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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 04.02.2009
Aktenzeichen: OVG 11 S 53.08
Rechtsgebiete: VwGO, BImSchG, BbgBO, EEG


Vorschriften:

VwGO § 146 Abs. 4
BImSchG § 6 Abs. 1 Nr. 2
BbgBO § 11 Abs. 1 S. 2
EEG § 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN-BRANDENBURG BESCHLUSS

OVG 11 S 53.08

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 11. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Laudemann, den Richter am Oberverwaltungsgericht Fieting und die Richterin am Oberverwaltungsgericht Apel am 4. Februar 2009 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 10. Juni 2008 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird insoweit unter Änderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 10. Juni 2008 für beide Rechtszüge auf je 7.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller wendet sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung für Windkraftanlagen der Beigeladenen. Er selbst betreibt in Groß Haßlow eine Windkraftanlage vom Typ Lagerwey LW50/750 mit einem Rotordurchmesser von 50,5 Metern und einer Nabenhöhe von 74,5 Metern (WKA 11), für die der Landkreis Ostprignitz-Ruppin mit Bescheid vom 20. Oktober 1997 eine Baugenehmigung erteilte. Die Beigeladene betreibt ebenfalls am Standort Groß Haßlow zehn Windkraftanlagen vom Typ Gamesa G 58 mit einem Rotordurchmesser von 58 Metern und einer Nabenhöhe von 71 Metern (WKA 1-10), die der Antragsgegner durch Bescheid vom 9. August 2007 immissionsschutzrechtlich genehmigte. Mit Bescheid vom 13. November 2007 ordnete der Antragsgegner die sofortige Vollziehung dieses Genehmigungsbescheides für die Errichtung und den Betrieb der WKA 1-9 und für die Errichtung der WKA 10 an. Diese Anordnung ist Gegenstand des Verfahrens 5 L 787/07 Potsdam / OVG 11 S 2.08. Mit Bescheid vom 20. April 2008 ordnete er die sofortige Vollziehung des Genehmigungsbescheides vom 9. August 2007 auch für den Betrieb der WKA 10 an. Durch Beschluss vom 10. Juni 2008 hat es das Verwaltungsgericht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung der Widersprüche des Antragstellers vom 8., 9. und 24. Oktober 2007 bezüglich des Betriebs der WKA 10 wiederherzustellen. Hiergegen richtet sich die vorliegende Beschwerde des Antragstellers.

II.

Die Beschwerde ist nicht begründet, denn die nach Maßgabe von § 146 Abs. 4 VwGO zu berücksichtigenden Einwände des Antragstellers rechtfertigen keine Änderung des angefochtenen Beschlusses.

Es ist gemessen am Beschwerdevorbringen bei summarischer Prüfung überwiegend wahrscheinlich, dass die immissionsschutzrechtliche Genehmigung des Betriebs der Windkraftanlage 10 rechtmäßig ist. Ausgangspunkt der rechtlichen Betrachtung ist § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG i.V.m. § 11 Abs. 1 S. 2 BbgBO, wonach die Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung unter anderem voraussetzt, dass die Standsicherheit anderer baulicher Anlagen und anderer Anlagen und Einrichtungen sowie die Tragfähigkeit des Baugrundes des Nachbargrundstücks nicht gefährdet werden dürfen. Für die Beurteilung der Standsicherheit der Windkraftanlage des Antragstellers ist von der diese Anlage betreffenden Baugenehmigung des Landkreises Ostprignitz-Ruppin Nr. 01345/97 vom 20. Oktober 1997 auszugehen, deren Bestandteil gemäß Nebenbestimmung 1.10 die der Baugenehmigung beigefügten bautechnischen Nachweise mit Prüfbericht Nr. 1, Prüfverzeichnis Nr. 97169 Ü, sind. Dieser Prüfbericht des Prüfingenieurs für Baustatik Professor D_____ vom 25. August 1997, dem eine statische Berechnung des Fundaments beigefügt ist, betrifft den Stahl-Vollwandturm mit Flachgründung für die Windkraftanlage Lagerwey LW 50/750 und gelangt zu dem Ergebnis, dass im Hinblick auf die Standsicherheit keine Bedenken bestehen. Der Prüfbericht legt eine Windaufnahme "nach DIBt-Richtlinie für Windkraftanlagen, Juni 1993" sowie die Lasten aus der Windkraftanlage nach Angaben des Herstellers zu Grunde. Es ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass die DIBt-Richtlinie 1993 auch in der zurzeit der Genehmigung der Windkraftanlage des Antragstellers anwendbaren Fassung von 1995 für die Berechnung der Turbulenzintensität von einem für alle Geschwindigkeiten konstanten Auslegungswert von 20% ausgegangen ist. Dieser Auslegungswert wird durch den Betrieb der WKA 10 der Beigeladenen nach den im Genehmigungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachten nicht überschritten. Der TÜV Nord ist in seiner gutachtlichen Stellungnahme zur Turbulenzbelastung im Windpark Groß Haßlow vom Oktober 2007 zu dem Ergebnis gelangt, dass die Windkraftanlage des Antragstellers auch bei Betrieb der WKA 10 einer effektiven Turbulenzintensität von 17,9% ausgesetzt wird. Soweit der Antragsteller die Berechnungsweise des TÜV Nord angreift, legt er jedenfalls nicht dar, dass dieser zu einer Überschreitung des Auslegungswerts von 20 % hätte gelangen müssen. Darüber hinaus schließt die G_____ GmbH (i. F.: GL) in ihrer gutachtlichen Stellungnahme vom 20. Dezember 2007 ebenfalls mit der Feststellung, dass die Turbulenzintensität des Auslegungswertes der Windkraftanlage 11 deutlich unterschritten werde und die Standsicherheit dieser Windkraftanlage in der Windparkkonfiguration aufgrund der Turbulenz- und Windbedingungen bestätigt werden könne.

