Umstände vor, die dem ausnahmsweise entgegen stünden (vgl. VGH München, a.a.O.; Jäde/Dirnberger/Reimus, Bauordnungsrecht Brandenburg, Stand September 2006, § 60 BbgBauO, Rdnr. 11). Derartige Umstände sind hier nicht ersichtlich.

b) Soweit im Rahmen der summarischen Prüfung gleichwohl Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abweichungsentscheidung verbleiben, überwiegen die vom Antragsgegner angeführten besonderen Vollzugsinteressen dennoch das Suspensivinteresse der Antragstellerin, weil eine nennenswerte Beeinträchtigung der von ihr beabsichtigten Grundstücksnutzung nicht erkennbar ist, und weil die Realisierbarkeit der Grundstücksnutzung durch die E_____ - unabhängig von der zwischen den Beteiligten streitigen Rechtmäßigkeit der Bauleitplanung der Gemeinde - aufgrund der bestehenden Veränderungssperre jedenfalls gegenwärtig nicht als gesichert angesehen werden kann.

Die Kostenentscheidung beruht aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, der Antragstellerin auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, weil diese durch Stellung eines Sachantrags ebenfalls ein Kostenrisiko übernommen hat (§ 154 Abs. 3 VwGO).

Die Festsetzung des Beschwerdewertes ergibt sich aus § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG, wobei sich der Senat ebenso wie bereits das Verwaltungsgericht an Tz. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327) orientiert.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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