Der Antragsteller bestreitet auch nicht, dass der Turm seiner Windkraftanlage auf eine Turbulenzintensität von 20% ausgelegt ist und dass diese Turbulenzintensität durch den Betrieb der Windkraftanlage 10 nicht überschritten wird. Er macht jedoch geltend, dass die Turbine nur auf eine Turbulenzintensität von 16% ausgelegt sei und demgemäß dieser niedrigere Wert angesetzt werden müsse. Dem vermag der Senat bei summarischer Prüfung nicht zu folgen. Es liegt auf der Hand und bedarf keines besonderen Sachverstandes, dass bei dem Betrieb einer Windkraftanlage gerade deren Turm und Gründung aufgrund der einwirkenden Hebelkräfte im Hinblick auf die Standsicherheit der Anlage besonderen Belastungen ausgesetzt sind. Standsicherheit ist die Eigenschaft einer baulichen Anlage, die die vorgesehene Beanspruchung gewährleistet, ohne dass derart starke physische Veränderungen an der baulichen Anlage entstehen können, die eine Gefährdung bedeuten würde. Im Regelfall ist damit eine Einsturzgefahr gemeint, die insbesondere Leben oder Gesundheit von Menschen oder Tieren gefährden würde (vgl. Jäde/Dirnberger, Bauordnungsrecht Brandenburg, § 11 BbgBO, Rn. 7). Dies betrifft insbesondere Baugrund und Tragwerk. Aber auch soweit sich das Erfordernis der Standsicherheit auf einzelne Teile einer baulichen Anlage erstreckt, hat der Antragsteller deren Gefährdung in Bezug auf seine Windkraftanlage nicht glaubhaft gemacht. Soweit er geltend macht, dass die aus Glasfaserkunststoff bestehenden Rotorblätter seiner Windkraftanlage der größten Gefährdung durch Turbulenzerhöhungen ausgesetzt seien, legt er selbst nicht dar, auf welche Turbulenzintensität die Rotorblätter ausgelegt seien. Soweit er geltend gemacht, die Turbine seiner Windkraftanlage sei auf eine Turbulenzintensität von 16% ausgelegt, erscheint schon zweifelhaft, ob das von ihm mit der Antragsschrift eingereichte undatierten Schreiben der E_____B.V. dies bestätigt. Dieses englischsprachige Schreiben bezieht sich ausweislich seines Betreffs auf die "Lagerwey Windturbine 750/50". Da "Windturbine" mit Windenergieanlage zu übersetzen ist, kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass mit dem im Folgenden benutzten Ausdruck "turbine" lediglich ein Maschinenteil, etwa der Generator der Windkraftanlage gemeint ist. Sollte sich die Aussage hingegen auf die gesamte Windkraftanlage beziehen, so stünde dies zumindest im Hinblick auf Turm und Gründung der Windkraftanlage des Antragstellers im Widerspruch zur Baugenehmigung vom 20. Oktober 1997, an der sich der Antragsteller festhalten lassen muss.

Aber selbst wenn davon auszugehen wäre, dass die Maschine der Windkraftanlage des Antragstellers lediglich auf eine Turbulenzintensität von 16% ausgelegt ist, könnte dies nicht die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche des Antragstellers gegen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung zum Betrieb der WKA 10 der Beigeladenen rechtfertigen. Denn der Umstand, dass einzelne Teile der Windkraftanlage den für Turm und Gründung genehmigten und nach DIBt 1993/1995 schon damaligem Standard entsprechenden Auslegungswert für die Turbulenzintensität nicht ausschöpfen, kann kein schutzwürdiges Vertrauen des Antragstellers darin begründen, dass andere Betreiber die Planung iher Windkraftanlagen dem anpassen. Anderenfalls hätte es der Antragsteller praktisch in der Hand, durch mehr oder weniger willkürlichen Ansatz bestimmter Auslegungswerte die Konkurrenzsituation in Windparks zusteuern (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24. Januar 2000 - 7 B 2180/99 -, NVwZ 2000,1064, sowie bei Juris, dort Rn. 10). Schon aus diesem Grund kann sich der Antragsteller auch nicht darauf berufen, dass die Beigeladene mit dem Betrieb der WKA 10 gegen das baurechtliche Rücksichtnahmegebot verstoße.

Hiervon abgesehen ginge auch eine bei offenen Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache vorzunehmende Interessenabwägung zulasten des Antragstellers aus. Denn auch wenn man davon ausgingen, dass die Maschine seiner Windkraftanlage lediglich auf eine Turbulenzintensität von 16% ausgelegt ist, würde die Überschreitung des Auslegungswertes offensichtlich nicht zu akuten Gefahren führen, sondern vielmehr einen vorzeitigen Verschleiß der maschinentechnischen Teile der Anlage bedingen und gegebenenfalls einen erhöhten Überwachungs- und Wartungsaufwand verursachen, der zudem finanziell ausgeglichen werden könnte, wenn die immissionsschutzrechtliche Genehmigung zum Betrieb der WKA 10 im Hauptsacheverfahren aufgehoben werden sollte (vgl. auch OVG Nordrhein-Westfahlen, Beschluss vom 24. Januar 2000, a.a.O.). Dieser Nachteil wäre auch dadurch relativiert, dass die Windkraftanlage des Antragstellers bei Inbetriebnahme der WKA 10 bereits etwa die Hälfte ihrer insgesamt auf circa 20 Jahre prognostizierten Lebensdauer erreicht hatte. Im Übrigen gelangt GL in ihrer gutachtlichen Stellungnahme vom 20. Dezember 2007 für die Bauteile Maschine und Rotorblätter der WKA 11 zu einer effektiven Turbulenzintensität, die nur um 0.5 % über dem vom Antragsteller behaupteten Auslegungswert von 16 % liegt. Hinzu kommt, dass eine Erhöhung der Turbulenzintensität am Standort der WKA 11 des Antragstellers überhaupt nur dann auftritt, wenn diese sich in der Nachlaufströmung der WKA 10 befindet, die der TÜV Nord in seiner gutachtlichen Stellungnahme vom Oktober 2007 mit einem Bereich von 241° bis 265° angegeben hat. Unter weiterer Berücksichtigung der in dieser gutachtlichen Stellungnahme aufgeführten relativen Häufigkeiten der Windrichtungen am Standort dürfte auf den genannten Bereich lediglich ein Bruchteil von voraussichtlich nicht mehr als einem Drittel entfallen. In diesen Fällen wäre es im übrigen auch dem Antragsteller möglich, seine Windkraftanlage zu deren Schonung vorübergehend abzuschalten, wie auch der TÜV Nord dies in seiner gutachtlichen Stellungnahme beschrieben hat, oder die Anlage vorübergehend mit einer reduzierten Last zu fahren, was der Antragsteller nach eigenem Vortrag bereits praktiziert hat. Demgegenüber würde die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche des Antragstellers gegen die Genehmigung zum Betrieb der WKA 10 dazu führen, dass diese während des Rechtsbehelfsverfahrens zunächst außer Betrieb bliebe und zur Nutzung regenerativer Energien, deren Ertrag die Beigeladene für jede Windkraftanlage mit jährlich 1,6 Millionen kWh Strom angibt, nicht zur Verfügung stünde. Für den Betrieb auch der genehmigten WKA 10 streitet aber ein besonderes öffentliches Interesse, weil der Gesetzgeber insbesondere in § 1 EEG zum Ausdruck gebracht hat, dass es im Interesse des Klima-, Natur- und Umweltschutzes liege, eine nachhaltige Entwicklung der Energieversorgung zu ermöglichen und dazu den Anteil erneuerbarer Energien an der Stromversorgung bis zum Jahr 2010 auf mindestens 12,5% und bis zum Jahr 2020 auf mindestens 20% zu erhöhen. Dieses Ziel hat der Gesetzgeber durch das am 1. Januar 2009 in Kraft tretende Gesetz zur Neuregelung des Rechts der Erneuerbaren Energien im Strombereich und zur Änderung damit zusammenhängender Vorschriften vom 25. Oktober 2008 (BGBl. I S. 2074) als Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzziele der Vereinten Nationen, der Europäischen Union und der Bundesrepublik Deutschland (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drs. 16/8148, S. 26) sogar erhöht und dessen § 1 Abs. 2 dahin formuliert, den Anteil Erneuerbarer Energien an der Stromversorgung bis zum Jahr 2020 auf mindestens 30 Prozent und danach kontinuierlich weiter zu erhöhen. Bereits dieses besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angegriffenen Genehmigungsbescheides überwiegt das Suspensivinteresse des Antragstellers (vgl. bereits Senatsbeschluss vom 24. November 2008 - OVG 11 S 74.08 -).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die den angefochtenen Beschluss teilweise ändernde Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 1, § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG. Dabei orientiert sich der Senat mangels näherer Angaben des Antragstellers zur wertmäßigen Bemessung der von ihm besorgen Schäden bzw. wirtschaftlichen Einbußen pauschalierend an Tz. 19.2 i.V.m. 2.2.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2004 (NVwZ 2004, 1327). Dieser Wert war im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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